SKOOP: stabiles Knie ohne Operation nach VKB-Ruptur

Mit SKOOP stellen wir ein neues konservatives Behandlungskonzept vor, nach welchem ein gerissenes vorderes Kreuzband (VKB) stabil verheilen kann. Hierfür müssen die anatomischen und biomechanischen Eigenschaften des VKB beachtet werden. Wir sind davon überzeugt, dass die Art der Kreuzbandverletzung sowie die konsequente Behandlung für den Erfolg der Therapie wichtiger sind als das Aktivitätsniveau des Patienten.

Video: SKOOP 3D-Animation

Keypoints

  • Das gerissene VKB kann heilen.

  • Die Kreuzbänder liegen intraartikulär, aber extrasynovial.

  • Verbleibt im Rahmen einer Ruptur der vorderen Kreuzbandfasern der synoviale Überzug intakt, dient dieser als Schienung. Ausserdem schützt er den Fibrin-Clot vor dem in der Gelenksflüssigkeit vorhandenen Plasmin.

  • Auch sportlich sehr aktive Patienten mit VKB-Ruptur können in diesem Fall auf konservativem Weg eine stabile Heilung des Kreuzbandes erreichen.

VKB-Ruptur

Die Ruptur des VKB ist eine der häufigsten Sportverletzungen des Knies. Nach einer Hochrechnung der Schweizerischen Unfallstatistik gibt es schweizweit etwa 10000 bis 12000 Knieverletzungen pro Jahr, bei denen das VKB beschädigt wird.1 Das klassische Verletzungsmuster beschreibt sehr häufig eine Fixation des Fusses in Aussenrotation bei gleichzeitiger Innenrotation des Oberschenkels und Valgusstress auf das Kniegelenk. Zusätzlich befindet sich der Körperschwerpunkt hinter dem Kniegelenk, wodurch es zu einer Quadrizepsaktivierung mit anteroposteriorer Translation des Unterschenkels kommt. Ein besonders hohes Verletzungsrisiko besteht bei pivotierenden Sportarten, wie Fussball, Handball, Basketball, aber auch Skifahren. Pivot steht dabei für Drehung. Teilweise kann die Ruptur als Knall verspürt werden. In der Regel stellen sich unmittelbar nach dieser Verletzung nebst dem Schmerz auch Schwellung und Erguss sowie ein Instabilitätsgefühl ein.

Wahl der Behandlung

Konservative Therapie

Kaplan unterteilt Patienten mit einer VKB-Ruptur in drei Gruppen: Coper, Adapter und Non-Coper.2 Er beschreibt Coper (engl. «to cope»=zurechtkommen) als Patienten, welche durch Physiotherapie ihr Aktivitätsniveau ohne subjektive Instabilität wieder erreichen. Aus der Literatur ist bekannt, dass bei sportlich aktiven Patienten die Coper nur eine Gruppe von 6% ausmachen.3 Allerdings bestand im Rahmen dieser Untersuchung die konservative Behandlung «lediglich» aus Physiotherapie zur Verbesserung der muskulären Stabilität des Kniegelenkes und der Propriozeption. Die Insuffizienz des Kreuzbandes soll muskulär kompensiert werden.

Die zweite Gruppe, die Adapter (engl. «to adapt»=anpassen), passen die sportlichen Aktivitäten ihrer subjektiven Instabilität des Kniegelenkes an und verzichten oder reduzieren sportliche Aktivitäten. Die Non-Coper kommen entweder im Sport oder im täglichen Leben mit der Instabilität nicht zurecht und benötigen eine operative Behandlung. Primär konservativ behandelte Coper und auch Adapter können sekundär eine operative Versorgung benötigen.

Der Verdacht liegt nahe, dass erfolgreiche Coper Personen mit geringen sportlichen Aktivitäten sind. Hingegen müssen Sportler mit pivotierender Belastung eher zu den Non-Copern gerechnet werden. So zeigen verschiedene Arbeiten, dass eine Rückkehr auf das gewohnte Leistungsniveau in pivotierenden Sportarten mit gerissenem VKB kaum möglich ist.4,5

Operative Therapie

Nun kann argumentiert werden, dass primär ein konservativer Versuch unternommen werden sollte, um zu prüfen, ob ein Patient als Coper klassifiziert werden kann. Im Falle von Sportlern mit pivotierenden Belastungen ist dies aber ein riskantes Vorgehen. Es ist aus der Literatur bekannt, dass diese durch rezidivierende Instabilitäten im Sport ein hohes Risiko für Folgeschäden an Menisken und Knorpel aufweisen.6–8

