
Nervenläsionen in der Hüftendoprothetik
Autoren:
Dr. Falko Dahm1
Doz. Dr. Jochen Hofstätter2–3
1 II. Orthopädische Abteilung, Herz-Jesu Krankenhaus Wien
2 II. Orthopädische Abteilung, Orthopädisches Spital Speising, Wien
3 Leitung Michael Ogon Labor für Orthopädische Forschung
E-Mail: jochen.hofstaetter@oss.at
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Die Implantation von Hüftprothesen gilt als eine der erfolgreichsten Operationen der Orthopädie. Verletzungen von Nerven gelten dabei als gefürchtete Komplikation, wobei die Auswirkungen für den Patienten von transienten Sensibilitätsstörungen bis hin zu permanenten Plegien ein weites Spektrum umfassen. Dieser Artikel soll einen Überblick über die häufigsten Nervenläsionen in der Hüftendoprothetik, geordnet nach Zugangsweg, verschaffen. Ebenfalls sollen Möglichkeiten aufgezeigt werden, diese zu vermeiden. Im Allgemeinen erhöhen Voroperationen bzw. posttraumatische Zustände sowie kongenitale Deformitäten das Risiko, eine Nervenläsion zu erleiden.
Keypoints
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Nervenverletzungen bei Hüftendoprothesenimplantation sind seltene, aber zum Teil schwerwiegende Komplikationen.
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Je nach Zugangsweg sollten besondere Vorsichtsmaßnahmen getroffen werden, um die Inzidenz niedrig zu halten (Tab. 1–3).
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Vor invasiven therapeutischen Interventionen sollte unbedingt eine radiologische und elektrophysiologische Abklärung erfolgen.
Vorderer Zugang zum Hüftgelenk
In den letzten 15 Jahren hat der vordere Zugang zum Hüftgelenk („direct anterior approach“, DAA) aufgrund der geringeren Luxationsrate und höheren Patientenzufriedenheit in den ersten 3 Monaten nach der Operation rasant an Popularität gewonnen.
N. cutaneus femoris lateralis (NCFL)
Für den DAA wird insbesondere die Verletzung des NCFL, der im subkutanen Fettgewebe des proximalen Oberschenkels verläuft, viel diskutiert. Die Häufigkeit dieser rein sensiblen Läsion wird in der medizinischen Literatur zwischen 0% und 83% beziffert.1 Die große Diskrepanz dürfte auf mehrere Gründe zurückzuführen sein, die weiter unten diskutiert werden.
Laut anatomischer Studien gibt es 3 Hauptvarianten, wie der NCFL verläuft. In einer davon, dem Fächer-Typ („fan type“), der in 32% der Präparate gefunden wurde, ist es beim DAA nicht möglich, sämtliche Äste des Nervs zu schützen. Um auch für die anderen Verteilungsmuster so schonend wie möglich zu operieren, wird empfohlen, die Inzisionen so lateral und distal wie möglich anzulegen. Es erscheint daher folgerichtig, dass die Bikini- gegenüber der longitudinalen Schnittführung für den DAA in Studien zu höheren Nervenaffektionsraten geführt hat, wobei die Rate an Wundheilungsstörungen geringer ist.
Eine weitere Möglichkeit, den Nerv zu schonen, ist eine präzise präoperative Planung. Es wurde in einer Publikation über die Möglichkeit berichtet, mittels Ultraschall den Nerv darzustellen und die Schnittführung entsprechend zu adaptieren. Diese Methode hat leider wenig klinische Relevanz.
N. femoralis (NF)
Verletzungen des NF haben beim DAA eine Inzidenz von 0,26–5%. Als Ursachen kommen vor allem Zug durch die Retraktoren und starke Verlängerungen der Beinlänge (>2cm) in Frage. Voroperationen und aggressive Antikoagulation sind ebenfalls Risikofaktoren.
Der NF verläuft unterhalb des Ligamentum inguinale, medial des M. iliopsoas und somit nur wenige Zentimeter (1,8–2,2cm) vom anterioren Pfannenrand entfernt (Abb. 1). Werden hier Hohmann-Hebel eingesetzt, kommen diese stets medial des NF zu liegen. Es ist daher darauf zu achten, den Iliopsoas als schützende Struktur zwischen Nerv und Metall zu behalten und den Hebel direkt am knöchernen Pfannenrand zu platzieren.
