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Wenn eine Reparatur nicht mehr sinnvoll ist: Megaprothesen als Ersatz für defekten Knochen
Jatros
Autor:
o. Univ.-Prof. Dr. Reinhard Windhager
Universitätsklinik für Orthopädie und Unfallchirurgie<br> Medizinische Universität Wien
Autor:
Dr. Sebastian Apprich
Universitätsklinik für Orthopädie und Unfallchirurgie<br> Medizinische Universität Wien
Autor:
Assoz. Prof. PD Dr. Bernd Kubista, MSc
Universitätsklinik für Orthopädie und Unfallchirurgie<br> Medizinische Universität Wien<br> E-Mail: bernd.kubista@meduniwien.ac.at
30
Min. Lesezeit
14.02.2019
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<p class="article-intro">Bei der Versorgung komplexer Frakturen im hohen Lebensalter ergeben sich besondere Anforderungen an das chirurgische Verfahren und den Operateur. Oft bestehen eine sehr schlechte Knochenqualität und Heilungstendenz. Zusätzlich ist eine rasche gewichtsbelastende Mobilisierung in dieser Altersgruppe von entscheidender Bedeutung. Diese Anforderungen sind oft nur mit dem Ersatz des Knochens durch eine Megaprothese zu erfüllen.</p>
<p class="article-content"><div id="keypoints"> <h2>Keypoints</h2> <ul> <li>Megaprothesen bieten die Möglichkeit, große Knochendefekte bei schlechter Knochenqualität zu ersetzen.</li> <li>Aufgrund des geringeren Langzeitüberlebens stellen sie die letzte Option dar, bevorzugt für ältere Patienten.</li> <li>Die Ergebnisse rechtfertigen den zunehmenden Einsatz von Megaprothesen auch in der Behandlung periprothetischer Frakturen.</li> <li>Komplikationsraten können durch exakte Planung und Zusammenarbeit von Spezialisten minimiert werden.</li> </ul> </div> <p>Die Anzahl an Knie- und Hüftgelenkersatzoperationen in Österreich hat in den letzten Jahren stark zugenommen. Österreich liegt, was die Anzahl durchgeführter Gelenkersatzoperationen betrifft, im Spitzenfeld aller OECD-Staaten. Daher ist es nicht verwunderlich, dass auch die Anzahl an Revisionsoperationen stetig zunimmt und alle Prognosen einen weiteren deutlichen Anstieg vorhersagen. Aufgrund verbesserter perioperativer Möglichkeiten können immer ältere Menschen endoprothetisch versorgt werden. Gleichzeitig steigt auch die Lebenserwartung immer weiter an. Gerade in dieser Patientengruppe ist die periprothetische Fraktur einer der häufigsten Revisionsgründe und mit sehr hoher perioperativer Mortalität verbunden. Oftmals bedeutet eine periprothetische Fraktur im hohen Alter den Verlust von Selbstständigkeit und in weiterer Folge Pflegebedürftigkeit. Häufig besteht bei diesen Patienten ein deutlich herabgesetzter Allgemeinzustand; zahlreiche Komorbiditäten erschweren den Heilungsverlauf und fordern spezielle Therapieansätze. Es ist daher gerade in dieser Patientengruppe besonders wichtig, ein Therapieverfahren zu wählen, das die Länge des resezierten und defekten Knochens exakt ausgleichen kann, sofort belastungsstabil ist und eine rasche postoperative Mobilisierung ermöglicht, damit das Risiko für weitere perioperative Komplikationen reduziert werden kann.</p> <h2>Megaprothesen in der Orthopädie</h2> <p>Als Megaprothesen bezeichnet man Implantate, die in der Lage sind, große Knochendefekte zu überbrücken oder zu ersetzen. Diese Systeme wurden während der letzten 40 Jahre ständig erweitert und verbessert, wodurch es möglich wurde, sogar das gesamte Femur durch ein Implantat zu ersetzen. Sie wurden ursprünglich für die Behandlung großer Knochendefekte in der Tumororthopädie entwickelt und haben die extremitätenerhaltende Tumorchirurgie ermöglicht. In den letzten Jahren wurde der Einsatz dieser modularen Systeme auf andere Anwendungsgebiete der Orthopädie und Unfallchirurgie ausgedehnt. Indikationen für den Einsatz von Megaprothesen im nichtonkologischen