
Spannende Zeiten im Therapiefeld der Muskeldystrophien
Unsere Gesprächspartner:
Univ.-Prof. Dr. Günther Bernert
Präsident der Österreichischen Muskelforschung (ÖMF), Wien
E-Mail: guenther.bernert@gmail.com
Univ.-Prof. Dr. Volker Straub
Präsident der World Muscle Society,
Medizinische Fakultät der Universität Newcastle, UK
E-Mail: volker.straub@newcastle.ac.uk
Das Interview führte
Dr. rer. nat. Torsten U. Banisch
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Wien steht 2025 ganz im Zeichen der neuromuskulären Erkrankungen. Nach dem jährlichen UpDate Muskelforschung findet vom 7. – 11.10.2025 mit dem 30. Jubiläumsmeeting der World Muscle Society (WMS) ein weiteres Highlight in Wien statt. Wir konnten mit dem Präsidenten der Österreichischen Muskelforschung, Univ.-Prof. Dr. Bernert, und dem Präsidenten der World Muscle Society, Univ.-Prof. Dr. Volker Straub, über die neuesten Entwicklungen bei den Muskeldystrophien und die anstehende WMS-Konferenz sprechen.
Auch dieses Jahr fand das UpDate Muskelforschung wieder an zwei Tagen statt, wobei am zweiten Tag auch Betroffene und Angehörige teilnehmen dürfen. Wie ist die Resonanz zu diesem besonderen Aufbau des Meetings?
G. Bernert: Die Resonanz war wirklich hervorragend und sogar überregional, was uns wirklich sehr freut. Ich habe erst kürzlich von einer Patientin aus der Universitätsklinik Heidelberg gehört, die schon zweimal beim UpDate Muskelforschung dabei war und es bedauert, dass es in Deutschland nichts Vergleichbares gibt. Der Erfolg des Tages der offenen Tür liegt sicherlich auch an unserer breiten Themenauswahl und an der Offenheit des Meetings. Hier werden quer über alle beteiligten Berufsgruppen und mit Betroffenen relevante Themen besprochen.
V. Straub: Ja, das Format des UpDates Muskelforschung ist schon etwas Besonderes. In den meisten Fällen sind wissenschaftliche Tagungen von solchen, die regional direkt von Patient:innenorganisationen ausgerichtet werden, getrennt. Aber logistisch ist dies in Österreich eben einfacher zu organisieren und hat so einen besonderen Reiz.
Herr Prof. Bernert, wenn Sie ein wissenschaftliches Highlight aus dem UpDate Muskelforschung herausnehmen sollten, welches wäre das?
G. Bernert: Das ist keine leichte Frage für mich, da ich schon viele Jahre für das UpDate Muskelforschung verantwortlich bin. Wir haben bestimmte Dauerbrenner wie die häufigen neuromuskulären Erkrankungen, bei denen es ständig Innovationen gibt, zu denen wir konstant Updates geben. Zudem versuchen wir bei den zusätzlichen Themen in der Breite zu variieren. Dieses Jahr fiel die Wahl auf Ernährung und Magen-Darm-Trakt, aber wir hatten auch schon Sessions zu Themen wie Familiengründung und Sexualität.
Bei der Muskeldystrophie Duchenne (DMD) gab es viele Neuerungen. So ist seit Februar 2024 das dissoziative Steroid Vamorolon auch auf dem österreichischen Markt. Haben Sie schon Praxiserfahrungen und wie gestaltet sich die Umstellung der Patient:innen?
G. Bernert: Wir sind froh, dass Vamorolon bei uns schon verfügbar ist, die Kollegen und Kolleginnen in der Schweiz warten noch auf die Zulassung. Bei der Umstellung braucht man weder eine Ein- noch Ausschleichphase, sondern kann direkt von einem auf den nächsten Tag umstellen. Bei der Dosierung ist es so, dass wir bereits Studiendaten zu 2mg und 6mg Vamorolon pro kg KG haben und wissen, dass man die Substanz beim Auftreten von Nebenwirkungen gut titrieren kann. Hiermit haben wir auch schon gute Erfahrungen gemacht, was unsere Behandlungsoptionen nachhaltig verbessert. Gerade beim Einsatz von herkömmlichen Steroiden mussten wir oftmals bei Unverträglichkeit oder Nebenwirkungen auf Drängen der Patient:innen die Behandlung ganz absetzen, was auch dem schlechten Ruf der Steroide geschuldet ist. Hier ist, wie gesagt, Vamorolon viel besser ausgetestet und im Gesamtspektrum auch sicherer als die Steroide.
