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Mehr Platz für Osteoporose!
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06.10.2016
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<p class="article-intro">In den letzten Jahren gab es kaum neue Erkenntnisse zur Therapie der Osteoporose. Zwar wurden kürzlich neue Messmethoden entwickelt, diese sind aber noch nicht in die Routinepraxis umgesetzt. Das grösste Problem sei aber, so Dr. Michael Andor aus Zürich, dass das vorhandene Wissen häufig nicht korrekt in die Praxis umgesetzt werde: sowohl bei Diagnostik als auch bei Therapie und Verlaufskontrolle. Auf dem Forum für Medizinische Fortbildung in Zürich gab Andor einen einprägsamen Überblick über das korrekte Vorgehen. </p>
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<p class="article-content"><p>Im Westen nichts Neues – mit dem Romantitel und einem Bild verbrannter, öder Bäume begann Dr. Michael Andor, Facharzt für Rheumatologie am Prodorso-Zentrum für Wirbelsäulenmedizin und Belegarzt an der Hirslanden-Klinik in Zürich, am Forum für Medizinische Fortbildung in Zürich seinen Vortrag über Osteoporose. Damit wollte er etwas provokativ darauf hinweisen, dass in den letzten Jahren im Praxisalltag keine fundamentalen Änderungen der Osteoporosetherapie stattgefunden hätten. Zwar wurden kürzlich neue Messmethoden entwickelt, etwa hochauflösende Computertomografie und die Bestimmung des Trabecular Bone Score, «aber die sind noch nicht in die Routinepraxis umgesetzt», sagte Andor. Das grösste Problem bei Osteoporose sei, dass das vorhandene Wissen häufig nicht korrekt in die Praxis einfliesse: «Ärzte diagnostizieren Osteoporose nicht oder nicht korrekt, sie therapieren nicht, nicht genügend oder zu kurz oder zu lang.» Ausserdem würde oft die Knochendichte falsch gemessen und die Ergebnisse würden falsch interpretiert. «Es wird auch zu wenig kontrolliert, ob der Patient die Therapie befolgt, und es werden keine Verlaufskontrollen angeordnet.» <br />Manche glauben, Osteoporose sei ein normaler Alterungsprozess. «Es ist aber eine Krankheit», so Andor. «Alzheimer sehen wir ja zum Beispiel auch nicht als normale kognitive Schwäche im Alter.» Osteoporose bekomme viel zu wenig Raum im Arzt-Patienten-Gespräch. Unter den typischen Diagnosen beim Hausarzt steht Osteoporose erst an zehnter Stelle – nach KHK, Hypercholesterinämie, Diabetes mit Polyneuropathie, Niereninsuffizienz, Polymyalgie, Polyarthrose, chronischer Lumbago und chronischem zervikalem Syndrom mit Vertigo. «Schaut ein Hausarzt mit seinem Patienten dessen Probleme an, haben die anderen Diagnosen Priorität», sagte Andor. «Dabei interagiert die Krankheit mit vielen der häufigen Diagnosen, was zu Komplikationen führen kann.» So können zum Beispiel Polyarthrose, das zervikale Syndrom mit Vertigo und Diabetes mit Polyneuropathie zu Stürzen und bei einem Patienten mit Osteoporose viel eher zu Frakturen führen als bei jemandem ohne die Knochenkrankheit. Bei der Polymyalgie werden oft Steroide verschrieben, die eine Osteoporose verschlechtern können. Anders herum können osteoporotische Frakturen die Beschwerden bei einer Lumbago verschlimmern.</p> <div id="rot"> <p>«Die Patienten sehen oft nicht ein, warum sie Medikamente gegen ihre Osteoporose brauchen. Viele setzen die Therapie einfach ohne Rücksprache ab.» - M. Andor,Zürich</p> </div> <p><br />Immerhin gebe es viele Kollegen, die eine Knochendichtemessung (DXA) zur Diagnose anordnen, erzählt Andor. «Das erste Problem ist dann aber, dass Fehler bei der Messung gemacht werden – das kann die Ergebnisse verfälschen.» Ist die Wirbelsäule zum Beispiel schräg positioniert, kann die gemessene Knochendichte bereits verändert sein. Das kann bei einer Kontrolluntersuchung den Anschein erwecken, die Therapie habe nicht gewirkt. Die Wirbelsäule muss mittig und möglichst gerade positioniert werden. Was noch zu beachten ist, kann man in einer Übersichtsarbeit von Michael Lewiecki und Nancy Lane nachlesen.