
Perioperatives Management aus Sicht des Internisten
Autor:
Ass.Prof. Dr. Martin Frossard
FA für Innere Medizin, Intensivmedizin, Geriatrie, Notarzt
Klinische Abteilung für Unfallchirurgie,Universitätsklinik für Orthopädie und Unfallchirurgie,
Medizinische Universität Wien
E-Mail: martin.frossard@meduniwien.ac.at
Mit der steigenden Lebenserwartung im Allgemeinen und der steigenden Lebenserwartung kranker und schwer kranker Patientinnen im Speziellen sind die Herausforderungen an das perioperative Vorgehen nach einem Trauma zunehmend komplexer geworden. „Traumapatienten“ bieten dem Internisten das gesamte Spektrum seines Faches und fordern eine rasche notfallmedizinisches Einschätzung sowie eine stringente Abklärung (z.B. „Bedside“-Sonografie).
Bei verschiedenen Frakturen, z. B. hüftnahen und periprothetischen Frakturen sowie Wirbelkörperfrakturen, ist eine absolute Versorgungsnotwendigkeit gegeben und ein konservatives Vorgehen (strikt palliativer Zugang, Lebensende) nur selten möglich. Auch bei bettlägerigen Patienten ist die operative Versorgung zum Erreichen einer ausreichenden Schmerzkontrolle und für eine patientengerechte Versorgung durch die Pflege notwendig.
Eine Auswertung eines dänischen Registers mit mehr als 260000 Patienten und Zustand nach Versorgung einer hüftnahen Fraktur unter Anwendung des „Charlson Comorbidity Index“ zeigte, dass die Gruppe mit schweren Begleiterkrankungen, verglichen mit der Gruppe ohne solche, eine annähernd dreifach höhere Mortalität im ersten Jahr nach der OP hatte. Gleason et al. verwendeten einen „Frail Score“, um Patienten mit orthopädischem Trauma zu charakterisieren. Kurz gefasst korrelierte die Gebrechlichkeit sowohl mit dem OP-Risiko, stratifiziert nach dem „American Society of Anesthesiologist Score“ (ASA 3–4), als auch mit der Länge des Krankenhausaufenthaltes.
Versorgungszeitpunkt
Für die hüftnahen Frakturen bestehen nationale wie internationale Empfehlungen zur Versorgung innerhalb von 48 Stunden. In einer Metaanalyse von Klestil et al. konnte dadurch eine Reduktion der 1-Monats-Mortalität um 12% und der 1-Jahres-Mortalität um 20% gezeigt werden. Somit ergibt sich, dass es durch die präoperative internistische Versorgung zu keiner Verzögerung der Operation kommen darf. Es stellt sich dem Internisten stets die Frage: Kann ein Patient für die OP in seinem unmittelbaren Zustand rasch verbessert werden oder resultieren aus den Komorbiditäten Kontraindikationen für den geplanten Eingriff?
Verzögerung des Versorgungszeitpunktsdurch akute Komorbidität
Dies trifft nur auf neu aufgetretene Erkrankungen oder die akute Verschlechterung einer bestehenden Komorbidität zu (z.B. akuter Harnwegsinfekt/Urosepsis, Pneumonie, akutes Nierenversagen, akute kardiale Dekompensation – Lungenödem, akutes Koronarsyndrom, brady-/tachykarde Herzrhythmusstörungen, Elektrolytentgleisungen, akute gastrointestinale Blutung, schwere Anämie, COPD-Krise, massive Blutzuckerentgleisung, akute zerebrale Ischämie/Blutung etc.). Kompensierte Erkrankungen, auch Multimorbidität beeinflussen das Outcome unserer Patienten, sind aber kein Grund zur Verzögerung des notwendigen Eingriffes.
Auch die hochgradige Aortenstenose stellt keine absolute Kontraindikation zur OP dar. Je nach Klinik und Fitness der Patienten sowie den entsprechenden Messwerten in der Echokardiografie wird an unserer Klinik interdisziplinär (Unfallchirurg, Anästhesist, Internist/Kardiologe) das Vorgehen besprochen und festgelegt. In den Jahren 2018 und 2019 wurde an unserer Klinik bei 12 Patienten mit einer Klappenöffnungsfläche von 0,4cm2, notwendiger hemiprothetischer Versorgung und zusätzlichen Komorbiditäten (COPD Gold III, KHK mit akutem Stenting etc.) vor Versorgung der Fraktur ein perkutaner Aortenklappenersatz erfolgreich durchgeführt. Die Evaluierung mit Planungs-CT der Aorta, Koronarangiografie sowie die TAVI selbst führen zu einer Verzögerung von 4 bis 7 Tagen, ermöglichen aber eine OP mit deutlich reduziertem kardialem Risiko bei leicht erhöhtem Blutungsrisiko.
