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Spinopelvine Assoziation in der Endoprothetik: Literaturüberblick und Fazit für die Praxis

<p class="article-intro">Die Hüftendoprothetik bei Patienten nach Wirbelsäulenfusionen stellt spezielle Anforderungen an den Operateur, da sie durch das erhöhte Luxations- und Lockerungsrisiko zu den Hochrisikopatienten zählen. Bei diesen Patienten muss mit einer erhöhten Wahrscheinlichkeit für Revisionseingriffe gerechnet werden.</p> <p class="article-content"><div id="keypoints"> <h2>Keypoints</h2> <ul> <li>Die Kombination Spondylodese der Lendenwirbels&auml;ule und H&uuml;ftendoprothetik f&uuml;hrt zu h&auml;ufigeren Luxationen.</li> <li>Spinale lumbale Fusionen f&uuml;hren bei Patienten mit H&uuml;ftendoprothesen zu mehr Komplikationen, wie Lockerungen, und damit auch zu vermehrten Revisionen.</li> <li>Durch Fusion der Lendenwirbels&auml;ule verringern sich die Anteversion und die Inklination der Pfanne bei Patienten mit H&uuml;ftendoprothesen.</li> </ul> </div> <p>Die spinopelvine Assoziation und ihr Zusammenhang mit der Endoprothetik sind ein zurzeit in der Literatur viel diskutiertes Thema. Durch die Weiterentwicklung von Operationsmethoden in der H&uuml;ftendoprothetik sind Luxationen seltener geworden. Allerdings ist diese Komplikation nach wie vor eine der h&auml;ufigsten nach Implantation eines k&uuml;nstlichen H&uuml;ftgelenks.<br /> Das Erreichen der korrekten Pfannenposition nach Lewinnek, aber auch die kombinierte Anteversion von Schaft und Pfanne werden zwar kontrovers diskutiert, sind aber aktuell die anerkannten Referenzwerte f&uuml;r die Implantation einer Pfanne bei einer H&uuml;fttotalendoprothese (HTEP, THA). Einigkeit besteht darin, dass eine falsche Positionierung der H&uuml;ftpfanne im Acetabulum starke Auswirkungen auf das Auftreten von Bewegungsdefiziten, Schmerzen, einer Lockerungstendenz, verfr&uuml;hter Abnutzung und einer auftretenden Instabilit&auml;t mit m&ouml;glichen Luxationen haben kann. Definiert wird die Position der Pfanne durch die Kombination der Lage in der koronaren, sagittalen und transversalen Ebene; sie wird im Allgemeinen mit der Inklination und Anteversion beschrieben. Diese Zielwerte k&ouml;nnen bei der Operation mithilfe der anatomischen Orientierung, gepaart mit der Erfahrung des Operateurs, erreicht werden, oder, wie auch jetzt in &Ouml;sterreich verf&uuml;gbar, mit der Hilfe eines Operationsroboters. Es wird postuliert, dass mit einem Operationsroboter oder mit der Navigation die Pr&auml;zision der Pfannenimplantation deutlich gesteigert werden kann. Bei Patienten mit Modifikation der spinopelvinen Verh&auml;ltnisse, wie bei einer Wirbels&auml;ulenfusion, ver&auml;ndern sich auch die Anforderungen der Positionierung der Implantatkomponenten. Daher stellen die H&uuml;ftendoprothetik im Allgemeinen und die Implantation der Pfanne im Speziellen bei Patienten mit Wirbels&auml;ulenfusionen eine spezielle Anforderung an den Operateur dar.</p> <h2>Literatur&uuml;berblick</h2> <p>Verschiedene Studien haben diese Zusammenh&auml;nge untersucht. 2018 untersuchten An et al. 1 456 898 Patienten bis 2 Jahre postoperativ. Dabei hatten 26 411 THA-Patienten eine Lendenwirbels&auml;ulenfusion in der Anamnese und 1 430 387 THA-Patienten keine Lendenwirbels&auml;ulenfusion. Patienten mit vorangegangener Lendenwirbels&auml;ulenfusion zeigten signifikant h&ouml;here Luxationsraten nach Implantation einer HTEP im Vergleich zu Patienten ohne Fusion. Auch stellten An et al. fest, dass Patienten mit vorangegangener Lendenfusion signifikant h&ouml;here Revisionsraten im Vergleich zu Patienten ohne Fusion aufwiesen.<sup>1</sup><br /> &Auml;hnliche Ergebnisse zeigten Sing et al. 2016. Sie untersuchten 811 601 Patienten nach HTEP. Dabei ergab sich eine postoperative Reduktion der Acetabulum-Anteversion von 4,96&deg;&ndash;11,2&deg; und der Inklination von 7&deg; &plusmn; 10&deg;. Hier zeigte sich auch, dass Patienten mit Wirbels&auml;ulenfusionen eine signifikant h&ouml;here Komplikationsrate und Revisionsrate hatten. Speziell die Luxations- und die Lockerungsrate waren innerhalb der ersten 24 Monaten postoperativ signifikant erh&ouml;ht. Hier ist insbesondere bei Patienten mit einer Fusion von drei oder mehr Segmenten das Luxationsrisiko im Vergleich zur Kontrollgruppe stark erh&ouml;ht.