Abb. 1: Schematische Abbildung des Hüftgelenkes von anterior mit Darstellung relevanter Nervenstrukturen
Die Prognose für motorische Läsionen ist günstig. In 36–100% kommt es zu einer vollständigen Erholung innerhalb von 2 Jahren. Die sensible Beeinträchtigung persistiert dabei deutlich häufiger und ist nach 2 Jahren noch bei 80% der Patienten zu finden. Zur Vermeidung empfiehlt sich der Einsatz von Charnley-Retraktoren. Falls dies nicht möglich ist, sollte der anteriore Hohmann-Hebel möglichst proximal eingesetzt (bei 10–12 Uhr) werden. Außerdem hat es sich als günstig erwiesen, den Hebel möglichst bald nach Pfannenpräparation wieder zu entfernen und wenn möglich die Hüfte zu flektieren bzw. die Traktion nachzulassen.
N. ischiadicus (NI)
Läsionen des NI gelten eher als Komplikation des posterioren Zugangs zum Hüftgelenk (Abb. 2). Sie können allerdings durch Retraktorenplatzierung oder starke Verlängerung der Beinlänge auch beim DAA auftreten. Eine eindeutig kausale Ursache lässt sich aber in den seltensten Fällen finden. Die Inzidenz wird mit bis zu 0,8% angegeben. Die Symptome betreffen insbesondere die Versorgungsgebiete des N.peroneus communis. Therapeutisch steht nach Exploration und ggf. Elimination der Ursache vor allem die individuelle symptomatische Therapie im Vordergrund (z.B. Sprunggelenksorthese).
Abb. 2: Schematische Abbildung des Hüftgelenkes von posterior mit Darstellung relevanter Nervenstrukturen
N. gluteus superior (NGS)
Läsionen des NGS und seiner Äste sind beim DAA auch in den verschiedenen anatomischen Varianten sehr selten. Insbesonders bei einer Erweiterung nach kranial kann manauch diesen Ast schädigen. Geringe Verletzungen sind klinisch oft stumm, lassen sich aber in Form von Muskelatrophie des Tensor fasciae latae (TFL) oder geringer Glutealinsuffizienz postoperativ nachweisen.
Lateraler Zugang
N. gluteus superior (NGS)
Beim lateralen Zugang zum Hüftgelenk ist vor allem der NGS in Gefahr, der 2 dominante Varianten hat. Die Inzidenz von NGS-Läsionen wird in der Literatur mit 2,2–42,5% angegeben, wovon nach 9 Monaten immerhin noch 11% persistieren. Betroffene Patienten leiden unter einer Schwäche des M. gluteus medius (MGMe), M. gluteus minimus (MGMi) sowie M. tensor fasciae latae (MTFL) und fallen häufig durch ein Trendelenburg-Hinken auf.
Mehrere anatomische Studien haben den genauen Nervenverlauf untersucht und versucht, „safe zones“ zu definieren. Aufgrund der gefundenen anatomischen Varianten scheint es den komplett risikofreien lateralen Zugang zum Hüftgelenk nicht zu geben. Es hat sich allerdings als günstig erwiesen, die proximale Ausdehnung der Inzision, insbesondere bei kleinen Patienten, möglichst kurz zu halten und die transgluteale Präparation (Harding vs. Bauer) eher posterior anzulegen.2
N. femoralis (NF)
NF-Läsionen werden beim lateralen Zugang selten beschrieben (0,026%).Dies dürfte am ehesten auf den anderen Winkel der Exposition zurückzuführen sein, sodass die Retraktoren am anterioren Pfannenrand mit mehr Übersicht und weniger Spannung platziert werden können.
N. ischiadicus (NI) und N. cutaneus femoris lateralis (NCFL)
Läsionen dieser beiden Nerven beim lateralen Zugang sind zwar denkbar, haben in der Literatur aber nur eine untergeordnete Rolle.
