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Gentherapie in der Behandlung der Hämophilie

<p class="article-intro">Die Hämophilie ist eine angeborene X-chromosomal vererbbare Blutungsneigung mit einer Prävalenz von 1 : 10 000 (Hämophilie A) bis 1 : 30 000 (Hämophilie B), die mit einer prophylaktischen oder bedarfsweisen intravenösen Substitution des fehlenden Gerinnungsfaktors behandelt wird. Bei unbehandelten Patienten mit schweren Verlaufsformen besteht das Risiko für spontan auftretende, unstillbare Blutungen, häufig in die großen Gelenke, aber auch in Muskeln oder Organe. Bereits eine einzige Gelenkblutung kann zu irreversiblen Gelenkschäden und einer chronischen hämophilen Arthropathie führen.</p> <hr /> <p class="article-content"><p>Die M&ouml;glichkeit der Substitution von plasmatisch oder rekombinant hergestellten Faktorpr&auml;paraten erlaubt die Behandlung im Blutungsfall und die Prophylaxe von Blutungen. Aufgrund der kurzen Halbwertszeit von FVIII und FIX sind h&auml;ufige intraven&ouml;se Injektionen erforderlich (in der Regel 2&ndash;3/Woche), um den Level des Gerinnungsfaktors bei &uuml;ber 1 % zu halten und damit die Frequenz spontan auftretender Blutungen zu reduzieren. Verschiedene Techniken zur Verl&auml;ngerung der Wirkdauer f&uuml;hrten bei k&uuml;rzlich zugelassenen Gerinnungsfaktorpr&auml;paraten dazu, dass bei H&auml;mophilie A eine subkutane Therapie eingesetzt werden kann und bei H&auml;mophilie B der Gerinnungsfaktor deutlich seltener appliziert werden muss. In dem vorliegenden Artikel werden die bisherigen Fortschritte in der Gentherapie der H&auml;mophilie vorgestellt, die anstrebt, die regelm&auml;&szlig;ig durchzuf&uuml;hrende Therapie durch eine einmalige Infusion zu ersetzen und dadurch dauerhaft eine Reduktion der Blutungsereignisse zu erzielen.<br /> Ziel der Gentherapie ist es, genetisch bedingte Erkrankungen durch eine Korrektur des defekten Gens zu beheben und in der H&auml;mophilie nach einer einzigen Infusion dauerhaft hohe Faktorenspiegel zu erreichen, sodass bei der H&auml;mophilie auch nach Stopp der prophylaktischen Faktorensubstitution keine spontanen Blutungen mehr auftreten und ein normales, infusionsfreies Leben gef&uuml;hrt werden kann.<br /> Die H&auml;mophilie bietet sich als Modell f&uuml;r die Gentherapie an, da jeweils nur ein einzelnes, gut charakterisiertes und vollst&auml;ndig entschl&uuml;sseltes Gen betroffen ist und ein bereits geringer Anstieg der Gerinnungsfaktoraktivit&auml;t zu einer deutlichen Verbesserung der klinischen Symptomatik f&uuml;hren kann.</p> <h2>Funktionsprinzip der Gentherapie der H&auml;mophilie</h2> <p>Das intraven&ouml;s zu injizierende Gentherapieprodukt besteht aus dem Gen f&uuml;r den Gerinnungsfaktor in einem viralen Vektor, in diesem Fall ein Adeno-assoziiertes Virus (AAV). Die Vektoren enthalten zugleich die f&uuml;r die Expression des Gens in der Zielzelle notwendigen Kontrollelemente wie Promotor und Enhancer, die daf&uuml;r verantwortlich sind, dass das Gen spezifisch in der Leber exprimiert wird (Abb. 1).