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Überlastungssyndrome: von der Pathogenese zur Therapie

Dieser Artikel gibt einen Überblick über pathogenetische Konzepte, typische klinische Erscheinungsformen, diagnostische Möglichkeiten und therapeutische Ansätze in Bezug auf Überlastungssyndrome. Im Fokus stehen insbesondere Tendinopathien, Stressreaktionen am Knochen, Stressfrakturen und die Osteochondrosis dissecans.

Keypoints

  • Überlastungssyndrome zeigen einen schleichenden Beginn bei zugrunde liegenden repetitiven Mikrotraumata.
  • Tendinopathien, Stressreaktionen, Stressfrakturen und die Osteochondrosis dissecans zählen zu den typischen Überlastungsverletzungen.
  • Chronisch-systemische Entzündungsprozesse, Matrix- Metalloproteinasen und Sauerstoffradikale spielen wahrscheinlich eine Rolle in der Pathogenese von Tendinopathien.
  • Konservative Therapiemodalitäten und Verhaltensadaptionen führen in den meisten Fällen zu zufriedenstellenden Ergebnissen.

Die Diagnose eines Überlastungssyndroms basierte traditionell auf der Abwesenheit eines einzelnen, identifizierbaren traumatischen Ereignisses. Diese sehr breit gefächerte Beschreibung führte dazu, dass der Terminus für unzählige Krankheitsbilder herangezogen wurde. Neuere Publikationen sprechen sich dafür aus, Überlastungssyndrome erst dann zu diagnostizieren, wenn aus der Anamnese erstens ein Mechanismus mit schleichendem Beginn und zweitens eine zugrunde liegende Pathogenese von repetitiven Mikrotraumata vorliegen. Ätiologisch besteht ein dynamisches multifaktorielles Geschehen aus meist beruflichen bzw. sportartspezifischen stereotypen Belastungen, gepaart mit intrinsischen und extrinsischen Risikofaktoren. Speziell im Sport können exzessive Belastungen, insuffiziente Erholung und eine allgemeine Überforderung bei unangepasstem Leistungsniveau zu Überlastungsverletzungen an Knochen, Muskeln, Sehnen und Bändern führen.

Tendinopathien

Tendinopathien findet man häufig bei Berufs- und Hobbyathleten mit exzessiven Sehnenbelastungen. Die Pathophysiologie ist jedoch nicht zur Gänze geklärt. Repetitive Mikroverletzungen bei zeitgleich fehlenden Regenerationsmöglichkeiten führen zu einem fortschreitenden mechanischen Zusammenbruch des Sehnengewebes. Zusätzlich tragen extrinsische Faktoren wie Technikmangel oder inadäquates Equipment zu einer vermehrten Sehnenbelastung bei. Aber auch intrinsische Faktoren wie der Muskelstatus, Bandstabilität oder die umgebende Knochenstruktur können die Entstehung begünstigen.
Histopathologisch spielen sich tendinopathische Prozesse auf einem Kontinuum zwischen frühen entzündlichen/peritendinitischen und späteren degenerativen Stadien ab. Die Sehne verliert zunehmend an Kollagendichte und Faserorientierung. Im Normalzustand reagieren Tenozyten auf Belastungen bzw. Verletzungen der Gewebematrix mit einem physiologischen Adaptationsprozess. Bei Tendinopathien kommt es jedoch zu einer ineffektiven Reaktion mit Degenerationen von Tenozyten, Mikroeinrissen an kollagenen Fasern und einem relativen Anstieg an nichtkollagener Matrix. Neben höheren Anteilen an reparativem Kollagen Typ III kommt es zu einer gesteigerten Vaskularität und Bildung von insuffizientem Füllgewebe. Elektronenmikroskopisch konnten dabei unterschiedliche Variationen an Degenerationstypen beschrieben werden: 1) hypoxische Degeneration, 2) hyaline Degeneration, 3) mukoide oder myxoide Degeneration, 4) fibrinoide Degeneration, 5) lipoide Degeneration, 6) Kalzifikation und 7) fibrokartilaginäre oder knöcherne Metaplasie. Für die Initiierung dieses Prozesses werden aktuell mehrere pathogenetische Vorgänge diskutiert:

