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Der erworbene Plattfuß: aktueller Therapiealgorithmus

<p class="article-intro">Der Plattfuß des Erwachsenen ist eine oft spät diagnostizierte Pathologie. Die Ätiologie ist komplex, in den meisten Fällen degenerativ, seltener traumatisch. Die von Johnston und Strom 1989 publizierte Klassifikation wurde später von Myerson um das Stadium 4 erweitert. In den letzten Jahren ist es zu einer weiteren Unterteilung, vor allem der Stadien 2 und 4, gekommen. Ein differenzierter Zugang zu dieser Pathologie kann die Ergebnisqualität der operativen Therapie verbessern.</p> <hr /> <p class="article-content"><p>Die Pes-planovalgus-Deformit&auml;t ist eine dreidimensionale Fehlstellung, bestehend aus einem R&uuml;ckfu&szlig;valgus in der Frontalebene, einer Vofu&szlig;abduktion in der Transversalebene und einer Elevation des 1. Strahls in der Sagittalebene. Ursache ist die Insuffizienz der posteromedialen Weichteilstrukturen. Im Zentrum der Pathologie steht die insuffiziente Tibialisposterior( PTT)-Sehne. Eine Stabilisierung im Talonaviculargelenk ist ohne funktionierende Sehnen nicht m&ouml;glich. Die zunehmenden Pronationskr&auml;fte f&uuml;hren zus&auml;tzlich zu einer Zerst&ouml;rung des Pfannenbandes mit progredienter Subluxation subtalar und im Chopart-Gelenk. Der klinische Befund reicht von einer Weichteilschwellung ohne Deformit&auml;t &uuml;ber eine flexible Fehlstellung bis hin zu einer rigiden, passiv nicht korrektierbaren Fehlstellung.</p> <h2>Klassifikation und Diagnose</h2> <p>Im Stadium 1 besteht bei unauff&auml;lligem L&auml;ngsgew&ouml;lbe eine Schwellung im Bereich der Posticussehne als Zeichen einer Tenosynovitis. Im Stadium 2 zeigt sich erstmals eine klinisch erkennbare Dysfunktion. Die Deformit&auml;t ist flexibel. Dieses Stadium wurde in den letzten Jahren in mehrere Untergruppen unterteilt (2A&ndash;2C). Das Stadium 2A kann in eine leichte Vorfu&szlig;supination (2A-1) oder in eine ausgepr&auml;gte oder fixierte Vorfu&szlig;supination (2A-2) als Folge des Fersenvalgus unterteilt werden. 2B ist durch eine zus&auml;tzliche Vorfu&szlig;abduktion charakterisiert. Im Stadium 2C zeigt sich der 1. Strahl instabil. Das Stadium 3 ist rigide mit degenerativen Ver&auml;nderungen der betroffenen Gelenke. Im von Myerson erg&auml;nzten Stadium 4 findet sich auch eine Mitbeteiligung des oberen Sprunggelenkes (OSG) (Tab. 1).<br /> Die Insuffizienz der PTT-Sehne ist eine klinische Diagnose. Eine differenzierte Diagnosestellung ist aber problematisch. Je nach Stadium zeigen sich ein R&uuml;ckfu&szlig;valgus und eine Vorfu&szlig;abduktion (&bdquo;too many toes sign&ldquo;). Anf&auml;ngliches Leitsymptom sind Schmerzen an der Fu&szlig;innenseite, mit zunehmender Kontraktur treten auch lateral Schmerzen auf. Die Inversion des Fu&szlig;es im Zehenstand ist eingeschr&auml;nkt oder vollst&auml;ndig aufgehoben. Die Beweglichkeit im oberen sowie im unteren Sprunggelenk (USG) wird am sitzenden Patienten erhoben. Wichtig ist ferner die Beurteilung einer eventuell schon bestehenden Kontraktur im Bereich der Unterschenkelmuskulatur.<br /> Die konventionelle radiologische Abkl&auml;rung beinhaltet stehende Aufnahmen des Fu&szlig;es im seitlichen sowie im dorsoplantaren Strahlengang. Als Erg&auml;nzung empfiehlt sich die Aufnahme nach Salzmann zur Beurteilung des Fersenvalgus. Zur Beurteilung der Sehnen und B&auml;nder ist eine Kernspintomographie erforderlich.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2018_Jatros_Ortho_1803_Weblinks_ortho_1803_s22_tab1.jpg" alt="" width="1417" height="673" /></p> <h2>Therapie</h2> <p>Die operative Behandlung des Erwachsenenplattfu&szlig;es hat sich in den letzten Jahren st&auml;ndig weiterentwickelt. Sie ist stadienabh&auml;ngig.<br /> Das Stadium 1 ist eine Dom&auml;ne der konservativen Therapie. Einlagenversorgung, NSAR und physikalische Therapie (z.B. Spiraldynamik) reichen in den meisten F&auml;llen aus. Eine Gewichtsreduktion sollte, wenn n&ouml;tig erfolgen. Bei akuten Entz&uuml;ndungen der Sehne kann auch eine kurzfristige Immobilisation im Gips oder einer Walker-Orthese hilfreich sein. Nur in seltenen therapieresistenten F&auml;llen ist eine Tenosynovektomie mit eventuell erg&auml;nzender medialisierender Fersenbeinosteotomie n&ouml;tig. Auch im Stadium 2 ist prim&auml;r ein konservativer Therapieversuch m&ouml;glich.