
Prothetischer Ersatz bei Schenkelhalsfrakturen älterer Patienten
Jatros
Autor:
Univ.-Ass. Dr. Renate Krassnig
Universitätsklinik für Orthopädie und<br> Traumatologie, Medizinische Universität Graz
Autor:
Dr. Lisa Gartner
Universitätsklinik für Orthopädie und<br> Traumatologie, Medizinische Universität Graz
Autor:
Univ.-Prof. Dr. Herwig Hofer
Universitätsklinik für Orthopädie und<br> Traumatologie, Medizinische Universität Graz
Autor:
PD Dr. Paul Puchwein
Universitätsklinik für Orthopädie und<br> Traumatologie, Medizinische Universität Graz
Autor:
Univ.-Prof. Mag. Dr. Franz Josef Seibert
Universitätsklinik für Orthopädie und<br> Traumatologie, Medizinische Universität Graz<br> E-Mail: franz.seibert@medunigraz.at
30
Min. Lesezeit
21.09.2017
Weiterempfehlen
<p class="article-intro">Die Versorgung der Schenkelhalsfraktur des älteren Patienten mit dem gesamten perioperativen Management ist eine der Haupt- und Kernaufgaben des Traumatologen. Besonderes Augenmerk wurde in letzter Zeit vor allem auf die Zugangsmorbidität gelegt, wobei wir mittels Literaturreview (Gartner L.: Diplomarbeit MUG 2017) den derzeitigen Stand der Wissenschaft beleuchten. Seit über 10 Jahren haben wir uns selbst auch mit dem anterioren Zugang in der Hüftendoprothetik beschäftigt, wobei der traumatologische Standardzugang jedoch nach wie vor der transgluteale Zugang nach Bauer ist.</p>
<hr />
<p class="article-content"><p>Minimal invasive Chirurgie – zunehmend populär in Teilbereichen der Medizin, insbesondere in der Chirurgie des Bewegungsapparates – wird zunehmend auch für die Implantation einer Kopfendoprothese nach medialer Schenkelhalsfraktur thematisiert. Der Hüftkopfersatz nach Schenkelhalsfraktur zählt in den westlichen Industriestaaten mit einem hohen Bevölkerungsanteil an betagten und teils hochbetagten Patienten zu den am häufigsten durchgeführten Eingriffen an orthopädisch-traumatologischen Abteilungen.<br /> Die Fraktur per se stellt ein einschneidendes Ereignis mit vielfach unerwarteten Umstellungen der Lebenssituation für die Patienten und auch ihre Angehörigen dar. Patienten werden großteils aus ihrer bis dato gelebten Selbstständigkeit – oft sogar noch allein lebend – herausgerissen und sind plötzlich auf Pflege und Hilfe angewiesen. Jede therapeutische Intervention ist nun darauf ausgerichtet, diese Patienten so rasch wie nur irgend möglich wieder zu remobilisieren bzw. ihnen Schmerzfreiheit innerhalb eines möglichst kurzen Klinikaufenthaltes zu gewähren. Während Schenkelhalsfrakturen ohne Dislokation und mit minimaler valgischer Einstauchung durchaus auch hüftkopferhaltenden Operationstechniken (z.B. Verschraubung, dynamische Hüftschraube) zugeführt werden können, ist die Hüftkopfendoprothese (KEP), vor allem bei Schenkelhalsfrakturen mit höherem Dislokationsgrad (Garden III/IV) bzw. höhergradiger Osteoporose, die Therapie der Wahl. Ist es auch noch möglich, die einwandfreie Funktion der angrenzenden Muskeln, Leitungs- und Versorgungsbahnen (minimal invasives Prinzip) zu erhalten, sollte es bei optimal implantierter Prothese möglich sein, die postoperative Mobilisierung zu optimieren.<br /> In unserem Artikel sollen die Vor- und Nachteile der muskelsparenden OP-Technik (AMIS) mit direktem anteriorem Zugang („direct anterior approach“, DAA) anhand der rezenten Literatur diskutiert werden.</p> <h2>Material und Methode</h2> <p>Medizinische Datenbanken (Medline, PubMed) wurden nach neuen Studien bezüglich des postoperativen Outcomes nach der Implantation einer Hüftkopfendoprothese durchsucht. Es konnten 20 Studien gefunden werden, die sich mit dem postoperativen Outcome nach endoprothetischer Versorgung über einen minimal invasiven Zugang oder dem Vergleich dieser Technik mit konventionellen Zugängen auseinandersetzten. Letztendlich blieben 8 Artikel (2 retrospektive, 6 prospektive Arbeiten), welche ein Patientenkollektiv nach nicht elektiven Eingriffen (= Fraktur) beschrieben.