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Wintersport quo vadis?
Jatros
Autor:
Dr. Cornelia Zeitler
Vorsitzende der GOTS Young Academy
30
Min. Lesezeit
13.05.2019
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<p class="article-intro">Knieverletzungen im Wintersport waren das zentrale Thema des diesjährigen Treffens der GOTS Österreich vom 28. bis 31. März 2019.</p>
<hr />
<p class="article-content"><p>Das GOTS-Treffen Österreich fand dieses Jahr erstmalig in Hopfgarten im Brixental statt. Drei Tage lang lockten die Berge rundherum bei strahlend schönem Wetter – das spannende Programm war der einzige Grund, der Versuchung zu widerstehen. Dankenswerterweise bot das Kongressprogramm auch genügend Aktivitäten im Sportresort Hohe Salve – Move & Relax unter der Leitung von Patrick Koller, MSc, aber auch an der frischen Luft.</p> <p>Die Kongresseröffnung am ersten Abend erfolgte durch den neuen GOTSPräsidenten Prof. Dr. Romain Seil aus Luxembourg mit einem scharfsinnigen Vortrag zum Thema Evidenz in der Kniechirurgie oder – pointierter ausgedrückt – „Sinn und Unsinn in der rekonstruktiven Kniechirurgie“. Der Weg von der Innovation zur Evidenz ist lang. Er beginnt mit einer Idee, die initial von einer Handvoll Begeisterten exploriert und erweitert wird, bis es schließlich zu einem „tipping point“ kommt. Ab diesem Zeitpunkt fassen immer mehr Chirurgen Vertrauen zu dem neuen Verfahren und dessen Wert wird nach und nach durch Studien und Langzeitergebnisse abgesichert. Hat sich das Verfahren bewährt, bleibt es auch bestehen. Bleiben die guten Ergebnisse aus, wird eine kürzlich erst hochgepriesene Methode bald wieder in Vergessenheit geraten. Bezugnehmend auf dieses Modell wurden die meisten derzeit in der rekonstruktiven Kniechirurgie eingesetzten Verfahren von Prof. Seil kritisch auf den Prüfstand gestellt. Von der Knorpelchirurgie über die Problematik des Meniskuserhalts bzw. -ersatzes bis hin zu ligamentären Rekonstruktionsverfahren, Umstellungsosteotomien und Endoprothetik gab Prof. Seil einen umfassenden Überblick über Bewährtes und Experimentelles, untermauert durch aktuellste Literatur.</p> <p>Der Freitagvormittag stand ganz im Zeichen der Wintersportverletzungen. Dr. Roland Frank, ärztlicher Direktor der AUVA, hob die Relevanz und Notwendigkeit einer flächendeckenden Versorgung durch unfallchirurgische Häuser hervor, welche durch die AUVA auf Basis eines 4-Säulen-Modells (Prävention, Unfallheilbehandlung, Rehabilitation und Renten) gewährleistet wird.<br />In einer äußerst kritischen Beleuchtung der in der Wissenschaft zur Verfügung stehenden Methoden präsentierte Assoz.- Prof. Dr. Josef Kröll, Universität Salzburg, im Anschluss die positiven Effekte von z. B. Änderungen im Skiradius auf das Verletzungsrisiko im Skisport. Als größte Herausforderung könnte hierbei der Kompromiss zwischen Spaß und Sicherheit zu sehen sein.<br />Als völlig neues Konzept präsentierte das Unternehmen Ünique Skis Skimodelle nach Maßanfertigung, die ebenso auf sportliche Herausforderungen wie auf gesundheitliche Einschränkungen zugeschnitten werden können. Die in Handarbeit gefertigten und in Wien produzierten Ski konnten von den Kongressteilnehmern während der Sportpraxis am Nachmittag ausprobiert werden.<br />Dr. Heinz Kusche aus Peiting (Deutschland) zeigte mit eindrücklichen Videos und Bildern die Folgen auf, die der Gigantismus bei sportlichen Großereignissen, z. B. den Olympischen Winterspielen, für das Verletzungsrisiko im Sport haben kann. Die Frage der medizinischen Verantwortung, aber auch der Eigenverantwortlichkeit der Sportler konnte letztlich auch in der darauffolgenden regen Diskussion nicht vollends geklärt werden.