
©
Getty Images/iStockphoto
Anlaufstelle nicht nur für Betroffene
Leading Opinions
30
Min. Lesezeit
21.09.2017
Weiterempfehlen
<p class="article-intro">Lichen sclerosus (LS) ist in weiten Teilen der Bevölkerung unbekannt. Viele Betroffene wissen daher nicht, dass ihre Beschwerden von einer Krankheit verursacht werden, die man bisher nicht heilen, aber durchaus behandeln kann. 2013 ist von LS-Patientinnen der Verein Lichen Sclerosus gegründet worden: eine Anlaufstelle für Betroffene und Interessierte. Vorstandsmitglied Bettina Fischer spricht im Interview über die Aufgaben und Ziele des Vereins und warum er von Ärzten als Unterstützung geschätzt wird.</p>
<hr />
<p class="article-content"><p><strong>Lichen sclerosus ist vielen Patientinnen, aber auch manchen Ärzten kein Begriff. Ist die Krankheit so selten? Und wer ist vorwiegend betroffen?<br /> Fischer:</strong> Die Krankheit selbst wurde bereits vor etwa hundert Jahren beschrieben, aber dennoch kennen sich selbst viele Ärzte nicht gut damit aus. Das liegt einerseits daran, dass das äussere Genitale, anders als die Brust, noch immer eine Tabuzone ist. Viele Frauen wissen nicht genau, wie die Vulva aussieht, schauen sie nicht proaktiv an und können Veränderungen daher nicht feststellen. Zudem sprechen Betroffene selten offen über ihre Beschwerden. Auf der anderen Seite werden die Vulva und ihre Krankheiten in der Ausbildung der Ärzte bislang sehr stiefmütterlich behandelt. Noch immer gilt LS als «seltene Krankheit », die hauptsächlich ältere Frauen nach der Menopause betrifft. Das ist allerdings so nicht haltbar. Schätzungen gehen davon aus, dass jede 50. Frau an LS leidet – und darunter sind auch viele jüngere Frauen. LS kommt ausserdem auch bei Männern vor und kann sich bei beiden Geschlechtern schon im Kindesalter manifestieren. Bei Kindern geht man von einer Häufigkeit von 1 pro 900 aus. <br /><br /><strong>Wann sollte eine Frau den Verdacht haben, dass sie an LS erkrankt ist?<br /> Fischer:</strong> Wiederkehrendes Jucken und/oder Brennen im Genitalbereich, Risse der Haut beim Geschlechtsverkehr, häufige Blasenbeschwerden, ohne dass Bakterien im Urin gefunden werden, weissliche Flecken und Rötungen auf der Vulvahaut sind Hinweise auf LS. <br /><br /><strong>Welche Symptome treten bei Männern auf?<br /> Fischer:</strong> Bei Männern und Knaben ist zunächst die Vorhaut betroffen, wo es zu Verengungen kommt. Werden diese nicht behandelt, kann die Krankheit sich auf die Eichel ausdehnen, wo man ebenfalls die weisslichen Veränderungen beobachtet. Dazu kommen die gleichen Beschwerden wie bei Frauen: Schmerzen, Brennen, manchmal Juckreiz, Beschwerden beim Geschlechtsverkehr, im fortgeschrittenen Stadium Verengung der Harnröhre. Durch eine komplette Beschneidung der Vorhaut im frühen Stadium kann LS bei Männern jedoch gut behandelt und eventuell sogar kuriert werden. <br /><br /><strong>Was raten Sie Betroffenen, die unter typischen LS-Beschwerden leiden? Wo finden sie kompetente Hilfe?<br /> Fischer:</strong> Unsere Erfahrung ist, dass sich viele Ärzte zu wenig mit dem Krankheitsbild und der Therapie auskennen. Frauen sollten unbedingt mit ihrer Gynäkologin respektive ihrem Gynäkologen sprechen und den Verdacht auf LS konkret äussern. Oftmals kennen sich auch Dermatologen gut mit der Krankheit aus. Eine andere Möglichkeit ist, eine spezialisierte Vulva-Sprechstunde aufzusuchen. <br /><br /><strong>Was können betroffene Frauen und Männer selbst tun, um die Therapie zu unterstützen?