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Sportliche Aktivität nach Verletzungen der Wirbelsäule

<p class="article-intro">Die Bestätigung der Sporttauglichkeit nach Wirbelsäulenverletzung ist eine kritische Entscheidung, die auf der Basis medizinischer Guidelines und der Überprüfung des individuellen Risikoprofils erfolgt. Freiheit von Schmerz und neurologischen Symptomen, volles freies Bewegungsausmaß und adäquater Kraftaufbau sind wichtige Voraussetzungen für die Rückkehr zum Leistungssport.</p> <p class="article-content"><div id="keypoints"> <h2>Keypoints</h2> <ul> <li>Genaue Anamneseerhebung und klinisch-neurologische Untersuchung</li> <li>Ad&auml;quate bildgebende Diagnostik und Einsch&auml;tzung der Instabilit&auml;t</li> <li>Wiederherstellung des Wirbels&auml;ulenprofils und der Belastungsf&auml;higkeit</li> <li>Fr&uuml;he Mobilisation und Vorbereitung auf den Sport w&auml;hrend der Rehabilitationsphase</li> <li>Individuelle Risikoanalyse und Aufkl&auml;rung hinsichtlich der Vorbeugung von Folgeverletzungen</li> </ul> </div> <p>Schwere Wirbels&auml;ulenverletzungen sind Folgen von Hochrasanztraumen im Rahmen von Verkehrsunf&auml;llen, St&uuml;rzen aus gro&szlig;er H&ouml;he und zunehmend auch Sportunf&auml;llen. Die Anforderungen und Erwartungen an die Behandlung sind sehr hoch, denn schwere Verletzungen der Wirbels&auml;ule sind oft mit Einschr&auml;nkungen &ndash; unter anderem der sportlichen Aktivit&auml;t &ndash; verbunden. Die genaue Analyse des Verletzungsmechanismus und das Einsch&auml;tzen der Stabilit&auml;t bilden die Entscheidungsgrundlage f&uuml;r die Behandlung. W&auml;hrend stabile Frakturen meistens konservativ behandelt werden, machen schwere und instabile Verletzungen eine operative Versorgung erforderlich. <br /> Die Ziele der Behandlung sind die Wiederherstellung der Belastungsf&auml;higkeit bei m&ouml;glichst geringer Beeintr&auml;chtigung der Funktion und die R&uuml;ckkehr zur vollen Sportf&auml;higkeit. Die Ausgangssituation bei Sportlern ist aufgrund des gut ausgebildeten K&ouml;rpergef&uuml;hls und Koordinationsverm&ouml;gens sowie der Disziplin, Frustrationstoleranz und hohen Akzeptanz der rehabilitativen Ma&szlig;nahmen sehr gut. Es ist aber zu ber&uuml;cksichtigen, dass die verwendeten Implantate bei Sportlern im Vergleich zur Normalbev&ouml;lkerung relativ fr&uuml;h h&ouml;heren Belastungen ausgesetzt sind.<br /> Die spezielle Anatomie, bestehend aus dem Wirbelk&ouml;rper, dem Discus interver&shy;tebralis und der Zygapophysialgelenke, den B&auml;ndern und der Muskulatur, gew&auml;hrleistet prim&auml;r eine statische Funktion der Wirbels&auml;ule. Mit den Kr&uuml;mmungen erf&uuml;llt die Wirbels&auml;ule biomechanisch betrachtet eine gewisse Sto&szlig;d&auml;mpferfunktion. Durch langsame Verst&auml;rkung der Kr&uuml;mmungen bei axialer Belastung kommt es zu einer Reduktion der Spitzenkr&auml;fte. Ist es durch die Verletzung und/oder eine operative bzw. konservative Behandlung zur Reduktion und Funktionseinschr&auml;nkung der Bewegungssegmente gekommen, muss die Sportaktivit&auml;t entsprechend angepasst werden. Dieser Situation Rechnung tragend, wird generell empfohlen, die Fusionsstrecke so kurz wie m&ouml;glich zu halten. Die modernen Instrumentarien und Operationstechniken erlauben es, viele Verletzungen &uuml;ber anatomiegerechtere Zug&auml;nge weichteilschonend zu stabilisieren.</p> <h2>Physiotherapie und Rehabilitation</h2> <p>Die Vorbereitung f&uuml;r den Sport beginnt bereits mit dem Einleiten einer konservativen Behandlung, bei operativer Behandlung beginnt die Vorbereitung nach der chirurgischen Versorgung.</p> <h2>Fr&uuml;he postoperative Phase</h2> <p>In der fr&uuml;hen postoperativen Phase erfolgt die Anleitung zum wirbels&auml;ulenstabilisierenden Verhalten und zur Stabilisierung des Rumpfes. Die Mobilisierung aus dem Bett und die Anleitung zur Bew&auml;ltigung des t&auml;glichen Lebens stehen im Vordergrund. Diese Phase ist f&uuml;r den Sicherheitsgewinn der Patienten von entscheidender Bedeutung.