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Kriterien zur Indikation der arthroskopischen, subakromialen Dekompression an der Schulter
Leading Opinions
Autor:
Dr. med. Stefan Bauer
Ensemble Hospitalier de la Côte (EHC),<br> Clinique de Morges<br> E-Mail: stefan.bauer@ehc.vd.ch
Autor:
Dr. med. Christian Jung
Schulthess Klinik Zürich
30
Min. Lesezeit
26.09.2019
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<p class="article-intro">Der Behandlungserfolg der subakromialen Dekompression hängt von der Indikationsstellung anhand spezifischer Kriterien ab. Für Allgemeinmediziner, Rheumatologen, Orthopäden und Versicherungsträger ist es daher wichtig, sich dieser Kriterien in Anbetracht verallgemeinernder Diskussionen («nötig/unnötig») bewusst zu sein.</p>
<hr />
<p class="article-content"><p>Mit Interesse haben wir den Artikel «<a href="https://at.universimed.com/fachthemen/1000001397" target="_blank">Nötige und unnötige Operationen an Schulter und Ellbogen</a>» von PD Dr. med. P. Vavken in der <em>LEADING-OPINIONS</em>-Ausgabe 2 / 2019 gelesen. Dr. Vavken widmet sich einem Thema, dem unstrittig grosse Aufmerksamkeit gebührt. Es ist lobenswert, dass der Autor für ein Zusammenwirken von konservativer und operativer Therapie plädiert. In seiner Beurteilung zur Wertigkeit der operativen Therapieformen, zieht der Autor jedoch Rückschlüsse, welche nicht unkommentiert bleiben dürfen. Wir werden dies im Folgenden am Beispiel der arthroskopischen subakromialen Dekompression (ASAD) detailliert erläutern. Zum einen, weil es zeigt, wie gründlich man sich mit der Datenlage beschäftigen muss, um die Problematik der Gesamtdiskussion zu erfassen. Zum anderen, weil sein vereinfachendes, negatives Fazit zu dieser Operation im Gegensatz zur gemeinsamen Stellungnahme der grossen, involvierten Fachgesellschaften steht (DGOU, DVSE, BVOU, BDC, BVASK, GOTS, AGA).</p> <p>Die Anzahl von Patienten, die mit einer subakromialen Dekompression der Schulter operativ behandelt wurden, ist in den letzten Jahrzehnten ohne Zweifel stark angestiegen.<sup>1</sup> Die Eingriffe werden arthroskopisch und teilweise auch offen durchgeführt. Als rechtfertigende Indikation wurden und werden unter dem Begriff «Impingementsyndrom» verschiedenste Pathologien subsumiert. Ebenso werden regelmässig Schulterarthroskopie, Bursektomie und subakromiale Dekompression fälschlicherweise als identischer Eingriff gleichgesetzt.<br />Dabei hat Charles Neer bereits 1972 das Impingementsyndrom und die Indikation zur subakromialen Dekompression / Akromioplastik wie folgt beschrieben: Es handelt sich um ein charakteristisches, also spezifisches Syndrom, welches unter anderem durch einen charakteristischen, proliferativen Knochensporn oder eine Knochenleiste im vorderen Drittel der Unterfläche des Akromions verursacht wird und ein mechanisches Impingement der Supraspinatussehne aufrechterhält (siehe auch Abb. 1).<sup>6</sup> Dieser Bereich kann auch mechanische Reibe-, Schleifspuren und Erosionen zeigen. Die Behandlung besteht in der Resektion der Unterfläche des vorderen Drittels des Akromions und ggf. Anteilen des korakoakromialen Ligamentes. Auch osteophytäre Ausziehungen an der Unterseite des Akromioklavikulargelenkes können zum Impingement der Supraspinatussehne führen.<br />In Anbetracht steigender Operationszahlen wurden in den letzten Jahren mehrere Arbeiten zur Wirksamkeit der subakromialen Dekompression veröffentlicht, die aufgrund von Metaanalysen<sup>2</sup> und Randomisierung<sup>3, 4</sup> höhere Evidenzlevel beanspruchen. Diese Arbeiten sind jedoch mit erheblichen methodischen Fehlern behaftet und daher per se nicht in der Lage, die eigentliche Fragestellung zu beantworten.<sup>5<br /></sup>Vielmehr wird mit placebokontrollierter Evidenz und verallgemeinernden Fragestellungen versucht, hohes öffentliches Aufsehen zu erregen (CSAW-Studie: «Can shoulder arthroscopy work?»).<br />Die Liste der methodischen Mängel dieser Studien ist lang. Die klinischen Einschlusskriterien sind unscharf dokumentiert und formuliert<sup>3, 4</sup> und zum Beispiel als «Schulterschmerzen beim Heben des Armes» beschrieben.<sup>3</sup> Testinjektionen zur Patientenselektion wurden nicht standardisiert und teils unsachgemäss angewandt. Die operative Indikationsstellung erfolgte in einer Studie 3 Monate nach Beschwerdebeginn und damit verfrüht.