<sup>1</sup> «Die DXA ist keine hochpräzise Messung und hängt vom Gerät ab sowie von der Person, die die Untersuchung durchführt.» Doch auch wenn die Untersuchung korrekt durchgeführt wird, lauert der nächste Fehler: «Man muss die Messungen richtig interpretieren können.» Hat aber ein Patient zum Beispiel degenerative Veränderungen am vierten Lendenwirbelkörper, darf man bei der Berechnung nur die Werte von L1 bis L3 verwenden. Sonst könnte es sein, dass bei der Knochendichte ein normaler Wert herauskommt, obwohl der Patient schon eine Osteopenie oder eine Osteoporose hat. <br />Stimmen Untersuchungstechnik und Interpretation der Ergebnisse, werde oft leider nicht oder nicht genügend therapiert, sagt Andor. «Dafür gibt es evidenzbasierte Leitlinien, wo man das detailgenau nachlesen kann, zum Beispiel beim Wissenschaftlichen Dachverband Osteologie, DVO.»<sup>2</sup> <br />Patienten störe eine Osteoporose nicht, sie tue ja nicht weh, erzählt Andor. Ausserdem werde die DXA-Untersuchung nur alle zwei Jahre durchgeführt und nicht wie zum Beispiel bei Bluthochdruck oder Diabetes jeden Tag. «Die Patienten sehen oft nicht ein, warum sie Medikamente gegen ihre Osteoporose brauchen.» Er sehe immer wieder Patienten, die aufgehört hätten, ihre Tabletten zu nehmen. «Wir müssen uns Zeit nehmen und erklären, warum das wichtig ist: Nehmen Sie die Tabletten nicht ein, verlieren Sie Ihren Knochenschutz und haben ein hohes Risiko für eine Fraktur.» <br />Therapiert wird nach Risikostratifizierung, zum Beispiel mit dem Online-Risikorechner FRAX®.<sup>3</sup> Indiziert ist eine medikamentöse Behandlung je nach dem errechneten Risiko und dem Alter des Patienten. Zur Verfügung stehen Tabletten oder Injektionen (Bisphosphonate, Denosumab, Raloxifen). Eine spezielle Stellung nimmt Teriparatid ein, das man einmal täglich subkutan applizieren muss. «Teriparatid ist bisher das einzige Medikament, das den Knochenaufbau stimuliert», so Andor. «Es ist einfach anzuwenden und sehr effizient, aber teuer.» Der wichtigste körpereigene Stimulator für den Knochenaufbau ist körperliche Bewegung, und auch in dieser Hinsicht sollte man versuchen, eine ehrliche, offene Antwort vom Patienten zu erhalten, damit man ihm die für ihn passende Bewegung raten kann. Kalzium ist ein weiterer Pfeiler der Therapie. «Lassen Sie sich genau beschreiben, was der Patient isst, und passen Sie daran die Kalziumgabe an. Viele Patienten nehmen bereits genügend Kalzium über natürliche Quellen zu sich.» Ohne Vitamin D sei Kalzium nutzlos, weshalb es praktisch immer substituiert werden sollte. Der Tagesbedarf liegt bei ≥800 Einheiten pro Tag. Man sollte auch mit dem Patienten besprechen, wie man mit einfachen Massnahmen sein Sturzrisiko senken könnte, z.B. indem man Stolpersteine wie Bettvorleger beseitigt oder den nächtlichen Gang zum WC so hindernislos wie möglich gestaltet. <br />Oft kommen Patienten nach einem Zahnarztbesuch zu Andor: Ihr Zahnarzt würde sich Gedanken machen wegen einer medikamentös induzierten Osteonekrose am Kiefer. «Viele Patienten setzen dann einfach die Medikamente ohne Rücksprache ab.» Auch hier helfe, wenn man offen mit den Kollegen rede und den Patienten aufkläre. «Auf Bisphosphonate aus Angst vor Osteonekrosen zu verzichten ist so, als würde man bei einem Patienten mit koronarer Herzkrankheit aus Angst vor Hirnblutungen auf ASS verzichten.» Den Patienten erklärt der Rheumatologe, dass es zwar ein Risiko für Osteonekrose gäbe, dass sie aber sehr selten vorkomme: in 100.000 Patientenjahren nur in 1 bis 90 Fällen. Sind Zahnimplantate oder Knocheneingriffe am Kiefer notwendig, sollte der Zahnarzt allerdings besonders vorsichtig arbeiten. <br />«Osteoporose ist gemäss Weltgesundheitsorganisation eine der zehn wichtigsten und teuersten Krankheiten» resümiert Andor. Osteoporose tötet, sie vernichtet Lebensqualität, ist untertherapiert und die Therapie braucht regelmässige Kontrollen wie bei jeder chronischen Erkrankung. «Diagnose und Therapie sind im Vergleich zu anderen Krankheiten einfach und evidenzbasiert. Wir sollten das, was wir wissen, konsequent in die Praxis umsetzen.»</p></p>
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<a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a>
<div class="collapse" id="collapseLiteratur">
<p><strong>1</strong> Lewiecki EM, Lane NE: Common mistakes in the clinical use of bone mineral density testing. Nat Clin Pract Rheumatol 2008; 4(12): 667-74 <strong>2</strong> <a href="http://www.dv-osteologie.org/dvo_leitlinien/osteoporose-leitlinie-2014" target="_blank">http://www.dv-osteologie.org/dvo_leitlinien/osteoporose-leitlinie-2014</a> <strong>3</strong> <a href="http://www.shef.ac.uk/FRAX/tool.jsp?locationValue=9" target="_blank">http://www.shef.ac.uk/FRAX/tool.jsp?locationValue=9</a></p>
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