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Präoperative Antikoagulation bei orthogeriatrischen Patienten mit Hüftfraktur

<p class="article-intro">Im Rahmen der tagtäglichen Bemühungen um den geriatrischen Patienten ist die Zusammenarbeit von Anästhesisten, Geriatern und Chirurgen gerade in der initialen Phase des Krankenhausaufenthalts für das perioperative Management ausschlaggebend. Besonders bei Patienten mit Hüftfrakturen und präoperativer Gerinnungstherapie ist ein koordiniertes orthogeriatrisches Co-Management mit frühzeitiger Einbindung der Anästhesie angezeigt: sowohl für die perioperative Planung als auch die präoperative Evaluation des Patienten, insbesondere zwecks Berücksichtigung der Komorbiditäten. Für die Erstellung eines Risikoprofils beim geriatrisch-traumatologischen Patienten ist die Anwendung von Richtlinien für das anästhesiologische Vorgehen, wie z. B. für das Verhalten bei gerinnungshemmenden Medikamenten, vorteilhaft. Ziel dieser Arbeit ist eine Übersicht über eine strukturierte Vorgangsweise bei antikoagulierten Patienten mit Hüftfraktur, unter besonderer Berücksichtigung der neuen direkten oralen Antikoagulanzien (DOAKs).</p> <p class="article-content"><div id="keypoints"> <h2>Keypoints</h2> <ul> <li>Die internationalen Richtlinien der Fachgesellschaften, wie z. B. der ESA, &Ouml;GARI, DGAI, sind zu beachten und ein multidisziplin&auml;res orthogeriatrisches Vorgehen ist anzustreben.</li> <li>Eine pr&auml;operative Gerinnungsdiagnostik einschlie&szlig;lich einer Rotationsthrombelastometrie (ROTEM<sup>&reg;</sup>) ist obligat und hilfreich.</li> <li>Therapiepausen von gerinnungshemmenden Medikamenten, wie z. B. DOAKs, sind einzuhalten; die Gabe von Antidoten kann gegebenenfalls angezeigt sein.</li> <li>Eine kritische Abw&auml;gung einer &uuml;berbr&uuml;ckenden Therapie (Bridging) ist angezeigt.</li> </ul> </div> <p>Aufgrund der steigenden Lebenserwartung und des medizinischen Fortschritts haben Patienten eine Vielzahl von Komorbidit&auml;ten, welche h&auml;ufig mit einer Antikoagulation therapiert werden. Hierzu z&auml;hlen beispielsweise Vorhofflimmern, koronare Herzkrankheit, mechanischer Klappenersatz und Zustand nach Myokardinfarkt, tiefer Beinvenenthrombose, Lungenembolie und isch&auml;mischem Schlaganfall. Wegen des Risikos perioperativer Komplikationen, wie Thrombose-, Embolie- als auch des Blutungsrisikos, ist ein strukturiertes und differenziertes Vorgehen gefordert. Dazu sind Empfehlungen der Fachgesellschaften, wie z. B. der &Ouml;sterreichischen Gesellschaft f&uuml;r An&auml;sthesiologie und Intensivmedizin (&Ouml;GARI) oder der &Ouml;sterreichischen Gesellschaft f&uuml;r Unfallchirurgie (&Ouml;GU), hilfreich. Dennoch bleiben eine pr&auml;operative Evaluation und ein interdisziplin&auml;res Vorgehen f&uuml;r die weitere Planung wesentlich: an&auml;sthesiologische Evaluation, Festsetzung der Operabilit&auml;t des Patienten mit Beurteilung des individuellen An&auml;sthesie- und Operationsrisikos, Planung des Operationszeitpunktes (innerhalb von 24&ndash;36 Stunden), Festlegung des geeigneten An&auml;sthesieverfahrens, um nur einige zu nennen. In besonderen F&auml;llen wie beispielsweise bei Tripel-Antikoagulanzientherapie nach Vorhofflimmern und Koronarstent kann eine zus&auml;tzliche kardiologische Untersuchung mit Echokardiografie hilfreich sein.</p> <h2>Gerinnungshemmende Medikamente, pr&auml;operative Zeitintervalle und Bridging</h2> <p>Gerinnungshemmende Medikamente und deren pr&auml;operative Therapiepause, sensitive Laborparameter und ggf. Antidote sind in Tabelle 1 dargestellt. F&uuml;r jedes verf&uuml;gbare gerinnungshemmende Medikament sind spezielle Zeitintervalle vom Absetzen der Pr&auml;parate bis zur elektiven Operation zu beachten, welche durch die einzelnen Fachgesellschaften vorgeschrieben werden und dem neuesten Stand der Wissenschaft entsprechen.