<sup>2</sup><br /> Eine Studie von Sultan et al. 2018 zeigte, dass bei 1167 Patienten, die eine HTEP nach vorangegangener Lendenwirbels&auml;ulenfusion erhalten haben, das Luxationsrisiko zwischen 3 % ein Jahr postoperativ und 7,5 % zwei Jahre postoperativ liegt, w&auml;hrend HTEP-Patienten ohne vorangegangene Wirbels&auml;ulenfusion ein Luxationsrisiko von 0,4%&ndash;2,1 % haben. Dieser Unterschied ist statistisch signifikant. Die Autoren beobachteten eine postoperative Verringerung der acetabul&auml;ren Anteversion bei Patienten mit Wirbels&auml;ulenfusion.<sup>3</sup><br /> King et al. 2018 verglichen 17 223 Patienten ohne Instabilit&auml;tszeichen nach Implantation einer HTEP mit 863 182 HTEPPatienten mit Instabilit&auml;tszeichen. Sie erkannten, dass es bei diesen Patienten, die sich einer Lendenwirbels&auml;ulenfusionsoperation unterziehen, keinen speziellen Zeitpunkt postoperativ gibt, wo die H&uuml;ftluxation geh&auml;uft auftritt. Allerdings zeigte sich im Allgemeinen ein erh&ouml;htes Luxationsrisiko f&uuml;r Patienten mit HTEP und einer Lendenwirbels&auml;ulenfusion. In dieser Arbeit war das Luxationsrisiko nicht assoziiert mit Geschlecht, Alter, Komorbidit&auml;t oder L&auml;nge der Wirbels&auml;ulenfusion.<sup>4</sup><br /> Erwachsene Patienten mit bestehenden Wirbels&auml;ulendeformit&auml;ten wie einer Kyphose oder Skoliose scheinen ebenfalls nach Implantation einer HTEP ein erh&ouml;htes Luxationsrisiko zu haben. Sultan et al. stellten 2018 in ihrer Literaturrecherche bei 1167 Patienten fest, dass die Luxationsrate bei Erwachsenen nach einer Wirbels&auml;ulenoperation aufgrund einer Deformit&auml;t mit vorbestehender HTEP bei 2,9 % liegt und damit wesentlich erh&ouml;ht ist.<sup>3</sup> Patienten, die aufgrund eines Morbus Bechterew (Spondylitis ankylosans) an der Wirbels&auml;ule operiert wurden, zeigten ebenfalls ein erh&ouml;htes Luxationsrisiko (Tang et al. 2000).<sup>5</sup><br />DelSole et al. 2017 zeigten in ihrer Patientengruppe mit bestehenden sagittalen Deformit&auml;ten der Wirbels&auml;ule ein Luxationsrisiko von 8 % und ein Reoperationsrisiko von 5,8 % aufgrund der Instabilit&auml;t der H&uuml;fte.<sup>6</sup><br />Zusammenfassend kann man also feststellen, dass bei der Kombination von Spondylodese der Lendenwirbels&auml;ule und H&uuml;ftendoprothetik ein deutlich erh&ouml;htes Luxationsrisiko besteht.</p> <h2>Spinopelvine Assoziation</h2> <p>Es ist bekannt, dass es beim Sitzen zu einer Dorsalverkippung des Beckens kommt, wodurch die Lendenwirbels&auml;ule entlordosiert wird.<sup>7</sup> Im Falle einer Degeneration oder Lendenwirbels&auml;ulenfusion sind die Aufhebung der Lordose der Lendenwirbels&auml;ule und die Beckenkippung nur mehr eingeschr&auml;nkt oder gar nicht mehr m&ouml;glich. Diese anatomische Ver&auml;nderung hat zwei Folgen f&uuml;r das k&uuml;nstliche H&uuml;ftgelenk: eine Verringerung der relativen Anteversion und Inklination der H&uuml;ftgelenkspfanne und daher ein erh&ouml;htes Risiko f&uuml;r ein anteriores Schaftimpingement. Diese funktionelle Ver&auml;nderung des Acetabulums f&uuml;hrt zu einem erh&ouml;hten Risiko f&uuml;r eine dorsale Luxation.<br />Falls eine vermehrte Kyphose der Lendenwirbels&auml;ule besteht, erh&ouml;ht dies das Risiko f&uuml;r ein dorsales Schaftimpingement. Damit erh&ouml;ht sich das Risiko f&uuml;r eine anteriore Luxation. Bei ca. 20 % der Patienten mit einer sagittalen Wirbels&auml;ulendeformit&auml;t ver&auml;ndert sich die Position der Pfanne einer HTEP, wenn sich der Patient aus der R&uuml;ckenlage aufrichtet, sodass durch den Positionswechsel 20 % der Pfannen nicht mehr in der von Lewinnek et al. (1978)<sup>8</sup> beschriebenen radiologischen Sicherheitszone liegen. Hierbei erh&ouml;ht sich die acetabul&auml;re Anteversion um 6,3&deg; und die acetabul&auml;re Inklination um 2,8&deg;.