Für aktive Sportler gilt deswegen die operative Rekonstruktion des VKB als Standardtherapie. Dabei wird mittels autologer Sehne das VKB ersetzt. In der Regel gelingt es hierdurch gut, die Kniegelenksfunktion für Anforderungen im Alltag, Beruf und Sport wiederherzustellen.9–13 Die VKB-Rekonstruktion ist heute eine etablierte sportorthopädische Operation. In der Schweiz werden jährlich etwa 7000 VKB-Rekonstruktionen durchgeführt.14 Ziel dieses Eingriffes ist es, die Stabilität des Kniegelenkes wiederherzustellen. Heute wissen wir auch, dass durch die verbesserte Stabilität des Gelenkes die Menisken vor weiteren Verletzungen geschützt werden und dadurch das Risiko einer Arthrose reduziert werden kann.15

Ein Nachteil der Rekonstruktion mittels autogener Sehne besteht in der Entnahmemorbidität. Allogenes Material zur Verwendung als VKB-Transplantat birgt hingegen ein erhöhtes Rerupturrisiko.16 In den letzten Jahren sind deswegen auch VKB-erhaltende Operationen mittels Naht wieder aufgekommen,17,18 nachdem diese in den 1970/80er-Jahren bereits wenig erfolgreich versucht wurden. All diesen Techniken ist gemeinsam, dass es einer Operation bedarf, um das Kniegelenk zu stabilisieren. Das VKB nach Ruptur kontrolliert zu einer stabilen Heilung zu bringen wäre unbestritten die beste Lösung.

Konservative Therapie – stabile Heilung des VKB

Verschiedene Arbeiten haben sich mit der Frage beschäftigt, wie das VKB konservativ stabil zur Ausheilung gebracht werden kann. Jakobi et al. stellten das ACL Brace vor, welches das Kniegelenk dynamisch in eine hintere Schublade drückt.19 Dabei fand man in der Gruppe mit der ACL-Brace-Versorgung klinisch eine deutlich verbesserte Stabilität gegenüber rein funktioneller Nachbehandlung. Ausserdem konnte bei 55% der Patienten in einer Verlaufs-MRI-Untersuchung nach 6 Monaten eine normale Struktur des VKB nachgewiesen werden.

Fujimoto et al. haben sportlich wenig aktive Patienten nach VKB-Ruptur mit einer Schiene zur Extensionshemmung von 20° versorgt.20 Die Schiene sollte für drei Monate getragen werden, dann erfolgte eine MRI-Untersuchung. Letztlich erreichten 23 von 31 Patienten ein klinisch stabiles Knie, 21 Patienten zeigten auch in der MRI-Untersuchung eine durchgängige Struktur des VKB.

Anatomische, biologische und biomechanische Voraussetzungen

Das VKB kann also heilen, aber die Quote hierfür scheint nicht besonders gut zu sein. Es stellt sich die Frage, welche Faktoren dafür verantwortlich sind, ob ein gerissenes VKB heilt oder eben nicht.

Biologie

Martha Murray hat in ihren Arbeiten anhand von präklinischen Studien die biologische Ursache aufzeigen können, aufgrund deren intraartikuläre Verletzungen grundsätzlich eher schlecht heilen. Sie ist der Frage nachgegangen, warum das mediale Seitenband in der Regel unter konservativen Massnahmen gut heilt, das VKB hingegen nicht.21

Die Heilung von Bindegewebe verläuft unter anderem über die Bildung eines Fibrin-Clots. Dieser Clot bildet ein festes strukturelles Gerüst, in welches Fibroblasten einwachsen und das schliesslich mit Kollagen durchbaut wird. Die Heilung konnte für das mediale Seitenband so gezeigt werden.22 Beim gerissenen VKB kommt es aber nicht zur Bildung eines Fibrin-Clots. Das in der Synovialflüssigkeit vorliegende Plasminogen wird bei Verletzung zu Plasmin aktiviert, welches wiederum den Fibrin-Clot auflöst. Es fehlt somit das Gerüst, damit die Kreuzbandfasern zusammenwachsen können. Dieses Plasmin ist im Übrigen der Grund, weshalb wir im klinischen Alltag einen Hämarthros punktieren können. Das Blut gerinnt aufgrund der Plasminaktivität in der Gelenksflüssigkeit nicht.