</p> <h2>Phase der Reaktivierung</h2> <p>Das Augenmerk liegt auf dem &Uuml;bergang zu normalen Bewegungsmustern, dem Training der Basisf&auml;higkeiten wie Gehen und Stiegensteigen und der Selbstst&auml;ndigkeit bei den Erledigungen des t&auml;glichen Lebens.</p> <h2>Phase der Stabilisierung und medizinischen Trainingstherapie</h2> <p>Dabei werden axiale Belastung und Koordinationstraining auf instabiler Unterlage trainiert sowie Unterwassertherapie und R&uuml;ckenschulung durchgef&uuml;hrt.</p> <h2>R&uuml;ckkehr zum Sport</h2> <p>Die komplexe Anatomie und Biomechanik der Wirbels&auml;ule und das breite Spektrum der Verletzungen erschweren die Erstellung eines generellen Standardprotokolls f&uuml;r die R&uuml;ckkehr zum Leistungssport. Die Sportarten k&ouml;nnen in Bezug auf die Wirbels&auml;ulenbelastung generell in vier Kategorien unterteilt werden:</p> <ul> <li>f&ouml;rdernde Sportarten (Laufen, Gehen, Skilanglaufen)</li> <li>indifferente Sportarten (Tanzen, Turnen, alpiner Skilauf);</li> <li>nicht f&ouml;rdernde Sportarten (Klettern, Golf, Tennis, Gymnastik);</li> <li>belastende Sportarten (Kampf-, Kontakt- und Kollisionssportarten).</li> </ul> <p><br /> F&uuml;r bestimmte Verletzungen liegen Erfahrungswerte vor, die in der Literatur als Guideline empfohlen werden (Tab. 1). Dabei werden die Verletzungen in Anbetracht der Wahrscheinlichkeit einer Verschlechterung oder neuerlichen Verletzung bei R&uuml;ckkehr zum Sport in drei Kategorien unterteilt:</p> <ul> <li>keine Kontraindikation und kein erh&ouml;htes Risiko einer schweren Verletzung;</li> <li>absolute Kontraindikation und klar erh&ouml;htes Risiko einer schweren Verletzung;</li> <li>relative Kontraindikation ohne klare Evidenz f&uuml;r schwere Verletzung</li> </ul> <p>Einige Verletzungen werden im Folgenden kurz besprochen.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2017_Jatros_Ortho_1704_Weblinks_s28_1.jpg" alt="" width="2151" height="2576" /></p> <h2>Armparese (&bdquo;stingers und burners&ldquo;)</h2> <p>Transiente sensomotorische Defizite unterschiedlicher Schwere, von Parese bis Plegie, treten bei Kontaktsportarten wie Eishockey, Rugby, American Football und Kampfsportarten relativ h&auml;ufig auf. Philip Huang et al berichten, dass ca. 70 % der Athleten im American Football innerhalb einer 4-Jahres-Karriere eine solche Episode erleben. Folgende Verletzungsmechanismen werden angenommen:</p> <ul> <li>&Uuml;berdehnung des Plexus brachialis bei Seitneigung des Halses im Zusammenhang mit Sturz und Fall;</li> <li>Kompression der Nervenwurzel im Neuroforamen bei Hyperextension des Halses;</li> <li>direkter Schlag und Kompression des Plexus brachialis an der besonders exponierten Stelle am Erb&rsquo;schen Punkt.</li> </ul> <p>Zum Ausschluss weiterer Ursachen, wie Fraktur, Luxation, Diskushernie, kongenitale Anomalien oder Stenosen, bedarf es einer genauen klinischen Untersuchung und bildgebender Diagnostik. Die Wahrscheinlichkeit einer R&uuml;ckkehr zum Sport nach diesen Verletzungen wird als relativ hoch berichtet. Wiederholtes Auftreten der Symptome wird als relative Kontraindikation angesehen.</p> <h2>Distorsion der Halswirbels&auml;ule (&bdquo;cervical strains and sprains&ldquo;)</h2> <p>Distorsionen der Halswirbels&auml;ule bilden eine der h&auml;ufigsten Beschwerdesymptomatiken. Bei klinischer Symptomfreiheit und nach Ausschluss einer Fraktur, Luxation oder schweren diskoligament&auml;ren Verletzung mittels bildgebender Diagnostik besteht keine Kontraindikation f&uuml;r eine R&uuml;ckkehr zum Sport.</p> <h2>Stenose und Neurapraxie (&bdquo;cervical spine stenosis and cervical cord neurapraxia&ldquo;)</h2> <p>Die zervikale Neurapraxie pr&auml;sentiert sich als transiente Quadriparesis/Quadriplegie. Neben brennenden Par&auml;sthesien zeigen sich verschiedene Grade der Schw&auml;che einzelner oder aller vier Extremit&auml;ten. Es sind anatomische Verh&auml;ltnisse, die eine funktionelle Stenose beg&uuml;nstigen. Nativradiologisch kann die Torg-Ratio (das L&auml;ngenverh&auml;ltnis des Spinalkanals zum Wirbelk&ouml;rper auf der seitlichen R&ouml;ntgenaufnahme) Hinweise darauf liefern. Eine nachgewiesene funktionelle zervikale Spinalkanalstenose im MRT wird als Kontraindikation f&uuml;r Kontaktsport angesehen. Die Entscheidung f&uuml;r eine R&uuml;ckkehr zum Sport nach einer HWS-Verletzung und Sch&auml;digung des R&uuml;ckenmarks ist eine der kritischsten in der Sportmedizin.