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Blutdruck und akutes Koronarsyndrom – Pathophysiologie, Prognose und Therapie
Leading Opinions
Autor:
PD Dr. med. Micha T. Maeder
Klinik für Kardiologie, Kantonsspital St. Gallen
Autor:
Dr. med. Markus Diethelm
Klinik für Allgemeine Innere Medizin/ Hausarztmedizin, Kantonsspital St. Gallen
Autor:
Dr. Dr. med. Roman Brenner
Oberarzt mbF Kardiologie<br> Klinik für Kardiologie, Kantonsspital St. Gallen<br> E-Mail: roman.brenner@kssg.ch
30
Min. Lesezeit
01.11.2017
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<p class="article-intro">Die arterielle Hypertonie ist ein häufiger Risikofaktor für einen akuten Myokardinfarkt und ein wichtiges therapeutisches Target in der Primärund Sekundärprävention von kardiovaskulären Erkrankungen. Betablocker, ACE-Hemmer und Sartane haben sich bei koronarer Herzkrankheit nach akutem Myokardinfarkt als besonders vorteilhafte antihypertensive Substanzen erwiesen. Nach einem akuten Myokardinfarkt sollte ein systolischer Blutdruck unter 140mmHg angestrebt werden.</p>
<p class="article-content"><div id="keypoints"> <h2>Keypoints</h2> <ul> <li>Knapp 60 % der Patienten mit einem akuten MI haben eine vorbestehende arterielle Hypertonie (NSTEMI > STEMI).</li> <li>Niedrigere Blutdruckwerte in der akuten Phase eines MI sind mit einer schlechteren Prognose vergesellschaftet.</li> <li>Es existieren keine Studien, die bei Patienten mit akutem MI ein spezifisches Antihypertensivum oder ein spezifisches Blutdruckziel in randomisierter, kontrollierter Form untersucht haben.</li> <li>Bei der akuten Behandlung des akuten MI (vor einer Revaskularisation) kommen hauptsächlich antiischämische (und blutdrucksenkende) Medikamente wie Betablocker oder Nitrate zum Einsatz, vorausgesetzt, es bestehen keine Kontraindikationen.</li> <li>Zu bevorzugende Substanzen zur Blutdrucksenkung nach einem akuten MI umfassen Betablocker, ACE-Hemmer und Sartane; eine optimale Blutdruckkontrolle ist sehr wichtig.</li> </ul> </div> <p>Die arterielle Hypertonie ist zusammen mit anderen Risikofaktoren (Diabetes, Dyslipidämie, Nikotin) Ausgangspunkt für die Entwicklung kardiovaskulärer Erkrankungen und Ereignisse. Auf kardialer Ebene führt die Akkumulation der kardiovaskulären Risikofaktoren über längere Zeit via Veränderungen der Koronararterien und Entwicklung einer linksventrikulären Hypertrophie zu einer myokardialen Ischämie bzw. einem Myokardinfarkt (MI) mit potenziell ungünstigem ventrikulärem Remodeling, was schliesslich in einer Herzinsuffizienz resultieren kann. Aus präventiver Sicht entscheidend ist die Verhinderung der frühen hypertoniebedingten Gefässveränderungen und Endorganschäden. Dieser Artikel fasst pathophysiologische, prognostische und therapeutische Aspekte des Blutdrucks im Kontext des akuten MI in kurzer Form zusammen.</p> <h2>Pathophysiologie</h2> <p><strong>Kardiovaskuläre Folgeschäden der arteriellen Hypertonie</strong><br /> In den grossen Blutgefässen führt die arterielle Hypertonie zu einer Hypertrophie der glatten Gefässmuskelzellen und zu einer erhöhten Gefässsteifigkeit. Die kleinen Blutgefässe erfahren eine Zunahme der Wanddicke/Lumen-Ratio mit konsekutiver Widerstandserhöhung. Auf mikrozirkulatorischer Ebene findet sich bei hypertensiven Patienten eine mikrovaskuläre Rarefizierung mit eingeschränkter endothelialer Funktion.<sup>1</sup> Ausserdem wird die Entwicklung der Atherosklerose durch eine arterielle Hypertonie begünstigt (Abb. 1).