<p class="article-intro">Die frühe Mobilisierung ab dem ersten postoperativen Tag führt zu funktionell besseren Ergebnissen als die Ruhigstellung. Das Risiko eines sekundären Repositionsverlustes wird dadurch nicht erhöht.</p>
<hr />
<p class="article-content"><p>Die distale Radiusfraktur (DRF) ist die häufigste Fraktur an der oberen Extremität, vor allem bei Patienten mit Osteoporose. Aufgrund einer Erhöhung der Lebenserwartung wird bis 2030 eine Steigerung der Inzidenz von 50 % erwartet. In den letzten Jahrzehnten etablierte sich die operative Therapie von DRF als Standardverfahren. Durch eine palmare winkelstabile Verplattung können nach dorsal verschobene Frakturen – ohne erhöhtes Risiko einer Irritation der Strecksehnen – stabilisiert werden. Ein weiteres Argument für die offene Reposition und Stabilisierung mittels palmarer winkelstabiler Platte ist die Möglichkeit der frühen Mobilisierung und der dadurch bedingten besseren Handgelenksbeweglichkeit.<sup>1–4</sup> Wie bei anderen intraartikulären Frakturen sollten die Hauptziele der Behandlung eine exakte Rekonstruktion der Gelenkfläche, stabile Fixation und frühfunktionelle Behandlung sein.<sup>5</sup><br /><br /> Bereits 1814 warnte Colles seine Kollegen vor einer verlängerten Ruhigstellung nach DRF, da diese ein erhöhtes Risiko für eine Bewegungseinschränkung birgt.<sup>6</sup> Zusätzlich hat das Ausmaß an zurückgewonnenem Bewegungsumfang innerhalb der ersten 2 Monate einen signifikanten Einfluss auf das funktionelle Endergebnis.<sup>7</sup> Studien an Frakturen von langen Röhrenknochen haben deutlich gezeigt, dass eine Frühmobilisierung (FM) und axiale Belastung innerhalb der ersten 3 Wochen nach Operation die Knochenheilung positiv beeinflussen.<sup>8</sup> Genauso ermöglicht eine FM des Handgelenkes, dass sich die multiplen chondralen Fragmente durch die aktive Bewegung des Skaphoids und Lunatums in der Gelenkfläche anmodellieren.<sup>9</sup><br /><br /> Bewegungen im Handgelenk während „daily life activities“ verursachen laut biomechanischen Studien eine axiale Belastung von lediglich 100N, während die aktive Beugung der Finger zu einer axialen Belastung von 250N an der distalen Speiche führt. Daher wird eine alleinige Ruhigstellung des Handgelenkes – bei freier Beweglichkeit der Finger – eine sekundäre Frakturdislokation nicht verhindern können.<sup>10</sup> Zudem haben biomechanische Studien an DRF gezeigt, dass die Stabilität, die durch eine offene Reposition und winkelstabile palmare Plattenosteosynthese erreicht werden kann, fünfmal so groß ist wie die Kraft, die auf den distalen Radius durch die aktive Bewegung der Finger wirkt.<sup>11, 12</sup></p> <h2>Aktueller Stand der Literatur</h2> <p>Obwohl die offene Reposition und die Frakturstabilisierung mittels winkelstabiler Plattenosteosynthese weitgehend akzeptiert sind, besteht derzeit kein Konsensus in der Literatur über das optimale Nachbehandlungsregime. Eine Cochrane-Database- Analyse zeigte 2015, wie bereits im Jahr 2006, dass die Evidenz derzeit zu insuffizient ist, um die Effektivität der unterschiedlichen Nachbehandlungsregime zu beweisen.<sup>13, 14</sup> Daher ist es nicht überraschend, dass es derzeit nur wenige Studien gibt, die eine frühzeitige Mobilisierung nach operativ versorgten Speichenfrakturen mit Patienten, deren Handgelenke konsequent ruhig gestellt worden sind, vergleichen. Vielmehr empfiehlt die American Academy of Orthopaedic Surgeons nach stabiler interner Fixation nicht routinemäßig eine frühfunktionelle Nachbehandlung.