
Perioperative Anwendung von Tranexamsäure bei orthopädisch-traumatologischen Eingriffen
Autoren:
PD Mag. DDr. Stefan Franz Fischerauer
Dr. Paul Ruckenstuhl Prof. Dr. Andreas Leithner
Dr. Werner Maurer-Ertl
Universitätsklinik für Orthopädie und Traumatologie
LKH-Universitätsklinikum Graz
Korrespondierender Autor:
Dr. Werner Maurer-Ertl
E-Mail: werner.maurer-ertl@medunigraz.at
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Die intraoperative Applikation von Tranexamsäure erfolgt in vielen Zentren beim Knie- oder Hüftgelenksersatz sowie bei polytraumatisierten Patienten bereits standardisiert. Da jedoch orthopädische Operationen in der Fachinformation nicht angeführt werden, weist die Arbeitsgemeinschaft Endoprothetik (AE) der Deutschen Gesellschaft für Endoprothetik in ihrer 2017 veröffentlichten Empfehlung dezidiert darauf hin, dass der routinemäßige Einsatz von Tranexamsäure als bestimmungswidriger Arzneimittelgebrauch („off-labeluse“) zu bewerten ist. Trotz der klinischen Evidenz sollten daher mögliche Komplikationen dem Patienten im Rahmen der präoperativen Aufklärung kommuniziert und schriftlich dokumentiert werden.10
Keypoints
Der perioperative Einsatz von Tranexamsäure im Zuge der Knie- und Hüfttotalendoprothesenimplantation führt zu einer Verringerung des Transfusionsbedarfs ohne eine erhöhte Rate von thromboembolischen Ereignissen.
Vor dem Hintergrund des „off-label use“ sollten jedenfalls eine Risiko-Nutzen-Analyse insbesondere bei Risikopatienten sowie eine individuelle Abschätzung relevanter Blutung bzw. Hyperfibrinolyse erfolgen.
Eine intravenöse Gabe von 15 mg Tranexamsäure pro kg KG präoperativ und/oder die intraartikuläre Gabe von 1–3 g Tranexamsäure erscheinen effektiv und sicher.
Die Anwendung von Tranexamsäure hat in den letzten Jahren deutlich zugenommen. Ausschlaggebend hierfür ist insbesondere, dass ein verlängertes Überleben bei frühzeitiger Anwendung von Tranexamsäure nach schweren Traumata gezeigt werden konnte. Europäische Fachgesellschaften empfehlen die Gabe von Tranexamsäure sowohl bei polytraumatisierten Patienten als auch bei perioperativen Blutungen in einem anderen Zusammenhang. Auch der prophylaktische Einsatz von Tranexamsäure bei Eingriffen mit erhöhter Blutungswahrscheinlichkeit kann – nicht zuletzt vor dem Hintergrund des relativ günstigen Nebenwirkungsprofils von Tranexamsäure – empfehlenswert sein. Es herrscht jedoch häufig noch kein eindeutiger Konsensus hinsichtlich Indikation, Applikationsart, Wechselwirkungen, Nebenwirkungen und Dosierung bei der Anwendung.13
Wirkung der Tranexamsäure
Die Tranexamsäure (4-Aminomethylcyclohexancarbonsäure) ist eine Substanz aus der Gruppe der Antifibrinolytika und dient zur Hemmung des Fibrinolysesystems. Die Wirkung beruht auf einer Komplexbildung mit Plasminogen und einer Umwandlung von Plasminogen in Plasmin. Dabei kommt es zu einer Bindung des Wirkstoffs an Lysin-Bindungsstellen an Plasminogen und in weiterer Folge zu einer Hemmung der Fibrinbildung. Dies führt zu einer reduzierten Spaltungsfähigkeit des blutstillenden Fibrins. Dadurch werden Blutverluste vermindert, die auf einer erhöhten fibrinolytischen Aktivität beruhen. Aufgrund dieser Hemmung der Fibrinolyse wird Tranexamsäure den Antifibrinolytika zugeordnet.7
Die Hyperfibrinolyse, die durch Hypoperfusion getriggert wird, zählt zu den grundlegenden Mechanismen der Koagulopathie im Rahmen von massiven Blutungen. Besonders im Rahmen traumatisch bedingter Verletzungen, aber auch bei chirurgischen Interventionen, die reich an Gewebsplasminogenaktivator sind, besteht ein erhöhtes Risiko für das Auftreten einer Hyperfibrinolyse.12
Die Tranexamsäure wird überwiegend renal eliminiert, daher besteht bei Niereninsuffizienz die Gefahr einer Kumulation. Bei niereninsuffizienten Patienten sollte die Gabe von Tranexamsäure daher nur bei entsprechender Indikation und mit angepasster Dosierung erfolgen. Die Halbwertszeit ist kurz: Sie beträgt etwa zwei Stunden. Eine frühestmögliche Verabreichung wird daher sowohl im Sinne einer Maximierung der Wirkung als auch Minimierung potenzieller Nebenwirkungen empfohlen.7
Klinische Evidenz
Mehrere Metaanalysen konnten die Effektivität der Tranexamsäure bei großen orthopädischen Eingriffen in Bezug auf Senkung des Blutverlusts und der Rate von Bluttransfusionen bestätigen. Alshryda et al. konnten belegen, dass unter der Applikation von Tranexamsäure der Transfusionsbedarf bei primären Knieendoprothesen um 23% reduziert werden konnte.1 Das unabhängige Risiko für das Notwendigwerden einer Bluttransfusion in der Knieendoprothetik war hingegen ohne Tranexamsäure um ein 2,56-Faches erhöht.1
Nebenwirkungen sind generell selten und meist auf hohe Dosen zurückzuführen. Zu den häufigsten möglichen unerwünschten Wirkungen zählen Kopfschmerzen, Schwindel sowie gastrointestinale Beschwerden wie Bauchschmerzen, Erbrechen und Durchfall.7 Krampfanfälle können bei Hochdosisgaben jenseits von 30mg/kg Körpergewicht auftreten.8 Das theoretische Risiko für ein thromboembolisches Ereignis konnte in mehreren Metaanalysen widerlegt werden.4,5 Weder bei Patienten mit koronarer Herzkrankheit9 noch bei Patienten mit vorbekannter tiefer Venenthrombose11 und Risikopatienten (≥ASA [American Society of Anesthesiologists] 3)5 zeigte sich ein erhöhtes Risiko für thromboembolische Ereignisse.
