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Die Bedeutung der apikalen Fixation
Jatros
Autor:
Ass.-Prof. Dr. Heinrich Husslein, PLL.M
Klinische Abteilung für Allg. Gynäkologie und gynäkologische Onkologie<br> Medizinische Universität Wien<br> E-Mail: heinrich.husslein@meduniwien.ac.at
30
Min. Lesezeit
14.07.2016
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<p class="article-intro">Der Vaginaldeszensus und die oft damit einhergehende Harninkontinenz sind ein häufiges Problem bei Frauen, vor allem in höherem Alter. Es hat sich in den vergangenen Jahren gezeigt, dass bei fast jeder Form des Deszensus das apikale Kompartiment mitbetroffen ist. Daher kann eine zusätzliche apikale Suspension im Rahmen von vaginalen Deszensusoperationen die Haltbarkeit der operativen Korrektur verbessern.</p>
<p class="article-content"><div id="keypoints"> <h2>Key Points</h2> <ul> <li>Die therapeutische apikale Suspension reduziert die Häufigkeit von Rezidivoperationen bei Deszensus.</li> <li>Die prophylaktische apikale Suspension reduziert die Häufigkeit von zukünftig notwendigen Deszensusoperationen.</li> <li>Bei Einbeziehung der Lig. sacrouterina muss immer eine intraoperative Zystoskopie durchgeführt werden.</li> </ul> </div> <p>Es gibt zunehmend Evidenz, dass insbesondere bei Deszensus des vorderen Kompartiments, aber auch bei Deszensus des hinteren Kompartiments nahezu immer auch das apikale Kompartiment mitbetroffen ist. Dies scheint insbesondere dann der Fall zu sein, wenn der tiefste Teil des Deszensus über den Hymenalsaum hinausreicht. Diese Beobachtung wird durch die Tatsache unterstützt, dass die „Haltbarkeit“ der chirurgischen Rekonstruktion besser zu sein scheint, wenn der Apex im Rahmen der Deszensusoperation an ligamentären Strukturen des Beckens suspendiert wird. Wird die apikale Suspension im Rahmen von Deszensusoperationen eingesetzt, handelt es sich um eine sogenannte therapeutische apikale Suspension. In letzter Zeit hat sich jedoch gezeigt, dass nicht nur im Rahmen von Deszensusoperationen der Apex suspendiert werden sollte, sondern auch nach Hysterektomien, welche aus anderen Gründen durchgeführt werden, um einen Deszensus in der Zukunft zu vermeiden. In diesen Fällen handelt es sich um sogenannte prophylaktische apikale Suspensionen.</p> <h2>Therapeutische apikale Suspension</h2> <p>Der Deszensus und die oft damit vergesellschaftete Harninkontinenz sind ein häufiges Problem bei Frauen. Bis zum 80. Lebensjahr müssen 11–19 % aller Frauen eine Operation wegen Deszensus und/oder Inkontinenz durchführen lassen und von diesen benötigen bis zu 30 % eine weitere Operation.<sup>1, 2</sup> Wenn ein Deszensus diagnostiziert wird, sollten stets die drei Kompartimente des Deszensus (i.e. vorderes, hinteres und apikales Kompartiment) separat, zum Beispiel mittels POP-Q-Schema, evaluiert werden. Es hat sich in den letzten Jahren gezeigt, dass bei nahezu jeder Form des Deszensus das apikale Kompartiment mitbetroffen ist. Dies scheint insbesondere beim Deszensus des vorderen Kompartiments (i.e. Zys­tozele) der Fall zu sein. Und ebenfalls, wenn der tiefste Teil des Deszensus über den Hymenalsaum hinausreicht – dann aber unabhängig davon, ob es sich dabei um das vordere oder hintere Kompartiment handelt.<sup>3–5</sup> Diese Beobachtungen werden auch durch die Tatsache unterstützt, dass eine zusätzliche apikale Suspension im Rahmen von vaginalen Deszensusoperationen die Haltbarkeit der operativen Korrektur verbessert. Beispielsweise konnte gezeigt werden, dass durch eine zusätzliche apikale Suspension im Rahmen einer vorderen und/oder hinteren Kolporrhaphie die Häufigkeit von Rezidivoperationen deutlich gesenkt wird (z.B. vordere Kolporrhaphie versus vordere Kolporrhaphie + apikale Suspension 20,2 % versus 11,6 %).<sup>6</sup> Auch wenn zusätzlich zu einer Korrektur des vorderen und/oder hinteren Kompartiments eine Entfernung der Gebärmutter im Rahmen der Deszensusoperation durchgeführt wird, reduziert die apikale Suspension das Risiko einer Rezidivoperation für die betroffenen Frauen.