  • Der Einfluss von chronisch-systemischen Entzündungsprozessen: Höhere Inzidenzen an Tendinopathien bei Patienten mit Adipositas und reduzierter Insulinsensitivität lassen eine Assoziation ineffektiver Heilungsantworten mit chronisch-systemischen Low-grade-Entzündungsprozessen vermuten. Bei Diabetes mellitus Typ 1/2 und Adipositas finden sich vermehrt proinflammatorische Zytokine (Tumornekrosefaktor alpha, Interleukin 6) und Chemokine im Blutplasma. Auch die Enthemmung des Proteins FOXO1 könnte eine entscheidende Rolle bei der Freisetzung proinflammatorischer Zytokine einnehmen. Physiologisch werden bei Gewebsschädigung Makrophagen und Monozyten mobilisiert. In einem Stadium chronischer Entzündungsprozesse reduziert sich jedoch die Anzahl zirkulierender Makrophagen mit der Konsequenz einer ineffektiven Heilungsantwort.
  • Der Einfluss von Matrix-Metalloproteinasen (MMP): Die Adaptation von Sehnen an Belastungsansprüche erfolgt naturgemäß langsam. Folglich können auch untrainierte Sehnen vermehrt zu Überlastungsschäden neigen, wenn die Belastung die Gewebetoleranz wiederholt überschreitet. Molekularbiologisch dürfte für die Sehnendegeneration ein Missverhältnis zwischen MMP und deren Inhibitoren verantwortlich sein.
  • Die Rolle von Sauerstoffradikalen: Ein weiterer Bestandteil des Degenerationsprozesses und der ineffektiven Sehnenheilung stellt die Bildung von Sauerstoffradikalen („reactive oxygen species“, ROS) im intra- und extrazellulären Milieu des Sehnengewebes dar. Lifestyle-Faktoren, Ernährung, Belastungsumfang und -intensität beeinflussen diese. ROS umfassen reaktionsfreudige Sauerstoffderivate und sind in der mitochondrialen Atmungskette bei der Produktion von Adenosintriphosphat (ATP) von Bedeutung. ROS vermitteln aber auch die Proliferation, Differenzierung und Adaptierung von Zellen. Höhere ROS-Konzentrationen initiieren bzw. exekutieren den Zelluntergang durch programmierte Apoptose oder Nekrose. Für die Entstehung im intraund extratendinösen Umfeld kommen 1) exzessives Training, 2) zyklische Belastungen mit einem Wechsel aus Ischämie und Reperfusion und 3) Hyperthermien infrage. Die Folgen gesteigerter ROS-Produktion im Sehnengewebe sind eine Überexprimierung von fibrogenen Zytokinen und über den programmierten Zelltod eine Verminderung der Tenozytenanzahl. Bei Letzterem spielt vor allem der Einfluss von ROS auf den proapoptotischen Transkriptor p53 eine Rolle.

