
«Planetary Health» – Interaktion von Gesundheit und Klimawandel
Bericht:
Dr. med. Sabina Ludin
Chefredaktorin
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Der Klimawandel ist längst bei uns angekommen – in der Schweiz waren die letzten zehn Jahre 2,5°C wärmer als der vorindustrielle Durchschnitt und die Temperaturen steigen weiter an. Dies hat vielfältige Auswirkungen auf die Gesundheit, wie Dr. med. Emily West, Oberärztin i.V., Klinik für Infektionskrankheiten und Spitalhygiene, Universitätsspital Zürich, am Frühjahrskongress der SGAIM eindrücklich darstellte.
Wie die aktuelle Global Burden of Disease Study zeigt, steht die Feinstaubbelastung wie bereits im Jahr 2000 an der Spitze der Liste mit den spezifischen Risikofaktoren für weltweit verlorene behinderungsbereinigte Lebensjahre (DALYs).1 «8% aller Schäden werden durch die Feinstaubbelastung verursacht. Das übertrifft die Auswirkungen von Bluthochdruck, Rauchen oder Diabetes. Aber wir Kliniker:innen scheinen in dieser Frage einen blinden Fleck zu haben», stellte West einleitend fest.
Das Problem hat zwei Seiten: Einerseits hat der Klimawandel grosse Auswirkungen auf die Gesundheit, andererseits beeinflusst das Gesundheitswesen das Klima auch selbst durch den hohen Ressourcenverbrauch und die damit verbundenen Emissionen.
Auswirkungen des Klimawandels auf die Gesundheit
«Bestimmt haben Sie den Anstieg allergischer Erkrankungen in den letzten Jahren in Ihrer Praxis auch bemerkt», sagte West. Aufgrund der Erwärmung, des früheren Frühlingsbeginns und des späteren Herbstes sind wir auch in der Schweiz deutlich höheren Pollenbelastungen ausgesetzt. So ist die Pollenbelastung beispielsweise in Genf in den letzten 26 Jahren jedes Jahr um 2,3% gestiegen.2 Pollen können aber nicht nur allergische Reaktionen verursachen, sondern auch die Anfälligkeit für virale Atemwegsinfektionen erhöhen, indem sie die antivirale Interferon-Response vermindern. Dieser Effekt tritt sowohl bei Menschen auf, die gegen Pollen sensibilisiert sind, als auch solchen ohne Sensibilisierung. In einer grossen Studie wurden Daten von 131 Städten in 31 Ländern, darunter Genf, Lausanne und Zürich, aus dem Frühjahr 2020 analysiert. Dabei zeigte sich, dass ein Anstieg der Pollenbelastung im Abstand von circa einer Woche zu einer erhöhten Covid-19-Inzidenz führte.3 Die Autor:innen berechneten, dass die Pollen, manchmal zusammen mit Feuchtigkeit und Temperatur, im Schnitt für 44% der Variabilität der Covid-19-Infektionsrate verantwortlich waren. «Das gleiche Phänomen wurde auch bei anderen Atemwegsinfektionen beobachtet. Die erhöhte Pollenbelastung kann also auf Bevölkerungsebene einen recht grossen Effekt haben», stellte West fest.
Auch Feinstaubpartikel schädigen die Atemwege und hohe Feinstaubbelastungen erhöhen die Infektionsrate. Eine spanische Studie zeigte, dass die Verschreibung von Antibiotika wegen akuter respiratorischer Symptome steigt, wenn die Belastung besonders mit sehr kleinen Schadstoffpartikeln mit einer Grösse von 2,5μg zunimmt.4 «Sie können sich vorstellen, welche Synergie zwischen Erwärmung, Pollen und Luftverschmutzung entsteht, die sich dann zu dieser sehr relevanten Sterblichkeitsrate auch in unserer Bevölkerung summiert», so die Referentin.