<sup>7, 8</sup></p> <h2>Prophylaktische apikale Suspension</h2> <p>Neben der therapeutischen apikalen Suspension im Rahmen von operativen Eingriffen zur Korrektur des vaginalen Deszensus existiert auch das Konzept der prophylaktischen apikalen Suspension. Die prophylaktische apikale Suspension wird zu einem Zeitpunkt durchgeführt, zu dem bei der betroffenen Frau noch kein klinisch relevanter Deszensus vorliegt. Die prophylaktische apikale Suspension wird also bei Hysterektomien eingesetzt, bei denen die Indikation nicht ein Deszensus ist, sondern eine andere meist gutartige Problematik (z.B. therapieresistente Menorrhagie, Dysmenorrhö etc.). Das Konzept der prophylaktischen apikalen Suspension existiert seit Längerem und wurde erstmals 1999 im Rahmen einer randomisierten kontrollierten Studie überprüft. Frauen ohne klinisch relevanten Deszensus, bei denen eine vaginale Hysterektomie durchgeführt wurde, wurden in drei Gruppen randomisiert:</p> <ol> <li>Das Peritoneum wurde mittels Tabaksbeutelnaht verschlossen, der Scheidenblindsack wurde separat verschlossen.</li> <li>Das Peritoneum wurde inklusive Lig. sacrouterinum mittels einer an der Moschowitz-Technik orientierten Methode verschlossen, der Scheidenblindsack wurde in diesen Verschluss ebenfalls nicht inkludiert.</li> <li>Der Douglas-Raum wurde mittels McCall-Kuldoplastik verschlossen, in die der Scheidenblindsack inkludiert und somit suspendiert wurde.</li> </ol> <p>Nach drei Jahren zeigte sich, dass bei Frauen, bei denen eine apikale Suspension mittels McCall-Kuldoplastik durchgeführt worden war, zu 6 % ein Deszensus diagnostiziert wurde (Stadium 1 oder 2 mittels POP-Q-Staging), während es in den anderen beiden Gruppen 39 % bzw. 30 % waren. Basierend auf dieser und einigen anderen Studien hat die Amerikanische Gesellschaft für minimal invasive gynäkologische Chirurgie (AAGL) 2014 eine Practice-Guideline publiziert, in der sie empfiehlt, im Rahmen einer vaginalen Hysterektomie stets eine prophylaktische apikale Suspension mittels McCall-Kuldoplastik zur Prophylaxe eines Deszensus in der Zukunft durchzuführen.<sup>9</sup></p> <h2>Methoden der apikalen Suspension</h2> <p>Der Deszensus des apikalen Kompartiments beschreibt eine Senkung des Uterus bzw. der Zervix oder des Scheidenblindsackes. Der Apex ist primär durch die Ligamenta sacrouterina und cardinale fixiert (i.e. Level-1-Support nach DeLancey).10 Ziel der apikalen Suspension ist es, den Apex an ligamentären Strukturen möglichst hoch im kleinen Becken wieder zu fixieren. Es existieren zahlreiche transvaginale apikale Suspensionsmethoden, von denen die folgenden drei am häufigsten eingesetzt werden und wissenschaftlich untersucht wurden:</p> <ol> <li><strong>McCall-Kuldoplastik<sup>11</sup> und modifizierte Mayo-McCall-Kuldoplas­tik<sup>12</sup>:</strong> Der Scheidenblindsack wird mit 2–3 Nähten möglichst hoch an den proximalen Lig. sacrouterina fixiert. Die Lig. sacrouterina werden durch die Stichfolge in der Mittellinie vereinigt. Das Peritoneum des Douglas-Raums sowie die Serosa des Rektums werden in die Nähte eingeschlossen. Somit wird nicht nur der Douglas-Raum verschlossen (und das Entstehen von Enterozelen verhindert), sondern auch der Apex hoch im kleinen Becken suspendiert. Die natürliche Scheidenachse bleibt bei dieser Technik annähernd erhalten.</li> <li><strong>„High uterosacral ligament suspension“:<sup>13</sup></strong> Der Scheidenblindsack wird mit meist 4–6 Nähten verschlossen, die zuvor möglichst hoch durch das proximale Lig. sacrouterinum gestochen wurden, 2–3 Stiche im Lig. sacrouterinum links und 2–3 Stiche rechts. Idealerweise werden hierfür doppelt armierte Fäden verwendet. Die Stiche werden entlang des Lig. sacrouterinum stets 1–2 cm höher (i.e. sakralwärts) als der letzte Stich gesetzt. Die am meisten distal (i.e. am nächsten zur Scheide) gelegenen Stiche auf jeder Seite werden verwendet, um die Ecken des Scheidenblindsackes zu verschließen, und die proximalsten Stiche auf jeder Seite, um den medialen Bereich des Scheidenblindsackes zu verschließen. Das Peritoneum im Bereich des Douglas-Raums wird in die Nähte inkorporiert, um den Douglas-Raum möglichst zu obliterieren. Im Gegensatz zur McCall-Kuldoplastik werden die Lig. sacrouterina nicht in der Mittellinie vereinigt. Die natürliche Scheidenachse bleibt bei dieser Technik annähernd erhalten.</li> <li><strong>Sakrospinale Fixation:<sup>14</sup></strong> Der Scheidenblindsack oder bei Uteruserhalt die Zervix wird mit 2 Nähten einseitig (meist rechts) am Lig. sacrospinale fixiert. Das Peritoneum wird im Rahmen dieser Technik nicht eröffnet. Die Scheidenachse verlagert sich nach posterolateral verglichen mit der natürlichen Scheidenachse.