Hinterer Zugang zur Hüfte
N. ischiadicus (NI)
Für den hinteren Zugang zum Hüftgelenk sind Läsionen des NI die gefürchtetste Nervenkomplikation. Sie werden in der Literatur mit einer Inzidenz von bis zu 1,5% für primäre Hüft-TEP-Implantationen und bis zu 3,2% für Revisionen angegeben. Die Ursache ist nicht immer eindeutig. Häufig dürften iatrogene Schäden durch Retraktorplatzierung, Verlängerung der Beinlänge oder intraoperative Extremitätenmanipulation auslösend sein. Hinzu kommen mögliche Verletzungen durch lokale Flüssigkeitsansammlungen oder Strangulationen bei der Refixation der Außenrotatoren. Das anterolaterale Bündel des Nervs, das am nächsten zur Pfanne gelegen ist, führt die Fasern des N.peroneus communis. Dies und die geringere Mobilität um das Wadenbeinköpfchen führen zur häufigeren Ausbildung einer Peroneussymptomatik (vs. Tibialis). Eine komplette Erholung der motorischen Funktion ist bei 13–67% der Patienten zu erwarten. Je nach Ursache kann eine chirurgische Revision hilfreich sein, sollte aber erst nach radiologischer und elektrophysiologischer Abklärung erfolgen.
Für den intraoperativen Schutz des Nervs empfiehlt es sich, die Außenrotatoren während der Pfannenpräparation mit Nähten angeschlungen zu lassen und zwischen Ischiadicus und Pfanne zu positionieren.
N. femoralis (NF)
NF-Läsionen haben beim hinteren Zugang eine Inzidenz von 0,045%. Wie oben beschrieben treten Schäden insbesondere durch Platzierung der Retraktoren auf, da sich der Nerv lediglich 1,8cm vom anterioren Pfannenrand entfernt befindet (Abb.1). Eine vorsichtige Platzierung des Hebels mit Überprüfung der korrekten Position bei jedem Nachlassen des Zuges hilft, die Rate an Nervenläsionen gering zu halten.
N. gluteus superior (NGS)
Der NGS verläuft nach seinem Durchtritt durch das Foramen suprapiriforme nach lateral zwischen MGMe und MGMi (Abb.2). Bei korrekter Anlage des Zugangsweges dorsal des Gluteus medius ist er durch diesen vor Verletzungen geschützt.
Spezielle Nervenverletzungen
N. obturatorius (NO)
Der NO verläuft vom Plexus lumbalis auf der Innenseite des Beckens zum Foramen obturatorium, wo er durch den Canalis obturatorius tritt (Abb.1). Verletzungen können bei Penetration des Pfannenbodens, Schraubenfehlplatzierungen oder Zementaustritt auftreten und äußern sich klinisch durch Hypästhesien am medialen Oberschenkel und/oder Schwäche der Adduktoren.
N. pudendus (NP), N. peroneus superficialis (NPS)
Läsionen des NP und der distalen Anteile des NPS im Fußbereich können beim DAA durch die Traktion bzw. einen zu engen Stiefel im Rahmen der Traktion ausgelöst werden. Diese Läsionen sind nahezu immer reversibel und erfordern keine gesonderte Therapie.
Diskussion und allgemeine Überlegungen
Die Beschreibung von Nervenläsionen in der Hüftendoprothetik ist ein komplexes Thema mit vielen Schwierigkeiten. Die breite Spanne der gefundenen Inzidenzen von Nervenschäden, zwischen 0% und 83% für den NCFL oder 11–77% für den NGS, zeigt die unterschiedliche Auffassung oder mangelnde Definition unter wissenschaftlich tätigen Orthopäden. Die Gründe dafür sind vielfältig. Wie unsere Reviewarbeit gezeigt hat, fehlt es an einheitlichen Scores für die Einteilung und Beschreibung von Läsionen.1 Der transiente Charakter vieler Läsionen stellt eine weitere Herausforderung dar, weil die unterschiedlichen Kontrollintervalle zu einer mangelhaften Vergleichbarkeit führen. Auch die zum Teil geringe klinische Relevanz im Falle sensibler Nerven erfordert dezidierte Investigation durch den Untersucher bei der Erfassung.
