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Rheumatherapie im Wandel
Jatros
Autor:
Mag. Christine Lindengrün
30
Min. Lesezeit
17.11.2016
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<p class="article-intro">Noch nie standen so viele verschiedene Wirkstoffe gegen rheumatische Erkrankungen zur Verfügung wie heute, und es werden noch mehr: In der Warteschleife befinden sich Biosimilars, Anti-IL-6-Therapien und orale Alternativen zur Behandlung der rheumatoiden Arthritis. Man könnte glauben, dass sich rheumaorthopädische Eingriffe durch die vielfältigen medikamentösen Therapieoptionen erübrigt hätten. Dem ist aber nicht so. </p>
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<p class="article-content"><p>Beim mittlerweile schon traditionellen Ortho-Rheuma-Special-Meeting des Universimed-Verlages trafen sich führende Orthopäden und Rheumatologen sowie Vertreter der Pharmaindustrie zum interdisziplinären Update. Doz. Dr. Burkhard Leeb, LK Weinviertel in Stockerau, berichtete über neue Strategien in der medikamentösen Rheumatherapie. Was den Rheumaorthopäden im Zeitalter der Biologika noch zu tun bleibt, darüber gab Doz. Dr. Johannes Holinka, Universitätsklinik für Orthopädie, Wien, Auskunft. Der Vorsitzende der Veranstaltung, Dr. Rudolf Puchner, Präsident elect der ÖGR, präsentierte abschließend zwei Fallbeispiele, mit denen er die oftmals schwierige Diagnosefindung bei Schmerzpatienten und die Notwendigkeit interdisziplinärer Zusammenarbeit von Orthopäden und Rheumatologen aufzeigte.</p> <h2>Biosimilars: Generika oder doch etwas anderes?</h2> <p>Seit der erstmaligen Verabreichung eines TNF-Blockers an einen Rheumapatienten vor mehr als 20 Jahren hat sich die medikamentöse Therapie dieser Erkrankung dramatisch gewandelt. Heute steht eine ganze Reihe von pharmazeutischen Möglichkeiten zur Verfügung und viele weitere sind in der Pipeline. Das am schnellsten wachsende Segment auf diesem Sektor ist das der Biosimilars. <br /> Doz. Leeb erklärt, warum Biosimilars nicht – wie andere Nachahmerprodukte – einfach als Generika bezeichnet werden können. Der erste Unterschied ist (fast) augenfällig: Biosimilars sind, so wie auch die Biologika, sehr große Moleküle. Ihre molekulare Masse ist etwa 1000-mal so groß wie die eines „einfachen“ Medikamentes, ihre Synthese ist dementsprechend komplex. Aufgrund der biotechnologischen Herstellung unterliegt die Zulassung von Biosimilars auch anderen Regulatorien als die der Generika. „Biologische Prozesse sind nie völlig ident“, erklärt Leeb. Ziel kann es daher nur sein, eine möglichst große Ähnlichkeit mit dem Originator zu erreichen. Für die Zulassung von Biosimilars ist deshalb der Nachweis der Nichtunterlegenheit erforderlich. Auch bei manchen bereits zugelassenen Biologika wurden die Herstellungsprozesse im Lauf der Zeit geändert, wie Leeb berichtet: „Die EMA wird zwar über alle Prozessänderungen informiert, an die Ärzte wurden diese Informationen jedoch in der Regel nicht weitergegeben.“</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2016_Jatros_Ortho_1606_Weblinks_s82_1.jpg" alt="" width="250" /></p> <h2>Was kommt?</h2> <p>Da in naher Zukunft für etliche Biologika die Patente ablaufen, werden in den nächsten Jahren weitere Biosimilars auf den Markt kommen, meint Leeb. Zudem werden Biologika vermutlich billiger werden. Man könnte dann eventuell auch Patienten mit niedriger Krankheitsaktivität mit Biologika behandeln; ein etwaiger Vorteil müsste erst nachgewiesen werden. Eine eigene Studie von Leeb et al spräche jedenfalls dafür. In dieser wurde Tocilizumab an Patienten mit milder bis moderater rheumatoider Arthritis verabreicht, was zu einer deutlichen Verminderung der Krankheitsaktivität führte.1 In Phase II–III der Prüfung befinden sich weiters neue Anti-IL-6-Therapien, nämlich die Substanzen Sarilumab, Olokizumab, Clazakizumab und Sirukumab, sowie auch das gegen IL-17 gerichtete Ixekizumab. <br />Neben den riesigen Biologika- und Biosimilarmolekülen gibt es aber auch neue kleine Moleküle, die zur Behandlung rheumatischer Arthritiden geeignet sind und oral verabreicht werden können. Es sind dies Januskinase(JAK)-Inhibitoren