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Der erworbene Plattfuß: aktueller Therapiealgorithmus
Jatros
Autor:
Dr. Christian Klein
Abteilung für Orthopädie und Orthopädische Chirurgie, EMCO Klinik, Bad Dürrnberg<br> E-Mail: dr.klein@ortho-mondsee.at
30
Min. Lesezeit
10.05.2018
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<p class="article-intro">Der Plattfuß des Erwachsenen ist eine oft spät diagnostizierte Pathologie. Die Ätiologie ist komplex, in den meisten Fällen degenerativ, seltener traumatisch. Die von Johnston und Strom 1989 publizierte Klassifikation wurde später von Myerson um das Stadium 4 erweitert. In den letzten Jahren ist es zu einer weiteren Unterteilung, vor allem der Stadien 2 und 4, gekommen. Ein differenzierter Zugang zu dieser Pathologie kann die Ergebnisqualität der operativen Therapie verbessern.</p>
<hr />
<p class="article-content"><p>Die Pes-planovalgus-Deformität ist eine dreidimensionale Fehlstellung, bestehend aus einem Rückfußvalgus in der Frontalebene, einer Vofußabduktion in der Transversalebene und einer Elevation des 1. Strahls in der Sagittalebene. Ursache ist die Insuffizienz der posteromedialen Weichteilstrukturen. Im Zentrum der Pathologie steht die insuffiziente Tibialisposterior( PTT)-Sehne. Eine Stabilisierung im Talonaviculargelenk ist ohne funktionierende Sehnen nicht möglich. Die zunehmenden Pronationskräfte führen zusätzlich zu einer Zerstörung des Pfannenbandes mit progredienter Subluxation subtalar und im Chopart-Gelenk. Der klinische Befund reicht von einer Weichteilschwellung ohne Deformität über eine flexible Fehlstellung bis hin zu einer rigiden, passiv nicht korrektierbaren Fehlstellung.</p> <h2>Klassifikation und Diagnose</h2> <p>Im Stadium 1 besteht bei unauffälligem Längsgewölbe eine Schwellung im Bereich der Posticussehne als Zeichen einer Tenosynovitis. Im Stadium 2 zeigt sich erstmals eine klinisch erkennbare Dysfunktion. Die Deformität ist flexibel. Dieses Stadium wurde in den letzten Jahren in mehrere Untergruppen unterteilt (2A–2C). Das Stadium 2A kann in eine leichte Vorfußsupination (2A-1) oder in eine ausgeprägte oder fixierte Vorfußsupination (2A-2) als Folge des Fersenvalgus unterteilt werden. 2B ist durch eine zusätzliche Vorfußabduktion charakterisiert. Im Stadium 2C zeigt sich der 1. Strahl instabil. Das Stadium 3 ist rigide mit degenerativen Veränderungen der betroffenen Gelenke. Im von Myerson ergänzten Stadium 4 findet sich auch eine Mitbeteiligung des oberen Sprunggelenkes (OSG) (Tab. 1).<br /> Die Insuffizienz der PTT-Sehne ist eine klinische Diagnose. Eine differenzierte Diagnosestellung ist aber problematisch. Je nach Stadium zeigen sich ein Rückfußvalgus und eine Vorfußabduktion („too many toes sign“). Anfängliches Leitsymptom sind Schmerzen an der Fußinnenseite, mit zunehmender Kontraktur treten auch lateral Schmerzen auf. Die Inversion des Fußes im Zehenstand ist eingeschränkt oder vollständig aufgehoben. Die Beweglichkeit im oberen sowie im unteren Sprunggelenk (USG) wird am sitzenden Patienten erhoben. Wichtig ist ferner die Beurteilung einer eventuell schon bestehenden Kontraktur im Bereich der Unterschenkelmuskulatur.<br /> Die konventionelle radiologische Abklärung beinhaltet stehende Aufnahmen des Fußes im seitlichen sowie im dorsoplantaren Strahlengang. Als Ergänzung empfiehlt sich die Aufnahme nach Salzmann zur Beurteilung des Fersenvalgus. Zur Beurteilung der Sehnen und Bänder ist eine Kernspintomographie erforderlich.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2018_Jatros_Ortho_1803_Weblinks_ortho_1803_s22_tab1.jpg" alt="" width="1417" height="673" /></p> <h2>Therapie</h2> <p>Die operative Behandlung des Erwachsenenplattfußes hat sich in den letzten Jahren ständig weiterentwickelt. Sie ist stadienabhängig.