
«Komplizierter, als wir dachten»
Unser Gesprächspartner:
Prof. Dr. med. Burkhard Möller
Universitätsklinik für Rheumatologie und Immunologie, Inselspital, Universitätsspital Bern
Das Interview führte
Dr. med. Felicitas Witte
Für die Behandlung der rheumatoiden Arthritis ist es hilfreich, die Prognose so gut wie möglich einzuschätzen. Bei Vorliegen von prognostisch ungünstigen Faktoren soll man nämlich frühzeitig ein Biologikum oder einen Januskinasehemmer verschreiben. Forscher haben jetzt Antikörpermuster identifiziert, die vor allem schwere Verläufe genauer vorhersagen lassen (siehe Genauere Prognose mit Antikörpermustern? ).1 Dass bei der Entzündung aber nicht nur Antikörper eine Rolle spielen und sich die Marker deshalb nicht so einfach für die Einschätzung der Prognose nutzen lassen, erklärt Prof. Möller aus Bern.
Herr Möller, haben Sie die Ergebnisse der Studie1 überrascht?
B. Möller: Nein, Immunität gegen posttranslationell modifizierte Peptide ist kein neues Thema. Ich fand aber interessant an der Studie, dass nach Beschreibung von Immunität gegen citrullinierte Peptide, dann gegen carbamylierte Peptide und nun auch acetylierte Peptide die Immunpathogenese der rheumatoiden Arthritis offenbar noch komplexer ist, als wir noch vor 10 Jahren dachten. Es gibt offensichtlich noch mehr Epitope, gegen die RA-Patienten Antikörper generieren, was dann mit der Prognose zu korrelieren scheint.
Könnten Sie uns das Konzept mit den Epitopen bitte erklären?
B. Möller: Im Rahmen der Entzündung entstehen durch Proteindegradation sogenannte Epitope. Gegen diese Epitope bildet der Körper Antikörper. Die Epitope erscheinen, weil chemisch veränderte Proteine degradiert und dem bereits aktivierten Immunsystem präsentiert werden, zum Beispiel weil Arginin in situ im bestehenden Protein enzymatisch in Citrullin umgewandelt wird (Citrullinierung). Oder weil die Proteine nichtenzymatisch carbamyliert werden, also ein Carbamyl-Rest (-CONH2) angehängt wird. Es gibt noch diverse andere chemische Prozesse, die im Rahmen einer Entzündung Epitope freisetzen können. Ohne Entzündungsprozesse oder wenn diese Prozesse gut kontrolliert sind, würden diese Antigene nicht entstehen. Gesunde Menschen würden zudem ohne ein präaktiviertes Immunsystem nicht gegen all diese Epitope Antikörper bilden. Aber Menschen mit rheumatoider Arthritis haben eine Neigung, auf vermeintlich fremde Substanzen mit einer Abwehrreaktion zu reagieren. Also ist es vorstellbar, dass die Patienten gegen neu entstandene Epitope wiederum Antikörper bilden, und das führt wieder zu immunvermittelten Entzündungsprozessen. Das Ergebnis ist ein sogenanntes Antigen-Spreading.
Das heisst: je mehr Entzündung, desto mehr Epitope, desto mehr Antikörper und desto schlechter die Prognose?
B. Möller: Es wäre schön, wenn das so einfach wäre. Man darf sicherlich sagen, dass das Immunsystem immer breiter angeregt wird, je stärker die Entzündung ist. Es ist aber nicht so, dass die Antikörperbildung gegen Epitope linear zunimmt, je mehr Entzündungsprozesse wir haben. Als wir die ACPA kennenlernten, dachten wir, wir hätten den alles entscheidenden Schlüssel zum Verständnis der RA bzw. den «Stein der Weisen» gefunden. Also einen Marker, mit dem wir Patienten identifizieren können, die eine raschere Progression haben.
Ist das nicht so?
B. Möller: In der Praxis und in Kohortenstudien lässt sich das nicht so verifizieren. Es gibt immer wieder Patienten mit positiven ACPA, aber geringer Progression. Hierzu passt auch, dass in der Studie der schottischen Arbeitsgruppe Patienten, die nur ACPA-positiv waren, eine ähnliche radiologische Progression zeigten wie die Patienten ohne Antikörper.1 Nun ist die Studie zu klein, um alle Variablen zu finden. Es gibt offenbar noch andere Mechanismen als die Antikörperbildung, die die Progression beeinflussen, zum Beispiel nicht antikörpervermittelte Prozesse, etwa aggressive T-Zellen oder synoviale Fibroblasten.
Nützen uns die Erkenntnisse für die Entwicklung neuer Medikamente?
B. Möller: Würde die Antikörperbildung 1:1 mit dem Entzündungsprozess einhergehen, wäre das gut vorstellbar. Zum Beispiel könnte man Medikamente gegen die Bildung eines Schlüsselantigens entwickeln und so die Entzündung stoppen. Aber die neue Studie zeigt uns, dass die immunologischen Prozesse bei der RA komplex und breit sind und man leider nicht so einfach ein oder zwei Antigene vermeiden bzw. dagegen gerichtete Antikörper blockieren kann, um die Entzündung zu stoppen.
Literatur:
1 Nijjar JS et al.: Lancet Rheumatol 2021; 3: e284-9
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