<sup>15</sup> Eine andere Leitlinie empfiehlt die Mobilisierung in Abhängigkeit von der verwendeten Osteosynthese und der erreichten Stabilität.<sup>16</sup><br /> Chung et al<sup>17</sup> behandelten 161 Patienten mittels palmarer winkelstabiler Platte und FM. Die Patienten wurden für eine Woche immobilisiert und erhielten anschließend 6 Wochen eine abnehmbare Schiene und Physiotherapie. Es konnten gute funktionelle Ergebnisse – ohne erhöhtes Risiko für einen sekundären Repositionsverlust – gefunden werden. Der Michigan Hand Outcomes Questionnaire zeigte ab einem halben Jahr normale Ergebnisse. Osada et al<sup>10</sup> behandelten 49 DRF postoperativ frühfunktionell ohne Ruhigstellung. Die Patienten wurden angehalten, leichte Tätigkeiten des täglichen Lebens durchzuführen. Die Belastung des Handgelenks wurde hier auf 0,4 kg bis zur Frakturheilung beschränkt. Nach einem Jahr konnten 98 % „exzellente“ bzw. „gute“ Ergebnisse im modifizierten Green O'Brien (Mayo) Score verzeichnet werden. In den Röntgenkontrollen konnte kein signifikanter Repositionsverlust durch eine frühfunktionelle Behandlung gefunden werden. Lorenz-Calderón et al<sup>18</sup> führten eine prospektiv randomisierte Studie durch, in der sie eine Immobilisierung (IM) für 6 Wochen mit einer FM nach 2 Wochen postoperativ verglichen. Sie konnten keine signifikanten Unterschiede nach 6 Wochen, 3 oder 6 Monaten in Bezug auf Bewegungsumfang, Kraft, Scores und radiologische Parameter zwischen den Gruppen finden. Jedoch erhielten die Patienten nur eine Unterweisung in die durchzuführenden Übungen für das Handgelenk. Es wurde keine strukturierte Physiotherapie durchgeführt und auch die Compliance der Patienten bei der Durchführung der Übungen nicht kontrolliert. Zusätzlich erhielten die Patienten in der IM-Gruppe eine abnehmbare Schiene, somit konnte hier ebenfalls die konsequente Ruhigstellung des Handgelenkes nicht überwacht werden.</p> <h2>Eigene Daten</h2> <p>Aufgrund der unklaren Datenlage hat sich unsere Studiengruppe entschlossen, eine prospektiv randomisierte Pilotstudie von 2010 2011 durchzuführen.<sup>19</sup> Hauptziel dieser Studie war, eine FM des Handgelenkes nach operativ versorgter DRF mit einer IM zu vergleichen. Insgesamt wurden 30 Patienten im Alter zwischen 18 und 75 Jahren mit einer isolierten DRF, die mittels offener Reposition und palmarer winkelstabiler Plattenosteosynthese behandelt worden sind, in die Studie inkludiert. 15 Patienten wurden in die FMund 15 in die IM-Gruppe randomisiert. Patienten der FM-Gruppe erhielten eine abnehmbare thermoplastische Schiene für eine Woche, wohingegen Patienten der IM-Gruppe mit einem Unterarmgips für 5 Wochen immobilisiert wurden. In beiden Gruppen wurde direkt postoperativ mit einer Physiotherapie begonnen. Die FMGruppe durfte das Handgelenk aktiv ab dem ersten postoperativen Tag bewegen, während die Patienten der IM-Gruppe nur Physiotherapie für die nicht fixierten Gelenke erhielten. Nach Gipsabnahme wurde auch in der IM-Gruppe eine aktive Mobilisierung des Handgelenkes durchgeführt.<br /><br /> Nachuntersuchungszeitpunkte waren postoperativ nach 6 Wochen, 9 Wochen, 3 Monaten, 6 Monaten und einem Jahr. Zu jedem Zeitpunkt wurden Bewegungsumfang, Kraft und Schmerz anhand der Visual Analogue Scale (VAS) erhoben. Zusätzlich erhielten die Patienten den Quick Disability of the Arm, Shoulder and Hand (QuickDASH) Score, die Patient-Rated Wrist Evaluation (PRWE) und den modifizierten Green O’ Brien (Mayo) Score.