<sup>1–7</sup> Die Studien beziehen sich sowohl auf die mono-<sup>4, 6</sup> als auch bipolare<sup>1– 3, 5, 7</sup> Kopfendoprothetik. Die Gesamtanzahl der Patienten betrug 684, wobei die Mehrheit weiblich war (532 Frauen, 152 Männer; 78:22 % ). Das mittlere Alter in den Patientengruppen betrug 80 bis 87,5 Jahre. Das mittlere Follow-up lag zwischen 4 und 30 Monaten.<br /> Von diesen 684 Patienten wurden 465 mittels DAA versorgt; die restlichen 219 Patienten wurden großteils als Vergleichskollektiv über konventionelle Zugänge (posterior, posterolateral, anterolateral nach Watson-Jones oder transgluteal nach Bauer) versorgt.</p> <h2>Ergebnis</h2> <p>Während die meisten Studien bezüglich der Operationszeit keinen Benefit bei direktem vorderem Zugang (DAA-AMIS) zeigen konnten, stellten Baba et al. gegenüber der Gruppe mit posteriorem Zugang eine signifikant kürzere Schnitt-Naht-Zeit fest.<sup>1</sup> Demgegenüber fanden Langlois et al. für den posterolateralen Zugang 54 Minuten gegenüber 65 Minuten für den DAA.<sup>2</sup><br /> Die meisten Studien dokumentierten keinen unterschiedlichen intra- oder postoperativen Blutverlust gegenüber der AMIS-Technik; die Gruppe um Tsukada et Wakui beschrieb sehr wohl einen höheren Blutverlust in der DAA-Gruppe (377 ± 192,1 gegenüber 230 ± 114,9).<sup>8</sup><br /> Während Trinh et al. zeigen konnten, dass mehr Patienten nach DAA vor dem dritten postoperativen Tag entlassen werden konnten (23 % vs. 6 % ),<sup>5</sup> dokumentierten die übrigen Studien keinen Vorteil in der AMIS-Gruppe. Bezüglich einer möglichen Prothesenluxation wiesen einzig Langlois et al. für Operationen in konventioneller posterolateraler Technik eine höhere postoperative Luxationsrate nach (9:1).<sup>2</sup><br /> Hinsichtlich postoperativer Schmerzen fand sich im Patientenkollektiv der Arbeitsgruppe um Renken et al. bis zum 16. postoperativen Tag kein Unterschied; danach waren Patienten der DAA-Gruppe jedoch wesentlich schmerzärmer.<sup>3</sup> Gänzlich unterschiedlich zeigte sich das Ergebnis bezüglich postoperativer VAS-Scores im Kollektiv von Langlois et al.: Während DAA-Patienten nach 5 Tagen weniger Schmerzen angaben, war es im Follow-up nach 6 Wochen genau umgekehrt.<sup>2</sup><br /> In allen acht Studien war die postoperative Mobilität ein wesentliches Kriterium. So konnten aus dem Patientenkollektiv von Trinh et al. 50 % der DAA-Gruppe ihre präoperative Mobilität zurückerlangen gegenüber nur 25 % in den anderen Gruppen.<sup>5</sup> Während nur 33 % aus der DAA-Gruppe eine Gehhilfe benützten, waren 53 % der Kontrollgruppe von einer solchen abhängig. Die Arbeitsgruppe um Renken et al., welche zur Beurteilung des postoperativen Status den Barthel-Index verwendete, konnte deutlich bessere Punkte am 5., 16. und 40. postoperativen Tag in der AMISGruppe dokumentieren.<sup>3</sup> Ebenso gute Resultate zeigte die Gruppe um Unger et al. bezüglich der postoperativen Mobilisation der Patienten in der DAA-Gruppe.<sup>6, 7</sup><br /> Tsukada et al. konnten für ihre AMISGruppe einen Monat postoperativ deutlich bessere HSS-Scores dokumentieren, wobei nach einem Jahr keine Unterschiede mehr nachweisbar waren.<sup>8</sup><br /> Bezüglich der vor allem kurzfristigen postoperativ besseren Ergebnisse konnten auch Baba et al. für 65 % gegenüber 33,3 % ihrer Patienten in der DAA-Gruppe zeigen, dass sie ohne Hilfe gehen konnten.<sup>1</sup> In dieser Studie war jedoch bereits nach 6 Monaten kein Unterschied mehr zwischen den Gruppen feststellbar. Auch bezüglich der Entlassung zeigte sich bei Baba et al., dass 97,5 % gegenüber 53,8 % in der AMIS-Gruppe wieder in ihre ursprüngliche Wohnsituation entlassen werden konnten.