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Extremitätenverlängerung mit dem magnetgetriebenen Precice-Marknagel
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Autor:
Dr. med. Hannes Manner
Leitender Arzt Kinder- und Jugendorthopädie<br> Schulthess Klinik, Zürich<br> E-Mail: hannes.manner@kws.ch
30
Min. Lesezeit
23.11.2017
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<p class="article-intro">In der Extremitätenrekonstruktion bei angeborenen oder erworbenen Längendifferenzen und Fehlstellungen ist der magnetgetriebene Precice-Verlängerungsmarknagel zu einem nicht mehr verzichtbaren Bestandteil geworden. Eine korrekte Patientenauswahl und perfekte Indikation vorausgesetzt, kann dem Patienten ein sicheres und sehr effizientes Verfahren angeboten werden, welches ohne den Diskomfort eines externen Verlängerungsapparates auskommt.</p>
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<p class="article-content"><h2>Indikationen</h2> <p>Üblicherweise kann die Indikation für eine Verlängerung mit dem Marknagel ab einer Beinlängendifferenz von 2,5cm nach Wachstumsabschluss gestellt werden. Zuvor haben minimal invasive Wachstumsbremsungen einen hohen Stellenwert. Ausser bei der Hemihypertrophie würde eine alternative Verkürzungsosteotomie immer das eigentlich «gesunde» Bein behandeln. Begleitende Deformitäten können bei exakter präoperativer Planung mitbehandelt werden, wenn die anatomischen Verhältnisse das zulassen.</p> <h2>Das Precice-Marknagel-System</h2> <p>Der Precice-Marknagel der Firma Nu- Vasive (früher Ellipse Technologies) ist in diversen Längen und Breiten (8,5mm, 10,7mm und 12,5mm) erhältlich, sodass er den jeweiligen anatomischen Verhältnissen angepasst werden kann. Somit sind Verlängerungen des Oberarmes, des Femur und der Tibia möglich. Der Nagel beziehungsweise der Knochen kann bis zu 80mm distrahiert werden. Die Nägel sind sowohl distrahierbar als auch komprimierbar, was neben der Knochenverlängerung auch eine Pseudarthrosenbehandlung durch Kompression oder aber auch nötigenfalls ein Zurückfahren der Verlängerungsstrecke ermöglicht.<br /> Bei der Auswahl der korrekten Implantatgrösse ist darauf zu achten, dass der Markraum des Knochens in jedem Fall um 1,5 bis 2mm weiter aufgebohrt werden muss als der eigentliche Nageldurchmesser, um eine gewaltfreie Implantation zu ermöglichen. Ein Missachten dieser Regel kann einerseits zu einer gravierenden Ausdünnung der Corticalis und andererseits zu einem mechanischen Schaden des Nagels führen. Da der Marknagel über eine externe Magnetfernsteuerung angetrieben wird, muss auch die Eindringtiefe des erzeugten Magnetfeldes bedacht werden. Der wenig charmant als «fat gap» bezeichnete Weichteilmantel ist abhängig von der Dicke des Marknagels beziehungsweise des darin enthaltenen Magneten.<br /> Innerhalb des proximalen Nagelanteils befindet sich die Magnetspindel, die mit einer Serie von Getrieben verbunden ist, welche wiederum über eine Gewindestange mit dem distalen, teleskopierenden und dünneren Marknagelanteil verbunden sind. Die während des Verlängerungsprozesses von aussen auf einem markierten Punkt auf der Haut aufgesetzte Fernsteuerung enthält zwei rotierende Magneten. Diese werden an den im Nagel liegenden Magneten gekoppelt. Je nach Rotationsrichtung wird der Nagel in der Folge verlängert oder verkürzt.</p> <h2>Die Operationstechnik</h2> <p>Die Implantation des Marknagels beginnt üblicherweise mit der Vorbereitung der Osteotomie und dem Anlegen von sogenannten «venting holes». Die Höhe der Osteotomie wird üblicherweise im metaphysär-diaphysären Übergangsbereich gewählt. Wie üblich bei Knochenverlängerungen wird eine sogenannte Drillhole-Osteotomie (De- Bastiani-Technik) durchgeführt, d. h., der Knochen wird durch das Anlegen von multiplen Bohrlöchern auf der gewünschten Osteotomiehöhe geschwächt. Wir verwenden hierzu in der Regel einen 4,5mm- Bohrer mit einer Spitze, die das Abrutschen des Bohrers am Knochen verhindert. Üblicherweise werden 4–5 bikortikale Bohrlöcher angelegt. Dies gelingt über einen etwa 1cm langen Hautschnitt. Einerseits ermöglicht diese Art der Osteotomie einen minimal invasiven Zugang, andererseits wird Spongiosamaterial beim nachfolgenden Aufreamen des Markkanals ausgeschwemmt und kann die Knochenneubildung in der Verlängerungsosteotomie verbessern. Im Femurbereich wird der Nagel entweder über den Trochanter major, die Fossa piriformis oder retrograd eingebracht, an der Tibia antegrad. Wenn gleichzeitig eine Achsenkorrektur geplant ist, muss präoperativ eine exakte Analyse der Fehlstellung erfolgen und intraoperativ für das Aufbohren des Kanals die Korrekturposition eingestellt werden. Eine temporäre externe unilaterale Fixation bietet sich hierfür an.