
Trends und ökonomische Entwicklung der Knieendoprothetik in Österreich im internationalen Vergleich
Jatros
Autor:
Assoz. Prof. PD Dr. Patrick Sadoghi, PhD<sup>1</sup>
Leiter der Sektion Knie <br>Univ.-Klinik für Orthopädie und Traumatologie <br>Medizinische Universität Graz<br>E-Mail: patrick.sadoghi@medunigraz.at<br> <sup>1</sup> Univ.-Klinik für Orthopädie und Traumatologie, Medizinische Universität Graz<br> <sup>2</sup> Bundesministerium für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Konsumentenschutz, Wien
Autor:
Dr. Silvia Türk<sup>2</sup>
Autor:
Prof. Dr. Andreas Leithner<sup>1</sup>
Autor:
Martin Heidinger<sup>2</sup>
Autor:
Dr. Lukas Leitner, PhD<sup>1</sup>
30
Min. Lesezeit
20.09.2018
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<p class="article-intro">Mit 221 Operationen pro 100 000 Einwohner wurde im Jahr 2014 in Österreich unter allen OECD-Ländern die höchste Rate an implantierten Knietotalendoprothesen (KTEP) registriert. Die Implantations- und Revisionszahlen werden für Österreich seit 2009 in Form der zentralen Leistungsverrechnung gesammelt, wobei heuer erstmals eine Analyse dieser Daten erfolgte. Obwohl Österreich in der Zwischenzeit die Führungsposition hinsichtlich der Implantationszahlen im OECD-Vergleich abgegeben hat, ist aufgrund der demografischen Entwicklung unseres Landes mit einem weiteren Anstieg der Operationszahlen zu rechnen. </p>
<hr />
<p class="article-content"><p>Umfangreiche Datenregister zu Implantationszahlen von Endoprothesen in Form sogenannter Prothesenregister gibt es seit den 1970er-Jahren in den skandinavischen Ländern; sie haben ihren Ursprung in Schweden. Dort wird die Reduktion der Revisionsrate unter anderem auf die regelmäßige Analyse ebendieser Prothesenregister zurückgeführt.<sup>1</sup> In Österreich erfolgt seit dem Jahr 2009 eine zentrale Erfassung der Implantationszahlen anhand der zentralen Leistungsverrechnung, wobei derzeit die Daten zu Altersgruppe, Geschlecht und Bundesland zentral gespeichert werden, was mit dem Datenumfang eines herkömmlichen Prothesenregisters noch nicht zu vergleichen ist. <br />Unsere Arbeitsgruppe konnte in diesem Jahr erstmals eine statistische Auswertung der österreichischen Daten veröffentlichen, da Österreich einerseits einen repräsentativen Vertreter der sogenannten entwickelten Länder darstellt und anderseits aufgrund hoher Implantationszahlen im internationalen Vergleich eine Sonderrolle einnimmt bzw. womöglich eine zukünftige Entwicklung in anderen Ländern vorwegnimmt.<sup>2</sup> Diese Überblicksarbeit ermöglicht einen Einblick in die Entwicklung der KTEP-Implantationen in Österreich, basierend auf unserer bereits veröffentlichten Datenanalyse, sowie einen Vergleich mit Nachbarländern.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2018_Jatros_Ortho_1805_Weblinks_s52_1.jpg" alt="" width="2150" height="1587" /></p> <h2>Zahlen: KTEP und Revision in Österreich</h2> <p>Die Analyse der Implantationszahlen in Österreich ergab im Zeitraum zwischen 2009 und 2015 einen stetigen Zuwachs beinahe sämtlicher endoprothetischer Operationen und Revisionsoperationen in Österreich;<sup>2</sup> es erfolgte eine Korrelation mit epidemiologischen Daten der Statistik Austria:<sup>3</sup> <br />Die Zahl der primär implantierten KTEP ist in diesem Zeitraum in ganz Österreich um 13 % angestiegen (2009: 15 350; 2015: 17 324, Abb. 1A), was in etwa 202 primären KTEP pro 100 000 Einwohner (2015) entspricht. Die meisten Operationen in absoluten Zahlen nach Bundesländern wurden dabei in Wien (2009–2015: 26 864), gefolgt von Oberösterreich (2009–2015: 22 183) und Niederösterreich (2009–2015: 19 700), vorgenommen. Bei den KTEP pro 100 000 Einwohner (EW) je Bundesland im Jahr 2015 findet sich ein etwas anderes Bild, mit zum Teil deutlichen Unterschieden zwischen den einzelnen Bundesländern: Die meisten KTEP wurden mit dieser Auswertung in Tirol (237/100 000 EW), gefolgt von Oberös­terreich (231/100 000 EW), Wien (230/100 000 EW) und Salzburg (216/100 000 EW), implantiert (Abb. 1B). 97 % der KTEP wurden dabei in der Altersgruppe vom 50. bis zum 90. Lebensjahr implantiert. Das Durchschnittsalter von 69,5 Jahren bei KTEP-Implantation blieb im Beobachtungszeitraum in etwa konstant, wobei es einen Anstieg des Durchschnittsalters der Bevölkerung in Österreich über den Beobachtungszeitraum gibt. In diesem Zusammenhang erscheint die Gegenüberstellung der demografischen Entwicklung in Österreich von Interesse: Die Gesamtbevölkerung in Österreich ist zwischen 2009 und 2015 nur moderat um etwa 2,9 % gewachsen, die Zahl der über 60-Jährigen jedoch um 9,3 % . Somit scheint ein Teil der steigenden KTEP-Implantationszahlen der demografischen Entwicklung in Österreich geschuldet zu sein (Abb. 1C).