<br /> Bei den AAV handelt es sich um rekombinant hergestellte, nicht pathogene Viren, die eine Kapazit&auml;t von 4,7 Kilobasen (kb) haben, um ein Gen zu transportieren. Es sind zahlreiche AAV-Serotypen bekannt, die sich u.a. in ihrem Tropismus f&uuml;r unterschiedliche Zielgewebe unterscheiden.<br /> AAV werden als virale Vektoren in der Gentherapie verwendet, weil sie nicht mit Krankheiten assoziiert sind, je nach Serotyp einen starken Lebertropismus zeigen, sich das virale Erbgut nicht oder nur &auml;u&szlig;erst selten in das Genom der Wirtszelle integriert und somit das Risiko f&uuml;r eine sogenannte Insertionsmutagenese und damit verbundene Komplikationen wie beispielsweise Krebserkrankungen als sehr gering eingesch&auml;tzt wird. Dar&uuml;ber hinaus sind die Hepatozyten f&uuml;r AAV leicht zug&auml;nglich und sowohl das FIX-Gen als auch das gr&ouml;&szlig;ere FVIII-Gen (gek&uuml;rzt durch BDom&auml;nen- Deletion ohne Funktionsverlust) k&ouml;nnen in den Vektor (AAV) eingef&uuml;gt werden.<br /> Gegenw&auml;rtig finden klinische Studien der Phase I bis III mit verschiedenen Genapplikationen des Gentransfers f&uuml;r die Behandlung der H&auml;mophilie A und H&auml;mophilie B statt. Teilnehmen k&ouml;nnen erwachsene Patienten mit schwerer H&auml;mophilie ohne Entwicklung eines Hemmk&ouml;rpers und ohne ausgepr&auml;gte Komorbidit&auml;t. Vor Teilnahme wird gepr&uuml;ft, ob Antik&ouml;rper gegen AAV vorliegen, da dies das Ansprechen auf die Gentherapie vermindern kann.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2019_Jatros_Onko_1903_Weblinks_jatros_onko_1903_s14_abb1.jpg" alt="" width="1457" height="988" /></p> <h2>Aktuelle Studienergebnisse</h2> <p>Erstmalige bahnbrechende Ergebnisse zur Gentherapie der H&auml;mophilie B wurden in den Jahren 2011 und 2014 publiziert.<sup>1, 2</sup> Nach Verabreichung der Therapie zeigte sich auch Jahre sp&auml;ter ein konstant um 5&ndash;7 % erh&ouml;hter FIX-Wert. Die Blutungsrate nahm um 90 % ab, sodass ein Teil der Patienten die regelm&auml;&szlig;ige prophylaktische Substitution mit einem Faktorenkonzentrat einstellen konnte. Trotz sportlicher Aktivit&auml;ten traten bei diesen Patienten keine weiteren Blutungen auf.<br /> Die Ergebnisse dieser Studie wurden im Wesentlichen durch eine weitere Studie best&auml;tigt, die dasselbe Gen, jedoch einen anderen AAV-Serotyp verwendete. Von 10 Patienten konnten 9 Patienten die prophylaktische Substitution mit einem Faktorenkonzentrat beenden und es zeigte sich ein deutlicher R&uuml;ckgang der Blutungen.<sup>3</sup><br /> In einer weiteren Studie, die eine hoch effektive Variante des FIX (Padua-Variante) verwendete, konnte sogar ein Anstieg der FIX-Aktivit&auml;t auf &uuml;ber 30 % erzielt werden, was einen Schutz vor Blutungen auch bei Verletzung bieten kann, wodurch die Blutungsrate insgesamt um 97 % reduziert werden konnte.<sup>4</sup><br /> K&uuml;rzlich wurden erste Ergebnisse einer Studie zur Gentherapie der H&auml;mophilie A ver&ouml;ffentlicht. Bereits nach wenigen Wochen konnte ein deutlicher Anstieg der FVIII-Aktivit&auml;t erzielt werden.