<br />Zunehmend gewinnt der Skitouren- Sport an Beliebtheit, dessen Ansprüche und Gefahren durch Bergführer und Physiotherapeut Robert Schellander beleuchtet wurden. Auch hier zeigen sich Knieverletzungen führend bei Männern und Frauen.<br />Zuletzt wurde von Dr. Philipp Schultes, Salzburg, mit dem Eisklettern ein gefühlt sehr gefährlicher Sport beleuchtet, dessen Verletzungsrisiko jedoch nach aktueller Datenlage bei Weitem nicht so groß ist wie vielleicht angenommen. Als klassische Verletzungstypen wurden Rissquetschwunden, Prellungen wie auch Erfrierungen angeführt. Ein Absturz darf bei dieser Sportart nicht riskiert werden, die Folgen wären fatal.<br />Zu Mittag fand das klassische Arthrex- Meeting mit gemeinsamem Gedankenaustausch und Produktbesprechung statt. Nach Sportpraxis auf der Piste ging es schließlich am Nachmittag thematisch passend weiter mit einem Block zum Thema „Knieverletzungen im Wintersport“. Dr. Bernd Hiller, Salzburg, betonte die standardisierte Vorgehensweise in Diagnostik und Versorgung bei Schienbeinkopffrakturen, die ebenso wie das Schaffen von idealen Rahmenbedingungen für die teilweise komplexe Versorgung unabdinglich ist.<br />Für häufige Begleitverletzungen oder Folgeschäden nach Knietraumata im Wintersport von höchster Relevanz wurde von Past-Präsident Prof. Dr. Stefan Nehrer die derzeitige Wissenslage zu Knorpeltherapieverfahren zusammengefasst. Auch mögliche Kombinationsvarianten mit Mikrofrakturierung und matrixgestützten Verfahren wurden zur Diskussion gebracht.<br />Romain Seil rückte in seinem Vortrag zu Meniskusläsionen die Rampen- und Wurzelläsion als häufig übersehene oder nicht adressierte Begleitpathologie in den Fokus, die langfristig zu bleibender Instabilität im Kniegelenk führen kann.<br />In einem erfrischend humorvollen Vortrag rechnete Dr. Gerhard Oberthaler, Salzburg, mit vielen „innovativen“ Verfahren in der Therapie der VKB-Ruptur ab, für die jede Langzeitevidenz fehlt. „Remnant preserving reconstruction“, ACP und „healing response“, die Axolotl-Methode und „internal bracing“ wurden ebenso wie das sogenannte „Andübeln“ einzeln unter die Lupe genommen und ihre Evidenz geprüft.<br />Die Komplexität der Versorgung von Multiligamentverletzungen konnte Prof. Dr. Wolf Petersen, Berlin, zeigen. Mit einem Hinweis auf die anatomischen Grundlagen und die wirkenden Kräfte bei diesen Verletzungen bot er verschiedene Strategien zur Versorgung an. In der an den Vortrag anschließenden Diskussion zeigte sich einmal mehr, dass gerade in der Versorgung solcher Verletzungen einerseits ein konkreter Plan und andererseits hohe fachliche Kompetenz nötig sind.<br />Auch Doz. Dr. Thomas Müllner, Wien, zeigte mit dem Hinweis auf höhere Versagensraten von VKB-Plastiken bei Vorliegen von Begleitverletzungen der Seitenbänder die Notwendigkeit der komplexen Versorgung auf.<br />In seiner zweiten Präsentation hielt Prof. Seil ein Plädoyer für die medizinische Verantwortung in der Versorgung von kindlichen Kreuzband- und Meniskusverletzungen mit dem Hinweis, dass „return to sports“ bei offenen Wachstumsfugen nicht das primäre Therapieziel sein darf. Er betonte die Notwendigkeit eines engen Follow-ups bei primär konservativen Therapieversuchen aufgrund der Gefahr einer sekundären Dekompensation mit einer oft klinisch stummen hohen Rate an sekundären Meniskusschäden.