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«Alle Versuche, die Steroiddosis zu verringern, sind zu begrüssen»

Tocilizumab ist in Kombination mit Cortison zur Therapie der Riesenzellarteriitis (RZA) zugelassen. Eine Studie hat untersucht, ob es reicht, nur 8 Wochen lang Kortikoide zu geben.1 Prof. Thomas Daikeler erklärt, wie die Studie einzuordnen ist und wie er in der Praxis vorgeht.

Wie beurteilen Sie die Studie?

T. Daikeler: Ich finde, es ist eine interessante und wichtige Fragestellung, zu untersuchen, ob man die Steroidtherapie unter einer Tocilizumab-Behandlung verkürzen kann. Steroide sind mit vielen Nebenwirkungen assoziiert. In der Zulassungsstudie zu Tocilizumab wurden die Patienten mindestens 6 Monate lang mit Prednison parallel zu Tocilizumab behandelt.2 Leider gehen auch 6 Monate einer Prednison-Behandlung mit dem Risiko für Nebenwirkungen einher, von denen manche schwerwiegend sind, darunter Infekte, Diabetes, Osteoporose inklusive Frakturen, Hypertonie, neuropsychiatrische Symptome und Katarakt. Eine der Stärken der Studie ist der prospektive Studienaufbau, der die lückenlose Erfassung von Wirkung und Nebenwirkungen erlaubt. Allerdings ist die Studie mit 30 Teilnehmern ziemlich klein, sodass möglicherweise seltene Komplikationen einer unterbehandelten RZA, etwa ein Visusverlust, verpasst wurden. Auch fehlt eine konventionell behandelte Kontrollgruppe. Aufgrund dieser methodischen Limitationen sind die Daten mit Vorsicht zu geniessen. Ich finde es auffällig, dass 4 Patienten im Rückfall kranielle Symptome hatten. Das könnte darauf hinweisen, dass die Steroide womöglich doch länger gegeben werden sollten.

Sind die 30 Patienten mit Rückfall ein Hinweis darauf, dass Cortison doch zu früh ausgeschlichen wurde?

T. Daikeler: Rückfälle sind bei Patienten mit RZA häufig, auch mit längerer Steroidtherapie. Wird ein isolierter Anstieg von Entzündungsparametern beobachtet oder treten Polymyalgie-Symptome wieder auf, ist das per se nicht beunruhigend. Die Symptome können meist durch eine milde Intensivierung der Therapie behandelt werden. Wir fürchten uns aber vor irreversiblen Sehstörungen oder Schlaganfällen. Solche sind in der Studie nicht berichtet worden. Allerdings kann nicht ausgeschlossen werden, dass eine verkürzte Steroidtherapie trotzdem diese Komplikationen auslösen kann.

Werden Sie nun bei Ihren Patienten versuchen, Prednison früher abzusetzen?

T. Daikeler: Generell versuchen wir, die Steroiddosis innerhalb von 6 Monaten auszuschleichen. Selbst ohne zusätzliche Gabe von Tocilizumab erreichen wir sehr niedrige kumulative Steroiddosen, auch wenn die Steroide im Fall eines Rezidivs wieder erhöht werden müssen. Wenn wir bereits initial Tocilizumab geben, versuchen wir, die Steroide noch schneller zu reduzieren. Wir haben in der Steroidmonotherapie im Vergleich zu anderen publizierten Daten sehr niedrige kumulative Steroiddosen im ersten Jahr. Das haben wir in einer Studie mit 47 Patienten gezeigt. Im Median betrug die kumulative Steroiddosis 4164mg. Das sind etwas weniger als bei der 6-monatigen Behandlung im Placeboarm der Tocilizumab-Zulassungsstudie (4325mg)2,3 und deutlich weniger als in der Kontrollgruppe von Villiger et al. (8468mg).4,5

Wann setzen Sie Tocilizumab ein?

T. Daikeler: Wir behandeln Patienten mit Tocilizumab im Falle eines Rückfalls der Erkrankung oder schon von Beginn an, wenn sie ein hohes Risiko für Steroidnebenwirkungen haben. Generell versuchen wir, die Steroiddosis unter Tocilizumab so rasch wie möglich zu reduzieren. In Einzelfällen könnte bei Steroidunverträglichkeit oder sehr hohem Risiko für Steroidnebenwirkungen eine Verkürzung der Steroidtherapie im Konsens mit dem Patienten überlegt werden.

Welche neuen Medikamente gegen RZA halten Sie für vielversprechend?

T. Daikeler: JAK-Inhibitoren wie Upadacitinib oder der IL-17-Antikörper Secukinumab werden derzeit in Phase-III-Studien untersucht.6,7 Eine Phase-II-Studie zu Secukinumab war vielversprechend.8 Auch Abatacept ist eine vielversprechende Substanz.9 In therapierefraktären Fällen kann auch noch Cyclophosphamid eingesetzt werden. Bis neue Medikamente zur Behandlung der RZA zugelassen werden, kann es allerdings noch Jahre dauern. Bis dahin kann ich immer wieder nur betonen, wie wichtig es ist, nicht nur die Krankheitsaktivität zu kontrollieren, sondern auch die Nebenwirkungen sorgfältig zu beobachten. Das betrifft natürlich vor allem die Steroide. Alle Versuche, Dauer und Dosis der Steroidtherapie zu verringern, ohne den Patienten zu gefährden, sind zu begrüssen

1 Unizony S et al.: Lancet Rheumatol 2023; 5(12): e736-42 2 Stone JH et al.: N Engl J Med 2017; 377: 317-28 3 Mensch N et al.: RMD Open 2023; 9: e003301 4 Gérard A-L et al.: Eur J Intern Med 2021; 88: 96-103 5 Villiger PM et al.: Lancet 2016; 387: 1921-7 6 ClinicalTrials.gov; NCT03725202 7 ClinicalTrials.gov; NCT05380453 8 Venhoff N et al.: Lancet Rheumatol 2023; 5: e341-50 9 Langford CA et al.: Arthritis Rheumatol 2017; 69: 837-45

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