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Osteoporose in der orthopädischen Praxis
Jatros
Autor:
Univ.-Prof. Dr. Ronald Dorotka
Facharzt für Orthopädie und orthopädische Chirurgie (Sportorthopädie, Rheumatologie)<br>Orthopädie-Zentrum Innere Stadt, Wien<br>www.med-fitness.com<br>E-Mail: r.dorotka@ortho-zentrum.at
30
Min. Lesezeit
22.03.2018
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<p class="article-intro">Die Behandlung von Osteoporosepatienten in einer orthopädischen Kassenordination ist tagtägliche Realität und in jedem Fall eine Herausforderung im Spannungsfeld zwischen adäquater Patientenversorgung und vollem Wartezimmer.</p>
<p class="article-content"><div id="keypoints"> <h2>Keypoints</h2> <ul> <li>Auch in der orthopädischen Kassenpraxis verläuft die Betreuung von Osteoporosepatienten leitlinienkonform.</li> <li>Die aufwendigere Betreuung von Osteoporosepatienten wird bei vollem Wartezimmer zum Stressfaktor.</li> <li>Im Hintergrund läuft bei allen orthopädischen Patienten ein Screening hinsichtlich Risikofaktoren für Osteoporose ab.</li> <li>Bei komplexen Fällen ist die Zusammenarbeit mit Osteologen nicht unehrenhaft.</li> <li>Zusätzliches Kerngebiet der Orthopädie sind auch die Sportberatung und der adäquate Einsatz orthopädietechnischer Maßnahmen.</li> </ul> </div> <p>Ich bin in einer Gruppenpraxis im ersten Wiener Gemeindebezirk mit Verträgen mit allen Kassen tätig. Wir verfügen über keine eigene „Osteoporosesprechstunde“, die Betreuung erfolgt bei dieser Patientengruppe über Terminvergabe während der gesamten Öffnungszeit von Montag bis Freitag ganztags bzw. auch am Samstagvormittag. Prinzipiell stehen unsere Türen auch Patienten mit akuten Beschwerden ohne Termin offen. Im Rahmen der Osteoporoseversorgung betreffen diese Akuttermine meist Patienten mit akuten verte­bralen Frakturen mit entsprechender Schmerzsymptomatik, während Osteoporosepatienten mit vorbestehender Therapie in der Regel nach Terminvereinbarung kommen.<br />Die eigentliche Herausforderung stellt aber das Screening von potenziell osteoporosegefährdeten Patienten dar, die wegen ganz anderer Beschwerden die Ordination aufsuchen. Hier ist ständige Aufmerksamkeit gefordert, daran zu denken und allen Patienten – sowohl neuen als auch bekannten – gezielt Fragen in diese Richtung zu stellen. Beim Kassenarzt orientieren sich die gezielten Fragen nicht nur an den aus Leitlinien bekannten Risikofaktoren, sondern gehen zusätzlich auch schon in Richtung Verrechnungsvoraussetzungen wie etwa für die Knochendichtemessung. So kann etwa bei der WGKK eine DXA bei Frauen ab dem 65. Lebensjahr und bei Männern ab dem 70. Lebensjahr ohne Voraussetzung verordnet werden. Frauen zwischen dem 60. und 65. Lebensjahr müssen 2 von 5 Risikofaktoren erfüllen (prädisponierende Erkrankung, Medikation, genetische Disposition, Lebensstil, Sexualanamnese), um diese Untersuchung auf Kassenkosten zu erhalten. Unabhängig von Geschlecht und Alter besteht das Recht auf eine Kassen-DXA bei Patienten mit Fragilitätsfraktur und/oder Vorliegen einer osteoporoseinduzierenden Erkrankung oder Medikation. Alle anderen müssen sich um eine private Knochendichtemessung bemühen, z.B. wenn ein medizinisch nicht berechtigter und beratungsresistenter Wunsch nach Kenntnis seines persönlichen T-Werts besteht. Die Bestimmung der Frakturwahrscheinlichkeit über die FRAX-App direkt am Smartphone findet bei mir zunehmend Verwendung.