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Präoperative Antikoagulation bei orthogeriatrischen Patienten mit Hüftfraktur
Jatros
Autor:
Dr. Markus F. Luger
Klinik für Anästhesiologie und Allgemeine Intensivmedizin<br> Medizinische Universität Innsbruck<br>E-Mail: markus.luger@tirol-kliniken.at
Autor:
Prof. Dr. Thomas J. Luger
Klinik für Anästhesiologie und Allgemeine Intensivmedizin<br> Medizinische Universität Innsbruck
30
Min. Lesezeit
13.05.2019
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<p class="article-intro">Im Rahmen der tagtäglichen Bemühungen um den geriatrischen Patienten ist die Zusammenarbeit von Anästhesisten, Geriatern und Chirurgen gerade in der initialen Phase des Krankenhausaufenthalts für das perioperative Management ausschlaggebend. Besonders bei Patienten mit Hüftfrakturen und präoperativer Gerinnungstherapie ist ein koordiniertes orthogeriatrisches Co-Management mit frühzeitiger Einbindung der Anästhesie angezeigt: sowohl für die perioperative Planung als auch die präoperative Evaluation des Patienten, insbesondere zwecks Berücksichtigung der Komorbiditäten. Für die Erstellung eines Risikoprofils beim geriatrisch-traumatologischen Patienten ist die Anwendung von Richtlinien für das anästhesiologische Vorgehen, wie z. B. für das Verhalten bei gerinnungshemmenden Medikamenten, vorteilhaft. Ziel dieser Arbeit ist eine Übersicht über eine strukturierte Vorgangsweise bei antikoagulierten Patienten mit Hüftfraktur, unter besonderer Berücksichtigung der neuen direkten oralen Antikoagulanzien (DOAKs).</p>
<p class="article-content"><div id="keypoints"> <h2>Keypoints</h2> <ul> <li>Die internationalen Richtlinien der Fachgesellschaften, wie z. B. der ESA, ÖGARI, DGAI, sind zu beachten und ein multidisziplinäres orthogeriatrisches Vorgehen ist anzustreben.</li> <li>Eine präoperative Gerinnungsdiagnostik einschließlich einer Rotationsthrombelastometrie (ROTEM<sup>®</sup>) ist obligat und hilfreich.</li> <li>Therapiepausen von gerinnungshemmenden Medikamenten, wie z. B. DOAKs, sind einzuhalten; die Gabe von Antidoten kann gegebenenfalls angezeigt sein.</li> <li>Eine kritische Abwägung einer überbrückenden Therapie (Bridging) ist angezeigt.</li> </ul> </div> <p>Aufgrund der steigenden Lebenserwartung und des medizinischen Fortschritts haben Patienten eine Vielzahl von Komorbiditäten, welche häufig mit einer Antikoagulation therapiert werden. Hierzu zählen beispielsweise Vorhofflimmern, koronare Herzkrankheit, mechanischer Klappenersatz und Zustand nach Myokardinfarkt, tiefer Beinvenenthrombose, Lungenembolie und ischämischem Schlaganfall. Wegen des Risikos perioperativer Komplikationen, wie Thrombose-, Embolie- als auch des Blutungsrisikos, ist ein strukturiertes und differenziertes Vorgehen gefordert. Dazu sind Empfehlungen der Fachgesellschaften, wie z. B. der Österreichischen Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin (ÖGARI) oder der Österreichischen Gesellschaft für Unfallchirurgie (ÖGU), hilfreich. Dennoch bleiben eine präoperative Evaluation und ein interdisziplinäres Vorgehen für die weitere Planung wesentlich: anästhesiologische Evaluation, Festsetzung der Operabilität des Patienten mit Beurteilung des individuellen Anästhesie- und Operationsrisikos, Planung des Operationszeitpunktes (innerhalb von 24–36 Stunden), Festlegung des geeigneten Anästhesieverfahrens, um nur einige zu nennen. In besonderen Fällen wie beispielsweise bei Tripel-Antikoagulanzientherapie nach Vorhofflimmern und Koronarstent kann eine zusätzliche kardiologische Untersuchung mit Echokardiografie hilfreich sein.