<sup>2</sup><br /> Der erhöhte arterielle Blutdruck führt – im Sinne eines Kompensationsmechanismus zur Aufrechterhaltung eines normalen Schlagvolumens – zur Ausbildung einer linksventrikulären Hypertrophie. Diese Hypertrophie ist längerfristig aber maladaptiv, da sie mit Fibrosierung des Myokards, gestörter diastolischer Ventrikelfunktion und schliesslich einer Erhöhung des linksventrikulären enddiastolischen Drucks einhergeht. Die durch die Gefässsteifigkeit bedingte Zunahme der Blutdruckamplitude (= Pulsdruck) und der linksventrikulären Nachlast resultiert in einem erhöhten myokardialen Sauerstoffbedarf. Der niedrige diastolische Blutdruck bei erhöhtem linksventrikulärem enddiastolischem Druck führt aber zur Abnahme der koronaren Perfusion. Zudem besteht aufgrund der Hypertrophie ein Missverhältnis der Myokarddicke zur Menge an Koronargefässen. Eine eingeschränkte koronare Flussreserve lässt sich bei hypertensiven Patienten aber bereits vor der Entwicklung einer linksventrikulären Hypertrophie nachweisen (Abb. 2).<sup>3</sup> Der gleichzeitig ablaufende Prozess der Atherosklerose der epikardialen Koronararterien sowie die funktionellen (Endotheldysfunktion) und strukturellen Alterationen der kleinen Koronargefässe limitieren den koronaren Blutfluss zusätzlich.<sup>4</sup></p> <p><strong>Pathophysiologie des Myokardinfarkts</strong><br /> Die koronare Perfusion findet hauptsächlich während der Diastole statt. Wie andere Gefässterritorien hält das koronare Gefässbett den Blutfluss in einem bestimmten Bereich des Perfusionsdrucks konstant (koronare Autoregulation, Abb. 2). Falls der myokardiale Sauerstoffbedarf trotz Fehlens einer relevanten epikardialen Stenose nicht gedeckt werden kann (Missverhältnis von Bedarf zu Angebot), kommt es zur myokardialen Ischämie und in der Folge zur Nekrose mit einem Typ-2-MI. Mögliche Ursachen hierfür sind in Tabelle 1 aufgeführt. Dem gegenüber steht der Typ-1-MI, der durch einen thrombotischen Verschluss einer Koronararterie charakterisiert ist.</p> <p><strong>Prognostische Bedeutung des Blutdrucks beim akuten Koronarsyndrom</strong><br /> Daten aus der Schweiz zeigen, dass knapp 60 % der Patienten mit einem MI eine arterielle Hypertonie haben und dass diese bei Patienten mit Nicht-ST-Hebungsinfarkt (NSTEMI) häufiger vorhanden ist als bei Patienten mit ST-Hebungsinfarkt (STEMI).<sup>5</sup> In grossen Registern ist ein niedriger systolischer Blutdruck bei akutem MI konsistent mit einem schlechteren Outcome verbunden, weshalb diese Assoziation Eingang in die gängigen Risiko-Scores zur Prognoseabschätzung bei MI findet. Ein niedriger systolischer Blutdruck ist in diesem Kontext ein Marker für ein niedriges Schlagvolumen bzw. eine Herzinsuffizienz oder einen kardiogenen Schock. Im GRACE- Score ist ein um 10mmHg niedrigerer systolischer Blutdruck mit einem um 20 % erhöhten Risiko für die Spitalmortalität assoziiert.<sup>6</sup> Während ein systolischer Blutdruck >200mmHg 0 Risikopunkte ergibt, wird ein systolischer Blutdruck <80mmHg mit 58 Risikopunkten bewertet. Erne et al. konnten zeigen, dass bei Patienten mit akutem MI das Risiko für die Spitalmortalität zu steigen beginnt, wenn der systolische Blutdruck unterhalb eines bestimmten Grenzwerts liegt.<sup>5</sup> Bei Patienten mit arterieller Hypertonie beträgt dieser Grenzwert 140mmHg und bei Patienten ohne Hypertonie 130mmHg. Bei hypertensiven Blutdruckwerten bis 190mmHg zeigte sich hingegen kein eindeutiger Anstieg der Spitalmortalität. Somit findet sich für die Situation des akuten MI ein Blutdruckparadox, von welchem aber keine therapeutischen Konsequenzen abgeleitet werden können.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2017_Leading Opinions_Innere_1705_Weblinks_lo_innere_1705_s40_abb1.jpg" alt="" width="1419" height="657" /></p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2017_Leading Opinions_Innere_1705_Weblinks_lo_innere_1705_s41_abb2.jpg" alt="" width="1419" height="1250" /></p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2017_Leading Opinions_Innere_1705_Weblinks_lo_innere_1705_s41_tab1.jpg" alt="" width="685" height="705" /></p> <h2>Therapeutische Überlegungen</h2> <p><strong>Akutphase</strong><br /> Nebst der raschen Einleitung einer antithrombotischen resp. antiplasmatischen Therapie sowie einer Begleittherapie (z.B. Sauerstoff bei entsprechender Indikation) ist bei Patienten mit akutem MI und fortbestehender Ischämie eine