Bereich sind unter anderem Frakturen mit großem Knochenverlust oder schlechter Knochenqualität, Pseudarthrosen mit Knochendefekt und immer öfter periprothetische Frakturen mit Lockerung, schlechter Knochenqualität und Defekten, die eine sichere Verankerung und einen Längenausgleich mit Standard- Revisionsimplantaten nicht erlauben. Die Modularität dieser Systeme erlaubt es, das Implantat an nahezu jede Defektsituation anzupassen. Zusätzlich besteht auch die Möglichkeit, diese Prothesen mit Silber zu beschichten und damit zu versuchen, die hohe Infektionsrate dieser Implantate zu verringern.<br /> Im onkologischen Bereich haben sich diese Systeme in zahlreichen Studien bewährt. Allerdings sind diese Ergebnisse nicht mit den Ergebnissen der Primärendoprothetik vergleichbar. Vor allem die Komplikationsrate und das Langzeitüberleben dieser Implantate sind deutlich schlechter als bei der Verwendung von Primärimplantaten. Im onkologischen Bereich wird das aufgrund mangelnder Alternativen von den meisten Chirurgen akzeptiert. Bei der Anwendung im nichtonkologischen Bereich muss man die höhere Komplikationsrate und das häufigere Implantatversagen gegen die Vor- und Nachteile der alternativen Therapieoptionen sorgfältig abwägen. Dies gilt umso mehr für die Versorgung periprothetischer Frakturen bei jungen Patienten.</p> <h2>Proximaler Femurersatz</h2> <p>Periprothetische Frakturen mit ausgedehntem Knochenverlust, mehrfach fehlgeschlagene Osteosyntheseversuche sowie komplexe Frakturen bei älteren Patienten stellen die Indikationen für die Implantation einer Megaprothese dar. Die Indikation kann mit zunehmendem Alter des Patienten großzügiger gestellt werden. In dieser Patientengruppe sind die Anforderungen an das Implantat nicht so groß und die geringere Lebenserwartung reduziert die Wahrscheinlichkeit einer notwendigen Revisionsoperation.<br /> Obwohl die Rekonstruktion der Defekte mit einer Megaprothese für einen mit der Endoprothetik vertrauten Chirurgen technisch einfach durchzuführen ist, ergeben sich häufig Komplikationen, die Revisionseingriffe notwendig machen. Neben der Infektionsgefahr ist Instabilität eine der häufigsten Komplikationen bei proximalem Femurersatz. Der Grund dafür ist der Verlust der stabilisierenden Wirkung der Hüftmuskulatur durch fehlende verlässliche Verankerungsmöglichkeiten an der Prothese. Fixationsversuche mittels Kunstbändern haben sich in der Vergangenheit nicht bewährt. Wenn allerdings Reste des Trochantermassivs mit inserierender Muskulatur vorhanden sind, kann dieses an der Prothese mit Kabelsystemen befestigt werden, um eine Bindegewebeverbindung herbeizuführen und damit die Stabilität der Hüfte zu erhöhen.<br /> Auf Seite der Hüftpfannen hat sich in den letzten Jahren die Verwendung von sogenannten Dual-Mobility-Pfannensystemen zur Erhöhung der Stabilität durchgesetzt. Trotz aller Anstrengungen bleibt die Instabilität nach wie vor eines der häufigsten Probleme nach proximalem Femurersatz. Auch die Infektionsrate ist im Vergleich zur Primärendoprothetik deutlich erhöht und zählt zu den gefürchtetsten Komplikationen. Hier konnte die Beschichtung mit Silber in Studien die Infektionsrate senken. Probleme mit der Verankerung sowie neuerliche Frakturen stellen weitere Revisionsgründe dar. Bei unzureichenden Verankerungsmöglichkeiten ist mitunter auch der komplette Femurersatz indiziert.