© cosmin4000 iStockphoto

Vitamin D zum Schutz vor Frakturen

Neue Metaanalyse zweifelt derzeitige Empfehlungen an

<p class="article-intro">Menschen ab 60 Jahren empfiehlt das Bundesamt für Gesundheit, täglich 800 IE Vitamin D zu supplementieren, um das Risiko für Stürze und Frakturen zu senken. Jetzt stellt eine neue Metaanalyse diese Praxis infrage. Prof. Heike Bischoff- Ferrari vom UniversitätsSpital Zürich erklärt, warum man die neuen Daten kritisch sehen sollte und warum sie weiterhin Vitamin-D-Supplemente empfiehlt.</p> <hr /> <p class="article-content"><p>Nachdem 2009 eine Studie mit mehr als 8000 Menschen &uuml;ber 64 Jahre gezeigt hatte, dass Vitamin D vor St&uuml;rzen sch&uuml;tzt,<sup>1</sup> und drei Jahre sp&auml;ter in einer Untersuchung mit mehr als 30 000 Senioren herauskam, dass das Vitamin auch vor H&uuml;ftfrakturen und anderen Frakturen bewahrt,<sup>2</sup> propagierte Prof. Dr. med. Heike Bischoff-Ferrari, wie einige andere Kollegen auch: Jeder &auml;ltere Mensch sollte Vitamin D nehmen, am besten das ganze Jahr hindurch. Bischoff-Ferrari ist Professorin f&uuml;r Altersmedizin und Altersforschung am Universit&auml;tsSpital Z&uuml;rich, sie hatte diese Studien damals geleitet.<br /> Doch nun widerlegen Forscher aus China mit einer Metaanalyse die Empfehlung. <sup>3</sup> Die Wissenschafter hatten 33 Studien mit 51 145 zu Hause lebenden Menschen im Alter &uuml;ber 49 Jahre ausgewertet. Eingeschlossen wurden Studien jeder L&auml;nge und Qualit&auml;t, in denen Vitamin-Doder Kalziumsupplemente untersucht worden waren. Das ern&uuml;chternde Fazit: Die Metaanalyse unterst&uuml;tzt den routinem&auml;ssigen Einsatz dieser Supplemente bei zu Hause lebenden Menschen im Alter &uuml;ber 49 Jahre nicht, weil weder Vitamin D alleine noch in Kombination mit Kalzium das Knochenbruchrisiko vermindert. Wie kann es zu solch kontr&auml;ren Empfehlungen kommen? Und gilt jetzt die g&auml;ngige Empfehlung des Bundesamtes f&uuml;r Gesundheit (BAG) nicht mehr, dass &uuml;ber 64-J&auml;hrige t&auml;glich 800 IE Vitamin D supplementieren sollten? Wir haben bei Prof. Bischoff-Ferrari nachgefragt.<br /><br /><strong> Warum fanden die Kollegen aus China andere Ergebnisse als Sie?<br /><br /> H. Bischoff-Ferrari:</strong> Erstens haben die Autoren eine &laquo;fittere&raquo; Zielpopulation ausgew&auml;hlt: Erwachsene ab 50 und unter Ausschluss von gebrechlicheren Senioren, die in Alters- oder Pflegezentren leben. J&uuml;ngere, fittere Menschen leiden seltener unter Vitamin-D-Mangel und brechen sich zudem per se seltener die Knochen. Liegt kein Vitamin-D-Mangel vor oder st&uuml;rzt jemand selten, ist ein Nutzen von Vitamin D schwieriger nachzuweisen. In unseren Metaanalysen hatten wir sowohl zu Hause lebende als auch institutionalisierte Menschen ab 65 Jahren eingeschlossen und gesehen, dass sich die Wirkung von Vitamin D zwischen diesen Gruppen nicht signifikant unterscheidet.<sup>1, 2, 4</sup><br /> Zweitens schlossen die Autoren viele Studien ein, die aufgrund ihres Studiendesigns wenig Nutzen zeigen konnten. Jede dritte Studie dauerte zum Beispiel k&uuml;rzer als ein Jahr. Das ist viel zu kurz, denn Vitamin D wirkt erst nach Monaten auf das Knochenbruchrisiko. Vier Studien wandten ein offenes Studiendesign ohne Placebokontrolle an, und einmal verwendeten die chinesischen Kollegen falsche Frakturzahlen.