antiischämische Therapie indiziert. Zum Einsatz kommen Betablocker und/oder Nitrate, welche beide auch antihypertensiv wirksam sind. Die Betablocker senken den myokardialen Sauerstoffbedarf über eine Reduktion der Herzfrequenz, der Vor- und Nachlast sowie der Kontraktilität und sind bei akutem MI gut untersucht. In frühen Studien hat die intravenöse Gabe eines Betablockers zu weniger Reinfarkten und weniger ventrikulären Arrhythmien geführt, dies aber auf Kosten eines erhöhten Risikos für einen kardiogenen Schock,<sup>7</sup> weswegen die intravenöse Betablockergabe nur in ausgewählten Fällen erfolgen sollte. Eine frühe perorale Betablockergabe wird bei persistierender Ischämie nach Ausschluss von Kontraindikationen aber empfohlen (Klasse IB).<sup>8</sup> Nitrate werden ebenfalls zur Behandlung der myokardialen Ischämie empfohlen (Klasse IC).<sup>8</sup> Es existieren allerdings keine Studien, die bei Patienten mit akutem MI ein spezifisches Antihypertensivum oder ein spezifisches Blutdruckziel in randomisierter, kontrollierter Form untersucht haben.</p> <p><strong>Subakute und chronische Phase</strong><br /> In der subakuten und chronischen Phase nach einem MI muss eine arterielle Hypertonie gut eingestellt werden, vorzugsweise mit Betablockern, ACE-Hemmern oder Sartanen. Obschon die Betablocker beim akuten MI in der Ära der primären perkutanen Revaskularisation ungenügend untersucht sind, dürfen die Ergebnisse der frühen Betablockerstudien extrapoliert werden. So empfehlen die aktuellen europäischen Guidelines für Patienten mit STEMI den Beginn einer peroralen Betablockade nach der hämodynamischen Stabilisierung und die Fortführung auf unbestimmte Zeit (Empfehlungsgrad I bei Patienten mit Herzinsuffizienz und/oder linksventrikulärer Dysfunktion, Empfehlungsgrad IIa bei allen übrigen Patienten).<sup>9</sup> Für die ACE-Hemmer besteht für STEMI-Patienten mit Herzinsuffizienz, Diabetes mellitus oder Vorderwandinfarkt eine Klasse-I-, ansonsten eine Klasse-IIa- Empfehlung. Für NSTEMI weisen die Richtlinien darauf hin, dass die Langzeitverschreibung von Betablockern nach NSTEMI bei Patienten ohne Herzinsuffizienz in aktuellen Studien ungenügend untersucht ist, und sprechen deshalb für diese Indikation keine Empfehlung aus, während für Patienten mit einer LVEF <40 % eine Klasse-I-Empfehlung besteht.<sup>8</sup> Für ACE-Hemmer besteht bei Patienten mit LVEF <40 % , Herzinsuffizienz, Hypertonie oder Diabetes mellitus eine Klasse- I-Indikation, für alle übrigen Patienten wird keine Indikation erwähnt.<br /> Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass die Indikation für eine Herzinsuffizienztherapie (ACE-Hemmer, Betablocker wirken gleichzeitig auch antihypertensiv) für Post-Infarkt-Patienten mit LVEF <40 % klar etabliert ist, während dies für revaskularisierte Patienten mit erhaltener LVEF >50 % (über den Graubereich von 40–50 % ist wenig bekannt) nicht gilt. Bei diesen Patienten soll der Blutdruck gemäss den Vorgaben für die sekundärprophylaktische Behandlung der Atherosklerose (vgl. unten) behandelt werden, wobei grundsätzlich alle gängigen Antihypertensiva infrage kommen.</p> <p><strong>Blutdruckziel in der subakuten und chronischen Phase</strong><br /> Lagen die Blutdruckzielwerte bei Patienten mit «komplizierter» Hypertonie, d.h. Hypertonie bei Patienten mit St. n. Schlaganfall/ zerebrovaskulärem Insult, St. n. MI, Niereninsuffizienz, Diabetes und/oder Proteinurie, in den europäischen Hypertonieleitlinien von 2007 noch bei <130/80mmHg,<sup>10</sup> so wurden die systolischen Zielwerte in den Guidelines von 2013 auf <140mmHg gelockert.<sup>11</sup> Dies geschah nach Reevaluation der verfügbaren Evidenz, die keinen eindeutigen Nutzen eines niedrigeren Zielblutdrucks nachweisen konnte. Diese Evidenzgewichtung erfolgte allerdings vor der Publikation der SPRINT-Studie, welche Hinweise auf einen Nutzen niedrigerer Zielwerte bei Patienten mit koronarer Herzkrankheit brachte.