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10 Swiss Forum for Mood and Anxiety Disorder (SFMAD)

Psychotherapie wirkt auch auf Zellkernebene

<p class="article-intro">Lassen sich Angst- und Affektstörungen verhindern? Diese Frage wurde auch am 10. SFMAD-Symposium der Schweizerischen Gesellschaft für Angst und Depression in Zürich nicht beantwortet. Doch neue Erkenntnisse aus dem jungen Forschungsgebiet der Epigenetik und neues Wissen zur Prädiktion psychischer Krankheiten zeigen einige Ansätze auf.</p> <p class="article-content"><div id="keypoints"> <h2>Keypoints</h2> <ul> <li>Epigenetische Mechanismen wie z. B. die DNA-Methylierung k&ouml;nnen einen &laquo;Dolmetscher&raquo; zwischen der genetischen und der Umweltebene darstellen.</li> <li>Epigenetische Muster wie z. B. eine verminderte Methylierung des MAO-A-Gens sind mit Angsterkrankungen und Depression assoziiert.</li> <li>Mithilfe der Epigenetik l&auml;sst sich zuk&uuml;nftig m&ouml;glicherweise eine Prognose zum Therapieansprechen stellen.</li> <li>Psychotherapie k&ouml;nnte auch &uuml;ber eine Normalisierung von epigenetischen Risikomustern wirken. Die Pr&auml;diktoren unterschieden sich f&uuml;r uni- und bipolare St&ouml;rungen.</li> <li>Wichtige Prodrome der bipolaren St&ouml;rung sind bei Kindern mit vorbelasteten Eltern die Depression, unterschwellige Hypomanie, St&ouml;rungen im Sozialverhalten und Drogensucht.</li> <li>Pr&auml;diktoren f&uuml;r eine Depression sind bei Kindern mit vorbelasteten Eltern haupts&auml;chlich Angstst&ouml;rungen sowie Umweltfaktoren.</li> <li>Bei Erwachsenen unterscheiden sich die Pr&auml;diktoren f&uuml;r eine unipolare St&ouml;rung nach dem Subtyp der Depression.</li> </ul> </div> <p>Bei der Entstehung von Angstst&ouml;rungen spielen biografische und biologische, unter anderem auch genetische Faktoren eine Rolle.<sup>1</sup> &laquo;Um ein genetisches Risiko zu konstituieren, m&uuml;ssen allerdings Hunderte bis Tausende von Genen zusammenkommen &raquo;, sagte Prof. Dr. Dr. med. Katharina Domschke, &auml;rztliche Direktorin der Klinik f&uuml;r Psychiatrie und Psychotherapie am Universit&auml;tsklinik in Freiburg i. Br. Besteht eine pr&auml;disponierende genetische Konstellation, so macht diese etwa 30 bis 60 % der Risikofaktoren aus. Werden &laquo;Angst-Gene&raquo; dann noch durch Umweltfaktoren aktiviert, kann es zu einer manifesten Angsterkrankung kommen.<br /> Die Interaktion zwischen Genen und Umweltfaktoren kann durch epigenetische Mechanismen vermittelt werden, also biochemische Vorg&auml;nge, die an der DNS oder ihrer Raumstruktur etwas ver&auml;ndern und zu einer Modifikation der Genfunktion f&uuml;hren. &laquo;Ein zentraler Mechanismus bei der Entstehung von Angsterkrankungen ist die Methylierung in Cytosin- und Guanin-reichen Abschnitten im Promotor-Bereich der DNS&raquo;, erkl&auml;rte die Professorin. Je nachdem, ob ein Angst- Gen in seiner Steuerungsregion methyliert ist oder nicht, ist es unterschiedlich aktiv. Ist der Cytosin-/Guanin-reiche Promotor nicht methyliert, ist das Gen wach und aktiv. Ist er methyliert, k&ouml;nnen sich die Transkriptionsfaktoren nicht so gut daran anlagern, das Gen ist in seiner Aktivit&auml;t gehemmt und das Protein, f&uuml;r das es kodiert, wird nur vermindert gebildet. &laquo;Bildlich gesehen tr&auml;gt das Gen durch die Methylierung eine Art chemisches Schlafm&uuml;tzchen, durch das es in eine Art Winterschlaf versetzt wird&raquo;, f&uuml;hrte die Referentin aus.