</p> <h2>Distaler Femurersatz</h2> <p>Indikationen für den distalen Femurersatz sind periprothetische Frakturen mit massivem Knochenverlust, Pseudarthrosenbildung nach fehlgeschlagener Osteosynthese und Trümmerfrakturen bei älteren Patienten. Der distale Femurersatz ermöglicht die frühe belastende Mobilisierung und erhält die Beweglichkeit im Gelenk. Eine Vielzahl an modularen Megaprothesen für den distalen Femurersatz steht zur Verfügung. Die Verankerung kann mittels zementfreier und zementierbarer Stiele erfolgen. Viele dieser Systeme erlauben auch eine zusätzliche metaphysäre Verankerung mittels hochporöser „cones“ oder „sleeves“. Zu den Komplikationen zählen vor allem Probleme mit dem Streckapparat, Wundheilungsstörungen und Infektionen. Dennoch ist der distale Femurersatz eine etablierte letzte Option in der Behandlung distaler Femurfrakturen mit ausgeprägten Knochendefekten und kommt immer häufiger zum Einsatz.</p> <h2>Totaler Femurersatz</h2> <p>Die Versorgung periprothetischer Frakturen mit proximalem oder distalem Femurersatz setzt eine ausreichende Verankerungsstrecke und Qualität des verbleibenden Knochens voraus. Wenn eine ausreichende Verankerung nicht gewährleistet werden kann, ist der totale Femurersatz indiziert. Hierbei gelten dieselben Überlegungen wie bei proximalem und distalem Femurersatz hinsichtlich Komplikationsvermeidung und Operationstechnik. Insbesondere die exakte präoperative Planung ist essenziell, um übermäßige Beinlängendifferenzen und dadurch mögliche Nervenläsionen zu verhindern.</p> <h2>Ergebnisse für Megaprothesen: aktuelle Studienlage</h2> <p>Die aktuelle Fachliteratur zur Behandlung von periprothetischen Femurfrakturen mittels Megaprothesen ist auf wenige Studien limitiert. Rezente Arbeiten beschreiben entweder kleine Patientenkollektive oder einzelne Patienten innerhalb von größeren Patientenkohorten, welche aufgrund anderer Ursachen (primäre Frakturen, septische und aseptische Revisionen) mit Megaprothesen behandelt wurden.</p> <p><strong>Proximaler Femurersatz</strong><br />In einer systematischen Übersichtarbeit von Korim et al. aus 2014 wurden 14 Arbeiten mit einem mittleren Follow-up von 3,8 Jahren (0–14 Jahre) zusammengefasst. Von insgesamt 356 Patienten wurden 96 aufgrund einer periprothetischen Fraktur behandelt. Die Reoperationsrate variierte zwischen 13,3 % und 40 % für die Gruppe der periprothetischen Frakturen und betrug insgesamt 23,8 % . Luxationen (15,7 % ) und Infektionen (7,6 % ) waren die häufigsten Komplikationen. Die Mortalitätsrate variierte zwischen 0 % und 40 % .</p> <p><strong>Distaler Femurersatz</strong><br /> Einen Überblick über die aktuelle Studienlage bezüglich der Versorgung distaler periprothetischer Femurfrakturen mittels Megaprothesen gibt eine Übersichtsarbeit von Windhager et al. aus 2016 anhand von 147 Patienten aus 8 Studien. Die Mortalitätsrate variierte innerhalb der Studien zwischen 0 % nach 6 Monaten, 6,6 % nach 1 Jahr und 45 % nach 3 Jahren. Die operativen Revisionsraten betrugen zwischen 0 % nach 6 Monaten und 55 % nach 3 Jahren. 47 % aller Versagensursachen entfielen dabei vorrangig auf Infektionen, 29 % auf strukturelle Versagen wie z.B. neuerliche periprothetische Frakturen.</p> <p><strong>Totaler Femurersatz</strong><br />Die größte Fallserie von 20 Patienten, welche nach periprothetischer Fraktur mit totalem Femurersatz behandelt wurden, wurde von Clement et al. publiziert. Im Großteil der Fälle handelte es sich um eine PPF des Hüftgelenkes, bei 7 Patienten lag zusätzlich eine KTEP ein. Die Indikation stellte sich in den meisten Fällen aufgrund von Pseudarthrosebildung nach gescheiterter ORIF. Medizinische Komplikationen ereigneten sich in 25 % der Fälle. Ein Patient musste aufgrund einer Luxation und 2 Patienten mussten aufgrund einer periprothetischen Infektion behandelt werden, welche in einem Fall die Amputation zur Folge hatte. Die 1-Jahres-Mortalität lag bei 5 % (1 Patient). Die 10-Jahres-Mortalität betrug 58 % , das 10-Jahre-Implantatüberleben 86 % .