<br />Ein ähnliches Bild findet sich bei den Revisionsoperationen nach KTEP: Im Jahr 2015 wurden 919 Reimplantationen von KTEP durchgeführt, was einem Anstieg von 22,5 % verglichen mit 2009 entspricht. Die Reimplantationszahlen steigen somit stärker an als die Zahl der primären KTEP und machten 2015, gemessen an den primären Implantationszahlen, 5,3 % der Knieprothesenimplantationen aus. Das Durchschnittsalter bei Implantation einer Revisionsoperation nach KTEP betrug im Jahr 2015 70,2 Lebensjahre und blieb über den gesamten Beobachtungszeitraum in etwa konstant. Über Ursachen für die Revisionsoperationen können anhand der derzeit gesammelten Daten noch keine Aussagen getroffen werden. Dies ist bei Auswertungen aus nationalen Prothesenregistern möglich.<sup>4</sup><br />Andere Zahlen präsentieren sich im Fall der Zahl an implantierten Tumor- bzw. Resektionsprothesen am Kniegelenk in Österreich: Diese blieben über den Beobachtungszeitraum etwa konstant (2015: 112), wobei die Implantationen vornehmlich an den orthopädischen Tumorzentren in Wien und Graz stattfinden. Auch die Altersverteilung der Empfänger unterscheidet sich hier: mit 2 Altersgipfeln in der Gruppe der 15- bis 20-Jährigen und der über 60-Jährigen. <br />Bei den Implantationszahlen eines Rückflächenersatzes der Patella wurde zwischen 2009 (n=1983) und 2015 (n=1356) ein starker Rückgang um 31,6 % verzeichnet. In nationalen Symposien zu diesem Thema zeigt sich, dass es Zentren gibt, in denen diese Methode mittlerweile gar nicht mehr angewandt wird oder lediglich in wenigen ausgewählten Fällen, etwa nach Frakturen.</p> <p> </p> <h2>Ökonomische Aspekte der Knieimplantationszahlen</h2> <p>Gemäß einer Analyse der OECD kann der Anstieg der primären KTEP-Implantationszahlen nur zum Teil durch die demografische Entwicklung in Österreich erklärt werden.<sup>5</sup> Wie in den oben angeführten Zahlen gezeigt, sind die Implantationszahlen stark gestiegen, während die Einwohnerzahl Österreichs nur moderat angestiegen ist. Selbst die Zahl der über 60-Jährigen wies im Beobachtungszeitraum kein solches Wachstum auf. Weiterentwicklungen in der medizinischen Obsorge könnten zu einer breiteren Anwendung des Verfahrens auch bei älteren und kränkeren Menschen führen, welche davor eher keine KTEP erhalten hätten. Zum Teil könnten außerdem die positive wirtschaftliche Entwicklung und ein Wachstumsdrang im Sinne einer angebotsinduzierten Nachfrage im zum Teil privatisierten Gesundheitssektor in Österreich zu einem Anstieg der Implantationsrate führen.<br />Der noch deutlichere Anstieg der Zahl der KTEP-Revisionen scheint einer Kombination aus o.g. Ursachen sowie insgesamt einer Zunahme der Personen mit liegender KTEP in der Bevölkerung – aufgrund höherer primärer Implantationszahlen, der größeren Anzahl jüngerer Empfänger einer KTEP und unserer steigenden Lebenserwartung – geschuldet zu sein. Das Durchschnittsalter bei Revision ist nur unwesentlich höher als jenes bei primärer Implantation; wobei eine Erklärung hierfür wäre, dass KTEP- und Revision-KTEP-Empfänger bei jüngerem Alter bei Implantation ein höheres Risiko für eine Revisionsoperation aufgrund aseptischer und septischer Lockerung im Lauf der Restlebenserwartung aufzuweisen scheinen.<sup>6, 7</sup><br />Die Versorgung mit einer Tumor-/Resektions-KTEP blieb über den Beobachtungszeitraum in Österreich konstant (Abb. 2A) und ist in den meisten Fällen Tumorzentren vorbehalten, vorwiegend Wien und Graz. Die beiden Altersgipfel bei Implantation sind kongruent mit jenen von Osteosarkomen und Ewing-Sarkomen (Gipfel 1: junge Patienten) sowie Chondrosarkomen und Knochenmetastasen (Gipfel 2: ältere Patienten, Abb. 2B). Bezüglich der gemeldeten Kodierung von Tumor-/Resektions-KTEP besteht eine mögliche Limitation der Zahlen, da nicht ausgeschlossen werden kann, dass diese Kodierung auch bei größeren Revisionsoperationen bei KTEP verwendet wurde, wodurch die vorliegenden Zahlen überrepräsentativ sein könnten.