<br />Bei Monotherapie und bei unauff&auml;lliger Blutungsanamnese ist eine Therapiepause bei Acetylsalicyls&auml;ure (100 mg Thrombo Ass<sup>&reg;</sup>), nichtsteroidalen Antirheumatika und selektiven Cyclooxygenase-II-Hemmern nicht erforderlich. Zus&auml;tzlich verabreichte Antikoagulanzien sollen vor der Regionalan&auml;sthesie abgesetzt werden, jedoch kann Acetylsalicyls&auml;ure 100 mg/d weiter verabreicht werden. Eine absolute Kontraindikation zur Regionalan&auml;sthesie besteht f&uuml;r Dipyridamol (Persantine<sup>&reg;</sup>). Bei der immer noch angewendeten Tripeltherapie (Acetylsalicyls&auml;ure, Clopidogrel und Vitamin-K-Antagonist oder DOAKs) ist der Kardiologe zu Rate zu ziehen, eine Regionalan&auml;sthesie ist wegen des Blutungsrisikos nicht angezeigt.<br />Im Rahmen einer pr&auml;operativen laborchemischen Untersuchung ist eine Rotationsthrombelastometrie (ROTEM<sup>&reg;</sup>) essenziell, um die Gerinnungsaktivierung, Thrombinbildung, Thrombozytenaktivierung, Fibrin- Thrombozyten-Interaktion und die mechanische Festigkeit der Fibrinpolimerisation beurteilen zu k&ouml;nnen.<br />Bei den DOAKs sind die Pausenintervalle sowohl von der Dosis als auch der Kreatinin- Clearance abh&auml;ngig (Tab. 1). Zus&auml;tzlich zur Blutungsanamnese und Gerinnungsdiagnostik k&ouml;nnen Plasmaspiegel von DOAKs, Prothrombinzeit und Anti-Xa f&uuml;r alle DOAKs sowie TT und &bdquo;Ecarin clotting time&ldquo; f&uuml;r Dabigatran zur Entscheidungsfindung im Zusammenhang mit einem Regionalan&auml;sthesieverfahren wertvolle Informationen liefern.<br />F&uuml;r DOAK ist Idarucizumab (Praxbind<sup>&reg;</sup>) zur Reversierung von Dabigatran zugelassen und Andexanet Alfa zur Reversierung der Faktor-Xa-Inhibitoren in Entwicklung. Bei lebensbedrohlicher Blutung sind Fibrinogenkonzentrate (H&auml;mocomplettan<sup>&reg;</sup>), Erythrozyten-, Thrombozytenkonzentrate und Frischplasmen zur Korrektur einer eventuellen Verlustkoagulopathie, Prothrombinkomplexkonzentrate (Beriplex<sup>&reg;</sup>, Prothromplex<sup>&reg;</sup>) und aktiviertes Prothrombinkomplexkonzentrat (FEIBA<sup>&reg;</sup>) zur Reversierung einer DOAK-Wirkung sowie als Ultima Ratio rekombinanter Faktor VIIa (Novoseven<sup>&reg;</sup>) angezeigt.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2019_Jatros_Ortho_1903_Weblinks_jatros_ortho_1903_s25_tab1_luger.jpg" alt="" width="800" height="907" /></p> <p><strong>&Uuml;berbr&uuml;ckende Therapie (Bridging)</strong><br />Beim Absetzen einer Antikoagulanzientherapie ist gegebenenfalls eine &uuml;berbr&uuml;ckende Therapie (&bdquo;Bridging&ldquo;) notwendig. Die Indikation wird wegen h&auml;ufiger Blutungskomplikationen zunehmend restriktiver gestellt. Eine kritische Abw&auml;gung ist daher angezeigt und ggf. ist eine kardiologische Untersuchung anzuschlie&szlig;en. Bei Patienten mit einem geringen Embolierisiko und/oder einer Operation mit geringem Blutungsrisiko, z. B. Kataraktoperation, Dentalchirurgie, Hernienoperation, wird ein Bridging als nicht sinnvoll erachtet. Bei Operationen mit hohem Blutungsrisiko und/oder bei Patienten mit m&auml;&szlig;igem bis hohem Embolierisiko, z. B. bei valvul&auml;rem Vorhofflimmern, stenosierendem Mitralklappenvitium, mechanischem Klappenersatz und Zustand nach einer Beinvenenthrombose/ Thromboembolie, wird ein Bridging als wichtig erachtet. Dabei ist das Nutzen-Risiko-Profil in Bezug auf Blutungsrisiko versus Thromboseprophylaxe in Erw&auml;gung zu ziehen. Bei Patienten mit geringem Thromboserisiko und Patienten mit Vorhofflimmern, welche sich einer nichtkardialen Operation unterziehen m&uuml;ssen, kann auf ein Bridging verzichtet werden.