<br /> Drittens ber&uuml;cksichtigten die Autoren die Adh&auml;renz der Einnahme nicht. In der RECORD-Studie hatte beispielsweise jeder zweite Teilnehmer zur Halbzeit sein Vitamin D oder Kalzium gar nicht genommen<sup>5</sup> &ndash; dann ist klar, dass die Supplemente keinen Effekt aus&uuml;ben k&ouml;nnen. Viertens: In den Studien mit Vitamin D ohne zus&auml;tzliche Kalziumgabe wurde Vitamin D in 8 der 12 Studien als grosse Bolusdosis verabreicht (oral oder intramuskul&auml;r), was in der Literatur wiederholt Bef&uuml;rchtungen hinsichtlich der F&ouml;rderung von St&uuml;rzen und Frakturen ausgel&ouml;st hat.<sup>6, 7</sup> Die Autoren haben vers&auml;umt, dieses Problem in einer Subgruppenanalyse zu behandeln.<br /><br /> <strong>&Auml;ndern Sie jetzt Ihre Empfehlung?<br /><br /> H. Bischoff-Ferrari:</strong> Nein. Erstens finde ich die M&auml;ngel der chinesischen Studie zu gravierend. Zweitens erwarte ich in den kommenden Monaten neue Ergebnisse aus zwei grossen, randomisierten Studien zur Vitamin-D-Gabe, zum einen aus unserer DO-HEALTHStudie<sup>8</sup>, zum anderen aus der VITALStudie<sup>9</sup> aus den USA. Dann werden wir mehr wissen.<br /><br /><strong> Aber die US Preventive Services Task Force (USPSTF) hat sich k&uuml;rzlich auch gegen Vitamin D bei Menschen &uuml;ber 64 Jahre ausgesprochen.<sup>10</sup> Es g&auml;be gen&uuml;gend Evidenz, so die Experten, dass Vitamin D keinen Benefit in der Sturzpr&auml;vention hat.<br /><br /> H. Bischoff-Ferrari:</strong> Auch hier ist das Problem, dass die US-Experten bei ihrer Einsch&auml;tzung alle Daten in einen Topf geworfen haben, inklusive der Studien mit hohen Bolusgaben. Die t&auml;glichen Gaben von 700 bis 1000 Einheiten Vitamin D senkten erfolgreich das Sturzrisiko bei Menschen &uuml;ber 64 Jahre mit einem Risiko f&uuml;r Vitamin-D-Mangel.<br /><br /><strong> Soll man seinen Patienten zu Vitamin- D-Supplementen raten oder nicht?<br /><br /> H. Bischoff-Ferrari:</strong> Das BAG empfiehlt nach wie vor 800 Einheiten Vitamin D pro Tag bei Menschen ab 60 Jahren &ndash; unabh&auml;ngig von der Jahreszeit. Damit kann man sicher einen Vitamin- D-Mangel beheben, den sch&auml;tzungsweise jeder zweite &auml;ltere Mensch hat.<sup>6</sup> Und eines ist gut bewiesen: Ein Vitamin- D-Mangel im Alter erh&ouml;ht das Risiko f&uuml;r St&uuml;rze und Knochenbr&uuml;che enorm.<sup>7</sup><br /><br /><strong> Es gibt aber auch Studien, die zeigten, dass zu viel Vitamin schadet.<br /><br /> H. Bischoff-Ferrari:</strong> Ja, das bezieht sich vor allem auf grosse Mengen Vitamin D einmal pro Monat oder pro Jahr. In zwei Studien haben 60 000<sup>11</sup> bzw. 100 000<sup>12</sup> Einheiten pro Monat das Risiko f&uuml;r St&uuml;rze erh&ouml;ht, und in einer anderen Studie erlitten die Teilnehmer mit 500 000<sup>13</sup> Einheiten &ouml;fter Knochenbr&uuml;che. Deshalb r&auml;t das BAG auch nicht mehr zu einer j&auml;hrlichen Bolusdosis, wie es das fr&uuml;her gemacht hat. Mit 800 Einheiten am Tag oder 24 000 Einheiten im Monat ist man auf der sicheren Seite.<br /><br /> <strong>Braucht ein Senior, der viel draussen ist, auch Vitamin D?<br /><br /> H. Bischoff-Ferrari:</strong> In der Regel ja, und ganz sicher im Winter, weil wir mit zunehmendem Alter weniger Vitamin D in der Haut produzieren. Abgesehen davon betr&auml;gt die Halbwertszeit von Vitamin D nur 3 bis 6 Wochen. Damit kann uns auch ein gut aufgebauter Vitamin-D-Blutspiegel nicht &uuml;ber den Winter retten.<br /><br /> <strong>Und j&uuml;ngere Menschen?<br /><br /> H. Bischoff-Ferrari:</strong> Unabh&auml;ngig vom Alter ist im Winter in ganz Europa keine ausreichende Vitamin-D-Versorgung durch die Sonne m&ouml;glich.