</p> <h2>MAO-A-Methylierung ist dynamischer Prozess</h2> <p>Bei Panikpatienten<sup>2</sup> wie auch bei Patienten mit Depression<sup>3</sup> ist das Monoxidase- A-Gen (MAO-A-Gen) niedriger methyliert als bei Gesunden, wie die epigenetische Forschung nachweisen konnte. MAO-A baut Serotonin und Noradrenalin ab und ist daher wom&ouml;glich wesentlich f&uuml;r die Pathogenese von Angsterkrankungen und affektiven St&ouml;rungen. &laquo;Eine niedrige Methylierung des MAO-A-Gens k&ouml;nnte somit ein Risikofaktor oder ein Marker f&uuml;r Angst und Depression sein&raquo;, res&uuml;mierte Prof. Domschke. Mithilfe der Epigenetik sei es weiter vielleicht sogar m&ouml;glich, eine Vorhersage zum Therapieansprechen einer Monotherapie mit einem SSRI zu machen. Eine kleine Studie von Prof. Domschke zeigte denn bereits, dass bei hochmethylierten Patienten der HAMD-Score (Hamilton Depression Rating Scale) unter einer sechsw&ouml;chigen Therapie mit einem SSRI deutlich abnahm, was auf ein Therapieansprechen hinweist. Bei Niedrigmethylierten hingegen reduzierte sich der HAMD-Score nur sehr langsam und insgesamt ungen&uuml;gend.<sup>4</sup><br /> &laquo;Die positive Nachricht: Die Methylierung scheint ein dynamischer Prozess zu sein&raquo;, f&uuml;hrte Prof. Domschke aus. So wie Gene bei negativen Lebensereignissen ihre Schlafm&uuml;tzen abstreifen, also demethyliert werden, k&ouml;nnen die Methylk&auml;ppchen bei positiven Lebensereignissen auch wieder aufgesetzt werden.<sup>5</sup> So korreliert der Grad der MAO-A-Methylierung mit der Anzahl subjektiv erlebter positiver oder negativer Lebensereignisse. &laquo;Best&auml;tigen sich diese Pilotdaten, k&ouml;nnte in Zukunft die Epigenetik eine Erkl&auml;rung daf&uuml;r sein, wie es im Dialog zwischen Genetik und Umwelt zu Risikozust&auml;nden f&uuml;r psychische Erkrankungen kommen kann&raquo;, so die Expertin. M&ouml;glicherweise g&auml;be es dann auch wissenschaftliche Belege daf&uuml;r, dass mit pr&auml;ventiven, Resilienz st&auml;rkenden Massnahmen psychische Erkrankungen tats&auml;chlich verhindert werden k&ouml;nnen.</p> <h2>Auch Psychotherapie ver&auml;ndert Methylierung</h2> <p>Die epigenetische Forschung konnte bereits zeigen, dass auch Psychotherapie epigenetische Mechanismen beeinflusst. So nahm bei Patienten mit Panikst&ouml;rung und auch Patienten mit H&ouml;henphobie die MAOA- Methylierung zu,<sup>6, 7</sup> wenn sie auf eine kognitive Verhaltenstherapie angesprochen hatten. Bei Nichtrespondern dagegen hatte sich die Methylierung nicht ver&auml;ndert oder sie hatte sogar noch abgenommen. Die These, dass Psychotherapie tats&auml;chlich auch auf Zellkernebene wirkt und das Methylierungsmuster wieder normalisieren kann, wird nun mit neuen Studien weiter untersucht.</p> <h2>Pr&auml;diktion von uni- und bipolaren St&ouml;rungen</h2> <p>Um die Pr&auml;diktion und Entwicklung von Depressionen im Jugend- und Erwachsenenalter ging es im Vortrag von Prof. Dr. med. Martin Preisig, Chefarzt Psychiatrisches Departement am CHUV in Lausanne. Er pr&auml;sentierte Daten aus zwei laufenden Lausanner Langzeitstudien, die eine untersuchte Pr&auml;diktoren bei Adoleszenten,<sup>9</sup> die andere bei Erwachsenen.