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Fragen Jugendlicher zur Sexualität offen besprechen
Jatros
Autor:
Mag. Wolfgang Kostenwein
Österreichisches Institut für Sexualpädagogik und Sexualtherapien, Wien<br> E-Mail: team@sexualpaedagogik.at
30
Min. Lesezeit
30.11.2017
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<p class="article-intro">Wenn Menschen im Rahmen der Pubertät ihre ersten sexuellen Erfahrungen machen, haben sie bereits mehr als ein Jahrzehnt sexuelle Erfahrungen hinter sich. Die Tatsache, dass sich erwachsene Personen erst ab diesem Zeitpunkt mit dem Thema Sexualität auseinandersetzen, ist lediglich durch einen Perspektivenwechsel begründet.</p>
<p class="article-content"><div id="keypoints"> <h2>Keypoints</h2> <ul> <li>Jugendliche sind in ihrem sexuellen Gestaltungsvermögen junge Erwachsene und benötigen daher auch erwachsenen Respekt.</li> <li>Informationsvermittlung für Jugendliche braucht immer den konkreten Bezug zur Handlungsebene.</li> <li>Um Mythen zu begegnen, bedarf es einer differenzierten und handlungsrelevanten Information.</li> </ul> </div> <p>Erst mit dem Eintritt in die erwachsene Sexualität rückt diese auch in die Wahrnehmung erwachsener Personen. Auch davor haben Kinder bereits sexuelle Gefühle, kennen körperliche Erregung und selbstverständlich verfügen sie über die nötigen Nervenbahnen, um den Erregungsreflex auszulösen. Das alles ist nicht neu. Hinzu kommt lediglich, dass sie einerseits aufgrund der hormonellen Entwicklung zeugungsfähig werden und andererseits ihre sexuellen Anziehungscodes auch auf einer Erwachsenenebene erleben. Fragen, die von Erwachsenen oder auch von den Jugendlichen selbst an den Arzt gestellt werden, sind daher meist in Bezug auf diesen Perspektivenwechsel zu sehen.</p> <h2>Das erste Mal</h2> <p>Die Frage, in welchem Alter Jugendliche ihr „erstes Mal“ erleben, gehört zu den häufigsten Fragen zur Jugendsexualität. Gemeint ist damit zumeist der erste penetrative heterosexuelle Geschlechtsverkehr. Die Ergebnisse aller korrekt erhobenen Studien im deutschsprachigen Raum weisen darauf hin, dass sich der Durchschnittswert in den letzten 30 Jahren nicht verändert hat. Das Durchschnittsalter für das „erste Mal“ heutiger Jugendliche ist damit dasselbe wie das ihrer Elterngeneration und liegt zwischen 16 und 17 Jahren. In Bezug auf sexuelle Gesundheit ist das Lebensalter für den ersten Geschlechtsverkehr allerdings wenig relevant. Wichtiger ist die Bereitschaft auf emotionaler, kognitiver und körperlicher Ebene. Insbesondere das Fehlen von Informationen über die körperliche Ebene führt zu dem Mythos, dass der erste vaginale Geschlechtsverkehr durch das Einreißen des Hymens bei Frauen schmerzhaft sein muss. Studien belegen, dass das Hymen in der Mehrzahl aller Fälle nicht reißt. Voraussetzung für das Verständnis möglicher Schmerzen ist vielmehr das Wissen um die Aktivität des weiblichen Körpers als Voraussetzung für Geschlechtsverkehr. Neben Vasokongestion und Lubrikation ist es insbesondere die Aktivität der Beckenbodenmuskulatur, die sich bei körperlicher Bereitschaft entspannt und damit vaginales Aufnehmen ermöglicht. Das Wissen um die Aktivität des weiblichen Körpers ist eine wichtige Voraussetzung für die Entscheidungsfähigkeit einer Frau. Schmerzen sind somit ein eindeutiger Hinweis auf fehlende körperliche Bereitschaft. Das Nichtbeachten dieser Ebene fördert die Prävalenz einer Dyspareunie.