
„Missed injuries“ an Hand und Handgelenk
Department of Orthopedic Surgery, Mayo Clinic, Rochester, MN, USA<br> Universitätsklinik für Orthopädie und Unfallchirurgie, Klinische Abteilung für Unfallchirurgie, Medizinische Universität Wien<br> E-Mail: starlinger.julia@mayo.edu
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Akute Verletzungen der oberen Extremität sind im klinischen Alltag besonders häufig. Dementsprechend hoch ist das Risiko, Verletzungen zu übersehen oder verspätet zu diagnostizieren. Die Kenntnis besonders jener Pathologien und Verletzungsmuster, die gefährdet sind, übersehen zu werden, ist essenziell, um die entsprechende Differenzialdiagnose in Betracht ziehen zu können und so gegebenenfalls Langzeitschäden zu verhindern.
Die vollständige Diagnostik einer Hand- bzw. Handgelenksverletzung kann im akuten Ambulanzalltag mitunter herausfordernd sein: Die komplexe Anatomie spiegelt sich im konventionellen Röntgenbild nicht widerund subtile Veränderungen werden unter Umständen leicht übersehen.1,2 Dies wurde erst 2019 in einer schwedischen Kohortenstudie aufgezeigt, wobei darauf hingewiesen wurde, dass 29% aller übersehenen Frakturen bei erwachsenen Patienten an Hand und Handgelenk zu finden waren.3 Auch am kindlichen Skelett werden diskrete Veränderungen mitunter übersehen, insbesondere Frakturen der Phalangen sowie distale Radiusfrakturen.4
Das Risiko, geschlossene Verletzungen der oberen Extremitäten im Rahmen der Polytraumaversorgung zu übersehen, wird in der Literatur als hoch eingestuft. Da die Priorität der Versorgung naturgemäß an den vital bedrohlichen Verletzungen ausgerichtet ist, werden Hand- oder Handgelenksverletzungen des schwerverletzten Patienten unter Umständen unterversorgt. Überlebt der polytraumatisierte Patient, so haben Residuen von Hand- und Handgelenksverletzungen im mittelfristigen Follow-up unter Umständen eine negative Auswirkung auf die Lebensqualität. Deshalb sollte bereits zum Zeitpunkt der Diagnostik dem optimalen Timing der Versorgung dieser Verletzungen möglichst Beachtung geschenkt werden.5
Konkomitante Kahnbeinfraktur bei Radiusfrakturen
Frakturen der Handwurzelknochen sind im klinischen Alltaghäufig, allen voran die Kahnbeinfraktur. Diese macht ca. zwei Drittel aller Frakturen der Handwurzelknochen aus und ist nach der distalen Radiusfraktur die zweithäufigste Fraktur der oberen Extremität.6 Die Kahnbeinfraktur ist mit diversen Begleitverletzungen assoziiert, insbesondere der ipsilateralen distalen Radiusfraktur.7 Fowler et al. beschreiben diese Verletzungskombination in einer rezenten Aufarbeitung als Radiustrümmerfraktur des jüngeren Patienten mit konkomitanter undislozierter Kahnbeinfraktur im mittleren Drittel, welche typischerweise im Rahmen eines Hochrasanztraumas auftritt. In einem Untersuchungszeitraum von 10 Jahren präsentierten sich 0,76% aller erwachsenen Patienten mit distaler Radiusfraktur bzw. 4,9% mit isolierter Kahnbeinfraktur mit dieser Verletzungskombination. Wenngleich diese Verletzungskombination selten ist, sollte vor der operativen Versorgung einer Speichenfraktur des jungen Patienten auch an die Möglichkeit einer Kahnbeinfraktur gedacht bzw. diese ausgeschlossen werden.
Komplikationen der konservativ behandelten Kahnbeinfraktur sind heterogen und reichen von der verzögerten Frakturheilung über die Pseudarthrose, avaskuläre Nekrose bis zur schmerzhaften Bewegungseinschränkung. Der häufigste mit Kahnbeinfrakturen assoziierte Fehler ist allerdings die übersehene Fraktur. Verspätet oder nicht diagnostizierte Kahnbeinfrakturen erhöhen das Risiko für jegliche Art von Komplikationen im weiteren Verlauf. Allerdings ist die klinische Untersuchung in der Akutphase nicht immer eindeutig und wird mit einer hohen Sensitivität, jedoch einer niedrigen Spezifität von ca. 75–80% angegeben.8,9 Es gilt zu beachten, dass die Abklärung mittels konventionellen Röntgens lediglich eine Sensitivität von 65–70% aufweist.10,11 Bei klinischem Verdacht auf eine Kahnbeinfraktur ist sowohl die Ruhigstellung für zunächst 2 Wochen als auch die erweiterte Bildgebung mittels MRT adäquat.