wie Tofacitinib und Baricitinib, die laut Leeb demnächst auch in Europa auf den Markt kommen werden. Eine typische „Schnittstellenerkrankung“, mit der Ärzte verschiedenster Disziplinen konfrontiert werden können, ist die Psoriasisarthritis (PsA), denn sie kann sich an Haut und Nägeln, an Gelenken, Wirbelkörpern und Sehnen, im Magen-Darm-Trakt und an den Augen (Iritis) manifestieren. Zur Behandlung der aktiven PsA sind (bei unzureichendem Ansprechen auf herkömmliche synthetische Basistherapeutika) TNF-α-Blocker, der Interleukin-12/23R-Hemmer Ustekinumab, der Anti-IL-17-Antikörper Secukinumab und der PDE-4-Hemmer Apremilast, als „small molecule“ in Tablettenform, zugelassen. Weitere Anti-IL-17-Therapien wie Brodalumab und Ixekizumab befinden sich in der Pipeline.</p> <h2>Orthopädische Rheumachirurgie heute</h2> <p>Biologika haben die Behandlung der rheumatoiden Arthritis revolutioniert, schwere Gelenksdeformitäten sind dadurch selten geworden. „Die Patienten sind heutzutage weniger von Gelenksdestruktionen betroffen, stationäre Behandlungen von Rheumapatienten sind insgesamt stark zurückgegangen, Synovialitiden und Weichteileingriffe sind sehr selten geworden“, bestätigt Doz. Holinka. Dennoch sind die Rheumaorthopäden noch nicht arbeitslos. Das Indikationsspektrum für rheumachirurgische Eingriffe ist immer noch mannigfaltig. Vor allem an der unteren Extremitäten sind häufig noch operative Versorgungen notwendig. Der Trend geht dabei in die Richtung weniger invasiver Eingriffe: Synovektomien in frühen Stadien werden heutzutage fast ausschließlich arthroskopisch durchgeführt. Die moderne Rheumachirurgie steckt sich außerdem höhere Ziele: „Früher standen Schmerzlinderung und Erhalt der Mobilität im Vordergrund. Heute versucht man, mittels operativer Eingriffe die Gelenksfunktionen zu verbessern“, sagt Holinka. Biologika haben also den Leidensdruck von den Patienten genommen. Diese an und für sich erfreuliche Entwicklung birgt allerdings die Gefahr, dass die Indikation zur Operation später gestellt wird als früher. „Die Operationsbereitschaft der Patienten ist gesunken, weil sie keine starken Schmerzen haben. Die Gelenksdestruktion schreitet indes weiter fort – zwar nicht so schnell wie früher, aber doch stetig“, betont Holinka. Je später der Operationszeitpunkt, umso weniger könne funktionserhaltend operiert werden. Eine arthroskopische Versorgung ist nicht mehr möglich, wenn das Gelenk schon stark geschädigt ist. Dies ist auch der Grund, warum die Zahl der endoprothetischen Versorgungen bei Rheumapatienten nicht rückläufig ist. Das Stadium der Erkrankung, das Ansprechen auf die konservative Therapie und die individuelle Situation des Patienten sollten deshalb nach Meinung Holinkas interdisziplinär beurteilt werden, um den bestmöglichen Zeitpunkt für eine eventuell notwendige Gelenksoperation zu finden.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2016_Jatros_Ortho_1606_Weblinks_s82_2.jpg" alt="" width="250" /></p> <h2>Hand, Fuß und Finger</h2> <p>Waren früher Resektionsarthroplastiken das Hauptaufgabengebiet der Rheumachirurgie, so sind es heute eher gelenks­erhaltende Operationen, z.B. am Metatarsale oder am Großzehengrundgelenk. „Studien der letzten Jahre haben gezeigt, dass Arthroplastik und Arthrodese am Vorfuß gleich gute Ergebnisse hinsichtlich Schmerzfreiheit bringen, die Gelenksfunktion kann aber mit der <br />Arthrodese besser erhalten werden“, so Holinka. <br />Schäden am Handgelenk können in frühen Stadien sehr gut mit arthroskopischen Methoden behandelt werden. Arthrodesen und Endoprothesen können damit hinausgezögert oder sogar vermieden werden. In den letzten Jahren gibt es auch zunehmend Fortschritte bei der arthroskopischen Versorgung von Fingergelenken: „Bei isolierten Entzündungen können Patienten sogar im MCP-Gelenk von einer arthroskopischen Synovektomie sehr profitieren.“ Nach wie vor werden natürlich auch Silkonspacer eingesetzt.<br />„Offene Operationen waren früher weitaus öfter nötig, denn man musste auch die Sehnen mitbehandeln“, erklärt Holinka. „Mit dem Einsatz von Biologika sind Synovialitiden selten geworden.