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Palliativmedizin bei fortgeschrittener und terminaler COPD
Jatros
Autor:
Dr. Barbara Wagener
Ärztliche Direktorin der Lungenklinik<br> Ballenstedt/Harz GmbH<br> E-Mail: b.wagener@lungenklinik-ballenstedt.de
30
Min. Lesezeit
10.05.2018
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<p class="article-intro">Bedingt durch ihren phasenhaften Verlauf stellt die COPD andere Anforderungen an die Palliativmedizin als etwa terminale Tumorerkrankungen. Dennoch sollte die Palliativmedizin auch bei fortgeschrittener und terminaler COPD so interdisziplinär und so zeitig wie möglich angewendet werden.</p>
<p class="article-content"><div id="keypoints"> <h2>Keypoints</h2> <ul> <li>In der Palliativmedizin stehen die Ziele und Wünsche des Patienten im Vordergrund. Gemeinsam mit der Familie und den Angehörigen soll die bestmögliche Lebensqualität erhalten werden.</li> <li>Unsicherheiten auf Patientenund Ärzteseite führen dazu, dass zu wenige COPD-Patienten der Palliativmedizin zugeführt werden.</li> <li>Patienten und deren Angehörige sollten in Intervallen über den Erkrankungsverlauf sowie die Behandlungsoptionen aufgeklärt werden.</li> <li>Bei fortschreitender, deutlich symptomlastiger Erkrankung sollte dem Patienten bereits die Palliativmedizin zur Verfügung stehen und ein interdisziplinäres Behandlungsteam sollte ihn von Anfang an (mit)betreuen.</li> </ul> </div> <p>Palliativmedizin ist die umfassende Betreuung von Patienten, deren Erkrankung nicht auf kurative Behandlung anspricht. Sie ist die aktive ganzheitliche Behandlung von Patienten mit einer progredienten, weit fortgeschrittenen Erkrankung und einer begrenzten Lebenserwartung. Die Beherrschung von Krankheitssymptomen, psychologischen, sozialen und spirituellen Problemen hat höchste Priorität. Ziel ist der Erhalt der bestmöglichen Lebensqualität, nicht die Verlängerung der Lebenszeit um jeden Preis. Ziele und Wünsche des Patienten stehen im Vordergrund. Wichtig ist die Einbeziehung der Familie und der Angehörigen.</p> <p>Zum Behandlungskonzept der Palliativmedizin gehören die qualifizierte Schmerzbehandlung, die begleitende Symptomtherapie, die individuelle Palliativpflege, die begleitenden Dienste mit Physiotherapie, Sozialdienst, Seelsorge, Psychoonkologie und ehrenamtlichem Hospizdienst einschließlich einer Trauerbegleitung.</p> <p>Analog zur Einbeziehung der Palliativmedizin bei fortgeschrittenen Tumorerkrankungen, bei der es gute Erfolge gibt, sollte die Palliativmedizin auch bei fortgeschrittener und terminaler COPD so interdisziplinär und so zeitig wie möglich angewendet werden.</p> <p>Wir haben es bei der COPD mit einer Volkskrankheit zu tun. Etwa 6 bis 8 Mio. Menschen in Deutschland leiden an einer COPD, jährlich sterben ca. 35 000 Menschen daran. Häufig liegt Multimorbidität vor mit schweren kardiovaskulären Begleiterkrankungen, Diabetes, Osteoporose oder Depressionen. Der Krankheitsverlauf der COPD ist schleichend, er beginnt häufig in überwiegend asymptomatischen bzw. „bronchitischen“ Stadien über Phasen mit Husten und Auswurf sowie ziliärer Dysfunktion. Der Beginn bronchialer Obstruktion, der zunehmende Umbau bronchialer Strukturen, der Verlust von Alveolarfläche und schließlich die Ausbildung einer Lungenüberblähung und die Störung des pulmonalen Gasaustausches werden häufig erst spät wahrgenommen bzw. diagnostiziert. Cor pulmonale, Hypoxämie und Hyperkapnie sind bereits Zeichen einer weit fortgeschrittenen Erkrankung.</p> <p>Palliativmedizin bei chronischen pulmonalen oder anderen Organerkrankungen ist anders zu verstehen als bei primär bösartigen Erkrankungen, bei denen es einen „eindeutigeren Schnitt“ gibt. Organerkrankungen verlaufen häufig phasenhaft, es gibt z.T. dramatische Einbrüche, z.B. im Rahmen der Exazerbationen, von denen sich die Patienten wieder gut erholen können und dann über längere Zeit zwar auf etwas niedrigem Niveau, aber sonst noch selbstbestimmt ihr Leben fortsetzen. Ziel sollte es sein, dass Palliativmedizin bereits bei fortschreitender Erkrankung, die schon deutlich symptomlastig ist, für Patienten zur Verfügung steht, um erst recht dann eingesetzt werden zu können, wenn die Patienten tatsächlich in der Terminalphase sind. Dies erfordert ein interdisziplinäres Behandlungsteam, das die Patienten von Anfang an über den ganzen Behandlungszeitraum (mit)betreut.