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Gentherapie in der Behandlung der Hämophilie
Jatros
Autor:
Prof. Dr. Wolfgang Miesbach
Medizinische Klinik II<br> Institut für Transfusionsmedizin und Immunhämatologie<br> Universitätsklinikum Frankfurt<br> E-Mail: wolfgang.miesbach@kgu.de
30
Min. Lesezeit
30.05.2019
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<p class="article-intro">Die Hämophilie ist eine angeborene X-chromosomal vererbbare Blutungsneigung mit einer Prävalenz von 1 : 10 000 (Hämophilie A) bis 1 : 30 000 (Hämophilie B), die mit einer prophylaktischen oder bedarfsweisen intravenösen Substitution des fehlenden Gerinnungsfaktors behandelt wird. Bei unbehandelten Patienten mit schweren Verlaufsformen besteht das Risiko für spontan auftretende, unstillbare Blutungen, häufig in die großen Gelenke, aber auch in Muskeln oder Organe. Bereits eine einzige Gelenkblutung kann zu irreversiblen Gelenkschäden und einer chronischen hämophilen Arthropathie führen.</p>
<hr />
<p class="article-content"><p>Die Möglichkeit der Substitution von plasmatisch oder rekombinant hergestellten Faktorpräparaten erlaubt die Behandlung im Blutungsfall und die Prophylaxe von Blutungen. Aufgrund der kurzen Halbwertszeit von FVIII und FIX sind häufige intravenöse Injektionen erforderlich (in der Regel 2–3/Woche), um den Level des Gerinnungsfaktors bei über 1 % zu halten und damit die Frequenz spontan auftretender Blutungen zu reduzieren. Verschiedene Techniken zur Verlängerung der Wirkdauer führten bei kürzlich zugelassenen Gerinnungsfaktorpräparaten dazu, dass bei Hämophilie A eine subkutane Therapie eingesetzt werden kann und bei Hämophilie B der Gerinnungsfaktor deutlich seltener appliziert werden muss. In dem vorliegenden Artikel werden die bisherigen Fortschritte in der Gentherapie der Hämophilie vorgestellt, die anstrebt, die regelmäßig durchzuführende Therapie durch eine einmalige Infusion zu ersetzen und dadurch dauerhaft eine Reduktion der Blutungsereignisse zu erzielen.<br /> Ziel der Gentherapie ist es, genetisch bedingte Erkrankungen durch eine Korrektur des defekten Gens zu beheben und in der Hämophilie nach einer einzigen Infusion dauerhaft hohe Faktorenspiegel zu erreichen, sodass bei der Hämophilie auch nach Stopp der prophylaktischen Faktorensubstitution keine spontanen Blutungen mehr auftreten und ein normales, infusionsfreies Leben geführt werden kann.<br /> Die Hämophilie bietet sich als Modell für die Gentherapie an, da jeweils nur ein einzelnes, gut charakterisiertes und vollständig entschlüsseltes Gen betroffen ist und ein bereits geringer Anstieg der Gerinnungsfaktoraktivität zu einer deutlichen Verbesserung der klinischen Symptomatik führen kann.</p> <h2>Funktionsprinzip der Gentherapie der Hämophilie</h2> <p>Das intravenös zu injizierende Gentherapieprodukt besteht aus dem Gen für den Gerinnungsfaktor in einem viralen Vektor, in diesem Fall ein Adeno-assoziiertes Virus (AAV). Die Vektoren enthalten zugleich die für die Expression des Gens in der Zielzelle notwendigen Kontrollelemente wie Promotor und Enhancer, die dafür verantwortlich sind, dass das Gen spezifisch in der Leber exprimiert wird (Abb. 1).<br /> Bei den AAV handelt es sich um rekombinant hergestellte, nicht pathogene Viren, die eine Kapazität von 4,7 Kilobasen (kb) haben, um ein Gen zu transportieren. Es sind zahlreiche AAV-Serotypen bekannt, die sich u.a. in ihrem Tropismus für unterschiedliche Zielgewebe unterscheiden.<br /> AAV werden als virale Vektoren in der Gentherapie verwendet, weil sie nicht mit Krankheiten assoziiert sind, je nach Serotyp einen starken Lebertropismus zeigen, sich das virale Erbgut nicht oder nur äußerst selten in das Genom der Wirtszelle integriert und somit das Risiko für eine sogenannte Insertionsmutagenese und damit verbundene Komplikationen wie beispielsweise Krebserkrankungen als sehr gering eingeschätzt wird. Darüber hinaus sind die Hepatozyten für AAV leicht zugänglich und sowohl das FIX-Gen als auch das größere FVIII-Gen (gekürzt durch BDomänen- Deletion ohne Funktionsverlust) können in den Vektor (AAV) eingefügt werden.<br /> Gegenwärtig finden klinische Studien der Phase I bis III mit verschiedenen Genapplikationen des Gentransfers für die Behandlung der Hämophilie A und Hämophilie B statt. Teilnehmen können erwachsene Patienten mit schwerer Hämophilie ohne Entwicklung eines Hemmkörpers und ohne ausgeprägte Komorbidität. Vor Teilnahme wird geprüft, ob Antikörper gegen AAV vorliegen, da dies das Ansprechen auf die Gentherapie vermindern kann.