
©
Getty Images
„Du darfst dir eine hohe Erwartung gönnen …“
Jatros
30
Min. Lesezeit
22.11.2018
Weiterempfehlen
<p class="article-intro">Seit einigen Jahren ist Bewegung in die Therapie von Psoriasispatienten gekommen. Heute steht eine breite Palette verschiedenster Biologika zur Verfügung, die nahezu Erscheinungsfreiheit und gute Langzeitwirkung garantieren. Dennoch erhalten nur rund 30 % der Patienten die modernen Systemtherapien. Prof. Kristian Reich analysierte den Status quo und aktuelle Herausforderungen in der Versorgung von Psoriasis.</p>
<hr />
<p class="article-content"><p><strong>Welches sind die aktuellen Herausforderungen in der Behandlung von Psoriasispatienten? </strong></p> <p><strong>K. Reich:</strong> Psoriasis ist eine chronische, systemische, immunmediierte entzündliche Hauterkrankung. Vielen ist nicht klar, was es im Alltag bedeutet, an Psoriasis zu leiden. Schon Menschen, bei denen nur 5 % der Körperoberfläche betroffen ist, können sich nicht dauerhaft täglich 20 Minuten lang eincremen, das ist schlichtweg unpraktikabel. Eine Herausforderung ist, die bestmögliche individualisierte Therapie für jeden Einzelnen zu finden. Und zumindest für Patienten, die an mittelschwerer bis schwerer Psoriasis erkrankt sind, ist das die Systemtherapie. Der klassische Leiter-Approach – zuerst topische Therapie, dann Phototherapie, Basismedikamente, dann Biologika – ist heutzutage nicht mehr zeitgemäß. Meiner Meinung nach sollten Patienten, bei denen mehr als 10 % der Körperfläche betroffen sind, oder Patienten mit geringerer Körperoberfläche, aber Problemmanifestationen wie an der Kopfhaut und im Genitalbereich oder Patienten mit Nagelpsoriasis sofort eine Systemtherapie erhalten. Da müssen wir Dermatologen besser werden und unsere Patienten schneller einstellen.</p> <p><strong>Was wünscht sich der Patient? </strong></p> <p><strong>K. Reich:</strong> Der Patient wünscht sich, dass die Behandlung jahrelang wirkt, jahrelang sicher ist und alle Elemente seiner Erkrankung unterdrückt. Ich glaube, dass eine sichere Langzeitkontrolle und die hohen Ansprechraten wesentlich sind. Der Patient wünscht sich zuallererst, dass man seine Erkrankung nicht mehr sieht. Da geht es weniger um komplette Clearance als technisches Therapieziel, er möchte einfach wieder normal leben, unabhängig davon, ob da oder dort noch ein Tüpfel im Nagel oder ein kleiner Herd zu sehen ist.</p> <p><strong>Ist das Bewusstsein, dass Psoriasis gut und effektiv behandelbar ist, schon beim Gros der Patienten angekommen? </strong></p> <p><strong>K. Reich:</strong> Nein, deswegen brauchen wir dringend die mediale Aufklärung. Wenn der Patient von 5 Dermatologen hört, man könne ihm nicht wirklich helfen, dann sinkt seine Erwartung und er „ergibt sich seinem Schicksal“. Darum brauchen wir auch eine breite öffentliche Aufklärungsarbeit durch Journalisten. Wir müssen die Botschaft unter die Leute bringen: Du darfst dir eine hohe Erwartung gönnen, du darfst dir wünschen, dass man deine Erkrankung nicht mehr sieht, denn heute können wir Psoriasis sehr gut und sicher behandeln. Dabei bringt auch die neue Klasse der IL- 23-Blocker noch einen wesentlichen zusätzlichen Vorteil.