<sup>12</sup> Ob und inwieweit diese Studie die gängige Praxis ändern wird, ist aktuell noch unklar und wird heftig debattiert, insbesondere im Lichte der in epidemiologischen Studien mehrfach gefundenen J-Kurve des diastolischen Blutdrucks (Anstieg der Häufigkeit kardiovaskulärer Ereignisse unterhalb eines «kritischen» Blutdruckwerts).</p> <div id="fazit"> <h2>Fazit</h2> <p>Die arterielle Hypertonie kann über vielfältige Mechanismen an der Entstehung eines MI beteiligt sein; entscheidend ist die Prävention kardiovaskulärer Frühveränderungen durch eine gute Blutdruckeinstellung. In der akuten Phase eines MI ist ein niedriger Blutdruck Ausdruck einer ungünstigen hämodynamischen Situation und mit einer schlechten Prognose assoziiert. Während in der akuten Phase vor einer Revaskularisation hauptsächlich antiischämische (und zugleich blutdrucksenkende) Medikamente wie Nitrate und Betablocker zum Einsatz kommen, haben ACE-Hemmer, Sartane und Betablocker einen Stellenwert in der Langzeitbehandlung nach einem akuten Koronarsyndrom, wobei dies vor allem für Patienten mit eingeschränkter Ventrikelfunktion (LVEF <40 % ) nachgewiesen ist.</p> </div></p>
<p class="article-footer">
<a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a>
<div class="collapse" id="collapseLiteratur">
<p><strong>1</strong> Antony I et al.: Loss of flow-dependent coronary artery dilatation in patients with hypertension. Circulation 1995; 91: 1624-8 <strong>2</strong> Falk E: Pathogenesis of atherosclerosis. J Am Coll Cardiol 2006; 47(8 Suppl): C7-12 <strong>3</strong> Kozakova M et al.: Mechanisms of coronary flow reserve impairment in human hypertension. An integrated approach by transthoracic and transesophageal echocardiography. Hypertension 1997; 29: 551-9 <strong>4</strong> Rizzoni D et al.: Relationships between coronary flow vasodilator capacity and small artery remodelling in hypertensive patients. J Hypertens 2003; 21: 625-31 <strong>5</strong> Erne P et al.: Impact of hypertension on the outcome of patients admitted with acute coronary syndrome. J Hypertens 2015; 33: 860-7 <strong>6</strong> Granger CB et al.: Predictors of hospital mortality in the global registry of acute coronary events. Arch Intern Med 2003; 163: 2345-53 <strong>7</strong> Chen ZM et al.: Early intravenous then oral metoprolol in 45,852 patients with acute myocardial infarction: randomised placebo-controlled trial. Lancet 2005; 366: 1622- 32 <strong>8</strong> Roffi M et al.: 2015 ESC Guidelines for the management of acute coronary syndromes in patients presenting without persistent ST-segment elevation: Task Force for the management of acute coronary syndromes in patients presenting without persistent ST-segment elevation of the European Society of Cardiology (ESC). Eur Heart J 2016; 37: 267-315 <strong>9</strong> Steg PG et al.: ESC Guidelines for the management of acute myocardial infarction in patients presenting with ST-segment elevation. Eur Heart J 2012; 33: 2569-619 <strong>10</strong> Mancia G et al.: 2007 ESH-ESC practice guidelines for the management of arterial hypertension: ESH-ESC Task Force on the management of arterial hypertension. J Hypertens 2007; 25: 1751-62 <strong>11</strong> Mancia G et al.: 2013 ESH/ESC Guidelines for the management of arterial hypertension: the Task Force for the management of arterial hypertension of the European Society of Hypertension (ESH) and of the European Society of Cardiology (ESC). J Hypertens 2013; 31: 1281-357 <strong>12</strong> Wright JT Jr. et al.: A randomized trial of intensive versus standard blood-pressure control. N Engl J Med 2015; 373: 2103-16 <strong>13</strong> Thygesen K et al.: Third universal definition of myocardial infarction. Eur Heart J 2012; 33: 2551-67 <strong>14</strong> Rosendorff C: Treatment of hypertension in patients with coronary artery disease. A case-based summary of the 2015 AHA/ACC/ASH scientific statement. Am J Med 2016; 129: 372-8</p>
</div>
</p>