<br /> Fischer:</strong> Neben der medizinischen Behandlung mit hochpotenten Kortisonsalben gemäss dem Therapieschema ist eine intensive Pflege des Intimbereichs mit fetthaltigen Salben oder mit Ölen notwendig. Diese sollten nach jedem Toilettengang aufgetragen werden. Wichtig ist, die Haut geschmeidig zu halten, damit sie nicht reisst, vernarbt und verhärtet. Übertriebene Intimhygiene mit scharfen Waschlösungen sollte dagegen vermieden werden, weil dies die Haut zusätzlich reizt. Zudem raten wir zu weit geschnittener Kleidung und Unterwäsche aus Baumwolle oder Seide. <br /><br /><strong>Der Verein Lichen Sclerosus wurde 2013 von betroffenen Frauen gegründet. Welches waren die Beweggründe?<br /> Fischer:</strong> Die «Gründerfrauen» hatten alle einen «Ärztemarathon» hinter sich. Sie hatten lange keine Hilfe gefunden und keine Informationen bekommen, obwohl es diese gab. Unser Ziel war zunächst, die vorhandenen Informationen zusammenzutragen und den Betroffenen, aber auch den behandelnden Ärzten zur Verfügung zu stellen. So finden sich zum Beispiel auf unserer Internetseite die aktuelle S3-Leitlinie zu Lichen sclerosus und eine patientengerechte zweiseitige Zusammenfassung derselben. Neben den Informationen brauchen Betroffene eine Plattform zum Austausch. Wenn es beispielsweise um sehr intime Fragen geht oder um Probleme in der Sexualität, die bei LS-Patienten häufig sind, dann öffnen sich viele eher in einem geschlossenen Forum oder in Austauschgruppen von ebenfalls betroffenen Personen. Auch Tipps für den Umgang mit der Krankheit im Alltag können andere Patienten besser geben als manch ein Arzt. Eine weitere Gruppe, die einen regen Austausch pflegt, sind die Eltern erkrankter Kinder, die vor ganz besondere Probleme gestellt sind. <br /><br /><strong>Welche Ziele verfolgt der Verein und wer kann Mitglied werden?<br /> Fischer:</strong> Unser wichtigstes Anliegen ist die Aufklärungsarbeit bei Ärzten und in der Öffentlichkeit. LS ist gar nicht so selten, wie viele bisher vermuten. Dies beweisen neben entsprechenden Untersuchungen unter anderem unsere Mitgliederzahlen. Seit der Vereinsgründung 2013 haben sich schon mehr als tausend Betroffene bei uns als Mitglied registrieren lassen und seit wir auch in der Presse aktiv sind, kommen täglich ein bis zwei weitere hinzu. Dies und natürlich auch die Unterstützung durch Experten wie Prof. Günthert vom Kantonsspital Luzern verleihen unseren Anliegen mehr Gewicht. Die mittlerweile grosse Zahl an Mitgliedern ermöglicht nun auch wissenschaftliche Umfragen und weitere Studien zur Krankheit LS. Inzwischen haben zahlreiche Ärzte den Wert unserer LS-Selbsthilfegruppe erkannt und schicken Patienten zu uns, weil sie wissen, dass wir die Sorgen und Probleme der Betroffenen verstehen, ihnen zuhören sowie Ratschläge und Tipps für den Alltag geben können. Ferner stärken wir die Betroffenen dahingehend, dass sie die Salbentherapie auch wirklich konsequent gemäss Schema anwenden, denn sehr viele haben Angst vor dem Kortison und sind zögerlich in der Anwendung. Das entlastet auch die Ärzte. Vereinsmitglied kann jeder werden, der selbst betroffen oder ein Angehöriger einer an LS erkrankten Person ist, sowie jeder, der Interesse hat, unsere Arbeit zu unterstützen. <br /><br /><strong>Wie sieht Ihre Arbeit aus?