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Osteosynthese bei der periprothetischen Oberschenkelfraktur
Jatros
Autor:
Priv.-Doz. Dr. Harald K. Widhalm
Universitätsklinik für Orthopädie und Unfallchirurgie, Medizinische Universität Wien<br>Abteilung für Orthopädie, Landesklinikum Zwettl <br>E-Mail: harald.widhalm@meduniwien.ac.at
30
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15.02.2018
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<p class="article-intro">Die Wahl der richtigen Vorgehensweise bei periprothetischen Oberschenkelfrakturen wird schon seit Jahren kontrovers diskutiert. Essenziell dabei sind – neben der korrekten Bildgebung – die Kenntnis der Frakturklassifikation und davon abgeleitet die entsprechende Therapie. Ob ein Prothesenwechsel oder eine Osteosynthese durchgeführt wird, hängt letztlich von der Erfahrung und Ausbildung des behandelnden Arztes sowie von der Verfügbarkeit der Implantate im jeweiligen Spital ab. </p>
<p class="article-content"><div id="keypoints"> <h2>Keypoints</h2> <ul> <li>Die Versorgung einer periprothetischen Fraktur erfordert Kompetenz und Sachkenntnis in Frakturheilung, Frakturmanagement und (Revisions-)Endoprothetik.</li> <li>Die Behandlung einer periprothetischen Fraktur ist kein Notfall, sie bedarf aber einer geplanten baldigen operativen Versorgung.</li> <li>Eine konservative Therapie der periprothetischen Fraktur ist aufgrund der großen Risiken nur in Ausnahmefällen indiziert (Pseudarthrose, Achsenfehlstellung, ...).</li> <li>Ziel der Versorgung: Ermöglichen einer frühfunktionellen Mobilisation</li> <li>Individualisiert angepasstes Therapieregime</li> <li>Periprothetische Frakturen in Zusammenhang mit gelockerten Implantaten (Vancouver Typ B2, B3) erfordern stets einen Prothesenwechsel.</li> <li>Verplattung ist immer möglich, wenn die Prothese nicht gelockert ist (Vancouver B1, C).</li> </ul> </div> <h2>Sozioökonomische Bedeutung</h2> <p>Weltweit, so auch in Europa, ist eine enorme Zunahme von Gelenksersatzoperationen zu verzeichnen. Eine kürzlich in Deutschland veröffentlichte Studie zeigt, dass im OECD-Vergleich Österreich mit einer Inzidenz von 272/100 000 Einwohnern hinter der Schweiz (292) und Deutschland (287) den dritten Platz bei durchgeführten totalendoprothetischen Hüfteingriffen einnimmt. Mit steigender Anzahl endoprothetischer Eingriffe, vorwiegend am Hüft- und Kniegelenk, bei immer älter werdenden Patienten sind öfter Komplikationen nach derartigen Operationen zu sehen. Zu den weit reichenden Folgen hierbei zählen zweifelsohne die periprothetischen Hüftfrakturen, für deren korrekte Therapie Kenntnisse einerseits über richtig angelegte Osteosynthesen, andererseits über Möglichkeiten und Techniken der Revisionsendoprothetik erforderlich sind.<br />In der aktuellen Fachliteratur gibt es kontroverse Angaben zur Inzidenz sämtlicher periprothetischer Frakturen betreffend den ganzen Körper, wobei Raten zwischen 0,045 % und 27,8 % publiziert wurden. Betrachtet man periprothetische Frakturen an der unteren Extremität, so werden diese in der Literatur mit Inzidenzraten zwischen 0,6 % und 2,4 % beschrieben. Während in 17,3 % der Fälle periprothetische Frakturen den Grund für einen Revisionseingriff bei Hüft-TEP (Hüfttotalendoprothesen) darstellen, sind es bei Knie-TEP (Knietotalendoprothesen) lediglich 3,1 % . <br />Periprothetische Frakturen werden anhand der Entstehungsursache prinzipiell in zwei Arten eingeteilt, nämlich in die intra- und die postoperativ verursachten Frakturen. Eine Sonderform ist die sogenannte intraprothetische Fraktur, die gekennzeichnet ist durch das Auftreten einer Fraktur an der Extremität bei liegender Hüft- und Knieprothese. Die Ursachen für das Entstehen einer periprothetischen Fraktur sind breit gefächert, neben osteoporotischen Zuständen werden in diesem Zusammenhang oftmals rheumatoide Ereignisse angegeben. Diese Umstände führen nicht selten unweigerlich zu Ermüdungsbrüchen, die durch eine Schädigung der Kortikalis verursacht werden. Echte Sturzereignisse können durch postoperative Paresen, Beinlängendifferenzen oder Gehunsicherheiten hervorgerufen werden.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2018_Jatros_Ortho_1801_Weblinks_s28_1.jpg" alt="" width="2151" height="288" /></p> <h2>Diagnostik</h2> <p>Neben einer detaillierten klinischen Untersuchung, wobei besonderes Augenmerk auf die Beweglichkeit der verletzten und der angrenzenden Gelenke gerichtet werden soll, ist die Erhebung einer Anamnese zur Bestimmung des präoperativen Mobilitätsniveaus wesentlich. Dies ist insofern wichtig, als bei Bettlägerigkeit in der Ausgangssituation oftmals eine große Operation mit Prothesenwechsel nicht mehr durchgeführt wird. Die zurückhaltende Vorgehensweise beruht darauf, dass ohnehin kein belastendes Mobilisieren des Patienten erwartet wird und somit der „kleinere Eingriff“ mittels Osteosynthese anzustreben ist.