</p> <h2>Gerinnungshemmende Medikamente, präoperative Zeitintervalle und Bridging</h2> <p>Gerinnungshemmende Medikamente und deren präoperative Therapiepause, sensitive Laborparameter und ggf. Antidote sind in Tabelle 1 dargestellt. Für jedes verfügbare gerinnungshemmende Medikament sind spezielle Zeitintervalle vom Absetzen der Präparate bis zur elektiven Operation zu beachten, welche durch die einzelnen Fachgesellschaften vorgeschrieben werden und dem neuesten Stand der Wissenschaft entsprechen.<br />Bei Monotherapie und bei unauffälliger Blutungsanamnese ist eine Therapiepause bei Acetylsalicylsäure (100 mg Thrombo Ass<sup>®</sup>), nichtsteroidalen Antirheumatika und selektiven Cyclooxygenase-II-Hemmern nicht erforderlich. Zusätzlich verabreichte Antikoagulanzien sollen vor der Regionalanästhesie abgesetzt werden, jedoch kann Acetylsalicylsäure 100 mg/d weiter verabreicht werden. Eine absolute Kontraindikation zur Regionalanästhesie besteht für Dipyridamol (Persantine<sup>®</sup>). Bei der immer noch angewendeten Tripeltherapie (Acetylsalicylsäure, Clopidogrel und Vitamin-K-Antagonist oder DOAKs) ist der Kardiologe zu Rate zu ziehen, eine Regionalanästhesie ist wegen des Blutungsrisikos nicht angezeigt.<br />Im Rahmen einer präoperativen laborchemischen Untersuchung ist eine Rotationsthrombelastometrie (ROTEM<sup>®</sup>) essenziell, um die Gerinnungsaktivierung, Thrombinbildung, Thrombozytenaktivierung, Fibrin- Thrombozyten-Interaktion und die mechanische Festigkeit der Fibrinpolimerisation beurteilen zu können.<br />Bei den DOAKs sind die Pausenintervalle sowohl von der Dosis als auch der Kreatinin- Clearance abhängig (Tab. 1). Zusätzlich zur Blutungsanamnese und Gerinnungsdiagnostik können Plasmaspiegel von DOAKs, Prothrombinzeit und Anti-Xa für alle DOAKs sowie TT und „Ecarin clotting time“ für Dabigatran zur Entscheidungsfindung im Zusammenhang mit einem Regionalanästhesieverfahren wertvolle Informationen liefern.<br />Für DOAK ist Idarucizumab (Praxbind<sup>®</sup>) zur Reversierung von Dabigatran zugelassen und Andexanet Alfa zur Reversierung der Faktor-Xa-Inhibitoren in Entwicklung. Bei lebensbedrohlicher Blutung sind Fibrinogenkonzentrate (Hämocomplettan<sup>®</sup>), Erythrozyten-, Thrombozytenkonzentrate und Frischplasmen zur Korrektur einer eventuellen Verlustkoagulopathie, Prothrombinkomplexkonzentrate (Beriplex<sup>®</sup>, Prothromplex<sup>®</sup>) und aktiviertes Prothrombinkomplexkonzentrat (FEIBA<sup>®</sup>) zur Reversierung einer DOAK-Wirkung sowie als Ultima Ratio rekombinanter Faktor VIIa (Novoseven<sup>®</sup>) angezeigt.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2019_Jatros_Ortho_1903_Weblinks_jatros_ortho_1903_s25_tab1_luger.jpg" alt="" width="800" height="907" /></p> <p><strong>Überbrückende Therapie (Bridging)</strong><br />Beim Absetzen einer Antikoagulanzientherapie ist gegebenenfalls eine überbrückende Therapie („Bridging“) notwendig. Die Indikation wird wegen häufiger Blutungskomplikationen zunehmend restriktiver gestellt. Eine kritische Abwägung ist daher angezeigt und ggf. ist eine kardiologische Untersuchung anzuschließen. Bei Patienten mit einem geringen Embolierisiko und/oder einer Operation mit geringem Blutungsrisiko, z. B. Kataraktoperation, Dentalchirurgie, Hernienoperation, wird ein Bridging als nicht sinnvoll erachtet. Bei Operationen mit hohem Blutungsrisiko und/oder bei Patienten mit mäßigem bis hohem Embolierisiko, z. B. bei valvulärem Vorhofflimmern, stenosierendem Mitralklappenvitium, mechanischem Klappenersatz und Zustand nach einer Beinvenenthrombose/ Thromboembolie, wird ein Bridging als wichtig erachtet. Dabei ist das Nutzen-Risiko-Profil in Bezug auf Blutungsrisiko versus Thromboseprophylaxe in Erwägung zu ziehen. Bei Patienten mit geringem Thromboserisiko und Patienten mit Vorhofflimmern, welche sich einer nichtkardialen Operation unterziehen müssen, kann auf ein Bridging verzichtet werden.