<sup>10</sup><br /> &laquo;Bei Kindern beg&uuml;nstigt eine Vorerkrankung eines Elternteils sowohl die Entwicklung von uni- wie von bipolaren St&ouml;rungen. Die elterliche Vorbelastung f&auml;llt jedoch bei der Manie mit einer Risikoerh&ouml;hung um etwa einen Faktor 10 deutlich st&auml;rker ins Gewicht als bei der Depression, bei der die elterliche Vorerkrankung das Risiko ungef&auml;hr verdoppelt&raquo;, erl&auml;uterte Prof. Preisig. Generell scheinen uni- und bipolare St&ouml;rung unterschiedlich pr&auml;diziert zu sein.<br /> Die Studie mit Kindern und Jugendlichen<sup>9</sup> identifizierte f&uuml;r die Manie vier Prodrome: Depression (Risikoerh&ouml;hung um Faktor 3,8), unterschwellige Hypomanie (Risikoerh&ouml;hung um Faktor 3,2), St&ouml;rung des Sozialverhaltens (Risikoerh&ouml;hung um Faktor 1,2) und Drogensucht (Risikoerh&ouml;hung um Faktor 1,7). &laquo;Alle Kinder mit diesen Prodromen vorsorglich mit Lithium oder einem atypischen Neuroleptikum zur Pr&auml;vention einer bipolaren St&ouml;rung zu behandeln w&auml;re allerdings ein Riesenunsinn &raquo;, betonte Prof. Preisig. Die Pr&auml;diktoren sind dazu viel zu unspezifisch. &laquo;Aber nat&uuml;rlich m&uuml;ssen wir diese Prodrome spezifisch behandeln, so wie man eben St&ouml;rungen im Sozialverhalten und submanische Zust&auml;nde am besten behandelt&raquo;, so der Referent.<br /> Die wichtigsten Pr&auml;diktoren f&uuml;r die Depression bei elterlich vorbelasteten Kindern sind Angstst&ouml;rungen. Die Trennungsangst erh&ouml;ht das Risiko um den Faktor 1,2, die generalisierte Angstst&ouml;rung um den Faktor 2,2 und die Panikst&ouml;rung gar um den Faktor 2,4. Eine wichtige Rolle spielen bei der Depression auch die Umweltfaktoren: Sexueller Missbrauch erh&ouml;ht das Risiko um den Faktor 3,8 und Gewalt in der Familie um den Faktor 1,8. &laquo;Die Spezifit&auml;t der Prodrome f&uuml;r die Depression ist etwas besser als bei der bipolaren St&ouml;rung&raquo;, sagte Prof. Preisig. Angesichts der Bedeutung der famili&auml;ren Umweltfaktoren bei der Ausl&ouml;sung einer Depression k&ouml;nnten soziale Massnahmen bei Kindern mit vorbelasteten Eltern zur Depressions-Pr&auml;vention sinnvoll sein.</p> <h2>Bei Erwachsenen sind Pr&auml;diktoren vom Subtyp abh&auml;ngig</h2> <p>Bei Erwachsenen sind die Pr&auml;diktoren wesentlich vom Subtyp der Depression abh&auml;ngig. Wie die Langzeitstudie<sup>10</sup> mit Erwachsenen in Lausanne ergab, ist eine unspezifische Depression am st&auml;rksten mit vorausgehenden negativen Lebensereignissen assoziiert. Bei der melancholischen Depression spielen haupts&auml;chlich Pers&ouml;nlichkeitsmerkmale wie Neurotizismus und vorhergehende unterschwellige depressive Syndrome eine Rolle. Bei der atypischen Depression erh&ouml;ht ein hoher BMI das Krankheitsrisiko um 70 % . Auch Neurotizismus und das Vorliegen von unterschwelligen depressiven Symptomen steigern die Inzidenz dieses Subtyps. &laquo;Die Pers&ouml;nlichkeitsdimension Neurotizismus ist charakterisiert durch eine Neigung zu Nervosit&auml;t, Reizbarkeit, Unsicherheit und &Auml;ngstlichkeit. Man kann sich vorstellen, dass eine erfolgreiche psychotherapeutische Behandlung dieser Pers&ouml;nlichkeitscharakteristika sowie die Behandlung von unterschwelligen depressiven St&ouml;rungen das Risiko f&uuml;r atypische und melancholische Depression verringern k&ouml;nnte&raquo;, betonte Prof. Preisig. Dasselbe gilt f&uuml;r die korrekte intern-medizinische Behandlung von metabolischen St&ouml;rungen zur m&ouml;glichen Pr&auml;vention von atypischen Depressionen.