
„Auf Blutbildveränderungen achten“
Unsere Gesprächspartnerin:
PD Dr. Christina Duftner
Universitätsklinik für Innere Medizin II Medizinische Universität Innsbruck
Das Interview führte
Dr. Felicitas Witte
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Forscher aus Boston haben gezeigt, dass Mutationen im TET2-Gen – vermutlich ein Tumorsuppressor-Gen – das Risiko erhöhen, an einer Riesenzellarteriitis (RZA) zu erkranken. Patienten mit TET2-Mutationen hatten außerdem ein erhöhtes Risiko für einen Visusverlust. Wie die Ergebnisse einzuordnen sind, erklärt PD Dr. Christina Duftner.
Was halten Sie von dem Ansatz, nach TET2-Mutationen zu suchen?
C. Duftner: Ich habe die Studie mit großem Interesse gelesen. Kenntnisse über somatische Mutationen und Mosaik-Chromosomenveränderungen in Blutzellen – zusammengefasst unter dem Begriff der klonalen Hämatopoese – erlauben uns neue Einblicke in die Immundysfunktion verschiedenster chronisch-entzündlicher rheumatischer Erkrankungen. Daher hat es Sinn, altersassoziierte Veränderungen der klonalen Hämatopoese und hämtologische Malignome bei der RZA zu untersuchen. Womöglich werden sich daraus neue Empfehlungen für den Alltag oder Therapien ergeben.
Wie beurteilen Sie die Qualität der Studie?
C. Duftner: Die Stärke der Studie liegt in der gleichzeitigen Untersuchung der englischen Biodatenbank mit einem Datensatz von 470960 Teilnehmern und verlinkten Erkrankungsdiagnosen sowie einer weiteren klinisch gut charakterisierten Kohorte von 114 Patienten mit RZA.
Die Limitationen der Studie liegen im Fehlen von Alter-/Sex-gematchten Kontrollen, aber auch im fehlenden Vergleich zu Patienten mit myeloischen Malignomen ohne RZA. Unklar bleiben auch die potenziellen Mechanismen, die durch TET2- oder andere somatische Mutationen zu Gefäßentzündung oder irreversiblen Komplikationen bei RZA führen.
Teilen Sie die Meinung der Autoren, dass eine Aktivierung der myeloiden Zellen eine entscheidende Rolle spielt?
C. Duftner: Von Tiermodellen, histologischen und Blutuntersuchungen wissen wir, dass gealterte T-Zellen und deren Interaktion mit B-Zellen, dendritischen Zellen sowie Makrophagen in der Pathogenese wichtig sind. Ob das auch für myeloische Zellen zutrifft, ist weniger untersucht. Monozyten im peripheren Blut von RZA-Patienten scheinen allerdings eine wichtige Quelle für die Produktion der proinflammatorischen Botenstoffe Interleukin 6 und Interleukin 1B zu sein. Diese treiben die Expansion von Neutrophilen im Stadium der unbehandelten RZA voran.
Welche Ergebnisse finden Sie besonders interessant?
C. Duftner: Die Zahlen dieser Studie sprechen für sich: 27,2% der RZA-Patienten wiesen eine Mutation für myeloische Neoplasien auf, es besteht ein zweifach erhöhtes Risiko für das Vorliegen einer TET2-Mutation bei Patienten mit RZA und ein bis zu vierfach erhöhtes Risiko für das Auftreten eines Visusverlusts, wenn ein Patient RZA und TET2-Mutationen hat. Besonders interessant ist für mich, dass die Mutationen vor allem den Monozyten zuzuordnen und die Resultate klar altersabhängig sind. Ebenso von Interesse ist, dass das Risiko für die Erkrankung vom Vorliegen einer Zytopenie beeinflusst wird.
Welche Konsequenzen ziehen Sie aus der Studie?
C. Duftner: Aus meiner Sicht ist es wichtig, auf Blutbildveränderungen zu achten und bei entsprechendem Risikoprofil – also wenn im Blutbild eine Zytopenie nachgewiesen wird – frühzeitig an eine klonale Hämatopoese oder hämatologische Neoplasien zu denken und gegebenenfalls eine entsprechende Abklärung zu veranlassen.
Sollte man jeden Patienten auf TET2-Mutationen testen?
C. Duftner: Im klinischen Alltag ist das schwierig, weil Mutationsanalysen Zeit und viel Geld kosten. Daher würde ich nur sehr ausgewählte Fälle auf eine TET2-Mutation testen, etwa RZA-Patienten mit manifester Zytopenie ± Visusverlust.
Wird man irgendwann einen Visusverlust mit einer Gentherapie am TET2-Gen verhindern können?
C. Duftner: Die Betroffenen leiden unter starken Einschränkungen der Lebensqualität. Daher träumen wir natürlich von Möglichkeiten, mithilfe einer Gentherapie oder einer ähnlich gezielten Therapie eine solch belastende Komplikation oder den Ausbruch der Erkrankung per se zu verhindern. Allerdings ist es aus aktueller Sicht gänzlich unklar, ob eine Gentherapie in den nächsten Jahren tatsächlich im Alltag Einzug finden wird. Bis es soweit ist, ist es aber essenziell, jeden Patienten mit Verdacht auf RZA umgehend einer raschen Diagnostik und Therapie zuzuführen, um eine permanente Erblindung und andere potenzielle Komplikationen zu verhindern.
Literatur:
1 Robinette ML et al.: Arthritis Rheumatol 2024; 76(3): 438-43
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