Verzögerung des Versorgungszeitpunkts durch Antikoagulanzien
Einen häufigen Grund für Verzögerung stellen die verschiedenen Antikoagulanzien dar. Während bei hüftnahen Frakturen mit der Möglichkeit zur Durchführung einer Osteosynthese von einem niedrigen Blutungsrisiko ausgegangen wird und daher eine OP unter Therapie mit Acetylsalicylsäure und Clopidogrel möglich ist, trifft dies auf die operative Versorgung mit Hemiprothese oder Totalendoprothese mit mittlerem Blutungsrisiko nicht mehr zu. Die Dauer der Verzögerung der OP bei dualer Plättchenaggregationshemmung, aber auch bei alleiniger Einnahme eines P2Y12-Rezeptorantagonisten (Clopidogrel, Prasugrel, Ticagrelor) ist in der Abbildung der European Society of Cardiology (eigentlich für elektive Eingriffe) dargestellt und publiziert (Abb. 1).
Bei einem Anteil von 25% Non-/Low-Respondern unter Therapie mit Clopidogrel und einem Anteil von 10% Non-Respondern auf Acetylsalicylsäure ist die Durchführung einer geeigneten Plättchenfunktionsanalyse erwägenswert, um so eventuell eine frühere OP zu ermöglichen.
Orale Antikoagulanzien vom Cumarintyp – in Österreich überwiegend Marcoumar mit sehr langer HWZ (130–160 Stunden) – sind bei erhaltender Lebersyntheseleistung mit Vitamin K innerhalb von 48 Stunden meist gut antagonisierbar (Ziel INR <1,5). Außerdem stehen uns Prothrombinkomplexkonzentrate zur Verfügung, die aber in dieser Indikation selten gegeben werden müssen.
Bei den neuen oralen Antikoagulanzien gibt es den direkten Thrombininhibitor Dabigatran und die direkten Faktor-Xa-Inhibitoren (DXA) Rivaroxaban, Apixaban und Edoxaban. Dabigatran ist bei einer guten Nierenfunktion, entsprechend einer GFR von >80mL/min oder 50–80mL/min, 48 Stunden nach letzter Einnahme so weit ausgeschieden, dass mit keiner Blutungskomplikation zu rechnen ist. Bei eingeschränkter Nierenfunktion verzögert sich die OP über die 48 Stunden hinaus (Tab.1). Zur Abschätzung des richtigen Zeitpunktes ist die Bestimmung der Thrombinzeit (TZ) hilfreich.
Die DXA sind von der Nierenfunktion weniger abhängig, sodass bei einer GFR von >30mL/min eine Operation 48 Stunden nach Letzteinnahme erfolgen kann. Bei schlechterer Nierenfunktion (GFR <30mL/min) verzögert sich die OP (Tab.1), die Bestimmung des Rivaroxaban- oder Apixabanspiegels sowie eine Anti-Xa-Bestimmung zur Abschätzung des optimalen Zeitpunkts können hilfreich sein. Die Indikation zur Gabe eines Antidots (Idarucizumab für Dabigatran und Andexanet alpha für Rivaroxaban und Apixaban) ist nur bei akuten Blutungen gegeben.
Tab. 1: Halbwertszeit der DOAK nach Nierenfunktion (adaptiert nach: Heidbuchel et al.: Europace 2015)
Postoperative Standardtherapie und Kontrollen
Die operative Phase wird bis auf ganz wenige Ausnahmen von den Patientien gut überstanden. Der postoperative Verlauf ist bei geriatrischen und multimorbiden Patienten jedoch häufig kompliziert und langwierig. Neben der Behandlung von „Überwässerung“, Elektrolytsubstitution, Therapie von Rhythmusstörungen (meistens Vorhofflimmern), notwendiger Gerinnungsoptimierung etc. darf auf die Standardtherapien, wie z.B. mit niedrig dosiertem Protonenpumpenhemmer zur Stressulkusprophylaxe, adäquate Schmerztherapie, Vitamin-D- und Kalziumsubstitution, nicht vergessen werden.