</p> <p>Bei der palliativen Betreuung von onkologischen Patienten konnte bewiesen werden, dass Patienten, die einer frühen palliativen Führung unterzogen wurden, eine signifikante Verlängerung der Überlebenszeit hatten und am Lebensende eine wesentlich bessere Lebensqualität aufwiesen, weniger Angst und Depressionen hatten und viel häufiger zu Hause sterben konnten.<sup>1</sup></p> <p>Einen großen Überblick über die Literatur zum Thema „Palliative and end-oflife care conversations in COPD“ haben Tavares et al. zusammengetragen.<sup>2</sup> Vor dem Hintergrund, dass zwar signifikante Daten vorliegen, die für einen zeitigen Einsatz von Palliativmedizin auch bei fortgeschrittener COPD sprechen, war es dennoch für sie enttäuschend, wie wenig Ärzte tatsächlich Patienten in die Palliativmedizintherapie eingeschlossen haben. Das lag auf Patientenseite an Unwissen über ihre Erkrankung und Unsicherheit in Bezug auf den Erkrankungsverlauf sowie an Unwissen über die Inhalte von Palliativmedizin. Die Ärzte wussten nicht genau, wann der richtige Zeitpunkt sei, Palliativmedizin zu beginnen, und wie man die Patienten darin einschließen könnte. Von Vorteil für beide Seiten war, wenn beide schon einmal gute Erfahrungen mit Palliativmedizin bei fortgeschrittener COPD bei anderen Patienten gemacht hatten und insgesamt ein gutes Arzt-Patienten- Verhältnis bestand.</p> <p>Auch wurde in der Übersicht klar, dass sich Patienten häufig mit den Fragen des Sterbens auf der Intensivstation und am Beatmungsgerät beschäftigten, aber viele andere Fragen zum Leben und Lebensende, zu ihren wirklichen Wünschen und zu vielem mehr offenblieben.</p> <p>Bükki und Bausewein fragten Palliativpatienten, wo sie bevorzugt sterben würden. 34 % der Befragten benannten als bevorzugten Sterbeort ihr Zuhause, tatsächlich starben aber 38 % im Krankenhaus und nur 18 % zu Hause.<sup>3</sup></p> <p>Es gibt große Anstrengungen, das Palliativkonzept für Patienten mit terminaler COPD wirklich umzusetzen. Ein neues Modell zeigen Vermylen et al., die ganz klar darstellen, dass neben einer grundlegenden medizinischen Behandlung sehr zeitig eine spezielle unterstützende palliative Therapie als Basiselement greifen muss.<sup>4</sup> Außerdem sollte zeitig eine pulmonale Rehabilitation eingesetzt werden und parallel bereits bei therapierefraktärer Dyspnoe eine entsprechende pharmakologische Therapie erfolgen. Parallel zu dem gesamten Behandlungsprozess sind zunehmend Kommunikation, vorausschauende Planung, Krankheitsmanagement und Koordination essenziell. Die Patienten und ihre Angehörigen sollten in einer Art „Zukunftsgespräch“, das mehrzeitig erfolgen sollte, über die Erkrankung, ihre Diagnose, den Verlauf und die Behandlung aufgeklärt werden. Sie brauchen einen Behandlungsplan und es muss auch klar darüber gesprochen werden, wie man sterben könnte. Die medizinischen Ziele wie die Linderung der Atemnot, die Verbesserung der Funktionalität und die Verbesserung der Lebensqualität müssen definiert werden und für den Notfall muss ein „Notfallplan“ erstellt werden. Mit den Patienten müssen auch die Ziele, die Präferenzen und Wünsche für das Lebensende besprochen werden, die in eine Patientenverfügung münden sollten. Am Ende dieses Gespräches sollte ganz klar hinterfragt werden, ob auch alles gehört und verstanden wurde.<sup>5, 6</sup></p> <p>Dass so ein Konzept der frühen palliativen Führung gut funktionieren kann, haben Higginson und Bausewein 2014 in einer Studie ganz klar zeigen können.<sup>7</sup> 53 Patienten, denen sie einen „breathlessness support service“ zur Seite stellten, hatten im Vergleich zu nach „Standard“ versorgten Patienten wesentlich bessere Befindensdaten.</p> <p>In der Praxis stellt sich tatsächlich immer wieder die Frage, wann man mit der palliativen Führung beginnt. Screeningfragen könnten sein: Liegt eine fortgeschrittene chronische Erkrankung, eine progrediente lebensbedrohende Erkrankung oder beides vor? Wären Sie überrascht, wenn der Patient in den kommenden 6 bis 12 Monaten versterben würde? Wenn nicht, dann werden andere klinische Indikatoren bemüht wie schlechter Funktionszustand, eingeschränkte Selbstversorgung (Zubringen im Bett oder auf einem Stuhl mehr als 50 % des Tages), allgemeine Verschlechterung oder stetiger Gewichtsverlust (>10 % in den letzten 6 Monaten), mehr als zwei ungeplante Krankenhauseinweisungen in den letzten 6 Monaten oder zunehmender Betreuungsbedarf im Pflegeheim oder zu Hause.