<br />Jeder Patient wird einer gründlichen orthopädisch-klinischen Untersuchung unterzogen. Das Wartezimmer kann gar nicht so voll sein, dass auf diese wertvolle Manualdiagnostik verzichtet werden würde. Neben der Untersuchung der Wirbelsäule mit Neurostatus werden auch die angrenzenden Gelenke miteinbezogen. Bei entsprechendem Verdacht erfolgt im Anschluss auch die Überweisung zum Röntgen der Region zum Ausschluss einer Fraktur. Im Rahmen der Erstbegutachtung bzw. -untersuchung auf Osteoporose wird auch eine Labordiagnostik eingeleitet. Das Standardbasislabor beinhaltet folgende Parameter: Blutbild, Senkung, CRP, TSH, Serum-Kalzium, Serum-Phosphat, Kreatinin, BUN, GGT, Eiweißelektrophorese, alkalische Phosphatase und ggf. Parathormon, Testosteron sowie 25-OH-Vitamin-D3. <br />Anhand der Anamnese und der Laborbefunde werden sekundäre Osteoporoseformen herausgefiltert und die Patienten entsprechend an die internistischen Fachdisziplinen weitergeschickt. <br />Akutpatienten mit starken, frakturverdächtigen Schmerzen erhalten noch am selben Tag ein Röntgen. Eine Schmerztherapie wird sofort eingeleitet. Je nach Komorbidität erfolgt die analgetische Therapie nach dem WHO-Schema, zusätzlich auch eine lokale, gezielte Infiltrationstherapie. Bestätigt sich im Röntgen der Verdacht auf eine Wirbelkörperfraktur, wird der entsprechende Wirbelsäulenabschnitt mittels Mieder ruhiggestellt und Physiotherapie verordnet. Von Bettruhe wird abgeraten. Darüber hinaus wird als weiterer diagnostischer Schritt eine Magnetresonanztomografie (MRT) verordnet. Die hauptsächlichen Fragestellungen an die MRT sind das Vorliegen einer rezenten Fraktur oder auch einer knöchernen Kompression im Bereich der Fraktur. Besteht bei Patienten mit Wirbelkörperfrakturen bereits bei der Erstbegutachtung eine akute neurologische Auffälligkeit (motorisch und/oder Caudasymptomatik), wird ohnehin ohne Verzögerung in ein wirbelsäulenchirurgisches Zentrum (AKH Wien, Orthopädie) überwiesen und in diesen Fällen keine weitere verzögernde Diagnostik veranlasst. In den meisten Fällen lassen sich jedoch sowohl akute als auch Langzeit-Osteoporosepatienten adäquat konservativ therapieren. In wenigen therapieresistenten Fällen erfolgt sekundär nach Bestätigung des Vorliegens einer rezenten Wirbelkörperfraktur in der MRT die Zuweisung ins Spital zur eventuellen Frakturstabilisierung mittels Kyphoplastik. <br />Alle Patienten werden gebeten, mit ihrem Allgemeinmediziner die sonstige laufende medikamentöse Therapie auf ihr knochendichtereduzierendes Risiko zu prüfen (z. B. Protonenpumpenhemmer, Neuroleptika, Antidepressiva, Glukokortikoide). Ebenso werden Patienten auf die Reduktion des Sturzrisikos (Stichwort: Teppich) und die Therapie von Sturzursachen (Stichwort: Fehlsichtigkeit) aufmerksam gemacht. Jeder Betroffene wird entsprechend seiner physischen Möglichkeit hinsichtlich Sportoptimierung beraten oder es wird eine Physiotherapie eingeleitet, wobei bei jüngeren Patienten mit verringerter Knochendichte ohne Frakturen eine sportorthopädische Beratung ausreichend erscheint (Krafttraining, Crosstrainer, prinzipiell kaum Einschränkungen in der Sportausübung). Bei Bedarf steht in der Ordination auch ein Sporttrainer zur Verfügung. Ältere Patienten oder Patienten mit einer Fraktur werden routinemäßig zur Physiotherapie zugewiesen. Auch hierbei stehen Physiotherapeutinnen direkt in der Ordination zur Verfügung, die als Wahltherapeutinnen mit den Patienten privat abrechnen; eine teilweise Rückerstattung der Kosten durch die Versicherungen ist möglich. Patienten, die eine vollständige Vergütung über die Krankenkasse bevorzugen, werden in ein physikalisches Institut überwiesen. Obwohl viele Institute bei dieser Indikation ein adäquates Rehabilitationsprogramm mit Anleitung zum Selbstüben anbieten, wird leider doch noch oft von den Instituten die Physiotherapie gestrichen und stattdessen auf rein passive Konzepte gesetzt. Hier wäre allerdings auch das Kassensystem gefragt, entsprechende personalintensivere Programme adäquat zu vergüten.