Frakturen der Handwurzelknochen tendenziell unterdiagnostiziert
Die exakte Diagnostik von Frakturen der Handwurzelknochen ist aufgrund der komplexen Anatomie und der damit erschwerten Beurteilung des konventionellen Röntgenbildes herausfordernd. Frakturen des Os scaphoideum werden in der Literatur mit einer Häufigkeit von ca. 68% angegeben, Frakturen des Os triquetrum mit ca. 18%, des Os trapezium sowie des Os lunatum mit jeweils ca. 4%, des Os capitatum und Os hamatum mit ca. 2% sowie des Os pisiforme mit ca. 1%.12 Generell sind Frakturen der Handwurzelknochen tendenziell unterdiagnostiziert, weshalb die Inzidenz in der Praxis vermutlich höher ist. Insbesondere Frakturen des Os hamatum bleiben oft unentdeckt und verursachen prolongierte Schmerzen. Deshalb sollte bei starkem klinischem Verdacht auf eine Fraktur eines Handwurzelknochens ein Frakturausschluss mittels Computertomografie in Erwägung gezogen werden.13
Weichteilverletzungen und verbliebene Fremdkörper
Die Hand stellt aber nicht nur aufgrund der Bandbreite an knöchernen Verletzungen eine Herausforderung dar. Weichteilverletzungen sind häufig und können bei insuffizienter chirurgischer Exploration übersehene Verletzungen von Sehnen, Nerven oder Gefäßen zur Folge haben. Eine Gruppe aus Frankreich analysierte die Schadenersatzforderungen von 80 Patienten, welche wegen akuter Handverletzungen vorstellig wurden: Es handelte sich in 75% der Fälle um übersehene Verletzungen von Sehnen, in 29% um übersehene Verletzungen von Nerven, Gefäßen (6%) und Gelenken (5%). Der Daumen war dabei in 37% und der Zeigefinger in 17% der Fälle betroffen. Im Gegensatz zum hiesigen System wurde die Wunde zumeist von einem Notfallmediziner erstbegutachtet. In lediglich 16% der untersuchten Schadenersatzfälle wurden im Rahmen der Erstvorstellung ein Unfallchirurg/Orthopäde bzw. ein plastischer Chirurg zur Evaluation hinzugezogen. Die Insuffizienz der Abklärung zeigt sich noch deutlicher durch den Umstand, dass in lediglich 40% der Fälle ein Lokalanästhetikum zur Anwendung kam.14 Die Aufarbeitung dieser Schadenersatzfälle unterstreicht die Notwendigkeit der Kenntnis a) klinischer Tests, b) der exakten anatomischen Verhältnisse sowie c) des Wissens um die adäquate chirurgische Revision von Handverletzungen, um Verletzungen von noblen Strukturen der Hand adäquat zu diagnostizieren.15
Nicht selten führen penetrierende Verletzungen der Hand zum Verbleib von Fremdkörpermaterial. In genannter Analyse war in lediglich 9% der Fälle ein verbliebener Fremdkörper Grund für die Schadenersatzforderung.14 Während die Detektion von röntgendichtem Material mittels einer konventionellen Röntgenaufnahme zumeist gut möglich ist, so ist dies bei röntgendurchlässigen Materialien deutlich erschwert. Immerhin wird die Erfolgsrate hinsichtlich des Erkennens von Fremdkörpern im konventionellen Röntgen mit bis zu 80% angegeben.16 Im Rahmen von Handverletzungen sind allerdings Holzfremdkörper häufig und diese werdenlediglich in 15% der Fälle mittels eines konventionellen Röntgens detektiert.1, 17, 18
Hochfrequenzultraschall detektiert röntgendurchlässige Fremdkörper
Das Versagen bei der Entdeckung von Fremdkörpern ist mit einer hohen Infektionsgefahr sowie funktioneller Einschränkung assoziiert.19 Aus diesem Grund ist bei starkem klinischem Verdacht ein Hochfrequenzultraschall (>7,5MHz) zu erwägen. Laut Literatur werden mittels Hochfrequenzultraschall Fremdkörper mit einer Sensitivität von 87–93% und einer Spezifität von 89–99% identifiziert.20 Insbesondere für röntgendurchlässige organische Fremdkörper wie Dornen, Holz oder Fischgräten ist der Hochfrequenzultraschall dem Weichteilröntgen überlegen und ein zusätzliches diagnostisches Tool, um Langzeitfolgen wie chronische Synovitiden zu vermeiden.21
Die volkswirtschaftliche Bedeutung von Handverletzungen ist in Österreich enorm und wurde kürzlich durch Leixnering et al. aufgearbeitet: Allein diemit Unfällen am Arbeitsplatz assoziierten Handverletzungen verursachen pro Jahr rund eine halbe Million Krankenstandstage.22 Mit jeder einzelnen präzisen Diagnose und der entsprechenden Therapie ist so die schnellstmögliche Rückkehr der Patienten zu ihren Alltagsaktivitäten gewährleistet.