<sup>5</sup> In einer Pilotstudie hatten 15 M&auml;nner mit schwerer H&auml;mophilie A &uuml;ber einen AAV-basierten Vektor das Gen zur FVIII-Bildung erhalten. Ziel war es, eine Faktoraktivit&auml;t von mindestens 5 % zu erzielen. Tats&auml;chlich wurden jedoch mit Gesunden vergleichbare Faktor-Spiegel von 50 bis 150IE/dl erreicht, die &uuml;ber ein Jahr lang konstant blieben. Es traten keinerlei spontane Blutungen mehr auf und selbst bei schweren Traumata oder notwendigen Operationen musste, abgesehen von einem Patienten, kein FVIII-Konzentrat substituiert werden.<br /> Die vorliegenden Ergebnisse gehen somit von einem guten Ansprechen auf die Gentherapie und stabil erh&ouml;hten Gerinnungsfaktorwerten aus und werden gegenw&auml;rtig in umfangreicheren Phase-IIIStudien &uuml;berpr&uuml;ft.<br /> Eine m&ouml;gliche Nebenwirkung der Gentherapie ist eine nicht vorhersagbare, TZell- bedingte Immunabwehr gegen korrigierte Leberzellen, die Kapsidfragmente des viralen Vektors an ihrer Oberfl&auml;che pr&auml;sentieren, was zu einer asymptomatischen Leberwerterh&ouml;hung und einem Verlust der therapeutischen Wirkung f&uuml;hren kann. Alle aufgetretenen Leberwerterh&ouml;hungen konnten bislang erfolgreich mit einer vor&uuml;bergehenden immunsuppressiven Therapie, z.B. mit Kortison, behandelt werden. Bei manchen Patienten konnte jedoch der urspr&uuml;ngliche Gerinnungsfaktorspiegel nicht wieder erreicht werden.</p> <h2>Zusammenfassung</h2> <p>Studienergebnisse zur Gentherapie zeigen einen anhaltenden Anstieg des Gerinnungsfaktors nach einer einmaligen Infusion, sodass die Patienten mit H&auml;mophilie von den neuen Therapieoptionen deutlich profitieren k&ouml;nnen und der Schutz vor Blutungen wie auch die Lebensqualit&auml;t ansteigen werden. Es fehlen jedoch Langzeitdaten zur Wirksamkeit, Sicherheit und Immunogenit&auml;t, die in weiteren Studien erhoben werden.<br /> Herausforderungen sind neutralisierende Antik&ouml;rper gegen AAV, die ein Ansprechen auf die Therapie verhindern k&ouml;nnen. Nach Gentherapie f&uuml;hren die dann auf jeden Fall entwickelten Antik&ouml;rper dazu, dass eine erneute Therapie mit demselben AAV oder anderen AAV aufgrund der bestehenden Kreuzreaktivit&auml;t vermutlich wirkungslos bleibt. Eine weitere Limitation der Gentherapie ist die durch die Pr&auml;sentation des Kapsids und die damit einhergehende T-Zell-Aktivierung hervorgerufene transiente Lebertoxizit&auml;t, die zu einer Wirkungsabschw&auml;chung f&uuml;hrt.</p></p> <p class="article-footer"> <a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a> <div class="collapse" id="collapseLiteratur"> <p><strong>1</strong> Nathwani AC et al.: Adenovirus-associated virus vectormediated gene transfer in hemophilia B. N Engl J Med 2011; 365(25): 2357-65 <strong>2</strong> Nathwani AC et al.: Long-term safety and efficacy of factor IX gene therapy in hemophilia B. N Engl J Med 2014; 371(21): 1994-2004 <strong>3</strong> Miesbach W et al.: Gene therapy with adeno-associated virus vector 5-human factor IX in adults with hemophilia B. Blood 2018; 131(9): 1022-31 <strong>4</strong> George LA et al.: Hemophilia B gene therapy with a high-specific-activity factor IX variant. N Engl J Med 2017; 377(23): 2215-27 <strong>5</strong> Rangarajan S et al.: AAV5-factor VIII gene transfer in severe hemophilia A. N Engl J Med 2017; 377(26): 2519-30</p> </div> </p>
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