<br />Durch das Absetzen einer Marcumar/ Sintromtherapie soll ein INR-Wert von ≤ 1,4 angestrebt werden, hierfür eignet sich ein Bridging, z. B. mit niedermolekularen Heparinen (LMWH). Es muss jedoch vor der Operation darauf geachtet werden, dass das LMWH in Abhängigkeit von der Dosis 12 bis 24 Stunden präoperativ abgesetzt wird (Tab. 1). Für Dabigatran (Pradaxa<sup>®</sup>) und Rivaroxaban (Xarelto<sup>®</sup>) ist eine Therapiepause von > 1 Tag anzustreben, die Sinnhaftigkeit eines Bridgings wird diskutiert, ggf. werden LMWH empfohlen. Eine hilfreiche Zusammenstellung der Problematik zum Management der Antikoagulation bei geriatrischen Patienten mit Hüftfrakturen ist bei Yass et al., 2017, ersichtlich.</p> <h2>Hämoglobinkontrolle und Therapieoptionen bei akuten Blutungen</h2> <p><strong>Hämoglobinkontrolle</strong><br /> Gerade bei orthogeriatrischen Patienten mit hüftnahen Frakturen sagt eine einmalige Hb-Kontrolle am Aufnahmetag nur wenig über den Verlauf aus. Daher ist es notwendig, neben der Kontrolle von Gerinnungsfaktoren und ROTEM<sup>®</sup> mehrmalige regelmäßige Hb-Kontrollen, jedoch spätestens 6 Stunden nach Krankenhausaufnahme, perioperativ durchzuführen, um das Auftreten eines Blutverlustes nicht zu übersehen. Rezente Studien zeigen auf, dass Blutverluste oft nicht deutlich erkennbar sind, beispielsweise angeführt seien Blutverlust im Rahmen des Traumas selbst, unmittelbar postoperative starke Wundsekretion oder Einblutung in das umgebende Gewebe. Am ersten postoperativen Tag sollten standardisiert mindestens zwei Blutbildkontrollen im Abstand von je 6 Stunden inklusive einmaliger laborchemischer Gerinnung durchgeführt werden. Bei Auftreten von Symptomen, welche auf eine beginnende Schocksymptomatik bzw. Hypovolämie hindeuten, wie Hypotonie, Tachykardie etc., sind selbstverständlich eine vorgezogene Blutbild- und Gerinnungskontrolle inklusive ROTEM<sup>®</sup> durchzuführen.</p> <p><strong>Therapieoptionen bei Blutungen</strong><br />In Akutsituationen ist bei Patienten unter Dauertherapie mit gerinnungshemmenden Medikamenten prinzipiell die Gabe von Vitamin K, Frischplasma (FFP) und/ oder Gerinnungsfaktoren anwendbar, jedoch kritisch in Erwägung zu ziehen. Für die Gabe von FFP im Kontext einer Antikoagulation gibt es keine klare Empfehlung. Andere Therapieansätze, namentlich Prothrombinkomplex, zeigen eine verlässliche, sichere und schnelle Reversierung und damit eine bessere Effektivität bei orthogeriatrischen Patienten mit Hüftfrakturen. Bei Hb-Abfall und/oder entsprechendem klinischem Zustandsbild ist die Gabe von Erythrozytenkonzentraten mit regelmäßigen Blutbildkontrollen unter Beachtung einer ausreichenden Gerinnungstherapie z. B. mit Gerinnungsfaktoren und Thrombozytenkonzentraten kausalbezogen zu empfehlen. Unter Beachtung der Kontraindikationen besteht intraoperativ auch die Möglichkeit der Gabe von Tranexamsäure (Cyklokapron<sup>®</sup>).</p> <h2>Schlussbemerkungen</h2> <p>Basierend auf den international anerkannten Richtlinien und Empfehlungen, wie z. B. der European Society of Anaesthesiology (ESA), der Deutschen Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin oder der ÖGARI, ist die präoperative Vorgangsweise bei geriatrischen Patienten mit Hüftfrakturen unter Antikoagulanzientherapie je nach Dringlichkeit der Operationsindikation kritisch zu beleuchten. Insbesondere die präoperative Medikamentenpause, eine ggf. notwendige Bridgingtherapie und/oder Therapieoptionen bei dringlichen Operationen und Blutungen sind zu beachten. Eine frühzeitige Messung relevanter Blutparameter einschließlich einer ROTEM<sup>®</sup>-Beurteilung ist hierbei hilfreich. Auf jeden Fall ist eine enge Zusammenarbeit von Anästhesisten, Geriatern und Chirurgen anzustreben, um z. B. im Rahmen eines multidisziplinären Frakturzentrums eine akkordierte Vorgangsweise abzusprechen.</p></p>
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