<br />Durch das Absetzen einer Marcumar/ Sintromtherapie soll ein INR-Wert von &le; 1,4 angestrebt werden, hierf&uuml;r eignet sich ein Bridging, z. B. mit niedermolekularen Heparinen (LMWH). Es muss jedoch vor der Operation darauf geachtet werden, dass das LMWH in Abh&auml;ngigkeit von der Dosis 12 bis 24 Stunden pr&auml;operativ abgesetzt wird (Tab. 1). F&uuml;r Dabigatran (Pradaxa<sup>&reg;</sup>) und Rivaroxaban (Xarelto<sup>&reg;</sup>) ist eine Therapiepause von &gt; 1 Tag anzustreben, die Sinnhaftigkeit eines Bridgings wird diskutiert, ggf. werden LMWH empfohlen. Eine hilfreiche Zusammenstellung der Problematik zum Management der Antikoagulation bei geriatrischen Patienten mit H&uuml;ftfrakturen ist bei Yass et al., 2017, ersichtlich.</p> <h2>H&auml;moglobinkontrolle und Therapieoptionen bei akuten Blutungen</h2> <p><strong>H&auml;moglobinkontrolle</strong><br /> Gerade bei orthogeriatrischen Patienten mit h&uuml;ftnahen Frakturen sagt eine einmalige Hb-Kontrolle am Aufnahmetag nur wenig &uuml;ber den Verlauf aus. Daher ist es notwendig, neben der Kontrolle von Gerinnungsfaktoren und ROTEM<sup>&reg;</sup> mehrmalige regelm&auml;&szlig;ige Hb-Kontrollen, jedoch sp&auml;testens 6 Stunden nach Krankenhausaufnahme, perioperativ durchzuf&uuml;hren, um das Auftreten eines Blutverlustes nicht zu &uuml;bersehen. Rezente Studien zeigen auf, dass Blutverluste oft nicht deutlich erkennbar sind, beispielsweise angef&uuml;hrt seien Blutverlust im Rahmen des Traumas selbst, unmittelbar postoperative starke Wundsekretion oder Einblutung in das umgebende Gewebe. Am ersten postoperativen Tag sollten standardisiert mindestens zwei Blutbildkontrollen im Abstand von je 6 Stunden inklusive einmaliger laborchemischer Gerinnung durchgef&uuml;hrt werden. Bei Auftreten von Symptomen, welche auf eine beginnende Schocksymptomatik bzw. Hypovol&auml;mie hindeuten, wie Hypotonie, Tachykardie etc., sind selbstverst&auml;ndlich eine vorgezogene Blutbild- und Gerinnungskontrolle inklusive ROTEM<sup>&reg;</sup> durchzuf&uuml;hren.</p> <p><strong>Therapieoptionen bei Blutungen</strong><br />In Akutsituationen ist bei Patienten unter Dauertherapie mit gerinnungshemmenden Medikamenten prinzipiell die Gabe von Vitamin K, Frischplasma (FFP) und/ oder Gerinnungsfaktoren anwendbar, jedoch kritisch in Erw&auml;gung zu ziehen. F&uuml;r die Gabe von FFP im Kontext einer Antikoagulation gibt es keine klare Empfehlung. Andere Therapieans&auml;tze, namentlich Prothrombinkomplex, zeigen eine verl&auml;ssliche, sichere und schnelle Reversierung und damit eine bessere Effektivit&auml;t bei orthogeriatrischen Patienten mit H&uuml;ftfrakturen. Bei Hb-Abfall und/oder entsprechendem klinischem Zustandsbild ist die Gabe von Erythrozytenkonzentraten mit regelm&auml;&szlig;igen Blutbildkontrollen unter Beachtung einer ausreichenden Gerinnungstherapie z. B. mit Gerinnungsfaktoren und Thrombozytenkonzentraten kausalbezogen zu empfehlen. Unter Beachtung der Kontraindikationen besteht intraoperativ auch die M&ouml;glichkeit der Gabe von Tranexams&auml;ure (Cyklokapron<sup>&reg;</sup>).</p> <h2>Schlussbemerkungen</h2> <p>Basierend auf den international anerkannten Richtlinien und Empfehlungen, wie z. B. der European Society of Anaesthesiology (ESA), der Deutschen Gesellschaft f&uuml;r An&auml;sthesiologie und Intensivmedizin oder der &Ouml;GARI, ist die pr&auml;operative Vorgangsweise bei geriatrischen Patienten mit H&uuml;ftfrakturen unter Antikoagulanzientherapie je nach Dringlichkeit der Operationsindikation kritisch zu beleuchten. Insbesondere die pr&auml;operative Medikamentenpause, eine ggf. notwendige Bridgingtherapie und/oder Therapieoptionen bei dringlichen Operationen und Blutungen sind zu beachten. Eine fr&uuml;hzeitige Messung relevanter Blutparameter einschlie&szlig;lich einer ROTEM<sup>&reg;</sup>-Beurteilung ist hierbei hilfreich. Auf jeden Fall ist eine enge Zusammenarbeit von An&auml;sthesisten, Geriatern und Chirurgen anzustreben, um z. B. im Rahmen eines multidisziplin&auml;ren Frakturzentrums eine akkordierte Vorgangsweise abzusprechen.</p></p> <p class="article-footer"> <a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a> <div class="collapse" id="collapseLiteratur"> <p>bei den Verfassern</p> </div> </p>
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