<br />Abschließend erstaunte Doz. Dr. Gerd Bodner, Wien, mit den Möglichkeiten, die sich bei gekonnter Ausführung durch die Neurosonografie bieten. Gerade in postoperativem Setting oder nach Kniegelenksluxationen liegt deren Stellenwert sogar noch über dem der MRT-Diagnostik.<br />Als sportlicher Ehrengast war dieses Jahr Skisprunglegende und Sportphilosoph Mag. Anton Innauer geladen, der im Interview mit Dr. Klaus Dann, Wien, spannende Einblicke in seine Karriere und den österreichischen Skisprungsport gab und kritische Anmerkungen zu Skiverletzungen machte.</p> <p>Am Samstagvormittag wurden die Mini Battles – Behandlungsstrategien – Sportverletzungen am Knie unter dem Titel „Ortho meets Trauma“ durchgeführt. Die primäre Implantation einer Knieteilprothese nach Fraktur beim Schienbeinkopf scheint nur in den seltensten Fällen und bei Unversehrtheit der Metaphyse eine Option zu sein, wie Dr. Christian Lang und Dr. Siegfried Kornberger, beide Salzburg, einhellig feststellten. Die komplexe Knieinstabilität/Knieluxation sollte laut Wolf Petersen und Gerhard Oberthaler nur in speziellen Traumazentren versorgt werden, da ein „Single step“-Procedere nur mit hohem chirurgischem Können und dem nötigen Set-up zu bewerkstelligen ist. Eine Option wären auch die Erstversorgung der Peripherie und eine Sekundärversorgung des Zentralpfeilers, wobei dem Ersatz des hinteren Kreuzbandes ein hoher Stellenwert eingeräumt wird. Alternativ dazu gibt es auch einige Fallberichte mit „internal bracing“ und „external bracing“ des verletzten Kapselbandapparates.</p> <p>Bezüglich der Verwendung von Autografts für die Kreuzbandersatzoperationen konnten Dr. Stefanie Syré, Schladming, und Doz. Gerald Gruber, Graz, eine patienten- und verletzungsspezifische Versorgung empfehlen. Die Anwendung der Hamstringsehnen sollte nicht bei medialen Instabilitäten und hohem Sportanspruch erzwungen werden, da sowohl Kurzzeit- als auch Langzeitergebnisse deutlich schlechter sind als bei Strecksehnentransplantaten. Die Reruptur- und Versagensraten der Hamstringsehnentransplantate sind wegen mangelnder ossärer Integration und zu früher Belastung ebenfalls höher. Ob die Quadrizepssehne der „rising star“ der Kreuzbandchirurgie wird, bleibt abzuwarten. Die Entnahmetechnik muss schonend erfolgen, um den negativen Einfluss auf den Streckapparat zu minimieren. Der Einsatz gestielter Sehnenanteile wie Adduktorplastik bzw. Quadrizepssehne bei der Patellainstabilität hat den Vorteil, dass diese Technik auch bei offenen Wachstumsfugen zur Anwendung kommen kann. Der MPFL-Ersatz durch die Gracilissehne muss exakt proximal am Femur am „Schöttlepunkt“ und mit korrekten Bohrungen an der Patella durchgeführt werden.<br />Mittags konnte dann als Outdooraktivität ein Kurs für die Lawinen-Verschütteten- Suche (LVS) von Bergführer Robert Schellander belegt und die Anwendung von LVS-Gerät, Sonde und Schaufel an Dummies trainiert werden<br />Am Nachmittag wurde ein ganzer Block der Prävention und Rehabilitation nach Wintersportverletzungen gewidmet. Dieser wurde eröffnet durch PD Dr. Karin Pieber, Wien, die das Problem der „arthrogenic muscle inhibition“ bei VKB-Rupturen und die damit einhergehende Muskelatrophie ins Zentrum ihrer Überlegungen stellte und anhand verschiedener Studien zeigen konnte, dass eine präoperative Physiotherapie mit Kraftaufbau vor allem im Quadrizeps das Operationsergebnis nach VKB-Plastik verbessert.<br />Dr. Walter Bily, Wien, betonte in seinem Vortrag zu postoperativer Behandlung von VKB-Rupturen, dass neben der mechanischen Verletzung auch immer eine neurophysiologische besteht. Ein Wiederaufbau dieser Defizite kann vor allem zu Beginn der Rehabilitation etwas dauern und durch postoperative Schmerzen gehemmt werden. Getreu dem Motto „start slow to end fast“ (R. Biedert) propagierte er eine individuelle Nachbehandlung, die sich vor allem zu Beginn nach dem Heilungsprozess richtet.