
Karzinom des oberen Harntrakts: Laserablation, Chemoablation, Operation und neue Entwicklungen
Unser Gesprächspartner:
Prof. Dr. Nirmish Singla
Associate Professor of Urology & Oncology Director of Translational Research in GU Oncology
Johns Hopkins University School of Medicine Baltimore, USA
Das Interview führte Reno Barth
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Im Rahmen der ÖBAY-Tagung 2025 sprachen wir mit Prof. Dr. Nirmish Singla, Associate Professor of Urology & Oncology und Director of Translational Research in GU Oncology an der Johns Hopkins University School of Medicine in Baltimore, USA, über das Urothelkarzinom des oberen Harntrakts. Prof. Singla hielt einen spannenden Vortrag zu diesem Thema.
Herr Prof. Singla, wie häufig sind Karzinome des oberen Harntrakts?
Singla: Das Urothelkarzinom des oberen Harntrakts – das UTUC – ist relativ selten und macht zwischen fünf und zehn Prozent aller Urothelkarzinome aus.
Wie wird ein UTUC erkannt? Kommen die Patient:innen mit Symptomen? Gibt es Screening-Strategien?
Singla: Die Diagnostik des UTUC kann schwierig sein. Oft haben die Betroffenen wenig oder keine Symptome. Blutungen oder abdominelle Schmerzen kommen vor, oft wird ein UTUC aber als Zufallsbefund entdeckt, wenn aus anderen Gründen ein CT gemacht wird. Es gibt keine definitive Screening-Guideline.
Führt das dazu, dass diese Tumoren häufig spät entdeckt werden?
Singla: Das kommt nicht so selten vor. Wir sehen immer wieder Fälle, in denen Patient:innen aufgrund fehlender oder auch falscher Diagnosen sehr spät kommen. Zum Glück sind diese Karzinome in der Mehrzahl der Fälle aber ausreichend symptomatisch, um die Betroffenen zum Arzt zu führen. Das relevanteste Symptom ist Blut im Harn. Und es gibt Risikofaktoren, an die man denken sollte. Das ist zum Beispiel Rauchen oder das Lynch- Syndrom, eines der häufigsten erblichen Tumorprädispositionssyndrome.
Wenn ein Verdacht auf ein UTUC besteht, wie geht es weiter?
Singla: Wenn Symptome wie Blut im Urin vorhanden sind, lässt sich noch nichts über die Ursache oder Lokalisation einer Läsion aussagen. Es sind meist zwei Untersuchungen, die uns weiterbringen. Die Zystoskopie, die uns die Möglichkeit gibt, das Endothel der Blase direkt zu begutachten. Läsionen im oberen Harntrakt sucht man mittels CT, konkret mit einem speziellen Protokoll namens CT-Urogramm. Dieses kann zu weiteren Untersuchungen führen. Bei Verdacht auf ein UTUC bedeutet das in der Regel eine Ureteroskopie mit Biopsie, die unter Anästhesie durchgeführt wird.
Wenn man dabei ein Karzinom findet …
Singla: Der nächste wichtige Schritt in der Behandlung des UTUC ist das Grading basierend auf der Biopsie. Ein Low- Grade-Tumor bedeutet, dass wir nicht von einem aggressiven Wachstum oder von Metastasierung ausgehen. Es gilt also, Übertherapie zu vermeiden. In solchen Fällen ist es nicht immer erforderlich, die ganze Niere zu entfernen. Eine endoskopische Behandlung ist möglich, wenn der Tumor so klein ist, dass eine vollständige Ablation mit dem Laser gelingt.
Ist das sicher? Kommt es zu Rezidiven?
Singla: Rezidive sind häufig, bei reiner Low-Grade-Erkrankung kommt es aber sehr selten zur Progression. Entsprechendes Monitoring mit regelmäßigen Kontrollen ist jedoch erforderlich, zumal ein relevantes Risiko dafür besteht, dass an anderen Stellen im Urogenitaltrakt Tumoren auftreten. Eine Gefahr stellt falsches Grading dar. Wenn man sich entschließt, auf eine Nephroureterektomie zu verzichten, muss man sehr sicher sein, dass es sich tatsächlich um einen Low- Grade-Tumor handelt und nicht in manchen Bereichen der Läsion High-Grade- Features vorliegen. Das ist eine der Herausforderungen im Umgang mit diesen Tumoren.