<br /> Das Stadium 1 ist eine Domäne der konservativen Therapie. Einlagenversorgung, NSAR und physikalische Therapie (z.B. Spiraldynamik) reichen in den meisten Fällen aus. Eine Gewichtsreduktion sollte, wenn nötig erfolgen. Bei akuten Entzündungen der Sehne kann auch eine kurzfristige Immobilisation im Gips oder einer Walker-Orthese hilfreich sein. Nur in seltenen therapieresistenten Fällen ist eine Tenosynovektomie mit eventuell ergänzender medialisierender Fersenbeinosteotomie nötig. Auch im Stadium 2 ist primär ein konservativer Therapieversuch möglich.<br /> Die häufigste Methode zur operativen Korrektur des flexiblen erworbenen Plattfußes ist der Transfer des Flexor digitorum longus (FDL). Ein idealer Sehnentransfer sollte den Funktionsverlust ohne wesentlichen Hebedefekt kompensieren. Da die relative Kraft eines Muskels proportional zu seiner Querschnittsfläche ist (Silver et al.), können weder der FDL noch die anderen Unterschenkelmuskeln den erlittenen Kraftverlust kompensieren. Ein zusätzlicher Kraftverlust resultiert aus der Änderung der Zugrichtung. Alternative Optionen zur FDL-Sehne wären die Verlagerung der Peroneus-brevis-Sehne, der Tibialis-anterior-Sehne oder der Flexorhallucis- longus-Sehne. Da kein isolierter Sehnentransfer den Kraftverlust der rupturierten Sehne und der Gegenkraft der perenoalen Muskeln kompensieren kann, ist eine Kombination mit einer Osteotomie nötig. Die medialisierende Calcaneusosteotomie verändert den Zug der Achillessehne und unterstützt durch Verstärkung der Inversion den schwachen FDL. Für eine wirksame Osteotomie ist eine ausreichende Beweglichkeit im USG nötig. Eine fixierte Rückfußdeformität oder ausgeprägte Arthrosen der Rückfußgelenke sind Kontraindikationen dieser Technik.<br /> Streng genommen ist ein isolierter Sehnentransfer in Kombination mit einer Fersenbeinosteotomie nur bis zum Stadium 2A-1 indiziert. Bei einer ausgeprägten oder fixierten Vorfußsupination (Stadium 2A-2) sollte eine plantarisierende Osteotomie des Os cuneiforme mediale ergänzt werden. Durch diese von Cotton erstmals beschriebene Technik kann das Metatarsale- I-Köpfchen wieder Last übernehmen. Kontraindikation für diese rein extraartikuläre Technik sind eine Arthrose oder eine Instabilität im medialen tarsometatarsalen Gelenk.<br /> Sehr kontroversiell wurde in den letzten Jahren die Verlängerung der lateralen Säule zur Korrektur der Vorfußabduktion diskutiert. Diese Verlängerung kann entweder mit der Evans-Osteotomie (unterschiedliche Techniken beschrieben) oder einer Distraktionsarthrodese des Calcaneocuboid( CC)-Gelenkes erreicht werden. Beide Techniken sind in der Literatur mit einer hohen Komplikationsrate behaftet. Angeführt werden Verletzungen des N. suralis, Pseudarthrosen und Überlastung des lateralen Fußrandes. CC-Arthrosen nach Evans-Osteotomien sind möglich. Ziel dieser Korrekturmethode ist die Rezentrierung des Talonaviculargelenkes in der Transversalebene. Die isolierte Verlängerung ist größtenteils verlassen. Hamel propagiert seit einigen Jahren die Kombination von Fersenbeinosteotomie, Cotton-Osteotomie und Verlängerungsosteotomie lateral. Ziel dieser als tarsale Triple-Osteotomie (TTO) bezeichneten Technik ist die Korrektur der Fehlstellung in allen 3 Ebenen. Da sich die Einzeleingriffe in ihrer Wirkung verstärken, konnte das Ausmaß der Korrektur der Einzeleingriffe deutlich reduziert werden. Dies betrifft vor allem die Calcaneusverlängerung.<br /> Arthrodesen kommen ab dem Stadium 2B zum Einsatz. Ziel ist es, die Fehlstellung zu korrigieren beziehungsweise ihr Fortschreiten zu vermeiden. Arthrodesen können isoliert oder in Kombination mit Korrekturosteotomien oder Weichteileingriffen erfolgen. Welche Gelenke mit einer Arthrodese versorgt werden sollen, hängt von der Lokalisation der Deformität und dem Beschwerdebild ab. Die am häufigsten durchgeführten Arthrodesen betreffen das Subtalargelenk und das Talonaviculargelenk. Aber auch das CC-Gelenk, das Tarsometatarsale-I-Gelenk oder das Gelenk zwischen Os cuneiforme mediale und Os naviculare können von der Pathologie betroffen sein. Im Stadium 4 ist in seltenen Fällen auch eine Arthrodese des OSG indiziert. Die Talonaviculare-Arthrodese ist schon im frühen Stadium 2 ab einer Subluxation von 30 % eine sichere Option. Auf die häufig sehr langsame knöcherne Heilung muss aber hingewiesen werden.