</p> <p><strong>Sind niedergelassene Dermatologen in Deutschland bereit, Biologika zu verordnen, oder werden die Patienten an spezialisierte Zentren weiterüberwiesen? </strong></p> <p><strong>K. Reich:</strong> Das Problem heute ist weniger, dass wir den Pathomechanismus der Psoriasis nicht verstehen oder zu wenige gute Medikamente zur Verfügung hätten, womit wir die Erkrankung therapieren können, oder dass wir nicht wüssten, wie es geht. Das Problem ist, dass die Systemtherapien nicht eingesetzt werden. Man benötigt dafür Zeit, die Medikamente sind teuer, der Arzt bekommt aber zum Beispiel in Deutschland bei Kassenpatienten nur etwa 15 Euro pro Quartal für seinen Patienten und trägt das Risiko einer Regressprüfung. Die Realität sieht leider so aus, dass Patienten bereit sind, lange Wegstrecken und Anfahrtszeiten in Kauf zu nehmen, und trotzdem vielfach keinen Arzt finden, der sich ihrer annimmt. Wir müssen vielleicht die Therapien ein bisschen günstiger machen oder anderswo Einsparmaßnahmen treffen, aber es kann nicht sein, dass wir heute keinen Weg finden, diesen schwer betroffenen Patienten effektiv zu helfen. In Hamburg bauen wir gerade ein spezielles Zentrum für entzündliche Hauterkrankungen auf, um diese Probleme besser zu lösen.</p> <p><strong>Glauben Sie, dass Aufklärung über die Sicherheit dem Kollegen in der Praxis hilft, diese Medikamente zu verschreiben? </strong></p> <p><strong>K. Reich:</strong> Tatsächlich gibt es Studien, die belegen, dass nur 20–30 % der schwer betroffenen Psoriasispatienten leitliniengerecht behandelt werden. Der Arzt muss natürlich bestens informiert sein und er braucht den nötigen Rahmen, um Systemtherapien zu verschreiben. Vielleicht wäre es hilfreich, nicht nur Fortbildungen zum Thema Psoriasis anzubieten, sondern zwei oder drei dermatologische Themen zusammenzufassen, um die Kollegen stärker zu Fortbildungen zu motivieren. Der Kollege muss zwar nicht alles bis ins letzte Detail verstehen, doch er muss ausreichend informiert sein, um sich im Dschungel an Therapien zurechtzufinden.</p> <p><strong>Empfinden Sie es als Vorteil, dass mehrere IL-23p19-Antagonisten in der Pipeline zu erwarten sind? </strong></p> <p><strong>K. Reich:</strong> Klar, Konkurrenz belebt den Markt und wird mittelfristig auch dazu führen, dass wir über Therapiepreise diskutieren. Ich glaube aber, man kann es sich als Hautarzt, der Patienten mit Psoriasis therapieren will, nicht leisten, die Klasse der IL-23-Hemmer in der Praxis zu ignorieren.</p> <p><strong>Risankizumab hat erstaunliche Ergebnisse in der Phase II versus Ustekinumab gezeigt (77 % PASI-90-Ansprechen unter Risankizumab nach 12 Wochen im Vergleich zu 40 % unter Ustekinumab). Wie sehen die Phase-III-Daten aus? </strong></p> <p><strong>K. Reich: </strong>Die guten Wirksamkeitsund Sicherheitsdaten, die hohen PASI- 90- und -100-Ansprechraten, die hohe stabile Wirksamkeit über die Zeit – bislang überblicken wir lediglich die 1-Jahres- Daten, aber die 2-Jahres-Daten werden kommen –, all das ist wirklich spannend und bestätigt die guten Daten der Phase II. Ebenso die langen Intervalle von 3 Monaten zwischen den Injektionen. Wenn man den EADV aufmerksam verfolgt und die Daten aus dem Phase- III-Studienprogramm betrachtet, zeigt sich: Risankizumab ist in der Wirksamkeit Ustekinumab (ultIMMa-1- und -2-Studie) klar überlegen. Die IMMvent- Studie belegt zudem die Überlegenheit von Risankizumab gegenüber Adalimumab. In Deutschland lief