<sup>14</sup> Das BAG hat daher auch f&uuml;r Kinder und junge Erwachsene Empfehlungen etabliert: pro Tag 400 Einheiten im ersten Lebensjahr, 600 Einheiten im Alter von 2 bis 59.<sup>15</sup><br /><br /> <strong>Aber es gibt doch Menschen, die selbst nach dem Winter gen&uuml;gend hohe Vitamin-D-Spiegel haben, obwohl sie keine Supplemente nehmen.<br /><br /> H. Bischoff-Ferrari:</strong> Vielleicht essen diese Leute regelm&auml;ssig fetten Fisch oder machen auch im Winter Bergwanderungen oder einen Urlaub im S&uuml;den. Oder sie haben einen genetischen Vorteil. Manchmal ist auch die Messung falsch hoch. Letztendlich muss das jeder selbst entscheiden.<br /><br /><strong> Wie viel Sonnenexposition reicht aus, um gen&uuml;gend Vitamin D zu produzieren?<br /><br /> H. Bischoff-Ferrari:</strong> Wenn junge Menschen Arme und Gesicht circa 15 Minuten ohne Sonnenschutz in die Sonne halten, entspricht das etwa 800 Einheiten Vitamin D.<sup>14</sup> Im Winter wird es schwierig &ndash; man m&uuml;sste 8 bis 10 Stunden pro Tag im Freien und in der Sonne sein, damit das Vitamin D ansteigt.<sup>14</sup><br /><br /> <strong>Wenn man im Sommer und Herbst viel wandern geht, bringt einen das &uuml;ber den Winter?<br /><br /> H. Bischoff-Ferrari:</strong> Nein. Wir erreichen unseren h&ouml;chsten Blutspiegel an 25-Hydroxyvitamin D im September, ab November ist der Blutspiegel schon deutlich vermindert.<sup>14</sup> Um von November bis Ende April gut Vitamin D &uuml;ber die Haut zu produzieren, m&uuml;sste man in dieser Zeit den Breitengrad 33 &uuml;berschreiten, also von Europa aus gesehen sich in Marokko aufhalten.<sup>14</sup> <strong>Sollte man vorher nicht lieber den Vitamin-D-Spiegel messen?<br /><br /> H. Bischoff-Ferrari:</strong> Das BAG und internationale Richtlinien empfehlen Senioren eine Einnahme von 800 IE am Tag ohne Kontrolle des Blutspiegels, weil diese Menge sicher ist und den Mangel behebt &ndash; egal ob man gen&uuml;gend oder zu wenig Vitamin D hat. Ich messe den Spiegel, wenn ich einen schweren Vitamin- D-Mangel vermute. Zum Beispiel bei Menschen mit &Uuml;bergewicht, Osteoporose oder einem dunkleren Hautton. Diese Patienten brauchen eine h&ouml;here Dosis von 1500 bis 2000 IE.<br /><br /><strong> Manche Leute werfen Ihnen vor, Sie w&uuml;rden so f&uuml;r Vitamin D eintreten, weil Sie von den Vitamin-D-Herstellern gesponsert seien. Stimmt das?<br /><br /> H. Bischoff-Ferrari:</strong> Nein. Unsere Studien werden zum gr&ouml;ssten Teil vom Schweizerischen Nationalfonds, der Europ&auml;ischen Union, der Universit&auml;t Z&uuml;rich und von unabh&auml;ngigen Stiftungen finanziert. Auf Vitamin D gibt es kein Patent, und die Hersteller haben deshalb keine Motivation, Geld in Studien zu investieren, wie das bei vielen Medikamenten der Fall ist. Ich forsche &uuml;ber Vitamin D, weil es eine vertr&auml;gliche und preiswerte Behandlung ist und m&ouml;glicherweise die Gesundheit &auml;lterer Menschen verbessern kann. Deshalb haben wir in einem Europ&auml;ischen Forschungsnetzwerk die DO-HEALTH- Studie gestartet.<br /><br /><strong> Was wollen Sie damit kl&auml;ren?<br /><br /> H. Bischoff-Ferrari:</strong> Ob eine t&auml;gliche Zufuhr von 2000 Einheiten Vitamin D den normalen Alterungsprozess bremsen kann, etwa indem das Vitamin das Ged&auml;chtnis verbessert oder das Herz- Kreislauf-System l&auml;nger gesund bleibt. Es geht in dieser Studie auch noch um zwei weitere Massnahmen, von denen wir uns eine positive Wirkung auf verschiedene Organsysteme erhoffen, n&auml;mlich Omega- 3-Fette und ein einfaches Trainingsprogramm f&uuml;r zu Hause.