<br /> Die Triple-Arthrodese ist im fortgeschritten Stadium des Plattfußes die am häufigsten durchgeführte Operation. Ziel ist ein stabiler, plantigrad belastbarer Fuß. Da der laterale Zugang häufig zu Wundheilungsstörungen führt und die Versteifung des CC-Gelenkes die Mittelfußreposition erschwert und zu einer Verkürzung der lateralen Säule führt, hat sich in letzter Zeit die sogenannte „Diple“-Arthrodese durchgesetzt. Bei dieser Technik wird auf die Versteifung des CC-Gelenkes verzichtet.<br /> Liegt der Knick der medialen Säule im Tarsometatarsale-I-Gelenk, muss die Fehlstellung durch eine Arthrodese dieses Gelenkes behoben werden. Eine zusätzliche Fusion im Bereich des 2. und 3. Strahles ist aber nur sehr selten nötig.<br /> Im von Myerson ergänzten Stadium 4 führt die progrediente Rückfußfehlstellung zu einem Versagen der medialen Stabilisatoren und zu einem valgischen Verkippen des Talus. Folge ist eine ungleiche Belastung im Bereich der Gelenkfläche des OSG mit zunehmender Degeneration. Dieses Stadium wurde 2007 von Bluman in ein Stadium 4A mit flexiblem Talustilt ohne wesentliche OSG-Arthrose und ein Stadium 4B mit rigider Fehlstellung und ausgeprägter OSG-Degeneration unterteilt. Im Stadium 4A ist ein Erhalt des OSG nach Korrektur der Rückfußachse mit einer Diple-/Triplearthrodese sowie aller Komponenten der Plattfußfehlstellung im Vor- und Mittelfuß möglich. In ausgewählten Fällen muss eine supramalleoläre Korrekturosteotomie ergänzt werden. Im Stadium 4B ist die gängigste Behandlungsoption die Tibiotalocalcaneare-Arthrodese. Restschmerzen, eingeschränkte Alltagsmobilität und Anschlussarthrosen sind häufig die Folge dieses Eingriffes. Die Versorgung mit einem orthopädischen Schuh ist obligat. Eine Alternative ist die Implantation einer OSG-Prothese in Kombination mit einer Achskorrektur durch Arthrodesen und Osteotomien.<br /> In den letzten Jahren wurden die Pathologie und die Rekonstruktionsmöglichkeiten des Pfannenbandes zunehmend thematisiert. Die Indikation zur Rekonstruktion ist aber nicht klar definiert. Ein Konsens unter Fußchirurgen fehlt. Nur in ca. 50 % der Studien wird eine konsequente Rekonstruktion beschrieben. Das Problem ist die Quantifizierung eines eventuellen Vorteils einer zusätzlichen Bandrekonstruktion bei Kombinationseingriffen. Eine direkte Naht ist bei starker Degeneration des Bandkomplexes oft nicht suffizient. Die Rekonstruktion kann mit Teilen des Deltabandes, der Peroneus-longus- Sehne, der Flexor-hallucis-longus-Sehne oder der Tibialis-anterior-Sehne erfolgen. Eine Schwächung der Strukturen im Bereich der Entnahmestelle ist evident. Alternativ wird die Rekonstruktion mit einem Polyethylenband propagiert.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2018_Jatros_Ortho_1803_Weblinks_ortho_1803_s23_abb1-3.jpg" alt="" width="1751" height="890" /></p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2018_Jatros_Ortho_1803_Weblinks_ortho_1803_s23_abb4+5.jpg" alt="" width="1410" height="626" /></p> <h2>Fazit</h2> <p>Der erworbene Plattfuß ist eine dreidimensionale Fußdeformität. Eine detaillierte Analyse der individuell vorliegenden Pathologie ist die Grundvoraussetzung einer optimalen Therapieplanung. Durch eine Kombination der zur Verfügung stehenden Weichteil-, Osteotomie- und Arthrodesetechniken können die Ergebnisse optimiert werden.</p></p>
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