Eine genaue Erfassung der prä- und postoperativen Nervenfunktion hat aber nicht nur wissenschaftlichen Wert. Die meisten Rechtstreitigkeiten in der Endoprothetik entstehen nach Nervenverletzungen. Außerdem haben Patienten mit motorischen Ausfällen ein deutlich erhöhtes Sturzrisiko, was durch schnelle Erkennung und entsprechende Versorgung minimiert werden kann. Gerade in Zeiten von häufig durchgeführten Leitungsanästhesien ist es postoperativ besonders wichtig, die Möglichkeit von Nervenläsionen als Differenzialdiagnose in Betracht zu ziehen, um so weiteren Folgen vorzubeugen.
Eine Objektivierung und Verlaufskontrolle der Läsion kann mittels Dynamometertestung, Elektromyografie (EMG) und Nervenleitgeschwindigkeit (NLG) durchgeführt werden. Für die Ursachenforschung kann neben Ultraschall und Computertomografie auch die Magnetresonanztomografie – dank moderner Sequenzen zur Artefaktunterdrückung – hilfreich sein.
Leider lässt sich die auslösende Noxe der Nervenläsion postoperativ oft nicht eindeutig bestimmen. Insbesondere bei Läsionen des N. ischiadicus werden die Ursachen in der Literatur intensiv diskutiert. Eine Kombination mehrerer Ursachen während einer Operation ist ebenfalls möglich.
Für alle beschriebenen Nerven gilt allgemein jedenfalls ein erhöhtes Verletzungsrisiko bei Operationen mit veränderten anatomischen Bedingungen wie Revisionen, posttraumatischen Settings oder ausgeprägten Dysplasien. Außerdem konnte gezeigt werden, dass neben vorbestehenden Schäden an der LWS (OR 10,06) auch Rauchen (OR 1,9) und längere OP-Zeiten (OR 1,48) ein erhöhtes Risiko mit sich bringen.3
Prävention
Um Nervenverletzungen und postoperativen Schwierigkeiten vorzubeugen, empfehlen sich eine möglichst genaue präoperative Planung und Aufklärung des Patienten über bestehende Risikofaktoren. Bildgebende Verfahren können hierbei hilfreich sein, um anatomische Varianten zu bestimmen und die Nervenposition zu markieren. Eine Anpassung des Zugangsweges und der Lagerung kann erwogen werden. Takada et al. konnten in einer MRT-Studie zeigen, dass die femoralen neurovaskulären Strukturen in Seitenlage weiter vom vorderen Acetabulumrand entfernt sind.4 Ein intraoperatives Nervenmonitoring kann ebenfalls in Erwägung gezogen werden.
Therapie
Die Therapie von Nervenläsionen sollte nach zügiger Abklärung individuell angepasst werden. Eine chirurgische Exploration sollte wegen der hohen spontanen Besserungsraten nur nach radiologischer und elektrophysiologischerAbklärungerfolgen. Bei motorischen Ausfällen sollten eine orthetische Versorgung und physiotherapeutische Gangschulung so bald wie möglich durchgeführt werden.
Tab. 1: Übersicht über besonders gefährliche Areale beim vorderen Zugang zum Hüftgelenk (DAA) und Vorsichtsmaßnahmen zum Nervenschutz
Tab. 2: Übersicht über besonders gefährliche Areale beim lateralen Zugang zum Hüftgelenk und Vorsichtsmaßnahmen zum Nervenschutz
Tab. 3: Übersicht über besonders gefährliche Areale beim hinteren Zugang zum Hüftgelenk und Vorsichtsmaßnahmen zum Nervenschutz
Literatur:
1 Dahm F et al.: Incidence of lateral femoral cutaneous nerve lesions after direct anterior approach primary total hip arthroplasty – a literature review. Orthop Traumatol Surg Res 2021; 107(8): 102956 2 Piponov H et al.: A novel method for predicting superior gluteal nerve safe zones in the lateral approach to the hip. Clin Anat 2021; 34(4): 522-6 3 Shetty T et al.: Risk factors for nerve injury after total hip arthroplasty: a case-control study. J Arthroplasty 2019; 34(1): 151-6 4 Takada R et al.: Does surgical body position influence the risk for neurovascular injury in total hip arthroplasty? A magnetic resonance imaging study. Orthop Traumatol Surg Res 2021; 107(8): 102817
Weitere Literatur bei den Autoren