<br /><br /><strong> Kann man seine Patienten in die Studie noch einschliessen?<br /><br /> H. Bischoff-Ferrari:</strong> Leider nicht, sie ist schon abgeschlossen. Allerdings k&ouml;nnen Kollegen und Patienten die Ergebnisse nutzen. Mein Team und ich werden Ende 2018 ein einfaches Programm zusammengestellt haben, damit man die DO-HEALTH-Resultate interaktiv nutzen kann.<br /><br /><strong> Was heisst interaktiv?<br /><br /> H. Bischoff-Ferrari:</strong> Der Patient kann sein Geschlecht, Alter und Gewicht angeben und die Organfunktion, die ihn interessiert &ndash; also zum Beispiel den Blutdruck &ndash;, und dann bekommt er auf ihn pers&ouml;nlich zugeschnittene Empfehlungen. Zum Beispiel k&ouml;nnte er seinen Blutdruck um 2mmHg mit Vitamin D alleine senken und um 4mmHg mit Vitamin D plus Omega 3 oder Trainingsprogramm. Ob die drei Massnahmen wirklich den Blutdruck senken, m&uuml;ssen wir mit DO-HEALTH aber erst noch belegen.<br /><br /><strong> Und was wollen die US-Kollegen mit der VITAL-Studie herausfinden?<br /><br /> H. Bischoff-Ferrari:</strong> Ob Vitamin D und Omega-3-Fette das Krebsrisiko und das Risiko f&uuml;r Herz-Kreislauf-Erkrankungen bei Menschen &uuml;ber 50 senken. Ergebnisse erwarte ich aber nicht vor Oktober 2018. Falls wir belegen k&ouml;nnen, dass diese Erkrankungen durch diese kosteng&uuml;nstigen und vertr&auml;glichen Massnahmen vermindert werden k&ouml;nnen, w&auml;ren Vitamin D und Omega 3 f&uuml;r einen grossen Teil der Bev&ouml;lkerung eine gute Empfehlung.<br /><br /><strong> Trotzdem w&auml;re es doch besser, regelm&auml;ssig an die Sonne zu gehen und sich gesund zu ern&auml;hren, statt Pillen zu schlucken.<br /><br /> H. Bischoff-Ferrari:</strong> Nat&uuml;rlich, aber die Sonne ist einfach keine verl&auml;ssliche Quelle und birgt das Risiko von Hautalterung und Hautkrebs. Eine gesunde Ern&auml;hrung kann die Vitamin-D-Zufuhr leider nicht sicherstellen, auch nicht eine ausreichende Omega-3-Versorgung bei einem grossen Teil der Bev&ouml;lkerung. Bei anderen N&auml;hrstoffen ist das einfacher.</p></p> <p class="article-footer"> <a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a> <div class="collapse" id="collapseLiteratur"> <p><strong>1</strong> Bischoff-Ferrari HA et al.: BMJ 2009; 339: b3692 <strong>2</strong> Bischoff- Ferrari HA et al.: NEJM 2012; 367: 40-9 <strong>3</strong> Zhao JG et al.: JAMA 2017; 318(24): 2466-82 <strong>4</strong> Bischoff-Ferrari HA et al.: Arch Intern Med 2009; 169(6): 551-61 <strong>5</strong> Bischoff- Ferrari HA et al.: Am J Clin Nutr 2008; 87(6): 1945-51<strong> 6</strong> Mithal A et al.: Osteoporos Int 2009; 20(11): 1807-20 <strong>7</strong> Bischoff-Ferrari HA et al.: Osteoporos Int 2010; 21(7): 1121-32 <strong>8</strong> http://www.media.uzh.ch/de/medienmitteilungen/ 2017/DO-HEALTH.html <strong>9</strong> www.vitalstudy.org <strong>10</strong> https://www.uspreventiveservicestaskforce.org/ Page/Document/draft-recommendation-statement/fallsprevention- in-older-adults-interventions1 <strong>11</strong> Bischoff- Ferrari HA et al.: JAMA Intern Med 2016; 176(2): 175-83 <strong>12</strong> Ginde AA et al.: J Am Geriatr Soc 2017; 65(3): 496-503 <strong>13</strong> Sanders KM et al.: JAMA 2010; 303(18): 1815-22 <strong>14</strong> Holick MF: Am J Clin Nutr 1995; 61(3 Suppl): 638S- 645S <strong>15</strong> www.eek.admin.ch/eek/de/home/pub/vitamin-d-mangel.html</p> </div> </p>
Back to top