</p> <h2>Diskussion</h2> <p>Die dislozierte Schenkelhalsfraktur hat für das heutige Gesundheitssystem eine zunehmende Bedeutung. Diese Patientengruppe hat schon aufgrund ihrer assoziierten Komorbiditäten eine erhöhte Mortalität. Eine rasche und suffiziente Behandlung mindert die begleitende Immobilität und die dadurch bedingte Komplikationsrate. Im Bemühen um die bestmögliche, rasche und komplikationsarme Versorgung ist das Interesse an einer minimal invasiven Technik, bei der Muskeln nicht durchtrennt, sondern nur auseinandergedrängt werden, gestiegen. So bietet es sich an, das Zugangsfenster zwischen dem Musculus tensor fasciae latae und dem Musculus sartorius für den DAA zu nützen.<sup>9</sup> In der elektiven Hüftendoprothetik hatte man mit diesem Zugang ja schon gute Erfahrungen, wohingegen diese für die Frakturversorgung mittels Hemiprothesen großteils noch fehlten.<br /> Dieser direkte vordere Zugang war primär von Carl Huter schon 1881 beschrieben worden. Marius Smith-Petersen publizierte seine Technik 1917. Judet nutzte diese Muskellücke erstmals 1947 zur Implantation einer Femurkopfprothese. Die Idee bestand darin, den kurzen Haut-Gelenk-Abstand zu nützen, ohne die hinteren Strukturen (dorsaler Zugang) zu verletzen.<br /> Während weitere Publikationen folgten, setzte sich der Zugang mit deutlich kürzerer Hautinzision nur sehr zögerlich durch, da insgesamt die Sicht auf das Hüftgelenk begrenzt ist.<sup>9–11</sup> Der Gedanke liegt jedoch nahe, dass gerade ältere Menschen mit Muskelatrophie und geringerem Potenzial zur Weichteilheilung von einem Zugang, bei welchem Muskeln statt durchgeschnitten nur auseinandergedrängt werden, profitieren würden. Anfänglich wurde der DAA auch nicht bei adipösen Patienten angewandt, obwohl die subkutane Fettschicht anterior sicher schmäler ausfällt als lateral oder dorsal.<sup>11</sup><br /> Leider konnte keine Studie wirklich einen Benefit bezüglich der Schnitt-Naht- Zeit belegen. Dafür gab es keine vermehrte Luxationsrate; im Gegenteil, diese wird für den konventionellen dorsalen Zugang am höchsten angegeben. Als mögliche Komplikation muss auch das dreimal häufigere Risiko für eine passagere Schädigung des Nervus cutaneus femoris lateralis durch die Kompression und den Zug der Retraktoren bedacht werden.<sup>12</sup><br /> Obwohl keine OP-Zeit-Ersparnis dokumentiert werden konnte, war es zu keiner höheren Infektionsrate gekommen. Dies wurde vor allem der kürzeren Hautinzision und dem geringeren Weichteilschaden zugeschrieben.<sup>13</sup><br /> Die schnelle Erholung und das rasche Erreichen der Mobilität sind für den Patienten sicherlich der höchste Benefit, was neuerdings auch schon in größeren Studien publiziert wurde.<sup>14, 15</sup> Nahezu alle inkludierten Studien konnten besonders im kurzen Follow-up den Vorteil des DAA unterstreichen. Der Harris-Hip-Score zeigte sich jedoch bei dem großteils älteren inkooperativen Patientenkollektiv als nicht geeignet zur Ergebniskontrolle. Mit dem raschen Erreichen einer weitgehend schmerzfreien Mobilität war es – bestätigt durch zwei Studien<sup>5, 15</sup> – auch möglich, Patienten früher zu entlassen. Ein entscheidender Vorteil, welcher sich auch in der erfragten Patientenzufriedenheit widerspiegelte, bestand in der deutlich kleineren, sprich kürzeren Inzision, welche für den DAA bei etwa 8cm lag.</p> <h2>Schlussfolgerung</h2> <p>Der DAA hat einige Nachteile, wie seine Komplexität, die teilweise verlängerte OPZeit oder das Risiko der Schädigung des Nervus cutaneus femoris lateralis. Bezüglich der Hospitalisationslänge, postoperativer Schmerzen oder des intraoperativen Blutverlusts konnten gegenüber den konventionellen Zugängen keine signifikanten Unterschiede, geschweige denn die erwarteten positiven Werte festgestellt werden. Der echte Unterschied zugunsten der AMIS-Technik konnte in der rascheren Remobilisation im Kurzzeit-Follow-up gezeigt werden. Die Patienten hatten eine deutlich höhere Chance, in den ersten Wochen ausreichend mobilisierbar zu sein, um ihr präoperatives Mobilitätsniveau wieder zu erreichen.