Anatomie

Aus der embryologischen Forschung weiss man, dass die Kreuzbänder von dorsal ins Gelenk hineinwachsen und dabei von der Synovia ummantelt werden.23 Dabei bildet sich ein Segel dorsalseitig vom hinteren Kreuzband: das sogenannte postero-mediane Septum, welches den hinteren Rezessus in zwei Kompartimente unterteilt. Die Kreuzbänder liegen also intraartikulär, allerdings extrasynovial.24

Abb. 1: Axialschnitt durch das Kniegelenk. Rosa gezeichnete Strukturen liegen intraartikulär sowie intrasynovial. Gelb markierte Strukturen liegen intraartikulär, aber extrasynovial und sind dadurch nicht in stetem Kontakt mit der Gelenksflüssigkeit

Reisst das VKB im Rahmen einer Kniedistorsion, kommt es häufig auch zu einem Zerreissen des synovialen Überzuges. Dieser ist sehr gut durchblutet, wodurch es auch bei isolierter VKB-Ruptur meist zur Bildung eines ausgeprägten Hämarthros kommt.

Die Energie, welche diesem Verdrehtrauma zugrunde liegt, braucht nicht sehr gross zu sein. Stürze beim Anstehen am Skilift, beim Langlaufen oder bei langsamem Skifahren im Nebel sind sogar häufige Ursachen. Dabei kommt es vor, dass die relativ starren Fasern des VKB reissen, wohingegen der elastische synoviale Überzug erhalten bleibt. Regelmässig fehlt dadurch bei solchen Niedrigenergietraumata ein Hämarthros.

Biomechanik

Arnold et al. konnten zeigen, dass die Spannung des VKB nicht isometrisch ist.25 Vielmehr kommt es zu einem Spannungsanstieg ab 20° Extension sowie 90° Flexion. Zwischen 90° und 20° verläuft die Spannungskurve jedoch ganz flach (Abb. 2). In diesem Bewegungsradius ist demnach eine spannungsarme Nachbehandlung möglich.

Abb. 2: Darstellung der Spannungskurve des VKB in Abhängigkeit von der Knieflexion (mod. nach Arnold et al. 2005)25

SKOOP-Forschungsprojekt

Kommt es im Rahmen einer VKB-Verletzung nicht zum Auftreten eines Hämarthros, so kann von einem intakten synovialen Überzug ausgegangen werden. Dieser kann als Schienung für die zerrissenen Fasern des Kreuzbandes an die anatomische Insertion des Kreuzbandes angesehen werden. Der synoviale Überzug lässt weiter die Bildung eines Fibrin-Clots zu, da dieser nicht in Kontakt mit der Gelenksflüssigkeit und dem darin enthaltenen Plasmin kommt. Ermöglicht man nun die spannungsfreie Ruhigstellung der gerissenen Kreuzbandfasern zwischen 20° und 90° Flexion, so ist eine suffiziente Heilung möglich, wie Fujimoto et al. zeigen konnten.20

Nach guten klinischen Ergebnissen mit dieser Behandlungsstrategie bei fünf Patienten in der Praxis möchten wir den Behandlungserfolg wissenschaftlich überprüfen. Dazu haben wir ein prospektives monozentrisches Forschungsprojekt geplant, welches die Ethikkommission in Basel bewilligt hat. Wir rekrutieren Patienten mit einer VKB-Ruptur, welche nach dem SKOOP-Protokoll behandelt werden. Der Erfolg der Behandlung wird objektiv durch klinische Tests und eine MRI-Untersuchung nach 12 Monaten und subjektiv durch Patientenfragebogen überprüft.

In Kenntnis der anatomischen Besonderheiten des VKB sowie der biomechanischen Eigenschaften haben wir folgende Einschlusskriterien festgelegt:

  • komplette akute Ruptur des VKB

  • kein Erguss im Kniegelenk

  • keine Begleitverletzungen an Menisken, Bändern oder Knorpel

  • Bereitschaft zu einer erneuten MRI-Untersuchung nach 12 Monaten

Ausgeschlossen werden Patienten mit zusätzlichen Verletzungen am Kniegelenk, welche eine Operation bedingen. Das Follow-up des Forschungsprojektes beträgt 3, 6, 12 und 24 Monate.

