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Psychotherapie wirkt auch auf Zellkernebene
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05.06.2019
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<p class="article-intro">Lassen sich Angst- und Affektstörungen verhindern? Diese Frage wurde auch am 10. SFMAD-Symposium der Schweizerischen Gesellschaft für Angst und Depression in Zürich nicht beantwortet. Doch neue Erkenntnisse aus dem jungen Forschungsgebiet der Epigenetik und neues Wissen zur Prädiktion psychischer Krankheiten zeigen einige Ansätze auf.</p>
<p class="article-content"><div id="keypoints"> <h2>Keypoints</h2> <ul> <li>Epigenetische Mechanismen wie z. B. die DNA-Methylierung können einen «Dolmetscher» zwischen der genetischen und der Umweltebene darstellen.</li> <li>Epigenetische Muster wie z. B. eine verminderte Methylierung des MAO-A-Gens sind mit Angsterkrankungen und Depression assoziiert.</li> <li>Mithilfe der Epigenetik lässt sich zukünftig möglicherweise eine Prognose zum Therapieansprechen stellen.</li> <li>Psychotherapie könnte auch über eine Normalisierung von epigenetischen Risikomustern wirken. Die Prädiktoren unterschieden sich für uni- und bipolare Störungen.</li> <li>Wichtige Prodrome der bipolaren Störung sind bei Kindern mit vorbelasteten Eltern die Depression, unterschwellige Hypomanie, Störungen im Sozialverhalten und Drogensucht.</li> <li>Prädiktoren für eine Depression sind bei Kindern mit vorbelasteten Eltern hauptsächlich Angststörungen sowie Umweltfaktoren.</li> <li>Bei Erwachsenen unterscheiden sich die Prädiktoren für eine unipolare Störung nach dem Subtyp der Depression.</li> </ul> </div> <p>Bei der Entstehung von Angststörungen spielen biografische und biologische, unter anderem auch genetische Faktoren eine Rolle.<sup>1</sup> «Um ein genetisches Risiko zu konstituieren, müssen allerdings Hunderte bis Tausende von Genen zusammenkommen », sagte Prof. Dr. Dr. med. Katharina Domschke, ärztliche Direktorin der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie am Universitätsklinik in Freiburg i. Br. Besteht eine prädisponierende genetische Konstellation, so macht diese etwa 30 bis 60 % der Risikofaktoren aus. Werden «Angst-Gene» dann noch durch Umweltfaktoren aktiviert, kann es zu einer manifesten Angsterkrankung kommen.<br /> Die Interaktion zwischen Genen und Umweltfaktoren kann durch epigenetische Mechanismen vermittelt werden, also biochemische Vorgänge, die an der DNS oder ihrer Raumstruktur etwas verändern und zu einer Modifikation der Genfunktion führen. «Ein zentraler Mechanismus bei der Entstehung von Angsterkrankungen ist die Methylierung in Cytosin- und Guanin-reichen Abschnitten im Promotor-Bereich der DNS», erklärte die Professorin. Je nachdem, ob ein Angst- Gen in seiner Steuerungsregion methyliert ist oder nicht, ist es unterschiedlich aktiv. Ist der Cytosin-/Guanin-reiche Promotor nicht methyliert, ist das Gen wach und aktiv. Ist er methyliert, können sich die Transkriptionsfaktoren nicht so gut daran anlagern, das Gen ist in seiner Aktivität gehemmt und das Protein, für das es kodiert, wird nur vermindert gebildet. «Bildlich gesehen trägt das Gen durch die Methylierung eine Art chemisches Schlafmützchen, durch das es in eine Art Winterschlaf versetzt wird», führte die Referentin aus.</p> <h2>MAO-A-Methylierung ist dynamischer Prozess</h2> <p>Bei Panikpatienten<sup>2</sup> wie auch bei Patienten mit Depression<sup>3</sup> ist das Monoxidase- A-Gen (MAO-A-Gen) niedriger methyliert als bei Gesunden, wie die epigenetische Forschung nachweisen konnte. MAO-A baut Serotonin und Noradrenalin ab und ist daher womöglich wesentlich für die Pathogenese von Angsterkrankungen und affektiven Störungen. «Eine niedrige Methylierung des MAO-A-Gens könnte somit ein Risikofaktor oder ein Marker für Angst und Depression sein», resümierte Prof. Domschke. Mithilfe der Epigenetik sei es weiter vielleicht sogar möglich, eine Vorhersage zum Therapieansprechen einer Monotherapie mit einem SSRI zu machen. Eine kleine Studie von Prof. Domschke zeigte denn bereits, dass bei hochmethylierten Patienten der HAMD-Score (Hamilton Depression Rating Scale) unter einer sechswöchigen Therapie mit einem SSRI deutlich abnahm, was auf ein Therapieansprechen hinweist. Bei Niedrigmethylierten hingegen reduzierte sich der HAMD-Score nur sehr langsam und insgesamt ungenügend.