Bei einer Laserablation hat man kein entnommenes Tumorgewebe, das aufgearbeitet werden kann. Wie trifft man dann diese Entscheidung?
Singla: Wir entnehmen immer vor der Ablation eine Biopsie. Dann hat man zumindest ein Stück Gewebe, das die Wahl des Lasers rechtfertigen muss. Es ist wichtig, die Probe zu sichern, bevor man den Tumor mit dem Laser zerstört. Zusätzlich führen wir eine Urinzytologie durch, mit der wir höher maligne Zellen aus den Urothelzellen im Urin identifizieren können. Dabei macht man sich den Umstand zunutze, dass gut differenzierte Tumoren seltener Zellen abschilfern. Die Zytologie ist besonders wichtig, wenn man die Genauigkeit der Diagnose verbessern will oder wenn man sich bei der Histologie nicht ganz sicher ist.
Welche Optionen gibt es im Management des UTUC? Zunächst einmal die Ablation mit dem Laser, die chirurgische Exstirpation, die primäre Chemoablation usw. Wie trifft man die Wahl?
Singla: Wir bevorzugen den Laser. Die primäre Chemoablation ist eine Option in Fällen, in denen die Tumorlast zu hoch ist oder der Tumor zu weit verteilt, um ihn in einer einzigen Sitzung mit dem Laser entfernen zu können. Bei der Chemoablation handelt es sich um eine lokale Chemotherapie auf Basis von Mitomycin, das erst aktiviert wird, wenn es Körpertemperatur erreicht. Die Methode ist zugelassen und führte in einer Phase-III-Studie bei 59% der Patient:innen zu einem kompletten Ansprechen.1 Das kürzlich veröffentlichte Langzeit-Follow-up zeigt langfristige Remission bei 75% der Responder.2 Die Chemoablation stellt eine sinnvolle Alternative dar, wenn man mit dem Laser alleine keine zufriedenstellende Krankheitskontrolle erreichen kann.
Wie überprüft man das Ansprechen?
Singla: Am besten mittels Ureteroskopie. Als Komplikationen können Stenosen des Ureters auftreten, von denen 40 bis 50% der Patient:innen betroffen sind. Diese sind meist selbstlimitierend. Sind sie das nicht, bleiben mehrere Optionen. Man kann die Behandlung abbrechen, man kann Steroide applizieren und in manchen Fällen wird eine Behandlung über das Ureteroskop, unter Umständen mit einer Stentimplantation, erforderlich werden. Dieses Problem ist also beherrschbar.
Und wenn man zu dem Schluss kommt, dass das alles nicht ausreichen wird, kommt die Chirurgie zum Zug?
Singla: Wir sehen die Chirurgie heute als Back-up-Option, wenn es nicht anders geht.
Gibt es innovative Methoden, die sich noch im Forschungsstadium befinden?
Singla: Hier ist z.B. die Phototherapie mit Padeliporfin, einem Photosensitizer, der sich gegen die vaskuläre Komponente des Tumors richtet, zu nennen. Die Substanz wird systemisch injiziert und über das Endoskop mit einem Laser mit spezifischer Wellenlänge aktiviert, was zur lokalen Freisetzung freier Radikale und weiter zu Gefäßokklusion und Tumornekrose führt. Die bisher mit dieser Methode erzielten Ergebnisse sind interessant. Eine Phase-III-Studie läuft gerade.
Was macht man bei High-Grade-UTUC?
Singla: Beim High-Grade-UTUC ist die exstirpative Operation Goldstandard, was eine radikale Nephroureterektomie (RNU) inklusive Blasenmanschette sowie eine regionale Lymphadenektomie bedeutet. Unter Umständen und wenn die onkologische Situation es zulässt, kommt auch eine partielle Ureterektomie infrage. Auch endoskopische Techniken werden eingesetzt. Diese Methoden sind jedoch vom onkologischen Outcome her der RNU unterlegen und kommen vor allem dann zum Einsatz, wenn Patient:innen zu krank für eine RNU sind oder eine palliative Strategie verfolgt wird.