“ Heute ist isolierter Gelenksbefall häufiger anzutreffen, und dieser kann arthroskopisch versorgt werden. „Arthroskopie ist eigentlich bei allen Gelenken möglich. Die Vorteile sind ein geringeres Operations­trauma und dadurch eine schnellere Rehabilitation.“ <br />Auch in der Endoprothetik für Rheumapatienten hat sich in den letzten Jahren einiges getan. Minimal invasive, muskelschonende Zugänge werden angestrebt. Holinka: „Bei der Knieendoprothetik ist der Zeitpunkt wichtig: je schlechter die Beweglichkeit vor der Operation, desto schlechter das Outcome. Wartet man zu lange, so sind die Bänder bereits geschädigt und achsgeführte bzw. Revisionsprothesen unvermeidbar.“ Schulter-, Knie- und Ellbogenprothesen zeigen laut Holinka im Allgemeinen recht gute Langzeitergebnisse, leider nur mäßig ist die Langlebigkeit von Hand- und Sprunggelenksprothesen. Hier sollten die Patienten genau evaluiert und aufgeklärt werden. Periprothetische Infektionen sind besonders bei Rheumapatienten ein Problem. Diesbezüglich sollten alle möglichen perioperativen Präventionsmaßnahmen getroffen werden.</p> <h2>Knifflige Fälle</h2> <p>Leiden Menschen an tief sitzenden Kreuzschmerzen, ist der Weg zur richtigen Diagnose oftmals ein langer. Dr. Puchner berichtet von einer 22-jährigen Medizinstudentin, die 3 Jahre lang immer wieder an Kreuzschmerzen litt, vor allem im <br />Sitzen und Liegen. Bei Bewegung besserten sich die Symptome. Umfangreiche orthopädische, neurologische und internistische Untersuchungen erbrachten keine eindeutige Diagnose. Das Ergebnis der psychiatrischen Untersuchung lautete: innerer Widerwille gegen das Medizinstudium. Erst nach einer jahrelangen Odyssee der Patientin wurde mittels Labor- und MRI-Befund die richtige Diagnose gestellt: axiale Spondyloarthritis. Dieser Fall hat sich vor etwa 10 Jahren zugetragen; Puchner hofft, dass eine solche Krankengeschichte heutzutage nicht mehr vorkommt. Ein aktuellerer Fall betrifft eine 26-jährige Journalistin aus Boston. Sie hatte persistierende Schmerzen im tiefen Kreuz und Steißbein, diffuse Gesäßschmerzen, vor allem nachts und in den frühen Morgenstunden, aber auch nach längeren Autofahrten. Die Glutealmuskulatur war schon bei kleinster Berührung schmerzempfindlich. Die Diagnose der Primary Care lautete Muskelverspannung. Eine Therapie mit Analgetika half nur kurz, die Schmerzen wurden stärker und begannen, in Rücken und Bauch auszustrahlen. Beim Beugen nach vorne kam es zu einschießenden Schmerzen in der Glutealregion, ebenso beim Drehen des Kopfes. Der Röntgenbefund war unauffällig, für eine MRT-Untersuchung wurde keine Indikation gesehen. Eine von Physiotherapeuten durchgeführte Elektrostimulation brachte in der Folge wesentliche Besserung, was die Behandler in der Diagnose „Piriformis-Syndrom“ bestärkte. Die Patientin konnte wieder Sport betreiben und empfand nur mehr leichte Schmerzen. Nach wenigen Monaten kehrten die Schmerzen jedoch vehement zurück und es trat zusätzlich eine Miktionsstörung auf. Auf Verlangen wurde nun eine MRT-Untersuchung durchgeführt und es zeigte sich schließlich ein lumbosakraler intraduraler Tumor. Die histologische Diagnostik ergab ein myxopapilläres Ependymom. Fälle wie diese würden zeigen, so Puchner, dass eine gemeinsame Begutachtung von Kreuzschmerzpatienten durch Orthopäden und Rheumatologen durchaus zielführend sei und vielen Patienten lange Leidenswege ersparen könnte.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2016_Jatros_Ortho_1606_Weblinks_s82_3.jpg" alt="" width="250" /></p> <h2>Quelle:</h2> <p>Ortho-Rheuma-Special, Veranstaltung der Universimed Cross Media Content GmbH, 15. September 2016, Wien</p></p>
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<a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a>
<div class="collapse" id="collapseLiteratur">
<p><strong>1</strong> Leeb B et al: The safety and effect on disease activity of tocilizumab in combination with MTX versus tocilizumab monotherapy in patients with mild to moderate RA: an attempt to optimise the treatment response. Arthritis Rheumatol 2015; 67(Suppl 19): Abstract Nr. 1039</p>
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