<br />Im Laufe der Rehabilitation kommt meist schon sehr früh von Sportlern die Frage, wann sie wieder Sport betreiben dürfen. Dass vor allem in den Medien, aber auch durch Kollegen absurd kurze Rehabilitationszeiten mit vollem Wiedereinstieg in den Sport nach z. B. 3 Monaten propagiert werden, macht die Argumentation diesen Patienten gegenüber nicht einfacher. Klaus Dann präsentierte teilweise ernüchternde Ergebnisse beim Einsatz einer „Back to sports“-Testbatterie, bei der nur 4,8 % der Patienten die Voraussetzungen für „back to sports“ auf nicht kompetitivem Level nach 6 Monaten postoperativ erfüllt haben. Er konnte damit die Notwendigkeit solcher Testbatterien zeigen, um funktionelle Defizite herauszuarbeiten, ebenso wie deren Nutzen, um den Patienten klar zu zeigen, warum eine Rückkehr zum Sport noch nicht sinnvoll ist.<br />Dass es mittlerweile zahllose Möglichkeiten gibt, die Rehabilitation nach Sportverletzungen einfacher und attraktiver zu gestalten, zeigte Laurenz Dann, MSc, OPED GmbH, Valley (Deutschland), mit der Vorstellung einer „intelligenten Orthese“, die durch Messung der Lage im Raum eine genaue Dokumentation des Rehabilitationsfortschritts erlaubt und die Patienten auch beim Üben zu Hause unterstützt. Ein bereits etabliertes Programm in der Prävention von Knieverletzungen, STOP-X, stellte Wolf Petersen vor. Mit dem Wissen, dass für die meisten VKB-Rupturen ein Valguskollaps verantwortlich ist, wird dem funktionellen X-Bein in diesem Programm der Kampf angesagt und erste Studien konnten bereits eine signifikante Reduktion von Knieverletzungen um ca. 50 % nach Integration des Programmes in das Training nachweisen.<br />Dass man von den Fehlern oder Erfahrungen anderer lernen kann, bewies wieder einmal die abschließende Uups-Sitzung, in der spannende Fälle mit atypischem Verlauf präsentiert wurden.<br />Zuletzt folgte die Vergabe des Nachwuchsförderpreises der Firma Otto Bock an Philipp Winkler von der GOTS Young Academy, der mit seiner Arbeit „Qualitative Analyse der dynamischen Außenmeniskusextrusion bei genähtem Radiärriss“ bewies, dass qualitativ hochwertige Forschung bereits in jungen Jahren möglich ist.<br />Traditionell wurde der Kongress nach Beendigung des wissenschaftlichen Programms mit einem Musikprogramm abgeschlossen. Die wissenschaftlichen Leiter Klaus Dann und Stefan Nehrer zeigten erneut, dass auch ein Kongress von großem Format und hoher Qualität gleichzeitig Spaß machen und in freundschaftlicher Atmosphäre ablaufen kann.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2019_Jatros_Ortho_1903_Weblinks_jatros_ortho_1903_s44+46_bilder_gots.jpg" alt="" width="800" height="421" /></p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2019_Jatros_Ortho_1903_Weblinks_jatros_ortho_1903_s45_bilder_gots.jpg" alt="" width="800" height="388" /></p> <p><br />Unser Dank gilt allen Teilnehmern, Vortragenden und Vorsitzenden, Bergführer Robert Schellander, Patrick Koller vom Sportresort Hohe Salve – Move & Relax, den Ehrengästen Romain Seil und Toni Innauer, den Mitorganisatoren Stefanie Syré und Philipp Schultes, der GOTS Fellowine Cornelia Zeitler und ihrem Team, Christine Dominkus für die Werbemöglichkeit durch <em>JATROS Orthopädie & Traumatologie Rheumatologie</em> und vor allem den treuen Sponsoren dieser Veranstaltung! K. Dann, S. Nehrer</p></p>
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