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SGSPP-Nachrichten Nr. 16/3-2022

Sportpsychiatrie und -psychotherapie im Breitensport

Ende April erschien in der Praxis – Schweizerische Rundschau für Medizin/Revue suisse de la médecine ein zweites Schwerpunktheft zur Sportpsychiatrie und -psychotherapie, das den Breitensport als drittes und jüngstes Tätigkeitsfeld von Sportpsychiater*innen und -psychotherapeut*innen aufnahm. Zwei zentrale Projekte aus diesem Themenbereich werden im Folgenden vorgestellt.

Im Breitensport ist der Gebrauch form- und leistungsfördernder Substanzen (sog. «image and performance-enhancing drugs», IPED) weit verbreitet. Gemeinsam mit der Sport- und Bewegungssucht steht er beispielhaft für sportspezifische psychische Störungen und Erkrankungen im Breitensport, genauso wie die Muskeldysmorphie und in bestimmten Aspekten auch ein gestörtes Essverhalten und Essstörungen. Das Essverhalten kann häufig nicht unabhängig vom Sport- und Bewegungsverhalten betrachtet werden und die sportpsychiatrisch-psychotherapeutische Expertise kann auch bei Essstörungen eine hilfreiche und notwendige Ergänzung in den Behandlungsprogrammen sein. Aus diesem Anlass wurden Artikel zu den verschiedenen psychischen Störungs- und Erkrankungsbildern im Breitensport in das Praxis-Schwerpunktheft aufgenommen, wobei dem besonderen Fokus IPED-Gebrauch drei davon gewidmet waren. Die einzelnen Artikel sind auf der Praxis-Webseite unter https://econtent.hogrefe.com/journal/prx verfügbar .

Wie bereits und immer herausgestellt, möchte die SGSPP zunehmend Forschungsprojekte in den Tätigkeitsfeldern der Sportpsychiatrie und -psychotherapie unterstützen. In den ersten Jahren und seit ihrer Gründung standen aber zunächst die Einführung der Sportpsychiatrie und -psychotherapie und die Schaffung entsprechender Rahmenbedingen im Vordergrund. Nun soll auch die wissenschaftliche Arbeit mehr und mehr in den Vordergrund rücken und auch der Klinik-, Instituts- und Praxis-übergreifende Austausch und die Zusammenarbeit hierzu weiter gefördert werden – national, aber natürlich immer auch international.

Von der Sportpsychiatrie und -psychotherapie als Fachdisziplin bis zur Aus- und Weiterbildung entstehen in allen Tätigkeitsfeldern Forschungsprojekte oder befinden sich bereits in der Umsetzung. Im Breitensport betrifft dies insbesondere die Muskeldysmorphie und den IPED-Gebrauch. Eine erste Originalarbeit zur Muskeldysmorphie konnte erst jüngst eingereicht werden und weitere sind in Vorbereitung, ebenso zum IPED-Gebrauch.

Federführend und massgeblich entwickelt wurden die Forschungsprojekte zur Muskeldysmorphie von Robin Halioua und zum IPED-Gebrauch im Freizeitsport von Samuel Iff. Ihre jeweiligen Projekte sollen im Folgenden kurz beschrieben werden.

Muskeldysmorphie

Robin Halioua, Zürich

Das Körperideal für Männer und Frauen sieht einen muskulösen und austrainierten Körper mit einem niedrigen Körperfettanteil vor. Dieser Trend ist bei Männern bereits seit den 1970er-Jahren beobachtbar. Bei Frauen ist der trainierte Körper im Sinne von «strong is the new skinny» erst seit wenigen Jahren populär. Das Streben nach dem muskulären Ideal geht mit einer Veränderung des Sport- und Essverhaltens einher, sodass muskelorientiertes Essen sowie Krafttraining eine immer wichtigere Rolle spielen.

Die Muskeldysmorphie als psychische Erkrankung wurde in den 1990er-Jahren erstmals beschrieben. Sie ist mit einem muskulären Schönheitsideal assoziiert und geht mit der übermässigen Sorge einher, dass der eigene Körper nicht ausreichend muskulös ist.

Obwohl die Muskeldysmorphie im DSM- 5 als körperdysmorphe Störung klassifiziert wurde, geht sie häufig mit einem gestörten Essverhalten einher. Viele Autor*innen sind deshalb der Meinung, dass die Muskeldysmorphie eigentlich eine Essstörung sei und im Gegensatz zur Anorexia nervosa eher die «männliche» Perspektive abbildet. Entsprechend hat sich die Erforschung der Muskeldysmorphie und des muskelorientierten Essverhaltens bislang hauptsächlich auf Männer fokussiert, sodass kaum Daten zu Frauen vorliegen. Im Sinne einer transdiagnostischen und geschlechterübergreifenden Perspektive führten wir eine grosse Online-Befragung im deutschsprachigen Raum durch, um (muskelorientiertes) Essverhalten, Körperzufriedenheit und Sportverhalten zu untersuchen. Besonders interessierte uns dabei das Binge- und Purgeverhalten im Rahmen der Muskeldysmorphie, da wir im klinischen Alltag beobachten konnten, dass sich gerade in einem sportlichen Kollektiv das kompensatorische Verhalten in Richtung eines exzessiven Sportverhaltens bewegt und das induzierte Erbrechen eine untergeordnete Rolle spielt. Erste Analysen legen nahe, dass sich die klinische Ausprägung der Muskeldysmorphie bei Männern und Frauen unterscheidet und deren Erforschung von einer transdiagnostischen und geschlechterübergreifenden Perspektive profitiert.