<br /> Patienten in der FM-Gruppe hatten postoperativ signifikant bessere Ergebnisse im sagittalen Bewegungsumfang und in der Kraft bis zu 6 Monaten, in der frontalen Ebene bis zu 9 Wochen, für die Unterarmdrehung bis zu 6 Wochen und im QuickDASH und PRWE Score bis zu 6 Wochen. Signifikant bessere Ergebnisse konnten im modifizierten Green O’ Brien (Mayo) Score bis zu einem Jahr für die FMGruppe gefunden werden. Keine signifikanten Unterschiede zeigten sich in Bezug auf Repositionsverlust, Schmerz, Dauer der Physiotherapie und Krankenstand.</p> <h2>Fazit für die Praxis</h2> <p>DRF sind ohne jeden Zweifel die häufigsten Frakturen an der oberen Extremität und werden in den nächsten Jahren aufgrund einer wachsenden Bevölkerungsgruppe im fortgeschrittenen Alter an Inzidenz zunehmen. Die Entwicklung der winkelstabilen Plattenosteosynthese bei DRF hat zu einer Reduktion der Komplikationen geführt und ermöglicht biomechanisch eine frühfunktionelle Nachbehandlung, wobei eindeutige, vergleichende klinische Studien mit ausreichenden Patientenzahlen zurzeit noch fehlen. Mit den aktuellen Studien konnte jedoch gezeigt werden, dass die frühfunktionelle Nachbehandlung bereits ab dem ersten postoperativen Tag sicher in Bezug auf das Risiko eines sekundären Repositionsverlustes ist und – wenn auch nur in den Frühergebnissen – zu einem besseren funktionellen Outcome bis zu 6 Monate führt. Auch konnte gezeigt werden, dass eine aktive Nachbehandlung des Handgelenkes zu keiner erhöhten Schmerzsymptomatik im Vergleich zu einer IM führt. Selbst bei gleichem funktionellem Ergebnis bietet die frühfunktionelle Behandlung den Vorteil, dass auf eine Ruhigstellung verzichtet werden kann, was die Lebensqualität der Patienten in der postoperativen Phase erhöht. Eine gewisse Compliance der Patienten ist jedoch erforderlich, um eine frühfunktionelle Nachbehandlung zu ermöglichen. Weitere Studien, vor allem prospektiv randomisierte Studien mit größeren Patientenzahlen werden gerade durchgeführt, um die Ergebnisse der bereits vorhandenen Studien zu bestätigen.</p></p>
<p class="article-footer">
<a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a>
<div class="collapse" id="collapseLiteratur">
<p><strong>1</strong> Carter PR et al: J Hand Surg Am 1998; 23: 300-7 <strong>2</strong> Smith DW et al: J Hand Ther 2004; 17: 43-9 <strong>3</strong> Klein W et al: Injury 2000; 31(Suppl 1): 71-7 <strong>4</strong> Pennig D et al: Handchir Mikrochir Plast Chir 1999; 31: 227-33 <strong>5</strong> Koh S et al: J Hand Surg Am 2006; 31(5): 7 71-9 <strong>6</strong> Colles A: Clin Orthop Relat Res 2006; 445: 5-7 <strong>7</strong> MacDermid JC et al: BMC Musculoskelet Disord 2003; 4:24 <strong>8</strong> Kenwright J et al: Lancet 1986; 2(8517): 1185-7 <strong>9</strong> Wright TW et al: J Hand Surg Am 2005; 30(2): 289-99 <strong>10</strong> Osada D et al: J Hand Surg Am 2008; 33(5): 691-700 <strong>11</strong> Osada D et al: J Hand Surg Am 2004; 29(3): 446-51 <strong>12</strong> Osada D et al: J Hand Surg Am 2003; 28(1): 94-104 <strong>13</strong> Handoll HH, Elliott J: Cochrane Database Syst Rev 2015; (9): CD003324 <strong>14</strong> Handoll HH et al: Cochrane Database Syst Rev 2006; (3): CD003324 <strong>15</strong> Lichtman DM et al: J Bone Joint Surg Am 2011; 93(8): 775-8 <strong>16</strong> Leitlinie der deutschen Gesellschaft für Unfallchirurgie. Distale Speichenfraktur; AWMF-Registernummer: 012-015. www.awmf.org <strong>17</strong> Chung KC et al: J Bone Joint Surg Am 2006; 88(12): 2687-94 <strong>18</strong> Lozano-Calderón SA et al: J Bone Joint Surg Am 2008; 90(6): 1297- 304 <strong>19</strong> Quadlbauer S et al: J Wrist Surg 2016; doi: 10.1055/ s-0036-1587317</p>
</div>
</p>