</p> <h2>Verhütung</h2> <p>Die Vermeidung einer unerwünschten Schwangerschaft hat für Jugendliche besondere Bedeutung. Dabei wird die Sicherheit eines bestimmten Verhütungsmittels weniger durch den Pearl-Index als vielmehr durch die Möglichkeit der sicheren Anwendbarkeit bestimmt und ist daher ausschließlich auf einer individuellen Ebene zu klären. Ein niedriger Pearl-Index der Pille ist beispielsweise auf einer individuellen Sicherheitsebene wenig relevant, wenn die betreffende Frau die regelmäßige Einnahme der Pille nicht schafft. Ein weiterer Faktor für die Entscheidung für ein bestimmtes Verhütungsmittel ist ein mögliches Bedürfnis nach Flexibilität, wodurch Langzeitverhütung oftmals als weniger geeignet erscheint.<br /> Bei Informationen über mögliche Verhütungsvarianten sollte daher nicht die Aufzählung von Verhütungsmitteln im Vordergrund stehen, sondern eine Auswahl an geeigneten Kontrazeptionsmöglichkeiten besprochen werden. In jedem Fall müssen Verhütungsvarianten anwendungsbezogen und handlungsnah erklärt werden. Auch Informationen über den Zyklus und Basiswissen über den Körper erhöhen die Verhütungskompetenz und verhindern Mythen. Beispielsweise kann das fehlende Wissen über getrennte Ausgänge von Vagina und Urethra zu der immer wieder gehörten Idee führen, man könne eine Schwangerschaft nach einem ungeschützten Geschlechtsverkehr durch anschließendes Urinieren verhindern. Es ist daher wesentlich, auch Informationen, die für Erwachsene oder Fachpersonen als selbstverständlich erscheinen, in das Informationsgespräch zu integrieren und beispielsweise darauf hinzuweisen, dass die Pille auch in der einnahmefreien Woche ihre schwangerschaftsverhütende Wirkung behält.<br /> Bei der Verwendung eines Kondoms ist besonders die Anwendungskompetenz in einer Lustsituation Voraussetzung für dessen Sicherheit. Die Besprechung der Anwendung des Kondoms sollte daher neben einer konkreten Anwendungsanleitung den Hinweis auf die Wichtigkeit des Übens im Lustkontext (bei der Masturbation) beinhalten.</p> <h2>Pornografie</h2> <p>Der Wunsch, für sich selbst und den Partner oder die Partnerin erfüllten und lustvollen Sex zu haben, findet sich nicht nur bei Erwachsenen, sondern gleichermaßen auch bei Jugendlichen. Es ist daher weder unmoralisch noch verwerflich, wenn Jugendliche ihre Informationen dort holen, wo sie leicht zugänglich, benutzungsfreundlich aufbereitet und lustvoll eingebettet sind. Tatsächlich hat guter Sex etwas mit Erfahrung zu tun und kann daher auch gelernt werden. Allerdings finden diese Lernerfahrungen auf einer ganz anderen Ebene statt, als es mediale Vorgaben zu liefern imstande sind. Insbesondere Jugendliche brauchen daher auch Informationen darüber, dass die meisten medialen Aufbereitungen von Sexualität nicht den Anspruch erheben, wirklichkeitsnahe zu sein, sondern konstruierte Fantasien oder Beispiele für Ungewöhnliches sind. Die Vermittlung von Medienkompetenz erleichtert es Jugendlichen, Pornografie richtig einordnen zu können, in einer sexuellen Situation Stimmungen und Gefühle ernst zu nehmen und sich auf das einzulassen, was der Moment bietet.<br /> Solange Erwachsene nicht bereit sind, mit Jugendlichen über all jene Fragen zu sprechen, die sie tatsächlich interessieren, und stattdessen stellvertretende Themen wie Krankheit und Verhütung aufgreifen, wird Pornografie ihre Bedeutung als Informationsquelle unangefochten behalten.</p></p>
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