Eine weitere Auswirkung der Klimaerwärmung ist das Auftauchen von neuen Vektoren wie z.B. der Tigermücke, die ihr Habitat allmählich auf die Alpennordseite ausbreitet. Sie ist ein bestätigter Überträger für relevante Infektionen wie Chikungunya und Denguefieber und ein potenzieller Überträger weiterer Infektionskrankheiten wie Zika, Gelbfieber, West-Nil-Fieber etc. Allerdings braucht es keine neuen Vektoren, damit neue Krankheiten auftauchen. Das West-Nil-Virus beispielsweise wird von unseren normalen Mücken übertragen. Das Virus wurde in der Schweiz bisher zwar noch nie festgestellt, aber es scheint nur eine Frage der Zeit zu sein, bis wir auch damit konfrontiert werden. In Italien wurden 2023 nämlich bereits 283 Infektionen mit dem West-Nil-Virus und 17 Todesfälle festgestellt.5 Dabei waren auch an die Schweiz angrenzende Regionen wie das Piemont und insbesondere die Lombardei betroffen.
Ein weiteres Problem ist die Zunahme von Antibiotikaresistenzen. «Es gibt eine komplexe Wechselwirkung, bei der das Klima direkt zu einer Zunahme der Antibiotikaresistenzen führt. Bei extremen Wetterereignissen gibt es mehr Infektionen, die durch Wasser übertragen werden, und es kommt zu einem vermehrten Oberflächenabfluss, wodurch der Kontakt zwischen Umweltorganismen und Antibiotika zunimmt. Ausserdem gibt es Hinweise darauf, dass der Anstieg der Umgebungstemperatur die Übertragung von Resistenzgenen zwischen Bakterien begünstigt»,6 erklärte West.
Auswirkungen des Gesundheitswesens auf das Klima
Weltweit verursacht das Gesundheitswesen 4,6% der gesamten Treibhausgasemissionen.7,8 In der Schweiz werden sogar 6,7% der Emissionen vom Gesundheitswesen verursacht. Unser Land gehört damit zu den Top-CO2-Emittenten. In einem durchschnittlichen Schweizer Spital sind die Energieversorgung (Wärme 26%, Strom 9%), das Catering (17%) und die Gebäudeinfrastruktur (15%) die Bereiche, die den grössten Anteil am CO2-Fussabdruck ausmachen. Direkt danach kommen die Medikamente mit 12%. Zudem fallen in den Spitälern viel Abfall und Abwasser an.9 Es sind im Spital also die gleichen Bereiche, die die Umwelt am meisten belasten, wie im privaten Umfeld.
Massnahmen für ein nachhaltigeres Gesundheitswesen
«Die Strategien, die wir im Spital anwenden können, sind daher oft ähnlich wie im Privaten», so West. «Die wahrscheinlich wichtigste und auch sehr kostengünstige Massnahme ist die Sensibilisierung für dieses Thema. Die Ärzteschaft hat in der Schweiz immer noch eine hohe Glaubwürdigkeit. Damit haben wir gute Voraussetzungen, um unsere Patient:innen zu ermutigen, gegen den Klimawandel vorzugehen. Ich verbringe viel Zeit damit, mit ihnen über Vektor-übertragene Krankheiten und Antibiotikaresistenzen zu sprechen. Wenn Sie in der Praxis keine Zeit haben für solche Gespräche mit Ihren Patient:innen, empfehle ich Ihnen die Patienteninformationen des VSAO zu diesem Thema auszudrucken und in der Praxis auszuhängen»,10 so West.
«Beschränken Sie sich aber nicht auf Ihre Patient:innen. Sprechen Sie auch mit Ihren Kolleg:innen über dieses Thema.» Es wird bereits viel getan. In vielen Spitälern gibt es «grüne Teams», die darüber diskutieren, wie an ihrer Klinik die Nachhaltigkeit verbessert werden kann. West rät, vorerst bewusst kleine, erreichbare Ziele zu definieren, wie z.B. die Umstellung auf fleischlose Menus, die Verwendung von Recylingpapier, Reminder zum Ausschalten der Geräte übers Wochenende, die Optimierung der Beheizung. Für ambulante Arztpraxen gibt es von der FMH ein Toolkit mit einer praktischen Liste von Massnahmen zur Reduktion des Ressourcenverbrauchs und der Treibhausgasemissionen.11
«Ein wichtiger Aspekt, auf den wir uns meiner Meinung nach konzentrieren sollten, sind die positiven Nebeneffekte. Viele Nachhaltigkeitsmassnahmen haben auch direkte gesundheitliche und andere Vorteile für die Patient:innen», betonte West. Sie erwähnt als Beispiel ein Projekt der Infektiologie am USZ, in dem es darum ging, die Rate der im Spital erworbenen Pneumonien zu senken. Eine Massnahme war die kontinuierliche Reduktion der Trinkhalme, da deren Verwendung eine Aspirationsgefahr birgt.