<br /> Somit ist die Implantation einer Hemiprothese mittels AMIS für prothetisch zu versorgende ältere Schenkelhalspatienten durchaus empfehlenswert, weil den Patienten die Chance auf eine raschere Erholung gegeben wird. Weichteilschonende Techniken kommen somit besonders älteren Patienten zugute.</p> <h2>Danksagung</h2> <p>Wir bedanken uns herzlichst bei Dr. Lisa Gartner für den Literaturreview anlässlich ihrer Diplomarbeit, bei Prof Dr. Leithner und PD Dr. Maurer-Ertl, Leiter des Hüftteams, für die Unterstützung bezüglich unserer Bemühungen, mittels minimal invasiver Verfahren das Outcome unserer Schenkelhalspatienten weiter zu verbessern, sowie bei Prim. Dr. Kuschnig, Klagenfurt, für den tollen Workshop, in dessen Rahmen die klinischen Fotos entstanden.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2017_Jatros_Ortho_1705_Weblinks_s50_abb1.jpg" alt="" width="1417" height="694" /></p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2017_Jatros_Ortho_1705_Weblinks_s50_abb2.jpg" alt="" width="927" height="1325" /></p></p>
<p class="article-footer">
<a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a>
<div class="collapse" id="collapseLiteratur">
<p><strong>1</strong> Baba T et al.: Bipolar hemiarthroplasty for femoral neck fracture using the direct anterior approach. World J Orthop 2013; 4(2): 85-9 <strong>2</strong> Langlois J et al.: Direct anterior Hueter approach is a safe and effective approach to perform a bipolar hemiarthroplasty for femoral neck fracture: outcome in 82 patients. Acta Orthop 2015; 86(3): 358-62 <strong>3</strong> Renken F et al.: Early functional results after hemiarthroplasty for femoral neck fracture: a randomized comparison between a minimal invasive and a conventional approach. BMC Musculoskelet Disord 2012; 13: 141 <strong>4</strong> Schneider K et al.: The direct anterior approach in hemiarthroplasty for displaced femoral neck fractures. Int Orthop 2012; 36(9): 1773-81 <strong>5</strong> Trinh TQ et al.: Short-term outcomes of femoral neck fractures treated with hemiarthroplasty using the anterior approach. Orthopedics 2015; 38(12): e1091-7 <strong>6</strong> Unger AC et al.: Modified direct anterior approach in minimally invasive hip hemiarthroplasty in a geriatric population: a feasibility study and description of the technique. Arch Orthop Trauma Surg 2013; 133(11): 1509-16 <strong>7</strong> Unger AC et al.: Treatment of femoral neck fracture with a minimal invasive surgical approach for hemiarthroplasty- clinical and radiological results in 180 geriatric patients. Open Orthop J 2014; 8: 225-31 <strong>8</strong> Tsukada S, Wakui M: Minimally invasive intermuscular approach does not improve outcomes in bipolar hemiarthroplasty for femoral neck fracture. J Orthop Sci 2010; 15(6): 753-7 <strong>9</strong> Connolly KP et al.: Direct anterior total hip arthroplasty: literature review of variations in surgical technique. World J Orthop 2016; 7(1): 38-43 <strong>10</strong> Matta JM et al.: Single-incision anterior approach for total hip arthroplasty on an orthopaedic table. Clin Orthop Relat Res 2005; 441: 115-24 <strong>11</strong> Rachbauer F: Minimal-invasive Hüftendoprothetik. Orthopade 2006; 35(7): 723-29 <strong>12</strong> van Oldenrijk J et al.: Soft tissue damage after minimally invasive THA: a comparison of 5 approaches. Acta Orthop 2010; 81(6): 696-702 <strong>13</strong> Wayne N, Stoewe R: Primary total hip arthroplasty: a comparison of the lateral Hardinge approach to an anterior mini-invasive approach. Orthop Rev 2009; 1(2): e27 <strong>14</strong> Restrepo C et al.: Prospective randomized study of two surgical approaches for total hip arthroplasty. J Arthroplasty 2010; 25(5): 671-9.e1 <strong>15</strong> Bhandari M et al.: Outcomes following the single-incision anterior approach to total hip arthroplasty: a multicenter observational study. Orthop Clin North Am 2009; 40(3): 329-42</p>
</div>
</p>