Tendinopathien können alle Sehnen betreffen. Besonders häufig sind sie jedoch bei der Supraspinatussehne (Abb. 1a), dem Ursprung der Unterarmextensoren, der Quadriceps- und Patellarsehne, der Sehne des Tibialis posterior und der Achillessehne (Abb. 1b). Klinisch äußert sich eine Tendinopathie durch diffuse oder lokale Schmerzen, Schwellungen und Leistungsabfall. Schmerzen treten zumeist zu Beginn und kurz nach Ende der Belastungseinheit auf, in fortgeschrittenen Stadien auch während der gesamten Belastung bzw. im Ruhezustand. Über radiologische Untersuchungen lassen sich begleitende Knochenanomalien ausschließen. Die Ultraschalluntersuchung korreliert stark mit den histopathologischen Befunden (echoarme Areale, spindelförmige Verdickungen, Neovaskularisation und Verwischung des Peritendineums).
Die Behandlung von Tendinopathien erfolgt in erster Linie konservativ. Als Option stehen Analgetika, Taping, Kryotherapie, Stoßwellentherapie, Hyperthermie und verschiedene peritendinöse Infiltrationstherapien zur Verfügung. Den Hauptbestandteil jeder Therapieform sollte jedoch die Physiotherapie stellen, mit dem Konzept, dass erst durch die Verbesserung der Funktion auch Schmerzen abnehmen werden. In diesem Zusammenhang prägte Jill Cook den Slogan „treat the donut – not the hole“ mit der Kernaussage, dass der Fokus auf der Stärkung des gesunden Sehnengewebes liegen sollte und bereits vorhandene strukturelle Schäden der Sehne ohnehin nicht primär zur Ausheilung gebracht werden können. Funktionelle Adaptationsprozesse des Sehnengewebes konnten in einem stufenweisen Rehabilitationsprogramm über isometrische, kräftigende, Energie speichernde und Energie wieder freisetzende Übungsformen gezeigt werden. Zur längerfristigen Schmerzbehandlung kommen die extrakorporale Stoßwellentherapie, sklerosierende Injektionen und filetierende Operationen der peripheren sensiblen Nerven des Peritendineums infrage. Ultraschallgezielte Injektionstherapien mit Polidocanol, plättchenangereichertem Plasma („platelet-rich plasma“, PRP) in Kombination mit hochvoluminären Injektionen („high-volume image-guided injections“, HVIGI) gelten als vielversprechend. Operative Interventionen kommen erst bei versagender konservativer Therapie zum Einsatz. Neben minimal invasivem Strippen des Peritendineums konnten Erfolge auch mittels multipler perkutaner longitudinaler Tenotomien beschrieben werden. Meist handelt es sich bei der Rehabilitation jedoch um einen langwierigen Prozess, der häufig auch eine Verhaltensänderung notwendig macht.

Stressreaktionen am Knochen und Stressfrakturen

Stressreaktionen können als Vorstufe von Stressfrakturen betrachtet werden und betreffen zumeist die lasttragenden Knochen des Unterschenkels (Abb. 2) und Fußes. Neben repetitiven mechanischen Belastungen spielen auch Ernährung, Leistungszustand und Hormonhaushalt eine Rolle. Meist lassen sich aus der Anamnese heraus in Umfang, Intensität oder Häufigkeit gesteigerte Belastungen erfragen. Als extrinsische Faktoren führen harte Untergründe und schlechtes Schuhmaterial zu erhöhten Risiken. Intrinsisch können kinematisch und kinetisch relevante biomechanische Fehlbelastungen (Beinachsenstellung, Fußmechanik) sowie eine neuromuskuläre Abschwächung Risikofaktoren darstellen.
Histopathologisch zeigt sich eine gesteigerte Osteoklastenaktivität gegenüber den osteoblastischen Vorgängen mit einer temporären Schwächung des Knochengewebes. Wird die Belastungsgrenze überschritten, führt dies zur Mikrofaktur, im MRT erkennbar als Knochenmarködem (morphologisches Korrelat einer Stressreaktion), bis hin zu einem kortikalen Zusammenbruch (Stressfraktur vom Ermüdungstyp). Auch verringerte Knochenmineraldichten (z. B. im Rahmen der „female athlete triad“), metabolische Knochenstoffwechselstörungen und Osteoporose können zu Stressfrakturen prädisponieren (Stressfraktur vom Insuffizienztyp).
Klinisch zeigt sich typischerweise ein lokalisierter Schmerz mit schleichendem Beginn meist gegen Ende der Trainingsbzw. Wettkampfbelastung. Schmerzen im Alltag weisen bereits auf ein fortgeschrittenes Stadium hin. Häufig lassen sich eine fokale knöcherne Druckempfindlichkeit sowie eine darüber liegende Schwellung, Rötung und Überwärmung erkennen. Nativradiologische Bildgebungen und Computertomografien zum differenzialdiagnostischen Ausschluss von Knochenanomalien können die Diagnosestellung unterstützen. Der Goldstandard für die initiale Evaluierung einer Stressreaktion bzw. -fraktur bleibt die MRT. In seltenen Fällen kann jedoch eine Szintigrafie als erweiterte diagnostische Maßnahme notwendig werden.
Therapeutisch ist neben Schonung und Protektion die Adressierung von Risikofaktoren wichtig. Entsprechend sollte auf verminderte Knochendichtewerte eingegangen werden, extrinsische Faktoren sollten modifiziert und neuromuskuläre Schwachstellen mittherapiert werden. Ultraschallbehandlung und Elektrostimulation können dabei die Knochenheilung positiv unterstützen.