</p> <h2>Neues zur Therapie von Angsterkrankungen</h2> <p>Prof. Domschke pr&auml;sentierte in ihrem Referat &uuml;ber die Epigenetik auch einige Empfehlungen aus den neuen deutschen Leitlinien<sup>8</sup> zur Therapie von Angsterkrankungen. Diese empfehlen bei spezifischen Phobien in erster Linie die kognitive Verhaltenstherapie. Bei der sozialen Phobie, der Panikst&ouml;rung und generalisierten Angstst&ouml;rungen kommen sowohl psychotherapeutische Verfahren infrage als auch die pharmakologische Behandlung mit SSRI, SNRI oder Pregabalin. Das Antikonvulsivum Pregabalin ist bei der generalisierten Angstst&ouml;rung zugelassen und sehr gut wirksam, allerdings sollte man bei anderen Substanzabh&auml;ngigkeiten, vor allem Opiatabh&auml;ngigkeit, ein Missbrauchspotenzial beachten. Zur Vorsicht riet die Professorin beim Einsatz von Cannabispr&auml;paraten. Deren Wirksamkeit sei nicht nur nicht gen&uuml;gend belegt, sondern diese Mittel k&ouml;nnten im Falle von Angstst&ouml;rungen sogar negative Langzeiteffekte haben, betonte sie. Neue Studiendaten belegen hingegen bei generalisierten Angstst&ouml;rungen eine Wirksamkeit von Agomelatin, Quetiapin und Lavendel&ouml;l. Diese Wirkstoffe sind f&uuml;r die Behandlung von Angstst&ouml;rungen in Deutschland wie in der Schweiz allerdings (noch?) nicht zugelassen.</p></p> <p class="article-quelle">Quelle: 10<sup>th</sup> Swiss Forum for Mood and Anxiety Disorders (SFMAD), 4. April 2019, Zürich </p> <p class="article-footer"> <a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a> <div class="collapse" id="collapseLiteratur"> <p><strong>1</strong> Ziegler C et al.: Patho- and therapyepigenetics of mental disorders. Nervenarzt 2018; 89(11): 1303-14 <strong>2</strong> Domschke K et al.: Monoamine oxidase A gene DNA hypomethylation - a risk factor for panic disorder? Int J Neuropsychopharmacol 2012; 15(9): 1217-28 <strong>3</strong> Melas PA et al.: Genetic and epigenetic associations of MAOA and NR3C1 with depression and childhood adversities. Int J Neuropsychopharmacol 2013; 16(7): 1513-28 <strong>4</strong> Domschke K et al.: Pharmacoepigenetics of depression: no major influence of MAO-A DNA methylation on treatment response. J Neural Transm 2015; 122(1): 99-108 <strong>5</strong> Domschke K et al.: Monoamine oxidase A gene DNA hypomethylation - a risk factor for panic disorder? Int J Neuropsychopharmacol 2012; 15(9): 1217-28 <strong>6</strong> Ziegler C et al.: MAOA gene hypomethylation in panic disorder-reversibility of an epigenetic risk pattern by psychotherapy. Transl Psychiatry 2016; 6:e773 <strong>7</strong> Schiele MA et al: Plasticity of functional MAOA gene methylation in acrophobia. Int J Neuropsychopharmacol 2018; 21(9): 822-7 <strong>8</strong> Str&ouml;hle A et al.: The Diagnosis and treatment of anxiety disorders. Dtsch Arztebl Int 2018; 155(37): 611-20 <strong>9</strong> Preisig M et al.: The specificity of the familial aggregation of earlyonset bipolar disorder: A controlled 10-year follow-up study of offspring of parents with mood disorders. J Affect Disord 2016; 190: 26-33 <strong>10</strong> Rudaz DA et al.: Partially distinct combinations of psychological, metabolic and inflammatory risk factors are prospectively associated with the onset of the subtypes of Major Depressive Disorder in midlife. J Affect Dirsord 2017; 222: 195-203</p> </div> </p>
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