Mit Givinostat ist nun auch eine Histon-Deacetylase (HDAC) bei DMD in den USA zugelassen. In Deutschland ist bereits ein Early-Access-Programm gestartet worden. Wie schauen hier die Pläne in Österreich und der Schweiz aus?
G. Bernert: Leider war sowohl in Österreich als auch in der Schweiz kein Early-Access-Programm vorgesehen. Wir hätten es gerne durchgeführt, aber so warten wir auf die Zulassung, die im 2. bis 3. Quartal 2025 erfolgen sollte. Seit 25.4.25 liegt das positive CHMP Voting vor ( www.ema.europa.eu/en/news/new-treatment-against-duchenne-muscular-dystrophy ). Danach kommt natürlich wie meist noch die Diskussion mit den Kostenträgern.
Auch im Bereich der verkürzten, experimentellen Dystrophin-Varianten gab es ja neue Daten. Das Therapiefeld DMD scheint sich schnell weiterzuentwickeln.
G. Bernert: Ja, in dem Therapiefeld hat sich in den letzten Jahren wirklich unheimlich viel getan, es ist eine spannende Zeit. Das angesprochene Delandistrogen moxeparvovec ist in den USA schon im Handel. Zudem gibt es mittlerweile auch positive europäische Studiendaten. Vor allem nach Ausschluss der Deletionen 5 und 8 kann man die verbleibenden Patient:innen mit einem guten Nebenwirkungsprofil behandeln. Somit könnte auch hier eine Zulassung 2026 erfolgen, ich bin schon sehr auf die Entwicklungen gespannt.
Herr Prof. Straub, mit MYO-SEQ und MYO-Guide haben Sie zwei breit angelegte internationale Programme ins Leben gerufen, um die Diagnostik und unser Verständnis von den Gliedergürtel-Muskeldystrophien (LGMD) grundlegend zu verbessern. Wie schätzen Sie den Erfolg, den Einfluss und die internationale Bereitschaft zur Teilnahme an den Programmen ein?
V. Straub: Ziel des MYO-SEQ-Projektes war es, bei Patient:innen mit einer nichtdiagnostizierten Muskelerkrankung, die sich wie eine Gliedergürteldystrophie präsentiert, eine genetisch bestätigte Diagnose stellen zu können. Hier hat MYO-SEQ eine Vorreiterrolle eingenommen. Zum Zeitpunkt der Projektinitiierung wurden Exon-Sequenzierungen noch nicht durch die Gesundheitssysteme angeboten, und so war das Interesse der europäischen Kolleginnen und Kollegen enorm groß. Wir konnten im Rahmen von MYO-SEQ bei mehr als 1000 Patient:innen in Europa eine genetische Diagnose stellen, was in der Folge auch direkt zur weiteren, zielgerichteten Versorgung und der genetischen Beratung dieser Patient:innen beitrug.
Das Projekt hat zudem neue krankheitsverursachende Gene identifiziert und uns erlaubt, neue Modelle zur Entstehung der Gliedergürtel-Muskeldystrophien aufzustellen. Zurzeit haben wir noch circa 500 nichtdiagnostizierte Patient:innen. Hier arbeiten wir weiterhin mit Kolleginnen und Kollegen auf der ganzen Welt zusammen, die uns auf neue Mutationen aufmerksam machen, die wir dann mit unserer Datenbank abgleichen.
Das MYO-Guide-Projekt dient der Auswertung von MRT-Scans von LGMD-Patient:innen aus aller Welt. Hierbei können mittels Machine Learning und künstlicher Intelligenz (KI) Daten nicht nur ausgewertet, sondern auch autonom Diagnosen erstellt werden. Wie hoch sind die Hürden für die Anerkennung einer KI-Diagnose, und wie sehen Sie die zukünftige Zusammenarbeit von KI und Arzt?