<br /> Die h&auml;ufigste Methode zur operativen Korrektur des flexiblen erworbenen Plattfu&szlig;es ist der Transfer des Flexor digitorum longus (FDL). Ein idealer Sehnentransfer sollte den Funktionsverlust ohne wesentlichen Hebedefekt kompensieren. Da die relative Kraft eines Muskels proportional zu seiner Querschnittsfl&auml;che ist (Silver et al.), k&ouml;nnen weder der FDL noch die anderen Unterschenkelmuskeln den erlittenen Kraftverlust kompensieren. Ein zus&auml;tzlicher Kraftverlust resultiert aus der &Auml;nderung der Zugrichtung. Alternative Optionen zur FDL-Sehne w&auml;ren die Verlagerung der Peroneus-brevis-Sehne, der Tibialis-anterior-Sehne oder der Flexorhallucis- longus-Sehne. Da kein isolierter Sehnentransfer den Kraftverlust der rupturierten Sehne und der Gegenkraft der perenoalen Muskeln kompensieren kann, ist eine Kombination mit einer Osteotomie n&ouml;tig. Die medialisierende Calcaneusosteotomie ver&auml;ndert den Zug der Achillessehne und unterst&uuml;tzt durch Verst&auml;rkung der Inversion den schwachen FDL. F&uuml;r eine wirksame Osteotomie ist eine ausreichende Beweglichkeit im USG n&ouml;tig. Eine fixierte R&uuml;ckfu&szlig;deformit&auml;t oder ausgepr&auml;gte Arthrosen der R&uuml;ckfu&szlig;gelenke sind Kontraindikationen dieser Technik.<br /> Streng genommen ist ein isolierter Sehnentransfer in Kombination mit einer Fersenbeinosteotomie nur bis zum Stadium 2A-1 indiziert. Bei einer ausgepr&auml;gten oder fixierten Vorfu&szlig;supination (Stadium 2A-2) sollte eine plantarisierende Osteotomie des Os cuneiforme mediale erg&auml;nzt werden. Durch diese von Cotton erstmals beschriebene Technik kann das Metatarsale- I-K&ouml;pfchen wieder Last &uuml;bernehmen. Kontraindikation f&uuml;r diese rein extraartikul&auml;re Technik sind eine Arthrose oder eine Instabilit&auml;t im medialen tarsometatarsalen Gelenk.<br /> Sehr kontroversiell wurde in den letzten Jahren die Verl&auml;ngerung der lateralen S&auml;ule zur Korrektur der Vorfu&szlig;abduktion diskutiert. Diese Verl&auml;ngerung kann entweder mit der Evans-Osteotomie (unterschiedliche Techniken beschrieben) oder einer Distraktionsarthrodese des Calcaneocuboid( CC)-Gelenkes erreicht werden. Beide Techniken sind in der Literatur mit einer hohen Komplikationsrate behaftet. Angef&uuml;hrt werden Verletzungen des N. suralis, Pseudarthrosen und &Uuml;berlastung des lateralen Fu&szlig;randes. CC-Arthrosen nach Evans-Osteotomien sind m&ouml;glich. Ziel dieser Korrekturmethode ist die Rezentrierung des Talonaviculargelenkes in der Transversalebene. Die isolierte Verl&auml;ngerung ist gr&ouml;&szlig;tenteils verlassen. Hamel propagiert seit einigen Jahren die Kombination von Fersenbeinosteotomie, Cotton-Osteotomie und Verl&auml;ngerungsosteotomie lateral. Ziel dieser als tarsale Triple-Osteotomie (TTO) bezeichneten Technik ist die Korrektur der Fehlstellung in allen 3 Ebenen. Da sich die Einzeleingriffe in ihrer Wirkung verst&auml;rken, konnte das Ausma&szlig; der Korrektur der Einzeleingriffe deutlich reduziert werden. Dies betrifft vor allem die Calcaneusverl&auml;ngerung.<br /> Arthrodesen kommen ab dem Stadium 2B zum Einsatz. Ziel ist es, die Fehlstellung zu korrigieren beziehungsweise ihr Fortschreiten zu vermeiden. Arthrodesen k&ouml;nnen isoliert oder in Kombination mit Korrekturosteotomien oder Weichteileingriffen erfolgen. Welche Gelenke mit einer Arthrodese versorgt werden sollen, h&auml;ngt von der Lokalisation der Deformit&auml;t und dem Beschwerdebild ab. Die am h&auml;ufigsten durchgef&uuml;hrten Arthrodesen betreffen das Subtalargelenk und das Talonaviculargelenk. Aber auch das CC-Gelenk, das Tarsometatarsale-I-Gelenk oder das Gelenk zwischen Os cuneiforme mediale und Os naviculare k&ouml;nnen von der Pathologie betroffen sein. Im Stadium 4 ist in seltenen F&auml;llen auch eine Arthrodese des OSG indiziert. Die Talonaviculare-Arthrodese ist schon im fr&uuml;hen Stadium 2 ab einer Subluxation von 30 % eine sichere Option. Auf die h&auml;ufig sehr langsame kn&ouml;cherne Heilung muss aber hingewiesen werden.