Viel zur Reduktion der Emissionen können auch der bewusste Einsatz resp. der Verzicht auf unnötige Bildgebung sowie die Reduktion der Hospitalisationsdauer beitragen. Der Strom-, der Wasserverbrauch und die Abfallmenge pro Person sind im Spital um ein Vielfaches höher als zu Hause.
Als letztes Beispiel nannte die Referentin das Problem mit den weggeworfenen Medikamenten. «Die Schwierigkeit, mit der wir in der Schweiz konfrontiert sind, besteht darin, dass wir die Medikamente in ganzen Packungen abgeben. Wenn Sie beispielsweise Patient:innen mit gewöhnlichen Infektionen leitliniengerecht behandeln möchten, gibt es in mehr als der Hälfte der Fälle keine geeignete Packungsgrösse»,12 erklärte sie. Dadurch entsteht die Gefahr, dass durch unkorrekte Anwendung oder unkorrekte Entsorgung der überzähligen Tabletten Antibiotikaresistenzen gefördert werden.
Fazit
Das Thema «Planetary Health» ist komplex und bringt mannigfaltige Herausforderungen mit sich. «Es ist ein wenig so wie mit einem Patienten mit metabolischem Syndrom. Hier gibt es keine einmalige Entscheidung für eine Massnahme. Es sind viele kleine, schrittweise Veränderungen, die langfristig zu neuen Gewohnheiten führen. Ich möchte Sie dazu aufrufen, mit drei Schritten zu beginnen: Schärfen Sie das Bewusstsein bei Patient:innen und Kolleg:innen, konzentrieren Sie sich auf die gesundheitlichen Vorteile der Nachhaltigkeit und vermeiden Sie, wann immer möglich, die Überbehandlung», so der Appell von West.
Lesen Sie hier den Leitartikel von Atwoli et al. von 2021: Call for emergency action to Limit global temperature increases, restore biodiversity, and protect health ; erschienen in 200 verschiedenen medizinischen Fachzeitschriften.
Nützliche Informationen für den Praxisalltag:
Quelle:
Frühjahrskongress der SGAIM, 21. bis 23. Mai 2025, Basel
Literatur:
1 GBD 2021 Risk Factors Collaborators: Global burden and strength of evidence for 88 risk factors in 204 countries and 811 subnational locations, 1990-2021: a systematic analysis for the Global Burden of Disease Study 2021. Lancet 2024; 403: 2162-203 2 Ziska LH et al.: Temperature-related changes in airborne allergenic pollen abundance and seasonality across the northern hemisphere: a retrospective data analysis. Lancet Planet Health 2019; 3: e124-31 3 Damialis A et al.; COVID-19/POLLEN study group: Higher airborne pollen concentrations correlated with increased SARS-CoV-2 infection rates, as evidenced from 31 countries across the globe. Proc Natl Acad Sci USA 2021; 118: e2019034118 4 Abelenda-Alonso G et al.: Short-term exposure to ambient air pollution and antimicrobial use for acute respiratory symptoms. JAMA Netw Open 2024; 7: e2432245 5 https://tropeninstitut.de/aktuelle-krankheitsmeldungen/04.10.2023-italien-west-nil-virus 6Meinen A et al.: Antimicrobial resistance in Germany and Europe - a systematic review on the increasing threat accelerated by climate change. J Health Monit 2023; 8(Suppl 3): 93-108 7 Watts N et al.: The 2019 report of The Lancet Countdown on health and climate change: ensuring that the health of a child born today is not defined by a changing climate. Lancet 2019; 394: 1836-78 8 Karliner J et al.: Health Care Without Harm Global Programs Annual Report – 2019. https://greenhospitals.org/news/health-care-without-harm-global-programs-annual-report-2019 9 Stucki M: «50% der Spitäler könnten ihren Umwelt-Fussabdruck halbieren.» SAEZ 2021; 102: 1490-2 10 https://vsao.ch/politik/planetary-health-informationen-fur-patientinnen/# 11 https://toolkit.fmh.ch/ 12 Füri J et al.: The potential negative impact of antibiotic pack on antibiotic stewardship in primary care in Switzerland: a modelling study. Antimicrob Resist Infect Control 2020; 9: 60
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