<br /> Daneben gibt es krankheitsspezifische Indikatoren wie schwere Obstruktion (FEV<sub>1</sub> <30 % ) oder Restriktion (Vitalkapazität <60 % , Transferfaktor <40 % ), Indikation zur Sauerstofflangzeittherapie (pO<sub>2</sub> <55mmHg), Dyspnoe bei Belastung im exazerbationsfreien Intervall, schwere therapierefraktäre Symptomatik, symptomatische Herzinsuffizienz, Body-Mass- Index <21, Zunahme notfallmäßiger stationärer Aufnahmen wegen Infektexazerbation und/oder respiratorischer Insuffizienz.<sup>3</sup></p> <p>Die medikamentöse palliative Therapie erfolgt nach Ausschöpfung von Bronchodilatatoren (Betasympathomimetika, Anticholinergika), systemischen und inhalativen Glukokortikoiden, von Roflumilast, Acetylcystein und anderen Broncholytika, von Inhalationen mit 3 % iger Kochsalzlösung und Berodual-Fertiginhalationen, Nahrungsergänzungen, Ernährungstherapie, intensiver Physiotherapie. Mittel der Wahl zur Therapie der Dyspnoe sind schließlich Opioide, für die es die besten Daten gibt. Sie können individuell oral oder parenteral eingesetzt werden. Eine Titration muss erfolgen, häufig sind 20mg Morphin pro Tag ausreichend. Opiate haben insbesondere bei immer vordergründiger werdender Luftnot sowie Angstzuständen und Depression ihren Stellenwert, gefolgt von Benzodiazepinen, trizyklischen Antidepressiva und Neuroleptika.<sup>8, 3</sup> Sauerstoff hat ebenso seinen Stellenwert und sollte entsprechend den Leitlinien und Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin (DGP), aber durchaus auch der palliativen Situation angepasst, eingesetzt werden. In fortgeschrittenen Phasen kann Sauerstoff eher zu einer Austrocknung der Nasenschleimhaut führen, sodass mitunter Handventilatoren, frische Luft durch ein geöffnetes Fenster bzw. freie Sicht für den Patienten in der palliativen Situation hilfreicher sind.</p> <p>Hohen Stellenwert haben physiotherapeutische Maßnahmen, neuromuskuläre Stimulation und Lagerungstechniken. Mitmenschliche Zuwendung, einfaches Zuhören und menschliche Nähe sind durch nichts zu ersetzen.</p> <p>Ähnlich wie in der Onkologie sollten im Rahmen eines vorausschauenden Konzeptes in der palliativen Versorgung bei der Behandlung von Patienten mit fortgeschrittener COPD ein Palliativmediziner, ein Pneumologe, gegebenenfalls ein Arzt mit Zusatzqualifikation für Naturheilkunde und Akupunktur, eine Krankenschwester mit „Palliative care“-Ausbildung und einer Ausbildung in aktivierender therapeutischer begleitender Pflege, eine Ernährungsberaterin, eine Physiotherapeutin und andere auf die Atemtherapie und auf Lungensport spezialisierte Teammitglieder sowie ein Sozialarbeiter, ein Psychoonkologe, ein Seelsorger und Hospizbedienstete in das Betreuungskonzept, das sowohl im stationären als auch im ambulanten Versorgungsraum greifen sollte, einbezogen werden. Das erfordert wiederum eine enge Zusammenarbeit mit den niedergelassenen Ärzten und Teammitgliedern, umfassende Informationen, Beratungen, ein funktionierendes Überleitungsmanagement und auch das Wissen aller Beteiligten um die möglichen Strukturen, die für den Patienten in der Region zur Verfügung stehen, damit hier die Patientenautonomie so weit wie möglich unterstützt werden kann.</p></p>
<p class="article-footer">
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<p><strong>1</strong> Tempel JS et al.: N Engl J Med 2 010; 3 63: 7 33-42 <strong>2</strong> Tavares N et al.: ERJ Open Res 2017; 3. pii: 00068-2016 <strong>3</strong> Bükki J et al.: Palliativmed 2013; 14: 257-67 <strong>4</strong> Vermylen JH et al.: Int J Chron Obstruct Pulmon Dis 2015; 10: 1543-51 <strong>5</strong> Thomas S et al.: Eur J Oncol Nurs 2011; 15(5): 459-69 <strong>6</strong> Weixler D: End of life Care bei COPD (Vortrag). 1. Internationale Sylter Palliativtage, 15. Mai 2012 <strong>7</strong> Higginson IJ et al.: Lancet Respir Med 2014; 2: 979-87 <strong>8</strong> Magnussen H et al.: Pneumologie 2009; 63: 289-95 • Pinnock H et al.: BMJ 2011; 342: d142 • Seamark DA et al.: J R Soc Med 2007; 100: 225-33</p>
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</p>
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