</p> <h2>Fazit f&uuml;r die Operationstechnik</h2> <p>Die spinopelvine Assoziation hat einen entscheidenden Einfluss auf das Ergebnis nach Implantation einer HTEP. Eine suffiziente Planung der Operation durch einen erfahrenen Arzt wird f&uuml;r diese Patientengruppe empfohlen. Im Speziellen sollte die Planung der Pfannenanteversion und Pfanneninklination aufgrund der ver&auml;nderten Einstellung und Beweglichkeit des Beckens auf die individuellen anatomischen Ver&auml;nderungen bei diesen Patienten abgestimmt werden. Manche Autoren empfehlen zur Planung einer HTEP auch eine R&ouml;ntgenaufnahme des Beckens im Sitzen oder ein seitliches R&ouml;ntgenbild des H&uuml;ftgelenks. Der Operateur sollte sicherstellen, dass f&uuml;r diese Patientenpopulation eine freie Beweglichkeit der HTEP ohne anteriores bzw. dorsales Impingement gew&auml;hrleistet ist. Zus&auml;tzlich muss man das acetabul&auml;re femorale Offset und die Beinl&auml;nge genau evaluieren.<br /> Bei fixierter Lordose und damit fehlender Beckeninklination empfiehlt es sich, die Anteversion und Inklination zu erh&ouml;hen, w&auml;hrend bei fixierter Kyphose und damit fehlender Beckeninklination die Anteversion und Inklination reduziert werden sollten, um eine Instabilit&auml;t der HTEP zu verhindern.<br />Da eine individuelle Position der Pfanne mit Adaptierung von wenigen Grad intraoperativ sehr viel Erfahrung vom Operateur f&uuml;r die Ver&auml;nderung der Pfannenposition ben&ouml;tigt, empfiehlt es sich, bei diesen Patienten Ma&szlig;nahmen zu setzen, um Luxationen zu verhindern. Durch die Verwendung eines muskelschonenden operativen Zugangs, eines gr&ouml;&szlig;eren H&uuml;ftkopfes, eines Offset-Inlays, eines &uuml;berdachten Inlays, eines &bdquo;constrained&ldquo; Inlays oder einer Double- Mobility-Pfanne kann das Risiko einer H&uuml;ftluxation reduziert werden. Viele Experten empfehlen hier in der Routine die Verwendung einer Double-Mobility-Pfanne. An der Universit&auml;tsklinik f&uuml;r Orthop&auml;die Innsbruck (Endoprothesenzentrum der Maximalversorgung Innsbruck) wird standardm&auml;&szlig;ig bei Patienten mit einer Wirbels&auml;ulenfusion bei der Implantation einer HTEP ein Double-Mobility-Inlay verwendet.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2019_Jatros_Ortho_1903_Weblinks_jatros_ortho_1903_s21_abb1+2_thaler.jpg" alt="" width="550" height="344" /></p></p> <p class="article-footer"> <a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a> <div class="collapse" id="collapseLiteratur"> <p><strong>1</strong> An VG et al.: Prior lumbar spinal fusion is associated with an increased risk of dislocation and revision in total hip arthroplasty: a meta-analysis. J Arthroplasty 2018; 33(1): 297-300 <strong>2</strong> Sing DC et al.: Prior lumbar spinal arthrodesis increases risk of prosthetic-related complication in total hip arthroplasty. J Arthroplasty 2016; 31(9 Suppl): 227-32 <strong>3</strong> Sultan AA et al.: The impact of spino-pelvic alignment on total hip arthroplasty outcomes: a critical analysis of current evidence. J Arthroplasty 2018; 33(5): 1606-16 <strong>4</strong> King CA et al.: Time to dislocation analysis of lumbar spine fusion following total hip arthroplasty: breaking up a happy home. J Arthroplasty 2018; 33(12): 3768-72 <strong>5</strong> Tang WM, Chiu KY: Primary total hip arthroplasty in patients with ankylosing spondylitis. J Arthroplasty 2000; 15(1): 52-8 <strong>6</strong> DelSole EM et al.: Total hip arthroplasty in the spinal deformity population: does degree of sagittal deformity affect rates of safe zone placement, instability, or revision? J Arthroplasty 2017; 32(6): 1910-7 <strong>7</strong> Lazennec JY et al.: Lumbar- pelvic-femoral balance on sitting and standing lateral radiographs. Ortho Traumatol Surg Res 2013; 99(1 Suppl): S87-103<strong> 8</strong> Lewinnek GE et al.: Dislocations after total hipreplacement arthroplasties. J Bone Joint Surg Am 1978; 60(2): 217-20</p> </div> </p>
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