<br /> Töpfer et al. erhoben das Outcome nach totalem Femurersatz aufgrund 11 periprothetischer Femurfrakturen und 7 aseptischer Prothesenlockerungen in einem mittleren Follow-up von 80 Monaten. Alle Patienten waren bereits vor dem totalen Femurersatz mehrfach operiert worden. Es zeigte sich eine Rate von 44 % Implantatversagen nach 5 Jahren. Insgesamt blieben nur 5 Patienten revisionsfrei, resultierend in einer Komplikationsrate von 72 % . Der Großteil der Revisionsoperationen musste aufgrund von Luxationen durchgeführt werden. Am zweithäufigsten ergab sich ein Versagen aufgrund von Infektionen. Die Autoren schlussfolgern, dass die hohen Komplikations- und Revisionsraten nach totalem Femurersatz einer strengen Indikationsstellung und eines akribischen Abwägens der Vor- und Nachteile dieser Versorgungsoption im individuellen Fall bedürfen.</p> <h2>Eigene Nachuntersuchungen</h2> <p>Im Rahmen einer retrospektiven Studie wurden 33 Patienten, die mittels einer modularen Megaprothese versorgt wurden, nachuntersucht. Das klinische Outcome wurde anhand der postoperativen Mortalitäts- und Revisionsrate erhoben. Die Versagensursachen wurden anhand der Klassifikation von Hendresson et al. eingeteilt.<br /> Die Gesamtmortalität lag bei einem mittleren Follow-up von 60 Monaten bei 39 % (n=13/33). Die 1-Jahres-Sterblichkeit lag bei 18 % , die 3-Jahres-Sterblichkeit bei 21 % . Eine differenzierte Darstellung der postoperativen Mortalität anhand der Megaprothesenlokalisation zeigte eine erhöhte Sterblichkeit für den distalen Femurersatz (27 % ) nach 1 Jahr gegenüber dem proximalen (8 % ) und totalen Femurersatz (14 % ), dies jedoch ohne statistische Signifikanz (p=0,326, Abb. 3).<br /> Insgesamt mussten bei 13 Patienten (39 % ) im weiteren Verlauf eine oder mehrere Revisionen (n=1–5; insgesamt 26) durchgeführt werden. Die vorrangigsten Versagensgründe laut Henderson et al. stellten hierbei Typ 4 (Infektion) in 39 % und Typ 1 (Weichteilversagen) in 31 % dar (Abb. 4).<br /> Die Rate an operativen Revisionen eines proximalen Femurersatzes betrug 25 % , wobei in allen Fällen eine Luxation ursächlich war. Bei einem Patienten konnte eine gedeckte Reposition durchgeführt werden. Beim distalen Femurersatz zeigte sich eine Revisionsrate von 43 % . 3 Patienten mussten septisch revidiert werden, bei 2 Patienten kam es zu einer aseptischen Lockerung und ein Patient erlitt eine neuerliche PPF-Fraktur. Im Falle des totalen Femurersatzes mussten 3 von 7 Patienten operativ revidiert werden, wobei in 2 Fällen eine Infektion und in 1 Fall eine Luxation ursächlich waren.</p> <h2>Conclusio</h2> <p>Der Einsatz einer Megaprothese ist eine etablierte und evaluierte Behandlungsoption für die Behandlung periprothetischer Frakturen mit ausgedehnten Knochendefekten. Die Weiterentwicklungen der letzten Jahre betreffen vor allem Verbesserungen der Materialien und des Prothesendesigns, Beschichtungen zur Infektionsprophylaxe und verbesserte Verankerungsmöglichkeiten. Die Entscheidung für den Einsatz einer Megaprothese zur Therapie einer periprothetischen Fraktur wird vor allem vom Patientenalter, von der Knochenqualität und von den individuellen Bedürfnissen des Patienten beeinflusst. Die Komplikationsraten bleiben allerdings hoch und betreffen vor allem den Weichteilmantel, Luxationen und Infektionen. Die geringe Fallzahl und die Komplexität der Implantatsysteme sprechen für den Einsatz an spezialisierten Zentren unter Mitbeteiligung endoprothetisch und unfallchirurgisch geschulter Chirurgen.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2019_Jatros_Ortho_1901_Weblinks_jatros_ortho_1901_s17_abb1+2.jpg" alt="" width="1476" height="2451" /></p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2019_Jatros_Ortho_1901_Weblinks_jatros_ortho_1901_s18_abb3+4.jpg" alt="" width="1458" height="1642" /></p></p>
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