Literatur:
1 Sanderson M et al.: The emergent evaluation and treatment of hand and wrist injuries: an update. Emerg Med Clin North Am 2020; 38(1): 61-79 2 Abraham MK, Scott S: The emergent evaluation and treatment of hand and wrist injuries. Emerg Med Clin North Am 2010; 28(4): 789-809 3 Fernholm R et al.: Diagnostic errors reported in primary healthcare and emergency departments: a retrospective and descriptive cohort study of 4830 reported cases of preventable harm in Sweden. Eur J Gen Pract 2019; 25(3): 128-35 4 Mounts J et al.: Most frequently missed fractures in the emergency department. Clin Pediatr 2011; 50(3): 183-6 5 Ciclamini D et al.: Particularities of hand and wrist complex injuries in polytrauma management. Injury 2014; 45(2): p. 448-51 6 Haisman JM et al.: Acute fractures of the scaphoid. J Bone Joint Surg Am 2006; 88(12): 2750-8 7 Fowler TP, Fitzpatrick E: Simultaneous fractures of the ipsilateral scaphoid and distal radius. J Wrist Surg 2018; 7(4): 303-11 8 Parvizi J et al.: Combining the clinical signs improves diagnosis of scaphoid fractures. A prospective study with follow-up. J Hand Surg Br 1998; 23(3): 324-7 9 Grover R: Clinical assessment of scaphoid injuries and the detection of fractures. J Hand Surg Br 1996; 21(3): 341-3 10 Mittal RL, Dargan SK: Occult scaphoid fracture: a diagnostic enigma. J Orthop Trauma 1989; 3(4): 306-8 11 Gäbler C et al.: Diagnosis of occult scaphoid fractures and other wrist injuries. Are repeated clinical examinations and plain radiographs still state of the art? Langenbecks Arch Surg 2001; 386(2): 150-4 12 Garcia-Elias M: Carpal bone fractures (excluding scaphoid fractures). In: The Wrist. Lippincott Williams & Wilkins 2001, Philadelphia; 173-86 13 Papp S: Carpal bone fractures. Hand Clin 2010; 26(1): 119-27 14 Mouton J et al.: Surgical exploration of hand wounds in the emergency room: preliminary study of 80 personal injury claims. Orthop Traumatol Surg Res 2016; 102(8): 1009-12 15 Hahn P et al.: [Diagnosis of flexor tendon injuries of the hand]. Orthopade 2015; 44(10): 743-7 16 Donaldson JS: Radiographic imaging of foreign bodies in the hand. Hand Clin 1991; 7(1): 125-34 17 Salati SA, Rather A: Missed foreign bodies in the hand: an experience from a center in Kashmir. Libyan J Med 2010; 5: 10.3402/ljm.v5i0.5083 18 Banerjee B, Das RK: Sonographic detection of foreign bodies of the extremities. Br J Radiol 1991; 64(758): 107-12 19 Ipaktchi K et al.: Retained palmar foreign body presenting as a late hand infection: proposed diagnostic algorithm to detect radiolucent objects. Patient Saf Surg 2013; 7(1): 25 20 Boyse TD et al.: US of soft-tissue foreign bodies and associated complications with surgical correlation. Radiographics 2001; 21(5): 1251-6 21 Tung CH et al.: Diagnosis of plant-thorn synovitis by high-resolution ultrasonography: a case report and literature review. Clin Rheumatol 2007; 26(5): 849-51 22 Leixnering M et al.: [Hands well - allʼs well: prevention campaign of the Austrian General Accident Insurance Institution (AUVA) to reduce hand injuries]. Unfallchirurg 2017; 120(6): 531-6
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