<br />Entscheidend für das geplante Vorgehen ist ohne Zweifel die detaillierte Bildgebung, wobei als Erstes ein Nativröntgen der verletzten Extremität in beiden Ebenen mit Beckenübersichtsaufnahme durchgeführt werden sollte. Sind die Röntgenbilder nicht ausreichend, um Aussagen hinsichtlich der Festigkeit des Prothesensitzes im Schaft treffen zu können, sollte in weiterer Folge eine Computertomografie (CT) des gebrochenen Oberschenkels bei liegender Hüftprothese durchgeführt werden. Die CT-Untersuchung erlaubt Aussagen über die genaue Beurteilung des Frakturverlaufes sowie über eine mögliche Schaftlockerung. In Bezug auf die Operationsplanung ist es außerordentlich wichtig zu wissen, um welche Situation es sich bei dem jeweiligen Patienten handelt, wobei die gebräuchliche Vancouver-Klassifikation sehr aufschlussreich und hilfreich sein kann.</p> <h2>Die Vancouver-Klassifikation</h2> <p>Während die Vancouver-Typ-A-Frakturen im Bereich der Trochanter-minor- und -major-Region vorkommen und somit immer ein fester Prothesensitz zu erwarten ist, sieht die Sache bei den Typ-B-Verletzungen etwas anders aus. Vancouver-B1-Frakturen weisen definitionsgemäß einen festen Prothesensitz auf, während B2-Frakturen durch Lockerung bei guter Knochenqualität gekennzeichnet sind und B3-Frakturen durch Lockerung bei schlechter Knochenqualität. Die Situationen, die einen Frakturverlauf distal der Prothesenspitze am Oberschenkelschaft aufweisen, werden als Vancouver-Typ-C-Verletzungen bezeichnet, sie gehen in der Regel mit einem stabilen Prothesenschaft einher (Abb. 1).<br />Diese Beschreibungen der vorliegenden periprothetischen Frakturen und die Einteilung in die entsprechende Vancouver-Klassifikation sind einfach durchzuführen. In der Praxis sieht die Realität jedoch anders aus, und nicht selten passiert es, dass der Operateur im Femur intraoperativ einen komplett gelockerten Prothesenschaft vorfindet, obwohl anhand der Vancouver-Klassifikation eine stabile Situation zu erwarten war. Dieser Umstand zeigt, dass die derzeit üblichen Untersuchungsmethoden nicht ausreichend ausgereift sind, dass valide Angaben über Stabilitätsverhältnisse des Prothesenschaftes getroffen werden können. Erwartet sich der Chirurg eine stabile Situation und plant somit die Anlage einer langen Platte am frakturierten Oberschenkel, kann er plötzlich intraoperativ eine instabile Verankerung vorfinden und somit gezwungen sein, den weitaus größeren Eingriff mit Schaftausbau und Implantation eines Revisionsschaftes in Kombination mit einer Osteosynthese des frakturierten Schaftes durchzuführen.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2018_Jatros_Ortho_1801_Weblinks_s28_2.jpg" alt="" width="684" height="1489" /></p> <h2>Wahl der Therapie</h2> <p>Die Wahl der anzustrebenden Therapie richtet sich in erster Linie nach der Verfügbarkeit von Implantaten. Da periprothetische Frakturen mit unterschiedlichen Strategien und Techniken versorgt werden können, ist die Lagerung entsprechender Implantate maßgeblich (Revisionsschäfte, diverse Prothesenkomponenten, Platten, Schrauben etc.). Darüber hinaus spielt die Erfahrung des Operateurs eine große Rolle, der einerseits in der Lage sein sollte, die Vancouver-Klassifikation und davon abgeleitet die korrekte Therapie anzuwenden, und andererseits den Umgang mit den Implantaten und die jeweiligen Techniken beherrschen sollte. Wichtig ist auch, den Allgemeinzustand sowie die körperliche Fitness des zu operierenden Patienten in die Entscheidung mit einfließen zu lassen, wobei auch abgewogen werden sollte, ob eine chirurgische Therapie mit anschließender Rehabilitation für die Patienten zumutbar ist.