Applikation und Dosierung
Tranexamsäure kann topisch, oral und intravenös appliziert werden. In einer Metaanalyse mit 67 Studien erscheinen alle drei Applikationswege hinsichtlich der Effektivität einer Blutungsprophylaxe äquivalent.4 Eine präoperative intravenöse Verabreichung schien den Transfusionsbedarf dabei stärker zu senken als eine Verabreichung beim Wundverschluss (Risikoreduktion 81% vs. 55%). Eine rein topische Verabreichung konnte hingegen eine Senkung des Transfusionsbedarfs um 66% bewirken. Eine orale Tranexamsäuregabe könnte zukünftig eine kostengünstige Alternative zur intravenösen Gabe darstellen.4 Gegenwärtig finden sich immer mehr prospektive Studien zu multiplen Applikationen und Kombinationstherapien. Jedoch lässt sich aus der derzeitigen Literatur noch kein definitives Nutzen-Risiko-Profil für eine ideale Dosierung ableiten.
Guidelines und Anwendungsempfehlung
In der Arbeitsgruppe für perioperative Gerinnung der ÖGARI (Österreichische Gesellschaft für Anästhesiologie, Reanimation und Intensivmedizin) wurden Empfehlungen in einem Expertenkonsensus unter Berücksichtigung der aktuellen Literatur zur Anwendung von Tranexamsäure erarbeitet. Die Empfehlungen beziehen sich ausschließlich auf die unmittelbar perioperative intravenöse Verabreichung von Tranexamsäure bei Patienten mit Blutungen oder zur Blutungsprophylaxe. Unter Vorbehalt der derzeitigen Literatur wird ein Dosierungsbeispiel gegenüber einer klaren Empfehlung genannt: Der prophylaktische Einsatz von Tranexamsäure bei Hüftendoprothesen und Kniegelenksprothesen kann beispielsweise mit einer Dosierung von 15mg pro kg Körpergewicht intravenös jeweils prä- sowie postoperativ erfolgen, ohne dass es hierdurch zu einer erhöhten Rate an thromboembolischen Ereignissen oder sonstigen Komplikationen kommt.6 Bei positiver Thromboembolieanamnese, malignen Erkrankungen, weiblichem Geschlecht, Alter >60a oder Vorliegen einer Hüftfraktur wird jedoch vor einem routinemäßigen Einsatz gewarnt.13Aus der Handlungsempfehlung der AE der Deutschen Gesellschaft für Endoprothetik können eine intravenöse Gabe von 15mg Tranexamsäure pro kg KG präoperativ und/oder die intraartikuläre Gabe von 1–3g Tranexamsäure abgeleitet werden.10
Literatur:
1 Alshryda S et al.: Tranexamic acid in total knee replacement; a systematic review and meta- analysis. J Bone Joint Surg Br 2011; 93(12): 1577-85 2 Fillingham YA et al.: The James A. Rand Young investigator’s award: A randomized controlled trial of oral and intravenous tranexamic acid in total knee arthroplasty: the same efficacy at lower cost? J Arthroplasty 2016; 31: 26-30 3 Fillingham YA et al: Tranexamic acid use in total joint arthroplasty: The clinical practice guidelines endorsed by the American Association of Hip and Knee Surgeons, American Society of Regional Anesthesia and Pain Medicine, American Academy of Orthopaedic Surgeons, Hip Society, and Knee Society. J Arthroplasty 2018; 33: 3065-9 4 Fillingham YA et al.: The efficacy of tranexamic acid in total knee arthroplasty: a network meta-analysis. J Arthroplasty 2018; 33: 3090-8.e1 5 Fillingham YA et al.: The safety of tranexamic acid in total joint arthroplasty: a direct meta-analysis. J Arthroplasty 2018; 33: 3070-82 6 Gillette BP et al.: Low risk of thromboembolic complications with tranexamic acid after primary total hip and knee arthroplasty. Clin Orthop Relate Res 2013; 471(1): 150-4 7 Koscielny J, Jambor C: Perioperativer Einsatz von Antifibrinolytika. Vascular Care 2008; 2: 28-43
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