<br />Darüber hinaus bieten wir in der Ordination auch unseren Osteoporosepatienten ein gezieltes Trainingsprogramm mit Dr.-Wolff-Rückentherapiegeräten an (RTC nach Dr. Wolff, Fa. Domitner). Dabei wird nach entsprechender Physiotherapie mit fachärztlicher Begleitung und direkter Betreuung durch einen erfahrenen Trainer an 5 speziellen Geräten vor allem die tiefe LWS-stabilisierende Muskulatur (M. multifidus lumbalis, M. transversus abdominis) adressiert (Abb. 1). In einem 1-Jahres-Programm erfolgt dann zunehmend auch der Übergang zum Training der globalen Muskulatur mittels freier Gewichte und anderer Übungen (siehe auch JATROS Orthopädie & Traumatologie 4/17, Seite 70f.).</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2018_Jatros_Ortho_1802_Weblinks_s9_1.jpg" alt="" width="684" height="1031" /><br />Nach Maßgabe der Ernährungsgewohnheiten bzw. Zusatzfaktoren wie Sonnenexposition erfolgt die Verordnung von Vitamin D3 und – bei geringer Kalziumaufnahme über die Nahrung – 1000mg Kalzium täglich.<br />Nach der Klärung von Kontraindikationen wird prinzipiell mit Alendronat einmal wöchentlich begonnen, eine Aufklärung über den Einnahmemodus ist essenziell. Bei fehlender Compliance oder Gegenanzeigen für die perorale Einnahme wird auf parenterales Ibandronat oder Zoledronat gewechselt. Bei Vorliegen von Nierenfunktionsstörungen oder sonstigen Kontraindikationen bezüglich der Bisphosphonattherapie wird mit Denosumab begonnen, wofür im Gegensatz zu den oben genannten Substanzen eine vorherige chefärztliche Bewilligung notwendig ist. Entweder holen sich die Patienten persönlich bei ihrer Krankenkasse diese Bewilligung oder die Genehmigung erfolgt direkt über den chefärztlichen Dienst per Online-Anfrage (ABS). Während vor einigen Jahren noch ein teils komplexer Schriftverkehr vorkommen konnte, zeigt die persönliche Erfahrung der letzten Jahre, dass hier sehr wohl bei entsprechender Formulierung der Begründung rasche Genehmigungen in der Mehrzahl der Fälle möglich sind (Abb. 2).</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2018_Jatros_Ortho_1802_Weblinks_s9_2.jpg" alt="" width="1417" height="2137" /><br />Ebenso genehmigungspflichtig ist Teriparatid, das bei Frakturen trotz adäquater antiresorptiver Therapie zur Verfügung steht. Die Organisation der aufwendigen täglichen Verabreichung des Medikaments ist auf den ersten Blick im kassenärztlichen Setting schwer durchführbar, wird aber von der herstellenden Firma durch Bereitstellung von geschulten Pflegepersonen für die direkte Patientenbetreuung deutlich erleichtert. <br />Bei unklaren Osteoporoseursachen bzw. Vorliegen mehrerer internistischer Erkrankungen sollte man sich nicht scheuen, auch internistisch-osteologische Hilfe über Osteoporoseambulanzen in Anspruch zu nehmen. Trotz aller Fortschritte bei der medikamentösen Therapie darf aus orthopädischer Sicht keinesfalls auf Begleitmaßnahmen, wie Sporttherapie bzw. -optimierung, Sturzprophylaxe, Rückenrehabilitation, und bei akuten Patienten auf die orthopädietechnische Versorgung inkl. operativer Maßnahmen vergessen werden.</p></p>
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<p>beim Verfasser</p>
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