IPED-Gebrauch im Freizeitsport

Samuell Iff, Bern

Die bisherige Forschung zu IPED konzentriert sich entweder auf Anti-Doping im Sport oder auf vereinzelte Phänomene rund um die Anwendung von IPED. Zudem gibt es viele Fallberichte und kleinere Studien, aber keine systematischen Untersuchungen von IPED-Anwendern im Freizeitsport. So ist wenig darüber bekannt, woher IPED-Anwender ihre medizinischen Informationen erhalten oder auf welche Art sie Zugang zur Schadensminderung erhalten.

Zu den bevorstehenden Forschungsaktivitäten gehören hauptsächlich zwei Projekte. Eines davon richtet sich an medizinische Fachkräfte (MFK), das andere an regelmässige IPED-Nutzer. Im ersten Projekt möchten wir mittels einer Umfrage unter MFK herausfinden, wie die Einstellung von MFK gegenüber IPED-Nutzern ist, wie sie selbst über IPED denken und ob sie IPED selbst genutzt haben.

Im zweiten Projekt möchten wir eine Kohorte aufbauen, mit welcher wir die Art und Weise des IPED-Konsums verfolgen und den klinischen Verlauf der Nutzer besser verstehen können. Hierzu gehören die körperlichen, psychischen und sozialen Folgen wie auch die Beantwortung der Frage, wie viele zu regelmässigen Nutzern werden oder sogar eine IPED-Abhängigkeit entwickeln.

Ein Topic «Psychiatric Issues of Doping in Sports» ist für die letzte Ausgabe von Sports Psychiatry in diesem Jahr geplant (siehe Info-Kasten), in dem auch der IPED-Gebrauch im Freizeitsport aufgenommen wird. Ein Topic zur Muskeldysmorphie ist zurzeit noch nicht in Planung, wird aber höchstwahrscheinlich in einer der nächsten Jahrgänge Sports Psychiatry ebenso folgen.

Gut informiert

Aktuelle Informationen zur Schweizerischen Gesellschaft für Sportpsychiatrie und -psychotherapie wie auch zu weiteren Veranstaltungen finden sich auf der SGSPP-Webseite: www.sgspp.ch .




SGSPP-Nachrichten

Die Schweizerische Gesellschaft für Sportpsychiatrie und -psychotherapie (SGSPP) bezweckt die Förderung der Sportpsychiatrie und -psychotherapie über die Lebensspanne – im Leistungssport und in der Allgemeinbevölkerung – und in der Schweiz. In Leading Opinions Neurologie & Psychiatrie wird regelmässig über die jüngsten Entwicklungen der Sportpsychiatrie und -psychotherapie und ihre Tätigkeitsfelder im Leistungs-, Breiten- und Gesundheitssport berichtet, nunmehr seit 2019 in jeder Ausgabe.


Call for papers

Sports Psychiatry – Journal of Sports and Excercise Psychiatry: Topics & Special issues
We are soliciting manuscripts for inclusion in the following issues of Sports Psychiatry:

  • Physical activity and exercise in the prevention and treatment of psychiatric disorders

  • Psychiatric Issues of Doping in Sports

  • Interpersonal Violence in Sports

  • Sports Psychiatry for Children and Young People

Contributions and articles on any topic related to sports psychiatry are also always welcome! Further information is available on the journal website: https://econtent.hogrefe.com/ journal/spp
We are looking forward to your submissions!


Kommende Veranstaltungen

Symposien:

  • «Gewalt und Missbrauch im Leistungssport», SGKJPP-Kongress

  • Symposium der Schweizerischen Gesellschaft für Sportpsychiatrie und -psychotherapie, SGPP-Kongress

Curriculum Sportpsychiatrie und -psychotherapie: Stufe 1: Sportpsychiatrische und -psychotherapeutische Basisversorgung
22. bis 29. Oktober 2022 in Eckernförde, Deutschland. Anmeldung und weitere Informationen unter: https://www.akademie-dampsoft.de

Sobald neue Daten zu Kursen im Curriculum in der Schweiz bzw. die SGSPP-Jahrestagung 2023 feststehen, werden diese auf der SGSPP-Webseite publiziert. Ebenso finden sich dort weitere nationale und internationale Veranstaltungen zur Sportpsychiatrie und -psychotherapie.

beim Verfasser

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