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2019_Jatros_Onko_1903_Weblinks_jatros_onko_1903_s14_abb1.jpg" alt="" width="1457" height="988" /></p> <h2>Aktuelle Studienergebnisse</h2> <p>Erstmalige bahnbrechende Ergebnisse zur Gentherapie der Hämophilie B wurden in den Jahren 2011 und 2014 publiziert.<sup>1, 2</sup> Nach Verabreichung der Therapie zeigte sich auch Jahre später ein konstant um 5–7 % erhöhter FIX-Wert. Die Blutungsrate nahm um 90 % ab, sodass ein Teil der Patienten die regelmäßige prophylaktische Substitution mit einem Faktorenkonzentrat einstellen konnte. Trotz sportlicher Aktivitäten traten bei diesen Patienten keine weiteren Blutungen auf.<br /> Die Ergebnisse dieser Studie wurden im Wesentlichen durch eine weitere Studie bestätigt, die dasselbe Gen, jedoch einen anderen AAV-Serotyp verwendete. Von 10 Patienten konnten 9 Patienten die prophylaktische Substitution mit einem Faktorenkonzentrat beenden und es zeigte sich ein deutlicher Rückgang der Blutungen.<sup>3</sup><br /> In einer weiteren Studie, die eine hoch effektive Variante des FIX (Padua-Variante) verwendete, konnte sogar ein Anstieg der FIX-Aktivität auf über 30 % erzielt werden, was einen Schutz vor Blutungen auch bei Verletzung bieten kann, wodurch die Blutungsrate insgesamt um 97 % reduziert werden konnte.<sup>4</sup><br /> Kürzlich wurden erste Ergebnisse einer Studie zur Gentherapie der Hämophilie A veröffentlicht. Bereits nach wenigen Wochen konnte ein deutlicher Anstieg der FVIII-Aktivität erzielt werden.<sup>5</sup> In einer Pilotstudie hatten 15 Männer mit schwerer Hämophilie A über einen AAV-basierten Vektor das Gen zur FVIII-Bildung erhalten. Ziel war es, eine Faktoraktivität von mindestens 5 % zu erzielen. Tatsächlich wurden jedoch mit Gesunden vergleichbare Faktor-Spiegel von 50 bis 150IE/dl erreicht, die über ein Jahr lang konstant blieben. Es traten keinerlei spontane Blutungen mehr auf und selbst bei schweren Traumata oder notwendigen Operationen musste, abgesehen von einem Patienten, kein FVIII-Konzentrat substituiert werden.<br /> Die vorliegenden Ergebnisse gehen somit von einem guten Ansprechen auf die Gentherapie und stabil erhöhten Gerinnungsfaktorwerten aus und werden gegenwärtig in umfangreicheren Phase-IIIStudien überprüft.<br /> Eine mögliche Nebenwirkung der Gentherapie ist eine nicht vorhersagbare, TZell- bedingte Immunabwehr gegen korrigierte Leberzellen, die Kapsidfragmente des viralen Vektors an ihrer Oberfläche präsentieren, was zu einer asymptomatischen Leberwerterhöhung und einem Verlust der therapeutischen Wirkung führen kann. Alle aufgetretenen Leberwerterhöhungen konnten bislang erfolgreich mit einer vorübergehenden immunsuppressiven Therapie, z.B. mit Kortison, behandelt werden. Bei manchen Patienten konnte jedoch der ursprüngliche Gerinnungsfaktorspiegel nicht wieder erreicht werden.</p> <h2>Zusammenfassung</h2> <p>Studienergebnisse zur Gentherapie zeigen einen anhaltenden Anstieg des Gerinnungsfaktors nach einer einmaligen Infusion, sodass die Patienten mit Hämophilie von den neuen Therapieoptionen deutlich profitieren können und der Schutz vor Blutungen wie auch die Lebensqualität ansteigen werden. Es fehlen jedoch Langzeitdaten zur Wirksamkeit, Sicherheit und Immunogenität, die in weiteren Studien erhoben werden.<br /> Herausforderungen sind neutralisierende Antikörper gegen AAV, die ein Ansprechen auf die Therapie verhindern können. Nach Gentherapie führen die dann auf jeden Fall entwickelten Antikörper dazu, dass eine erneute Therapie mit demselben AAV oder anderen AAV aufgrund der bestehenden Kreuzreaktivität vermutlich wirkungslos bleibt. Eine weitere Limitation der Gentherapie ist die durch die Präsentation des Kapsids und die damit einhergehende T-Zell-Aktivierung hervorgerufene transiente Lebertoxizität, die zu einer Wirkungsabschwächung führt.</p></p>
<p class="article-footer">
<a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a>
<div class="collapse" id="collapseLiteratur">
<p><strong>1</strong> Nathwani AC et al.: Adenovirus-associated virus vectormediated gene transfer in hemophilia B. N Engl J Med 2011; 365(25): 2357-65 <strong>2</strong> Nathwani AC et al.: Long-term safety and efficacy of factor IX gene therapy in hemophilia B. N Engl J Med 2014; 371(21): 1994-2004 <strong>3</strong> Miesbach W et al.: Gene therapy with adeno-associated virus vector 5-human factor IX in adults with hemophilia B. Blood 2018; 131(9): 1022-31 <strong>4</strong> George LA et al.: Hemophilia B gene therapy with a high-specific-activity factor IX variant. N Engl J Med 2017; 377(23): 2215-27 <strong>5</strong> Rangarajan S et al.: AAV5-factor VIII gene transfer in severe hemophilia A. N Engl J Med 2017; 377(26): 2519-30</p>
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