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2018_Jatros_Ortho_1805_Weblinks_s52_2.jpg" alt="" width="1417" height="753" /></p> <h2>Internationaler Vergleich der Implantationszahlen</h2> <p>Im Jahr 2014 wurde in Österreich gemäß OECD die höchste Zahl an KTEP pro Einwohner implantiert (Abb. 3), was auch medial einer breiteren Öffentlichkeit kommuniziert wurde. In den anderen Jahren lag Österreich mit den Implantationszahlen für KTEP (und auch für Hüft-TEP) im Spitzenfeld. Die im Spitzenfeld befindlichen Länder weisen gleichzeitig auch ein BIP pro Kopf aus, welches über dem Median aller inkludierten Länder liegt. Insgesamt entspricht der Anstieg der Zahl der implantierten KTEP jedoch dem internationalen Trend in den entwickelten Ländern, welche an den Erhebungen der OECD beteiligt sind. <br />Die gesunkenen Implantationszahlen für den Retropatellarersatz entsprechen ebenfalls dem internationalen Trend in Europa, wie eine eigene Metaanalyse verschiedener Prothesenregister gezeigt hat.<sup>8</sup> <br />Anders als vor allem in einigen skandinavischen Ländern gibt es in Österreich derzeit noch keinen veröffentlichten nationalen Prothesenregisterbericht. Voraussichtlich wird der erste allerdings noch in diesem Jahr erscheinen. Er hat im Vergleich zu den anderen europäischen Prothesenregisterberichten den Vorteil, dass alle Fälle aus Österreich erfasst wurden, weil die Verschlüsselung und Erfassung bei der österreichischen Systematik über die MEL-Kodierung erfolgt. Ein jährlicher Prothesenregisterbericht erlaubt in Zukunft eine wesentlich genauere Analyse der Implantate und Entwicklungen für Österreich, wobei in Schweden gezeigt werden konnte, dass sich die Kosten durch Einsparungen aufgrund von Verbesserungen durch Erkenntnisse aus dem Register zum Großteil wieder amortisieren.<sup>9</sup> Andererseits wäre dieser Effekt wohl mittlerweile schwächer, da die Erkenntnisse und Einsparungen durch ein Register zum Teil bereits von Ländern implementiert wurden, die selbst kein Register haben.</p> <h2>Conclusio</h2> <p>Die Zahl der implantierten KTEP steigt im internationalen Trend, so auch in Österreich. Österreichs Spitzenposition unter den OECD-Ländern betreffend Implantationszahlen scheint zum Teil der demografischen Entwicklung und der guten wirtschaftlichen Entwicklung geschuldet zu sein. Die zentrale Registrierung der Implantationszahlen ist eine wichtige Maßnahme zur Qualitätssicherung im öffentlichen Gesundheitssystem und eine genauere Aufschlüsselung (etwa nach verwendeten und revidierten Komponenten) scheint dabei erstrebenswert.</p></p>
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<a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a>
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<p><strong>1</strong> Kolling C et al.: Key factors for a successful National Arthroplasty Register. J Bone Joint Surg Br 2007; 89: 1567-73 <strong>2</strong> Leitner L et al.: Trends and economic impact of hip and knee arthroplasty in central Europe: findings from the Austrian National Database. Sci Rep 2018; 8(1): 4707 <strong>3</strong> Statistik Austria. Population in Austria. Bundesanstalt Statistik Österreich. https://www.statistik.at/web_de/statistiken/menschen_und_gesellschaft/bevoelkerung (letzter Zugriff am 10. Juli 2018) <strong>4</strong> Sadoghi P et al.: Revision surgery after total joint arthroplasty: a complication-based analysis using worldwide arthroplasty registers. J Arthroplasty 2013; 28(8): 1329-32 <strong>5</strong> OECD/European Union. Health at a Glance: Europe 2016. OECD Publishing. http://www.oecd.org/health/health-at-a-glance-europe-23056088.htm <strong>6</strong> Aggarwal VK et al.: Revision total knee arthroplasty in the young patient: Is there trouble on the horizon? J Bone Joint Surg Am 2014; 96: 536-42 <strong>7</strong> Meehan JP et al.: Younger age is associated with a higher risk of early periprosthetic joint infection and aseptic mechanical failure after total knee arthroplasty. J Bone Joint Surg Am 2014; 96: 529-35 <strong>8</strong> Vielgut I et al.: Application and surgical technique of total knee arthroplasties: a systematic comparative analysis using worldwide registers. Int Orthop 2013; 37: 1465-9 <strong>9</strong> Herberts P, Malchau H: Long-term registration has improved the quality of hip replacement: a review of the Swedish THR Register comparing 160,000 cases. Acta Orthop Scand 2000; 71: 111-21v</p>
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