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Der Arthrose auf der Spur
Jatros
Autor:
Prof. Dr. Stefan Nehrer
Zentrum für Regenerative Medizin und Orthopädie, Donau-Universität Krems<br> E-Mail: stefan.nehrer@donau-uni.ac.at<br> (Korrespondenz)<br> R. Ljuhar, T. Haftner, E. Steiner, D. Ljuhar
30
Min. Lesezeit
17.11.2016
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<p class="article-intro">Bei der ÖGO-Tagung in Villach wurde in der Arthrosesitzung ein innovatives System vorgestellt, mit dem die Osteoarthrose standardisiert sowie reproduzierbar diagnostiziert und graduiert werden kann. Durch exakte Positionierung des Kniegelenkes bei der Standaufnahme und eine digitale Bildbearbeitung können objektive Parameter gefunden werden, um Studien über Verlauf und Progredienz zu beurteilen.</p>
<hr />
<p class="article-content"><p>Osteoarthrose (OA) ist mit einer Prävalenz von 18,6 % bei Frauen und 11,9 % bei Männern eine der wichtigsten Krankheiten und die häufigste Gelenkserkrankung überhaupt.<sup>1–7</sup> Essenzielle Faktoren in der Bekämpfung der Osteoarthrose sind die Früherkennung und die Verlaufskontrolle, um eine individuell optimale Therapiemöglichkeit ausschöpfen zu können. Der wichtigste Aspekt hierbei ist, die Veränderungen im und um das Kniegelenk möglichst exakt zu erfassen. Bereits 1957 wurde die erste Bewertungsmethode von Kellgren und Lawrence eingeführt, um Osteoarthrose nach standardisierten Methoden beurteilen zu können.<sup>8</sup> Dieser Score umfasst eine semiquantitative Beurteilung der Verschmälerung des Gelenkspalts, der Bildung von zusätzlichem Knochengewebe (Osteophyten), der Ausbildung einer Sklerose und ossärer Deformation und Degeneration.<sup>9</sup> All diese Faktoren lassen sich auf einem Röntgenbild detektieren und sind im KL-Score zusammengefasst. Jedoch zeigt eine zuletzt durchgeführte Untersuchung, dass die Übereinstimmungsraten für jeden einzelnen Parameter beim KL-Score zwischen drei Ärzten sehr gering sind und zwischen 13 und 15 % lagen.<sup>10, 11 </sup></p> <p>In den letzten Jahrzehnten wurden neue radiografische Scores entwickelt, mit dem Ziel, eine klinisch valide und reproduzierbare Klassifizierungsmethode zu etablieren. Abgesehen vom Fehlen eines allgemein anerkannten Konsensus bezüglich radiografischer Klassifizierung, können bereits bei der Röntgenaufnahme eines Knies erhebliche Messungenauigkeiten auftreten, welche die Validität und Reproduzierbarkeit einer OA-Klassifizierung erschweren. Diese betreffen vor allem die Berechnung des Kniegelenkspalts („joint space width“, JSW und „joint space area“, JSA), die aufgrund unterschiedlicher Positionierung zu unterschiedlichen Ergebnissen führt. Die standardisierte Aufnahme ist daher die Grundvoraussetzung für eine genaue Diagnose und spielt bei Verlaufsuntersuchungen eine besonders wichtige Rolle. Werden keine Standardisierungsmethoden verwendet, kommt es im Großteil der Fälle zu Messfehlern, die eine effiziente Verlaufskontrolle unmöglich machen.<sup>12, 13</sup> Vor allem beim Gelenkspalt sind bei variabler Positionierung stark unterschiedliche Messergebnisse die Folge (Abb. 1). <br />Die menschliche Tibia ist so geformt, dass das Tibiaplateau nicht normal zur Tibialängsachse verläuft, sondern dass eine natürliche Tibiaplateauneigung posterior besteht. Studien haben mehrfach gezeigt, dass diese Neigung etwa 10° beträgt.<sup>14–16</sup> Daher ist die Röntgenaufnahme so durchzuführen, dass die Tibia des Patienten um 10° anterior geneigt wird, sodass der Röntgenstrahl parallel verläuft und der Gelenkspalt frei projiziert wird. Essenziell ist jedoch, dass die Aufnahmen immer im selben Winkel erfolgen, somit können auch andere Parameter, wie Sklerose, Deformation und Osteophyten, deutlich besser erfasst werden, da es auch hier zu Überprojektionen kommt, wenn nicht darauf geachtet wird, standardisiert zu positionieren. <img src="/custom/img/files/files_data_Zeitungen_2016_Jatros_Ortho_1606_Weblinks_seite73_1.jpg" alt="" width="448" height="798" /> <img src="/custom/img/files/files_data_Zeitungen_2016_Jatros_Ortho_1606_Weblinks_seite73_2.jpg" alt="" width="" height="" /></p> <h2>Das Gerät</h2> <p>In einem gemeinsamen Forschungsprojekt<sup>17</sup> der Donau-Universität und der Firma Braincon wurde eine neue Positionierungshilfe entwickelt (James). Dieses Medizinprodukt stellt die optimale Position des Knies während stehender Knieröntgenaufnahmen sicher. Der Patient hält die leicht gebeugte Position des Kniegelenkes, welche mittels integrierter Sensorik überprüft wird. Die Rotation kann der natürlichen Fußstellung des Patienten angepasst werden, um einen möglichst natürlichen Stand zu gewährleisten. Die Höhe des Anlegemoduls kann außerdem an die Größe des Patienten angepasst werden. Auch der Tibia­inklinationswinkel kann zwischen 0° und 15° individuell umgestellt werden, wobei routinemäßig 10° verwendet werden. Durch optisches Feedback mittels einer LED-Diode und ein akustisches Signal wissen die assistierende Person und der Patient, ob die richtige Position eingenommen und gehalten wird.