<br /> Die Triple-Arthrodese ist im fortgeschritten Stadium des Plattfu&szlig;es die am h&auml;ufigsten durchgef&uuml;hrte Operation. Ziel ist ein stabiler, plantigrad belastbarer Fu&szlig;. Da der laterale Zugang h&auml;ufig zu Wundheilungsst&ouml;rungen f&uuml;hrt und die Versteifung des CC-Gelenkes die Mittelfu&szlig;reposition erschwert und zu einer Verk&uuml;rzung der lateralen S&auml;ule f&uuml;hrt, hat sich in letzter Zeit die sogenannte &bdquo;Diple&ldquo;-Arthrodese durchgesetzt. Bei dieser Technik wird auf die Versteifung des CC-Gelenkes verzichtet.<br /> Liegt der Knick der medialen S&auml;ule im Tarsometatarsale-I-Gelenk, muss die Fehlstellung durch eine Arthrodese dieses Gelenkes behoben werden. Eine zus&auml;tzliche Fusion im Bereich des 2. und 3. Strahles ist aber nur sehr selten n&ouml;tig.<br /> Im von Myerson erg&auml;nzten Stadium 4 f&uuml;hrt die progrediente R&uuml;ckfu&szlig;fehlstellung zu einem Versagen der medialen Stabilisatoren und zu einem valgischen Verkippen des Talus. Folge ist eine ungleiche Belastung im Bereich der Gelenkfl&auml;che des OSG mit zunehmender Degeneration. Dieses Stadium wurde 2007 von Bluman in ein Stadium 4A mit flexiblem Talustilt ohne wesentliche OSG-Arthrose und ein Stadium 4B mit rigider Fehlstellung und ausgepr&auml;gter OSG-Degeneration unterteilt. Im Stadium 4A ist ein Erhalt des OSG nach Korrektur der R&uuml;ckfu&szlig;achse mit einer Diple-/Triplearthrodese sowie aller Komponenten der Plattfu&szlig;fehlstellung im Vor- und Mittelfu&szlig; m&ouml;glich. In ausgew&auml;hlten F&auml;llen muss eine supramalleol&auml;re Korrekturosteotomie erg&auml;nzt werden. Im Stadium 4B ist die g&auml;ngigste Behandlungsoption die Tibiotalocalcaneare-Arthrodese. Restschmerzen, eingeschr&auml;nkte Alltagsmobilit&auml;t und Anschlussarthrosen sind h&auml;ufig die Folge dieses Eingriffes. Die Versorgung mit einem orthop&auml;dischen Schuh ist obligat. Eine Alternative ist die Implantation einer OSG-Prothese in Kombination mit einer Achskorrektur durch Arthrodesen und Osteotomien.<br /> In den letzten Jahren wurden die Pathologie und die Rekonstruktionsm&ouml;glichkeiten des Pfannenbandes zunehmend thematisiert. Die Indikation zur Rekonstruktion ist aber nicht klar definiert. Ein Konsens unter Fu&szlig;chirurgen fehlt. Nur in ca. 50 % der Studien wird eine konsequente Rekonstruktion beschrieben. Das Problem ist die Quantifizierung eines eventuellen Vorteils einer zus&auml;tzlichen Bandrekonstruktion bei Kombinationseingriffen. Eine direkte Naht ist bei starker Degeneration des Bandkomplexes oft nicht suffizient. Die Rekonstruktion kann mit Teilen des Deltabandes, der Peroneus-longus- Sehne, der Flexor-hallucis-longus-Sehne oder der Tibialis-anterior-Sehne erfolgen. Eine Schw&auml;chung der Strukturen im Bereich der Entnahmestelle ist evident. Alternativ wird die Rekonstruktion mit einem Polyethylenband propagiert.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2018_Jatros_Ortho_1803_Weblinks_ortho_1803_s23_abb1-3.jpg" alt="" width="1751" height="890" /></p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2018_Jatros_Ortho_1803_Weblinks_ortho_1803_s23_abb4+5.jpg" alt="" width="1410" height="626" /></p> <h2>Fazit</h2> <p>Der erworbene Plattfu&szlig; ist eine dreidimensionale Fu&szlig;deformit&auml;t. Eine detaillierte Analyse der individuell vorliegenden Pathologie ist die Grundvoraussetzung einer optimalen Therapieplanung. Durch eine Kombination der zur Verf&uuml;gung stehenden Weichteil-, Osteotomie- und Arthrodesetechniken k&ouml;nnen die Ergebnisse optimiert werden.</p></p> <p class="article-footer"> <a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a> <div class="collapse" id="collapseLiteratur"> <p>beim Verfasser</p> </div> </p>
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