Die postoperative Gerinnungstherapie richtet sich in ihrer Intensität und Durchführung nach dem individuellen Thromboembolierisiko. Eine „Bridging“-Therapie ist für Patienten mit Vorhofflimmern, venöser Thromboembolie oder mechanischer Herzklappe und jeweils mittlerem oder hohem Thromboembolierisiko obligat. Der Zeitpunkt des Wiedereinsetzens der oralen Antikoagulation wird interdisziplinär im Team festgelegt.
Die Malnutrition, laborchemisch dokumentiert durch Bestimmung des Gesamteiweißes/Albumins, ist in der geriatrischen Klientel häufig und ein unabhängiger Prädiktor für erhöhte Mortalität, komplizierten postoperativen Verlauf, verzögerte Wundheilung und längeren Krankenhausaufenthalt. Dies wurde rezent in einer Übersichtsarbeit von Malfarina et al. für die hüftnahen Frakturen bestätigt. Im klinischen Alltag fällt auf, dass die Patienten deutlich hypokalorisch und mit zu geringem Eiweißanteil ernährt sind. Oft gelingt es nicht einmal, insbesondere bei Verzögerung der OP, den Status quo zu erhalten. Der operative Eingriff selbst führt dann zusätzlich zu einem massiven Proteinverlust. In der oben erwähnten Übersichtsarbeit wird auch erwähnt, dass eine gezielte Intervention mit höherkalorischer Ernährung und zusätzlicher Supplementationstherapie zu einer Verminderung der postoperativen Komplikationen führte.
Neben den täglichen klinischen Visiten sowie der Kontrolle der Vitalparameter inklusive Körpertemperatur und Blutzucker werden an unserer Klinik routinemäßig am Tag 1 Blutbild, Tag 3 und 5 Blutbild, CRP, Elektrolyte und Nierenwerte kontrolliert, um z.B. eine eventuell auftretende Infektion (Harnwegsinfekt, Pneumonie, Wundinfekt) oder Medikamentennebenwirkungen (z.B. Leukopenie, Hyponatriämie etc.) rascher zu erkennen und entsprechend reagieren zu können.
Postoperativ erfolgt in Zusammenarbeit mit der klinischen Pharmazie eine Begutachtung der Medikation der Patienten auf Interaktionen, Adaption an die Nieren- und Leberfunktion, auf ihr delirogenes Potenzial und eine Reduktion der Polypharmazie.
Verbesserungspotenzial
Gemäß der Bevölkerungspyramide wird es in den nächsten 10 Jahren zu einem weiteren Anwachsen der geriatrischen Klientel kommen. Dieses Kollektiv benötigt eine sehr intensive und interdisziplinäre Versorgung und Betreuung. Aus ärztlicher Sicht ist aber zum Beispiel ein umfassendes geriatrisches Assessment aus Ressourcenmangel nicht möglich. Aus pflegerischer Sicht sind dies Patienten, deren Pflege und Betreuung sehr aufwendig sind, da die Zeit, bis sich geriatrische Patienten ausreichend selbstständig versorgen können, im Vergleich zu jüngeren und gesünderen Patienten deutlich protrahiert ist. Die physiotherapeutische Versorgung sollte intensiver sein, als es auf unfallchirurgischen Abteilungen möglich ist, da dadurch eine raschere Wiederherstellung der körperlichen Fitness und eine frühere Entlassung oder Transferierung an eine Remobilisationseinrichtung erreicht werden können. Die Schaffung von eigenen Abteilungen mit gerontotraumatologischem Schwerpunkt mit entsprechender Ausstattung könnte hier Abhilfe schaffen.
Literatur:
beim Verfasser
Das könnte Sie auch interessieren:
«Auch Patienten mit Demenz profitieren von einer chirurgischen Stabilisierung»
Patienten mit Hüftfraktur und einer leichten, mittelschweren oder schweren Demenz haben ein geringeres Risiko zu sterben, wenn sie operiert werden – vor allem wenn es sich um Kopf-Hals- ...
Management periprothetischer Frakturen am Kniegelenk
Mit steigenden Versorgungszahlen der Knieendoprothetik und dem höheren Lebensalter entsprechend der Alterspyramide nimmt auch die Zahl der periprothetischen Frakturen zu und stellt die ...
Patellofemorale Instabilität
In diesem Übersichtsartikel möchten wir ein Update über die aktuelle Diagnostik und die konservativen wie auch operativen Behandlungsmöglichkeiten der patellofemoralen Instabilität geben.