<br /> Nach dem Aufreamen wird der Nagel unter leichten Rotationsbewegungen bis zur Osteotomie eingebracht, die anschliessend mit dem Meissel vervollständigt wird. Der Nagel wird vollständig eingebracht und proximal und distal verriegelt. Wenn gleichzeitig Deformitätenkorrekturen durchgeführt werden, kommen sogenannte Pollerschrauben zur Anwendung, um die Position des Nagels vor allem im metaphysären Bereich zu erhalten. Im Bildverstärker wird die Lokalisation des Nagelmagneten auf der Haut eingezeichnet und der Nagel anschliessend um 1mm intraoperativ probedistrahiert. Die Operationszeit beträgt etwa 1,5 bis 2 Stunden am Femur und 2 bis 2,5 Stunden an der Tibia. Der Blutverlust ist üblicherweise gering. Auf eine Blutleere wird gewöhnlich verzichtet.<br /> Am Unterschenkel führen manche Autoren eine prophylaktische Faszienspaltung durch, um ein Kompartmentsyndrom zu verhindern. Auf jeden Fall sollte die Fibula proximal und distal mit einer Schraube in ihrer Position gegenüber der Tibia gesichert werden. Die Fibula wird im Übergang vom mittleren zum distalen Drittel osteotomiert.</p> <h2>Die Knochenverlängerung</h2> <p>Wir beginnen mit der Knochenverlängerung meist zwischen dem 7. und 10. postoperativen Tag, je nach Alter des Patienten und der Knochenqualität. Zu diesem Zeitpunkt ist der Patient meistens bereits aus der Spitalpflege entlassen und führt die Knochenverlängerung selbstständig zu Hause durch. Üblicherweise beträgt die Drehgeschwindigkeit 1mm/Tag, verteilt auf drei Etappen, sie kann aber im Verlauf problemlos variiert werden. Die Kallusbildung am Femur ist durch die ausgeprägtere Weichteilummantelung am Oberschenkel üblicherweise besser als am Unterschenkel. Eine Reduktion der Verlängerungsgeschwindigkeit im Verlauf ist hier häufig notwendig.<br /> Eine Teilbelastung an Gehstützen mit 10–15kg ist möglich. Anfängliche postoperative Schmerzen minimieren sich im Verlauf, die Verlängerung ist üblicherweise nicht schmerzhaft. Erst ab etwa 3cm Verlängerung wird der Muskelzug unangenehm, eine begleitende Physiotherapie ist in jedem Fall erforderlich. Wöchentliche klinische und radiologische Kontrollen sind während der Verlängerung notwendig, danach alle 4 Wochen.<br /> Nach Abschluss der Verlängerung muss die Teilbelastung aufrechterhalten werden, bis der Knochen ausreichend stabil ist. Dies dauert in der Regel etwas weniger als einen Monat pro Zentimeter Verlängerung. Der Nagel wird üblicherweise ein Jahr nach der Verlängerung entfernt. Durch das «Overreaming» bei der Implantation ist dies normalerweise kein Problem.</p> <h2>Kontraindikationen</h2> <p>Ein zu enger Markkanal kann eine Verwendung des Nagels verhindern. Den 8,5mm-Nagel kann man beim Erwachsenen an der unteren Extremität üblicherweise nicht einsetzen, da er zu schwach ist. Ein- bis zweidimensionale begleitende Deformitäten können meist simultan korrigiert werden, eine grosse Erfahrung bei der präoperativen Planung vorausgesetzt. Bei komplexen und zu ausgeprägten Deformitäten, die eine Akutkorrektur nicht zulassen, sollte ein softwaregestützter Hexapod-Ringfixateur zur graduellen Korrektur eingesetzt werden.<br /> Offene Wachstumsfugen können problematisch sein, die Marknägel werden trotzdem bereits ab dem 11.–12. Lebensjahr eingesetzt, mit bisher guten Ergebnissen. Im Zweifel bietet sich aber ein Abwarten bis zum Wachstumsabschluss an.<br /> Kontraindiziert ist eine intramedulläre Verlängerung bei Instabilitäten der angrenzenden Gelenke. Wir setzen den Nagel daher nicht ein, wenn ein angeborener Femurdefekt oder eine Fibulahemimelie mit begleitender Kreuzbandaplasie vorliegen. Das ist die Domäne des Ringfixateurs, da das Kniegelenk in den Fixateur integriert werden kann, um eine Subluxation des Gelenkes zu verhindern.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2017_Leading Opinions_Ortho_1704_Weblinks_lo_ortho_1704__s55_abb1.jpg" alt="" width="2149" height="1449" /></p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2017_Leading Opinions_Ortho_1704_Weblinks_lo_ortho_1704__s56_abb2.jpg" alt="" width="1051" height="1838" /></p> <div id="fazit"> <h2>Fazit</h2> <p>Die intramedulläre Knochenverlängerung mit dem Precice-Marknagel hat das Behandlungsspektrum in der Deformitätenkorrektur deutlich erweitert. Vor allem der Patientenkomfort hat sich gegenüber der externen Fixation extrem gesteigert. Die Anwendung setzt eine grosse Erfahrung auf dem Gebiet der Beinverlängerung voraus, da die Grundprinzipien gleich bleiben. Wenn die Indikation für eine Marknagelung aus diversen Gründen nicht gegeben ist, sollte auf den softwaregestützten Hexapod-Ringfixateur zurückgegriffen werden. Im Endeffekt zählt das langfristige, möglichst exakte Ergebnis der Deformitätenkorrektur, denn das Verlängerungsinstrument bleibt für einige Zeit, das Alignment der Extremität hingegen für immer.</p> </div></p>
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