</p> <h2>Standardisierte Gelenkspaltmessung</h2> <p>Um die Reproduzierbarkeit der Kniespaltmessungen zu evaluieren, wurden freistehende Röntgenaufnahmen und Aufnahmen unter Verwendung des Positionierungsgerätes auf Basis des Kniestands mithilfe eines diagnostischen digitalen Gelenkspaltanalyseprogrammes verglichen. Die Variablen, welche für die Berechnung verwendet wurden, sind die Gelenkspalthöhe (JSW) und die Gelenkspaltfläche (JSA) (Abb. 2). <br />Die prozentualen Differenzen zwischen den beiden Verlaufsbildern konnten unter Zuhilfenahme des Positionierungsgerätes im Mittel um 41 % in der JSA und 48 % in der JSW reduziert werden (Abb. 3, 4). Dadurch erreicht man relative Reproduzierbarkeitswerte von 96,7 % für die JSA und 95,5 % für die JSW. Es zeigt sich somit, dass die Verwendung eines Positionierungssystems reproduzierbare Messergebnisse liefert und die Grundlage für eine objektive Befundung von Osteoarthrose darstellt. Die Vermessung des Gelenkspalt­areals (JSA) bezieht die Deformierung der Gelenksanteile in die Beurteilung mit ein und ergänzt die Gelenkspaltmessung um einen weiteren objektiven Parameter. <img src="/custom/img/files/files_data_Zeitungen_2016_Jatros_Ortho_1606_Weblinks_seite74_1.jpg" alt="" width="" height="" /></p> <h2>Was ist jetzt Arthrose?</h2> <p>Auf Basis eines Datensatzes von Knieröntgenbildern (n=226) wurden Gelenkspaltparameter erfasst, wobei die JSA sowie die minimale JSW berechnet wurden. Ziel dieser Auswertung war es, Schwellenwerte zu finden, um den Bereich zu definieren, in den lediglich jene Personen fallen, die radiografisch bereits im Vorfeld als osteoarthrotisch klassifiziert wurden. Bei dieser Auswertung zeigt sich, dass der Schwellenwert bei minimalen JSW bei 3,3mm und bei medialen JSA bei ca. 50mm<sup>2</sup> liegt (Abb. 5). Damit können Daten eines kontinuierlichen Wertebereichs in diskrete Scores zur Einteilung der Arthrose umgewandelt werden, wodurch Analysen nicht mehr vom Augenmaß des Untersuchers abhängen. Diese Erkenntnisse sind wichtig, um als objektives Maß für die ganzheitliche Befundung von Osteoarthrose, Diagnose, Graduierung und Verlauf zu dienen. Derzeit werden in weiteren klinischen Studien weitere Schwellenwerte zur genaueren Klassifizierung von Osteoarthrose definiert. In diesem Zusammenhang geht es darum, detaillierte Osteoarthrosegrade durch empirische Methoden zu ermitteln. <img src="/custom/img/files/files_data_Zeitungen_2016_Jatros_Ortho_1606_Weblinks_seite74_2.jpg" alt="" width="" height="" /></p></p>
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<a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a>
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<p><strong>1</strong> Engelhardt M: Dtsch Z Sportmed 2003; 6: 171-5 <strong>2</strong> Dorner T, Stein K: Wien Med Wochenschr 2013; 163(9-19): 206-11 <strong>3</strong> Hadler NM: Ann Intern Med 1992; 116(7): 598-9 <strong>4</strong> Ayis S, Dieppe P: J Rheumatol 2009; 36: 583-91 <strong>5</strong> Dominick K et al: Arthritis Rheum 2004; 51: 326-31 <strong>6</strong> McAlindon T et al: Ann Rheum Dis 1993; 52: 258-62 <strong>7</strong> Chen A et al: Arthritis 2012; Article ID 698709 <strong>8</strong> Kellgren JH, Lawrence JS: Ann Rheum Dis 1957; 16(4): 494-502 <strong>9</strong> Wick MC et al: Gerontology 2014; 60(5): 386-94 <strong>10</strong> Schiphof D: Ann Rheum Dis 2008; 67(7): 1034-6 <strong>11</strong> Ljuhar R et al: Osteoporosis Int 2016; 27: S488-9 <strong>12</strong> Conrozier T et al: Osteoarthritis Cartilage 2004; 12(10): 765-70 <strong>13</strong> Ravaud P et al: Br J Rheumatol 1996; 35: 761-6 <strong>14</strong> Meseta D et al: Int J Morphol 2009; 27(1): 2014 <strong>15</strong> Malzer U, Schuler P: Orthopädische Praxis 1998; 34(3): 141-6 <strong>16</strong> Seçkin Ş et al: J Sports Sci Med 2011; 10: 763-7 <strong>17</strong> Ethikkommissionsbeschluss GS1-EK-4/ 311-2015 des Landes NÖ</p>
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