Osteochondrosis dissecans

Die Osteochondrosis dissecans (OD) ist charakterisiert durch eine Delamination und lokalisierte Nekrose des subchondralen Knochens mit oder ohne Involvierung des Gelenkknorpels. Sie tritt zumeist im Kindes- und Jugendalter auf und wird, je nachdem ob die Wachstumsfugen noch offen sind, als juvenile bzw. adulte Form bezeichnet. Die Ätiologie ist unklar, repetitive Mikrotraumata werden jedoch als substanzieller Faktor angesehen. Steigende Inzidenzen unter Kindern lassen sich auf eine zunehmende Teilnahme am Leistungssport mit früher sportartspezifischer Spezialisierung zurückführen. Der mediale Femurkondyl stellt die klassische Lokalisationsstelle dar. Männer sind bis zu dreimal häufiger betroffen als Frauen. Gehäuft finden sich auch OD am Sprunggelenk im Bereich der Talusschulter (Abb. 3).
Histologisch zeigt sich eine vaskuläre Insuffizienz mit Ausbildung eines Nekroseareals. Im stadienhaften Verlauf kann sich sukzessive ein Knorpeldissektat bilden und vom Knochen ablösen.
Die ersten Symptome sind unspezifische Gelenksschmerzen mit allmählicher Zunahme und typischer Verstärkung unter Belastung. Intermittierend kann es auch zur Gelenksschwellung und Überwärmung kommen. Erst im späteren Verlauf kann die Bildung eines vollständigen Dissektats auch zu Blockierungssymptomen führen.
Über eine radiologische Bildgebung können sich demarkierte Areale darstellen lassen. Bei Schwellungen, Hämarthros und Belastungsintoleranz empfiehlt sich weiterführend die MRT-Diagnostik.
Die Therapie der OD ist stadienabhängig. Im Stadium I (Alteration im Knorpel- Knochen-Interface) lassen sich durch Belastungsrestriktion für 4–6 Wochen mit anschließender schmerzadaptierter Alltagsbelastung über 6–12 Wochen spontane Heilungsraten bei 50–67 % der Patienten erzielen. Junge Patienten mit offenen Wachstumsfugen haben eine bessere Prognose. Zur Wirkung von begleitenden antiphlogistischen Therapien, durchblutungsfördernden Substanzen, Glukosaminoglykanen und Chondroitinsulfaten, Bisphosphonaten oder Prostaglandinanaloga mit osteoanaboler Wirkung fehlt der eindeutige Nachweis. In höheren Stadien (Stadium II: partielle Diskontinuität zwischen Knorpel und Knochen, Stadium III: instabile Knorpel-Knochen-Fragmente, Stadium IV: freier Gelenkskörper) richtet sich die Therapie nach der Stabilität der Läsion und dem Zustand des darüber liegenden Knorpels. Im Falle von konservativem Therapieversagen, instabilen oder lockeren Fragmenten kommen operative Anbohrungen, Refixationen oder Exzisionen der osteochondralen Läsion mit weiterführenden knorpelregenerativen Verfahren zum Einsatz.

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