<sup>4</sup><br /> «Die positive Nachricht: Die Methylierung scheint ein dynamischer Prozess zu sein», führte Prof. Domschke aus. So wie Gene bei negativen Lebensereignissen ihre Schlafmützen abstreifen, also demethyliert werden, können die Methylkäppchen bei positiven Lebensereignissen auch wieder aufgesetzt werden.<sup>5</sup> So korreliert der Grad der MAO-A-Methylierung mit der Anzahl subjektiv erlebter positiver oder negativer Lebensereignisse. «Bestätigen sich diese Pilotdaten, könnte in Zukunft die Epigenetik eine Erklärung dafür sein, wie es im Dialog zwischen Genetik und Umwelt zu Risikozuständen für psychische Erkrankungen kommen kann», so die Expertin. Möglicherweise gäbe es dann auch wissenschaftliche Belege dafür, dass mit präventiven, Resilienz stärkenden Massnahmen psychische Erkrankungen tatsächlich verhindert werden können.</p> <h2>Auch Psychotherapie verändert Methylierung</h2> <p>Die epigenetische Forschung konnte bereits zeigen, dass auch Psychotherapie epigenetische Mechanismen beeinflusst. So nahm bei Patienten mit Panikstörung und auch Patienten mit Höhenphobie die MAOA- Methylierung zu,<sup>6, 7</sup> wenn sie auf eine kognitive Verhaltenstherapie angesprochen hatten. Bei Nichtrespondern dagegen hatte sich die Methylierung nicht verändert oder sie hatte sogar noch abgenommen. Die These, dass Psychotherapie tatsächlich auch auf Zellkernebene wirkt und das Methylierungsmuster wieder normalisieren kann, wird nun mit neuen Studien weiter untersucht.</p> <h2>Prädiktion von uni- und bipolaren Störungen</h2> <p>Um die Prädiktion und Entwicklung von Depressionen im Jugend- und Erwachsenenalter ging es im Vortrag von Prof. Dr. med. Martin Preisig, Chefarzt Psychiatrisches Departement am CHUV in Lausanne. Er präsentierte Daten aus zwei laufenden Lausanner Langzeitstudien, die eine untersuchte Prädiktoren bei Adoleszenten,<sup>9</sup> die andere bei Erwachsenen.<sup>10</sup><br /> «Bei Kindern begünstigt eine Vorerkrankung eines Elternteils sowohl die Entwicklung von uni- wie von bipolaren Störungen. Die elterliche Vorbelastung fällt jedoch bei der Manie mit einer Risikoerhöhung um etwa einen Faktor 10 deutlich stärker ins Gewicht als bei der Depression, bei der die elterliche Vorerkrankung das Risiko ungefähr verdoppelt», erläuterte Prof. Preisig. Generell scheinen uni- und bipolare Störung unterschiedlich prädiziert zu sein.<br /> Die Studie mit Kindern und Jugendlichen<sup>9</sup> identifizierte für die Manie vier Prodrome: Depression (Risikoerhöhung um Faktor 3,8), unterschwellige Hypomanie (Risikoerhöhung um Faktor 3,2), Störung des Sozialverhaltens (Risikoerhöhung um Faktor 1,2) und Drogensucht (Risikoerhöhung um Faktor 1,7). «Alle Kinder mit diesen Prodromen vorsorglich mit Lithium oder einem atypischen Neuroleptikum zur Prävention einer bipolaren Störung zu behandeln wäre allerdings ein Riesenunsinn », betonte Prof. Preisig. Die Prädiktoren sind dazu viel zu unspezifisch. «Aber natürlich müssen wir diese Prodrome spezifisch behandeln, so wie man eben Störungen im Sozialverhalten und submanische Zustände am besten behandelt», so der Referent.<br /> Die wichtigsten Prädiktoren für die Depression bei elterlich vorbelasteten Kindern sind Angststörungen. Die Trennungsangst erhöht das Risiko um den Faktor 1,2, die generalisierte Angststörung um den Faktor 2,2 und die Panikstörung gar um den Faktor 2,4. Eine wichtige Rolle spielen bei der Depression auch die Umweltfaktoren: Sexueller Missbrauch erhöht das Risiko um den Faktor 3,8 und Gewalt in der Familie um den Faktor 1,8. «Die Spezifität der Prodrome für die Depression ist etwas besser als bei der bipolaren Störung», sagte Prof. Preisig. Angesichts der Bedeutung der familiären Umweltfaktoren bei der Auslösung einer Depression könnten soziale Massnahmen bei Kindern mit vorbelasteten Eltern zur Depressions-Prävention sinnvoll sein.