<br /> Fischer:</strong> Wir sind seit 2015 auf Ärztekongressen vertreten, wo wir Ärzte gezielt ansprechen. Auch sind wir nun mit Artikeln, Berichten und Reportagen in den Medien präsent, etwa in Tageszeitungen und im Fernsehen. Nach jedem Presseauftritt gehen bei uns vermehrt Anfragen betroffener Frauen ein. Viele von ihnen berichten, dass sie sich nach zahlreichen erfolglosen Therapien schon gar nicht mehr zum Arzt trauen, weil sie die Hoffnung auf Hilfe aufgegeben haben, oder aber dass sie zwar die Diagnose, nicht aber die adäquate Therapie erhalten. Wir vermitteln die Betroffenen an kompetente Ärzte oder zu speziellen Vulva-Sprechstunden, bieten ihnen den Austausch in diversen regionalen Austauschgruppen respektive in einem geschützten Forum, organisieren Workshops. Darüber hinaus halten wir Aufklärungsvorträge und motivieren dabei Frauen, ihren Intimbereich mithilfe eines Spiegels zu beobachten. Bei der Früherkennung des Mammakarzinoms durch Selbstabtasten hat das ja sehr gut funktioniert. Und wir haben das Aufklärungsbuch «Jule und die Muscheln» herausgegeben, das in spielerischer Weise über die Krankheit informiert; es richtet sich an Eltern betroffener Kinder, aber auch an erwachsene Betroffene und interessierte Ärzte, die es an ihre Patienten abgeben möchten. Es kann bei uns oder in jeder Buchhandlung bestellt werden. Zurzeit wird es ins Italienische und ins Französische übersetzt. <br /><br /><strong>Sie arbeiten länderübergreifend. In welchen Ländern ist der Verein Lichen Sclerosus aktiv?<br /> Fischer:</strong> Wir führen aktive Austauschgruppen in der Schweiz, in Österreich, Deutschland und Luxemburg. Einzelmitglieder kommen auch aus anderen Ländern wie Frankreich, Portugal, Israel und Kanada. <br /><br /><strong>Gibt es Unterschiede zwischen den einzelnen Ländern, was die Bekanntheit der Krankheit LS und deren Therapie bei Ärzten angeht?<br /> Fischer:</strong> Ja, die gibt es. In der Schweiz machen wir langsam Fortschritte. In Deutschland sehen wir, dass die Ärzte zu wenig Zeit für ihre Patientinnen haben; da wird nicht selten die «Schnelldiagnose» Pilzinfektion gestellt oder «herumgebastelt» wie auch in Österreich. Wir beobachten ausserdem, dass es Ärzte gibt, die den LS zwar richtig diagnostizieren, dann aber nicht gemäss den Leitlinien langfristig und mit hochpotentem Kortison behandeln. Hier halte ich es für wichtig, die Patienten so zu informieren und zu stärken, dass sie sich den Arzt auf die Leitlinie anzusprechen getrauen. <br /><br /><strong>Was wünschen Sie sich für die Zukunft?<br /> Fischer:</strong> Dass unsere Arbeit weitere Früchte trägt und das Wissen über LS bei Ärzten und Betroffenen wächst. Ein Zukunftstraum wären spezielle interdisziplinäre Kompetenzzentren, die sich ausschliesslich mit dem LS befassen und alle an Diagnose und Therapie der Krankheit beteiligten Fachgruppen unter einem Dach zusammenbringen. Dies wäre für die Betroffenen, aber auch für die Ärzte eine grosse Erleichterung. <br /><br /><strong>Frau Fischer, vielen Dank für das Gespräch.</strong></p></p>