Primäre Endpunkte sind die Translation im Kniegelenk (KT-1000-Messung im Seitenvergleich) und die Rotationsstabilität (negativer Pivot-Shift-Test), gemessen nach 3, 6 und 12 Monaten. Nach 12 Monaten erfolgt eine MRI-Untersuchung zur Beurteilung der Intaktheit des VKB. Zur Messung der subjektiven Funktionsfähigkeit und der Zufriedenheit werden die Patienten gebeten, zu Beginn der Behandlung sowie nach 3, 6, 12 und 24 Monaten die folgenden Fragbogen auszufüllen: subjektive Evaluation (IKDC), Aktivitätslevel (Tegner), Rückkehr zum Sport (ACL-RSI-Skala), gesundheitsbezogene Lebensqualität (EQ-5D) und Zufriedenheit mit dem Behandlungsergebnis (Likert-Skala).

Sollte im Behandlungsverlauf eine subjektive («giving way») oder objektive Instabilität (positiver Pivot-Shift-Test) auftreten, wird dem Patienten eine operative Therapie vorgeschlagen. Sollten sich bei der Verlaufs-MRI-Untersuchung eine Meniskusverletzung sowie eine insuffiziente Heilung des VKB zeigen, wird ebenfalls eine operative Versorgung empfohlen.

Es ist unser Ziel, aufzuzeigen, dass ein Riss des VKB auch ohne Operation stabil verheilen kann. Die Auswahl der Patienten respektive deren Verletzung sind ebenso entscheidend wie die konsequente Schienenbehandlung. Dabei spielt es keine Rolle, wie sportlich aktiv der Patient ist. Unnötige Operationen sollen verhindert und Kosten im Gesundheitswesen eingespart werden. Dem Patienten soll bei passendem Verletzungsmuster ein alternativer Behandlungsweg aufgezeigt werden.

1 Gesundheitsdirektion des Kantons Zürich: Ruptur des vorderen Kreuzbandes: operative oder konservative Behandlung? https://www.swissmedicalboard.ch/fileadmin/public/news/2011_und_aelter/bericht__smb_kreuzbandriss_lang_2009.pdf 2 Kaplan Y: J Orthop Sports Phys Ther 2011; 41(10): 758-66 3 Hurd WJ et al.: Am J Sports Med 2008; 36(1): 48-56 4 Kostogiannis I et al.: Am J Sports Med 2007; 35(7): 1135-43 5 Muaidi QI et al.: Sports Med 2007; 37(8): 703-16 6 Daniel et al.: Am J Sports Med 1994; 22(5): 632-44 7 Nebelung W, Wuschech H: Arthroscopy 2005; 21(6): 696-702 8 Sanders TL et al.:Knee Surg Sports Traumatol Arthrosc 2017; 25(2): 493-500 9 Mouarbes D et al.: Am J Sports Med 2019; 47(14): 3531-40 10 Lai CCH et al.: Br J Sports Med 2018; 52(2): 128-38 11 Ellman MB et al.: J Am Acad Orthop Surg 2015; 23(5): 283-96 12 Struewer J et al.: Int Orthop 2013; 37(2): 271-7 13 Leiter JRS et al.: Knee Surg Sports Traumatol Arthrosc 2014; 22(5): 1061-9 14 Bundesamt für Statistik: Medizinische Statistik der Krankenhäuser: Anzahl Fälle und durchschnittliche Aufenthaltsdauer (DAD) nach Altersklasse und Diagnosekode, 2017. https://www.bfs.admin.ch/bfs/de/home/statistiken/kataloge-datenbanken/tabellen.assetdetail.6406957.html 15 Sanders TL et al.: Am J Sports Med 2016; 44(7): 1699-707 16 Sun K et al.: Knee Surg Sports Traumatol Arthrosc 2009; 17(5): 464-74 17 Eggli S et al.: BMC Musculoskelet Disord 2016; 17: 105 18 van Eck CF et al.: Am J Sports Med 2018; 46(9): 2291-8 19 Jacobi M et al.: Adv Orthop 2016; 2016: 1609067 20 Fujimoto E et al.: Arch Orthop Trauma Surg 2002; 122(4): 212-6 21 Murray MM, Spindler KP: Sports Med Arthrosc Rev 2005; 13(3): 151-5 22 Frank C et al.: J Orthop Res 1983; 1(2): 179-88 23 Mérida-Velasco JA et al.: Anat Rec 1997; 248(2): 259-68 24 Strobel MJ, Zantop T: Vorderes Kreuzband - Anatomie, Diagnostik und Operationstechnik. Endo Press, 2010 25 Arnold MP et al.: Am J Sports Med 2005; 33(2): 277-83

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