</p> <h2>Bei Erwachsenen sind Prädiktoren vom Subtyp abhängig</h2> <p>Bei Erwachsenen sind die Prädiktoren wesentlich vom Subtyp der Depression abhängig. Wie die Langzeitstudie<sup>10</sup> mit Erwachsenen in Lausanne ergab, ist eine unspezifische Depression am stärksten mit vorausgehenden negativen Lebensereignissen assoziiert. Bei der melancholischen Depression spielen hauptsächlich Persönlichkeitsmerkmale wie Neurotizismus und vorhergehende unterschwellige depressive Syndrome eine Rolle. Bei der atypischen Depression erhöht ein hoher BMI das Krankheitsrisiko um 70 % . Auch Neurotizismus und das Vorliegen von unterschwelligen depressiven Symptomen steigern die Inzidenz dieses Subtyps. «Die Persönlichkeitsdimension Neurotizismus ist charakterisiert durch eine Neigung zu Nervosität, Reizbarkeit, Unsicherheit und Ängstlichkeit. Man kann sich vorstellen, dass eine erfolgreiche psychotherapeutische Behandlung dieser Persönlichkeitscharakteristika sowie die Behandlung von unterschwelligen depressiven Störungen das Risiko für atypische und melancholische Depression verringern könnte», betonte Prof. Preisig. Dasselbe gilt für die korrekte intern-medizinische Behandlung von metabolischen Störungen zur möglichen Prävention von atypischen Depressionen.</p> <h2>Neues zur Therapie von Angsterkrankungen</h2> <p>Prof. Domschke präsentierte in ihrem Referat über die Epigenetik auch einige Empfehlungen aus den neuen deutschen Leitlinien<sup>8</sup> zur Therapie von Angsterkrankungen. Diese empfehlen bei spezifischen Phobien in erster Linie die kognitive Verhaltenstherapie. Bei der sozialen Phobie, der Panikstörung und generalisierten Angststörungen kommen sowohl psychotherapeutische Verfahren infrage als auch die pharmakologische Behandlung mit SSRI, SNRI oder Pregabalin. Das Antikonvulsivum Pregabalin ist bei der generalisierten Angststörung zugelassen und sehr gut wirksam, allerdings sollte man bei anderen Substanzabhängigkeiten, vor allem Opiatabhängigkeit, ein Missbrauchspotenzial beachten. Zur Vorsicht riet die Professorin beim Einsatz von Cannabispräparaten. Deren Wirksamkeit sei nicht nur nicht genügend belegt, sondern diese Mittel könnten im Falle von Angststörungen sogar negative Langzeiteffekte haben, betonte sie. Neue Studiendaten belegen hingegen bei generalisierten Angststörungen eine Wirksamkeit von Agomelatin, Quetiapin und Lavendelöl. Diese Wirkstoffe sind für die Behandlung von Angststörungen in Deutschland wie in der Schweiz allerdings (noch?) nicht zugelassen.</p></p>
<p class="article-quelle">Quelle: 10<sup>th</sup> Swiss Forum for Mood and Anxiety Disorders
(SFMAD), 4. April 2019, Zürich
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<a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a>
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<p><strong>1</strong> Ziegler C et al.: Patho- and therapyepigenetics of mental disorders. Nervenarzt 2018; 89(11): 1303-14 <strong>2</strong> Domschke K et al.: Monoamine oxidase A gene DNA hypomethylation - a risk factor for panic disorder? Int J Neuropsychopharmacol 2012; 15(9): 1217-28 <strong>3</strong> Melas PA et al.: Genetic and epigenetic associations of MAOA and NR3C1 with depression and childhood adversities. Int J Neuropsychopharmacol 2013; 16(7): 1513-28 <strong>4</strong> Domschke K et al.: Pharmacoepigenetics of depression: no major influence of MAO-A DNA methylation on treatment response. J Neural Transm 2015; 122(1): 99-108 <strong>5</strong> Domschke K et al.: Monoamine oxidase A gene DNA hypomethylation - a risk factor for panic disorder? Int J Neuropsychopharmacol 2012; 15(9): 1217-28 <strong>6</strong> Ziegler C et al.: MAOA gene hypomethylation in panic disorder-reversibility of an epigenetic risk pattern by psychotherapy. Transl Psychiatry 2016; 6:e773 <strong>7</strong> Schiele MA et al: Plasticity of functional MAOA gene methylation in acrophobia. Int J Neuropsychopharmacol 2018; 21(9): 822-7 <strong>8</strong> Ströhle A et al.: The Diagnosis and treatment of anxiety disorders. Dtsch Arztebl Int 2018; 155(37): 611-20 <strong>9</strong> Preisig M et al.: The specificity of the familial aggregation of earlyonset bipolar disorder: A controlled 10-year follow-up study of offspring of parents with mood disorders. J Affect Disord 2016; 190: 26-33 <strong>10</strong> Rudaz DA et al.: Partially distinct combinations of psychological, metabolic and inflammatory risk factors are prospectively associated with the onset of the subtypes of Major Depressive Disorder in midlife. J Affect Dirsord 2017; 222: 195-203</p>
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