</p> <h2>Extramedulläre Osteosynthese mittels Verplattung</h2> <p>Prinzipiell können jede Art und Situation einer periprothetischen Fraktur mittels Verplattungsosteosynthese versorgt werden. Im Vordergrund stehen definitionsgemäß jedoch Patienten, die sich eine Vancouver-Typ-B1- oder -Typ-C-Fraktur zugezogen haben; bei diesen ist eine stabile Verankerung des Schaftes im Oberschenkelknochen zu erwarten. Aber auch andere Typen der Vancouver-Klassifikation können mittlerweile mit einer Verplattung stabilisiert werden, insbesondere Patienten, die körperlich deutlich eingeschränkt sind, da ohne Operation in vielen Fällen ihre Situation mit dem Leben nicht zu vereinbaren wäre. Ein wesentlicher Vorteil gegenüber der Anwendung einer Revisionsprothese ist der Umstand, dass eine Platte elegant über einen oder mehrere kleinere Zugänge eingeschoben werden kann und somit eine stabile Osteosynthese mit guter Stabilität in wesentlich kürzerer Operationszeit und mit geringerem Weichteiltrauma und Blutverlust durchgeführt werden kann. Klarerweise sind mit der Verplattungstechnik auch Kombinationen möglich, wobei z.B. der gebrochene Schaft zunächst mit einer Revisionsprothese aufgefädelt und im Anschluss mit einer außen angelegten Platte eine zusätzliche Stabilisierung erreicht wird. Oft werden auch Cerclagen als weitere Stabilisatoren verwendet.</p> <h2>Indikationen für die Osteosynthese mittels Verplattung</h2> <p>Möchte der Operateur eine periprothetische Fraktur mittels Verplattung behandeln, sollte eine Situation vorherrschen, bei welcher der Hüftprothesenschaft fest integriert, also stabil verankert ist – idealerweise eine Vancouver-Typ-B1- oder -Typ-C-Fraktur. Von Vorteil für die effiziente Behandlung ist, wenn die Fraktur prothesenfern lokalisiert ist bzw. wenn der zu versorgende Patient biologisch jünger ist und somit eine gute Knochenqualität hat, die eine bessere Fixation erlaubt. Darüber hinaus eignet sich die Verplattung hervorragend bei Frakturen, die einen unkomplizierten Verlauf zeigen und durch einen guten und ausreichenden medialen Fragmentkontakt charakterisiert sind.</p> <h2>Häufige Fehler bei Osteosynthese mittels Verplattung</h2> <p>Da die Technik der Verplattung praktisch eine Domäne der Unfallchirurgen darstellt, wird diese Art der Versorgungstechnik eher von dieser Berufsgruppe angewendet und favorisiert. Um nicht Schiffbruch im Sinne einer Fehlverheilung bzw. möglichen Pseudarthrose zu erleiden, sollten einige wichtige Operationsschritte berücksichtigt werden. <br />Voraussetzung für einen raschen Frakturheilungsverlauf sind korrekte Reposition, Retention und ausreichende Blutversorgung. Kommt es jedoch im Rahmen des operativen Verfahrens zu einer Denudierung der Fragmente bzw. zu einem fehlenden Fragmentkontakt, so erhöht sich das Risiko für eine Fehlverheilung dramatisch. Weitere Fehlerquellen sind die Verwendung einer unzureichend langen Platte bzw. eine unpassende Schraubenverankerung und das Nichtverwenden einer Spongiosaplastik bei größerer Dislokation der Frakturanteile.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2018_Jatros_Ortho_1801_Weblinks_s28_3.jpg" alt="" width="2150" height="1613" /></p></p>
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<a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a>
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<p>• Berry DJ: Epidemiology: hip and knee. Orthop Clin North Am 1999; 30: 183-90 • Bethea JS et al.: Proximal femoral fractures following total hip arthroplasty. Clin Orthop Relat Res 1982; (170): 95-106 • Dehghan N et al.: Surgical fixation of Vancouver type B1 periprosthetic femur fractures: a system­atic review. J Orthop Trauma 2014; 28: 721-7 • Duncan CP, Masri BA: Fractures of the femur after hip replacement. Instr Course Lect 1995; 44: 293-304 • Franklin J, Malchau H: Risk factors for periprosthetic femoral fracture. Injury 2007; 38: 655-60 • Gruner A et al.: Die periprothetische Fraktur. Unfallchirurg 2004; 107: 35-49 • Joestl J et al.: Locking compression plate versus revision-prosthesis for Vancouver type B2 periprosthetic femoral fractures after total hip arthro­plasty. Injury 2016; 47: 939-43 • Johansson JE et al.: Fracture of the ipsilateral femur in patients wih total hip replacement. J Bone Joint Surg Am 1981; 63: 1435-42 • Laurer HL et al.: Outcome after operative treatment of Vancouver type B1 and C periprosthetic femoral fractures: open reduction and internal fixation versus revision arthroplasty. Arch Orthop Trauma Surg 2011; 131: 983-9 • Lenz M et al.: A biomechanical study on proximal plate fixation techniques in periprosthetic femur fractures. Injury 2014; 45(Suppl 1): S71-5 • Lindahl H: Epidemiology of periprosthetic femur fracture around a total hip arthroplasty. Injury 2007; 38: 651-4 • Moreta J et al.: Functional and radiological outcome of periprosthetic femoral fractures after hip arthroplasty. Injury 2015; 46: 292-8 • Platzer P et al.: Management and outcome of interprosthetic femoral fractures. Injury 2011; 42: 1219-25</p>
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