V. Straub: Wir sind gerade in einer Übergangsphase von Forschungsansätzen wie MYO-Guide hin zur Implementierung in der klinischen Praxis. Aber die Vorteile des Einbezugs von KI werden immer deutlicher. So haben wir zum Beispiel mehreren LGMD-Expert:innen und unserer KI MRT-Scans von bereits diagnostizierten Patient:innen gezeigt und nach einer Diagnose gefragt. Die Resultate waren zwar vergleichbar, nur dass die KI eine Diagnose eben in Sekunden stellen kann, die Expert:innen brauchten im Schnitt etwa 90 Minuten. Also ist die Zeitersparnis enorm, und gerade Patient:innen mit seltenen Erkrankungen müssen oft jahrelang auf ihre Diagnose warten. KIs sind für mich zukünftig nicht mehr aus der Diagnostik wegzudenken. Wir arbeiten gerade daran, dass uns KIs auch bei der Verlaufsbeurteilung unterstützen können. Zudem beteiligen wir uns an dem europäischen Projekt CoMPaSS-NMD, bei dem Sequenzierungsdaten mit MYO-Guide und histologischen Daten von Muskelbiopsien kombiniert werden, um krankheitsverantwortliche Signalwege zu identifizieren. Am Ende werden die KIs aber Tools bleiben, und Ärzt:innen werden die Diagnose stellen und auch den Patient:innen übermitteln.
Erstmals liegen mit neuen Gentherapien und einer Ergänzungstherapie mit BBP-418 positive Ansätze für die LGMD-Behandlung vor. Worauf beruhten die bisherigen Schwierigkeiten in der Therapiekonzeptfindung?
V. Straub: Hier steht ganz klar die Häufigkeit der Muskeldystrophien im Vordergrund. Je weniger Erkrankte es gibt oder je geringer die Sichtbarkeit der Patient:innenorganisation ist, desto geringer ist der Anreiz für die Industrie, hier zu investieren. In vielen Fällen gibt es zudem keine Verlaufsstudien, was es für die Industrie auch schwer macht, klinische Studien zu planen. Ein weiteres Problem ist ein Mangel an klar definierten Versorgungsstandards, was eine Durchführung von Therapiestudien einschränkt.
Der WMS-Kongress ist seit 1996 eine feste Größe in der internationalen Konferenzlandschaft und mittlerweile die weltweit führende Fachtagung für neuromuskuläre Erkrankungen. Dieses Jahr wird er vom 7. bis 11.10. in Wien stattfinden – wie ergab sich diese Wahl?
V. Straub: Bei der Wahl werden verschiedene Faktoren berücksichtigt, wie der Wissenschaftsstandort. Zudem ist Wien als Stadt auch für unsere internationalen Teilnehmer:innen enorm attraktiv, und es gibt auch ein hervorragendes Kongresszentrum. Ich bin sehr froh, dass in meinem letzten Jahr als Präsident der WMS die Wahl auf Wien gefallen ist.
Gibt es Sessions oder Daten, die Sie auf dem WMS-Meeting 2025 in Wien schon mit besonderer Spannung erwarten?
G. Bernert: Wir sind sehr stolz und empfinden es als eine Auszeichnung, dass wir das Meeting in Wien austragen dürfen. Wir erwarten mehr als 1000 Teilnehmer:innen beim Meeting. Wir sind auch sehr beim Programm involviert. Es ist breit angelegt, von der Grundlagenforschung bis zu klinischen Daten zu allen Altersstufen. Bei einigen sehr seltenen Muskelerkrankungen erwarten wir zum Beispiel Phase-I/II-Studien zu neuen Gentherapien, und es wird neue Daten zu den großen Erkrankungen SMA und DMD geben.
V. Straub: Das Highlight für mich ist in der Tat das Meeting an sich. Ich freue mich immer auf das Wiedersehen mit meinen internationalen Kolleg:innen und den Austausch und die Interaktion in den vier Tagen des Meetings. Ich möchte an dieser Stelle auch noch einmal zu der Einreichung von late-breaking Abstracts im August für das WMS-Meeting 2025 aufrufen. Es bietet sich die einmalige Gelegenheit, Forschungsergebnisse vor mehr als 1200 führenden Expertinnen und Experten auf dem Gebiet neuromuskulärer Erkrankungen zu präsentieren.
Vielen Dank für das Gespräch!
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