Spielt neoadjuvante Chemotherapie eine Rolle beim UTUC?
Singla: Neoadjuvante Chemotherapie gewinnt an Bedeutung. Das nicht zuletzt aus dem Grund, dass der Verlust einer Niere eine adjuvante Chemotherapie erschweren oder verhindern kann. In dieser Indikation werden entweder Cisplatin kombiniert mit Gemcitabin oder ein Schema namens MVAC eingesetzt, bestehend aus Methotrexat, Vinblastin, Adriamycin und Cisplatin. Jedenfalls sind nur etwas mehr als die Hälfte der UTUC-Patient:innen überhaupt fit für eine platinhaltige Chemotherapie. Mit dem Verlust einer Niere sinkt dieser Anteil auf 15%. Leider haben wir zur neoadjuvanten Therapie bislang nur zwei Phase-II-Studien, keine Phase-III- und schon gar keine direkte Vergleichsstudie zwischen neoadjuvanter und adjuvanter Therapie.
Ist es möglich, nach einer neoadjuvanten Therapie auf eine radikale Nephroureterektomie zu verzichten?
Singla: Das ist eine offene Frage. Nach neoadjuvanter Chemotherapie kommt es bei 14–19% der Patient:innen zu einem kompletten pathologischen Ansprechen. In rund 60% der Fälle kann der Tumor in ein nichtinvasives Stadium zurückversetzt werden. Das Problem ist, dass wir uns derzeit nicht trauen, auf die RNU zu verzichten, weil wir keine Kriterien haben, nach denen wir sicher festlegen können, in welchen Fällen das möglich ist.
Spielt die Immuntherapie beim UTUC eine Rolle?
Singla: Da läuft derzeit die wichtige Renal-Retention-Studie, die den Checkpointinhibitor Pembrolizumab in Kombination mit Enfortumab Vedotin in einem neoadjuvanten Setting untersucht. Eingeschlossen werden Patient:innen mit nichtmetastasiertem High-Grade-UTUC, die entweder für eine RNU nicht infrage kommen oder diese ablehnen. Diese Studie stellt prospektiv die Frage, wie sicher es ist, Patient:innen, die auf diese Therapie mit komplettem Ansprechen reagieren, die Operation zu ersparen.
Gibt es schon Ergebnisse?
Singla: Nein, es gibt jedoch vielversprechende Fallberichte von Patient:innen, die in einem rein palliativen Setting „off-label“ mit diesem Regime behandelt wurden.
Sie sprechen häufig vom Bedarf nach einer „UTUC Multidisciplinary Clinic“. Worin unterscheidet sich diese von einem normalen Tumorboard?
Singla: Wir suchen einen patient:innenzentrierten Ansatz. Das heißt, es werden nicht nur Fälle besprochen, sondern die Patient:innen sollen auch die Möglichkeit bekommen, im Laufe einer Visite in Kontakt mit mehreren Fachrichtungen, wie z.B. Onkologie und Urologie, zu kommen. So kann man gemeinsam wichtige Entscheidungen treffen. Auch die Aufnahme in klinische Studien kann in diesem Setting besprochen werden.
Vielen Dank für das Gespräch!
Quelle:
51. Tagung der Österreichischen Gesellschaft für Urologie und Andrologie und der Bayerischen Urologenvereinigung, 22.–24. Mai 2025, Wien
Literatur:
1 Kleinmann N et al.: Primary chemoablation of low-grade upper tract urothelial carcinoma using UGN-101, a mitomycin-containing reverse thermal gel (OLYMPUS): an open-label, single-arm, phase 3 trial. Lancet Oncol 2020; 21(6): 776-85 2 Pierorazio PM et al.: Long-term outcomes of primary chemoablation of low-grade upper tract urothelial carcinoma with UGN-101, a mitomycin reverse thermal gel. J Urol 2025; 213(3): 313-22
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