<br /> Tempel et al berichten in einer klinischen Studie &uuml;ber die hohe Wertigkeit der T2-Signalintensit&auml;t im MRT zur Evaluation der R&uuml;ckenmarksl&auml;sion bei professionellen Athleten. In 3 von 5 F&auml;llen hat die Abnahme der T2-Signalintensit&auml;t eine hohe Korrelation mit der R&uuml;ckbildung der klinisch-neurologischen Symptomatik gezeigt.</p> <h2>Bandscheibenvorfall (&bdquo;cervical disk herniation&ldquo;)</h2> <p>Die Inzidenz der asymptomatischen zervikalen Bandscheibenl&auml;sion ist bei Kontaktsportlern h&ouml;her als in der Normalbev&ouml;lkerung, stellt jedoch keine Kontraindikation f&uuml;r den Sport dar. Eine symptomatische Bandscheibenl&auml;sion wird bei Kontaktsport als hohes Risiko bewertet. Die Ergebnisse der chirurgischen Versorgung einer Bandscheibenl&auml;sion sind generell gut. Viele Studien haben gute Resultate nach einer 1-Etagen-Bandscheibenoperation gezeigt und die Sportler konnten wieder erfolgreich spielen. Eine 2-Etagen-Bandscheibenoperation nach geheilter Fusion wird als relative Kontraindikation angesehen. Eine Mehretagen-Bandscheibenoperation wird generell als h&ouml;heres Risiko bewertet, die R&uuml;ckkehr zum Sport jedoch relativ kontrovers diskutiert.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2017_Jatros_Ortho_1704_Weblinks_s28_2.jpg" alt="" width="1416" height="1509" /></p> <h2>Wirbelk&ouml;rperfraktur und mehrsegmentale Fusionsoperation</h2> <p>Wirbelk&ouml;rperfrakturen und Luxationsfrakturen sind aufgrund des komplexen Verletzungsmechanismus differenziert zu betrachten. Der Frakturtyp laut AO-Frakturklassifikation gibt ausreichend Information &uuml;ber die Stabilit&auml;t der L&auml;sion. Die Art der Operation und die Anzahl der fusionierten Segmente haben wesentlichen Einfluss auf die Stabilit&auml;t und die Einschr&auml;nkung des Bewegungsausma&szlig;es der Wirbels&auml;ule. Die Inzidenz schwerer R&uuml;ckenmarkl&auml;sionen mit neurologischen Defiziten ist bei der Halswirbelfraktur relativ hoch. Die Rehabilitation und Reintegration der Patienten haben h&ouml;chste Priorit&auml;t. Die Wiederaufnahme der sportlichen Aktivit&auml;t nimmt dabei einen besonderen Stellenwert ein.</p> <h2>Verletzungen der Brust- und Lendenwirbels&auml;ule</h2> <p>Die Verletzungen im Bereich des zervikothorakalen &Uuml;bergangs sind meistens instabil und erfordern eine langstreckige Instrumentierung. Die Brustwirbels&auml;ule ist durch die Integration im kn&ouml;chernen Thorax stabil und wenig beweglich. Das Ausma&szlig; des Prim&auml;rschadens und die Instabilit&auml;t der Verletzung k&ouml;nnen mittels Frakturklassifikation ermittelt werden. W&auml;hrend stabile Frakturen konservativ behandelt werden, erfordern instabile Frakturen der BWS eine operative Versorgung. Die Ziele der Behandlung sind die Wiederherstellung des Alignments, die volle Belastbarkeit der Wirbels&auml;ule und eine m&ouml;glichst geringe Funktionsbeeintr&auml;chtigung. Der Einsatz moderner Operationstechniken und Implantate hilft, diesen Anforderungen Rechnung zu tragen und auch nach schwerer Wirbels&auml;ulenverletzung in den meisten F&auml;llen eine R&uuml;ckkehr zur sportlichen Aktivit&auml;t zu erreichen.</p> <h2>Zusammenfassung</h2> <p>Zur Sporttauglichkeit nach Wirbels&auml;ulenverletzung besteht ein genereller Konsens dar&uuml;ber, dass vor dem Wiedereinstieg in den Leistungssport auf Wettkampfniveau wichtige Voraussetzungen erf&uuml;llt sein m&uuml;ssen. Damit Folgeverletzungen vorgebeugt wird und der Sportler erfolgreich sein kann, haben Schmerzfreiheit, Freiheit von neurologischen Symptomen, vollst&auml;ndig freie Beweglichkeit und ad&auml;quater Kraftaufbau h&ouml;chste Priorit&auml;t.</p></p> <p class="article-footer"> <a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a> <div class="collapse" id="collapseLiteratur"> <p>beim Verfasser</p> </div> </p>
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