außerdem eine Vergleichsstudie mit Fumaderm, eine weitere Vergleichsstudie mit Methotrexat wird in Brasilien durchgeführt. Auch zu Secukinumab ist eine Vergleichsstudie im Gange. Alles spricht dafür, dass dieses Präparat gegenüber verschiedenen bisher verfügbaren Therapien deutliche Vorteile bringt. Sehr vielversprechend erscheinen auch die Daten zur Krankheitskontrolle nach Absetzen des Medikaments bei ansprechenden Patienten. Vielleicht gibt es eine Subgruppe von Patienten, die Risankizumab nur mehr einmal im halben Jahr benötigen. Das und vieles mehr wird Inhalt weiterer Studien sein, aber die Substanz scheint wirklich gut zu sein.</p> <p><strong>Wie ist die Verträglichkeit? Gibt es Hinweise auf Malignomentwicklung oder Tb? </strong></p> <p><strong>K. Reich:</strong> Biologika insgesamt können in der Therapie der Psoriasis als sicher gelten. In Bezug auf Infekte und Malignome zum Beispiel sind die Raten allesamt sehr niedrig. Darüber hinaus ist es die „target-specific safety“, die uns interessiert, also die Sicherheitsdaten, die mit dem spezifischen Wirkmechanismus assoziiert sind. Bei TNF-Blockern betrifft das zum Beispiel das Tuberkuloserisiko, demyelinisierende Erkrankungen oder „Lupus-like“ Syndrome, bei IL-17-Inhibitoren sehen wir ein erhöhtes Risiko von Candida-Infektionen und eine fehlende Wirksamkeit bei chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen. IL-23-Blockade scheint dagegen zum Beispiel nicht mit einem erhöhten Tuberkuloserisiko einherzugehen, aber die Behandlungsdauer und die Zahl der behandelten Patienten sind natürlich bisher noch relativ klein. Wir haben bisher bei Hemmung von IL-23 eigentlich kein „Target specific safety“-Problem identifizieren können. Andererseits liegt für diese Gruppe von Medikamenten bisher keine Zulassung für die Psoriasisarthritis vor, sodass meiner Ansicht nach für Patienten mit aktiver PsA von den zielgerichteten Therapien weiterhin TNF-Blocker oder IL-17A-Inhibitoren derzeit erste Wahl bleiben. <br />Wir Ärzte in Deutschland und Österreich haben natürlich auch eine Kostenverpflichtung gegenüber den Krankenkassen. Meine Botschaft lautet jedoch, nicht zu lange zuzuwarten, bevor man ein Biologikum verordnet, wenn nur diese Therapiegruppe eine realistische Aussicht auf einen Therapieerfolg verheißt.</p> <p><em><strong>Vielen Dank für das Gespräch!</strong></em></p></p>
<p class="article-quelle">Quelle: Interview mit Prof. Dr. Kristian Reich, Dermatologikum
Berlin und Leiter des Entzündungszentrums Skinflammation<sup>®</sup> in Hamburg (Eröffnung 2019), im Rahmen des EADV, 13. September 2018, Paris, Palais de Congres
</p>
Das könnte Sie auch interessieren:
Narbenbehandlung ohne Devices
Für die Behandlung von Narben hat sich der Einsatz moderner Lasertechnologien als effektiv erwiesen. Doch wie kann man den Betroffenen helfen, wenn kein ablativer fraktionierter CO2- ...
Update atopisches Ekzem
In den vergangenen Jahren haben sich das Verständnis des atopischen Ekzems (AE) sowie die therapeutischen Möglichkeiten deutlich weiterentwickelt. Und der Weg ist noch nicht zu Ende ...
Die menschliche Haut in der modernen Kunst
Dr. Ralph Ubl, Professor für neuere Kunstgeschichte an der Universität Basel, stellte sich der schwierigen Herausforderung, einem Raum voller erwartungsvoller Dermatologen das Organ Haut ...