</li> </ol> <p>Es ist wichtig zu betonen, dass bei Einbeziehung der Lig. sacrouterina in die apikale Suspension das Risiko einer Ureterobstruktion deutlich erhöht ist (bis ca. 10 % ).<sup>15</sup> In den meisten Fällen kommt es durch ein Abknicken des Ureters (i.e. „ureteric kinking“) zur Obstruktion und nicht durch eine effektive Ligatur oder Durchtrennung des Ureters. Diese Art der Ureterobstruktion kann jedoch durch ein einfaches Lösen der Suspensionsnähte in 88 % der Fälle ohne weitere Morbidität behoben werden. Dies gilt jedoch nur, wenn die Obstruktion intraoperativ erkannt wird. Daher muss nach einer apikalen Suspension mittels McCall-Kuldoplastik oder „high uterosacral ligament suspension“ stets eine intraoperative Zystoskopie durchgeführt werden, um eine Ureterobstruktion auszuschließen.</p> <div id="fazit"> <h2>Fazit</h2> <p>Apikale Suspensionen sollten sowohl therapeutisch als auch prophylaktisch eingesetzt werden. Dadurch lassen sich im Fall der therapeutischen Suspension die Rate von Rezidivoperationen und im Fall der prophylaktischen Suspension die Rate von Operationen wegen Deszensus nach erfolgter Hysterektomie reduzieren. Bei Techniken, die die Lig. sacrouterina in die Suspension miteinbeziehen, ist eine intraoperative Zystoskopie zum Ausschluss einer Ureterobstruktion unerlässlich.</p> </div></p>
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<a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a>
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<p><strong>1</strong> Olsen AL et al: Epidemiology of surgically managed pelvic organ prolapse and urinary incontinence. Obstet Gynecol 1997; 89: 501-6<br /><strong>2</strong> Smith FJ et al: Lifetime risk of undergoing surgery for pelvic organ prolapse. Obstet Gynecol 2010; 116: 1096-100<br /><strong>3</strong> Rooney K et al: Advanced anterior vaginal wall prolapse is highly correlated with apical prolapse. Am J Obstet Gynecol 2006; 195: 1837-40<br /><strong>4</strong> Lowder JL et al: The role of apical vaginal support in the appearance of anterior and posterior vaginal prolapse. Obstet Gynecol 2008; 111: 152-7<br /><strong>5</strong> Larson KA et al: 3D analysis of cystoceles using magnetic resonance imaging assessing midline, paravaginal, and apical defects. Int Urogynecol J 2012; 23: 285-93<br /><strong>6</strong> Eilber KS et al: Outcomes of vaginal prolapse surgery among female Medicare beneficiaries: the role of apical support. Obstet Gynecol 2013; 122: 981<br /><strong>7</strong> Blandon RE et al: Incidence of pelvic floor repair after hysterectomy: A population-based cohort study. Am J Obstet Gynecol 2007; 197: 664.e1<br /><strong>8</strong> Altman D et al: Pelvic organ prolapse surgery following hysterectomy on benign indications. Am J Obstet Gynecol 2008; 198: 572.e1<br /><strong>9</strong> AAGL practice report: Practice guidelines on the prevention of apical prolapse at the time of benign hysterectomy. J Minim Invasive Gynecol 2014; 21: 715-22<br /><strong>10</strong> DeLancey JO: Anatomic aspects of vaginal eversion after hysterectomy. Am J Obstet Gynecol 1992; 166: 1717<br /><strong>11</strong> McCall ML: Posterior culdeplasty; surgical correction of enterocele during vaginal hysterectomy; a preliminary report. Obstet Gynecol 1957; 10: 595<br /><strong>12</strong> Webb MJ et al: Posthysterectomy vaginal vault prolapse: primary repair in 693 patients. Obstet Gynecol 1998; 92: 281-5<br /><strong>13</strong> Shull BL et al: A transvaginal approach to repair of apical and other associated sites of pelvic organ prolapse with uterosacral ligaments. Am J Obstet Gynecol 2000; 183: 1365<br /><strong>14</strong> Richter K, Albrich W: Long-term results following fixation of the vagina on the sacrospinal ligament by the vaginal route (vaginaefixatio sacrospinalis vaginalis). Am J Obstet Gynecol 1981; 141: 811-6<br /><strong>15</strong> Gustilo-Ashby AM et al: The incidence of ureteral obstruction and the value of intraoperative cystoscopy during vaginal surgery for pelvic organ prolapse. Am J Obstet Gynecol 2006; 194: 1478-85</p>
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