<sup>3</sup> Die Power-Kalkulation zur Messung eines Behandlungsunterschiedes wurde nicht erfüllt und der klinische Outcome-Endpoint wurde bereits 3 Monate nach dem Eingriff erhoben.4, 5 Sowohl radiologische Impingementkriterien als auch arthroskopische mechanische Kriterien des Impingements wurden in den Studien nicht beschrieben, ebenso wenig wie durch Impingement verursachte Sehnenveränderungen. Die operativ- radiologischen Resultate wurden nicht kontrolliert.<sup>3, 4</sup><br />Somit lässt sich aus den Studien, unter Vorbehalt aufgrund methodischer Mängel, nur ableiten, dass die ASAD bei unspezifischen Schulterschmerzen, d. h. bei zu früh und schlecht selektionierten Patienten und unscharfer Indikationsstellung, keine Vorteile erbringt.<br />In den zitierten randomisierten Studien werden die von Neer geforderten charakteristischen Impingementzeichen und Knochenveränderungen nicht beschrieben, ebenso wenig wie Veränderungen an der Supraspinatussehne infolge eines Impingements. Dabei sind diese sowohl in der Sonografie als auch in der MR-Diagnostik heutzutage gut und sicher erfassbar geworden.<br />Es ist daher erstaunlich, dass randomisierte Outcome-Studien zum Behandlungsergebnis des subakromialen Impingementsyndroms kurzfristige, teils subjektive Score-Ergebnisse (Schmerz und Funktion) nach weniger als 6 Monaten zur Outcomeanalyse verwenden. Morphologische Kriterien der Supraspinatussehne und die Bildgebung der subakromialen Enge werden völlig ausser Acht gelassen, ebenso wie der chronische Langzeitverlauf bei charakteristischem, spezifischem Impingement. Diesen Langzeitverlauf hat Neer bereits 1982 beschrieben.<sup>7</sup> Outcomestudien degenerativer Gelenkerkrankungen mit einem Follow-up < 2 Jahren werden heutzutage wissenschaftlich abgelehnt, da degenerative Gelenkerkrankungen periodischen Schwankungen unterliegen. Die Degeneration verschlimmert sich oftmals klinisch langsam zunehmend erst über Jahre bei zwischenzeitlicher klinischer Besserung. Es ist es daher absurd, eine degenerative Erkrankung wie das spezifische Impingementsyndrom nach 3–6 Monaten anhand vornehmlich subjektiv klinischer Kriterien zu beurteilen. Die 2017 und 2018 publizierte, placebokontrollierte FIMPACT-Studie liefert Ergebnisse nach 24 Monaten. Ihre Einschlusskriterien und Patientenselektion sind jedoch ungenügend und erfolgten verfrüht nach 3 Monaten ohne Berücksichtigung radiologischer Parameter und bei unklarer Interpretation subakromialer Kortikoidinjektionen.<sup>3, 8</sup> Die Patienten wurden also vor einem chronologisch adäquaten Physiotherapieversuch bereits in die Studie eingeschlossen. Bei guter Indikationsstellung und Patientenselektion zur arthroskopischen subakromialen Dekompression durch spezialisierte Schulterchirurgen wurden dagegen gute Langzeitresultate der ASAD nach über 6 Jahren publiziert.<sup>9</sup></p> <h2>Indikationskriterien zur Patientenselektion</h2> <p>Im Jahr 2012 publizierten Magaji und Mitarbeiter die Ergebnisse der arthroskopischen subakromialen Dekompression (ASAD) in Abhängigkeit von spezifischen Kriterien im britischen «Journal of Bone and Joint Surgery».<sup>10</sup> Patienten beklagten Schulterschmerzen für wenigstens 6 Monate vor Erstkontakt mit dem Schulterchirurgen und wurden erst 6 Monate nach Diagnosestellung operiert. In der Studie wurden 4 Selektionskriterien angewandt:</p> <ol> <li>Schulterschmerzen bei Überkopfaktivitäten oder im mittleren Bewegungsbereich der Schulter</li> <li>positiver Impingementtest nach Hawkins bei wiederholter Untersuchung</li> <li>zeitweilige Schmerzlinderung von mindestens 2 Wochen nach Kortisoninjektion</li> <li>radiologische Impingementzeichen am Akromion und am Tuberculum majus (Abb. 1)</li> </ol> <p>Patienten mit 4 positiven Kriterien zeigten signifikant bessere Resultate nach 3 und 12 Monaten mit sehr guten Ergebnissen nach einem Jahr (Mean Oxford Score 45 / 48). Die Autoren empfahlen Vorsicht bei der Indikationsstellung bei Patienten, die nicht alle 4 Kriterien erfüllen.<br />Diese Kriterienliste wurde von derselben Arbeitsgruppe 2014 (Singh et al.) um 2 chronologische Kriterien in einer Publikation im «Journal of Shoulder and Elbow Surgery» zu einem präoperativen 6-Punkte- Score erweitert.<sup>11</sup> Das 3. Kriterium wurde modifiziert (Schmerzlinderung von mindestens einer Woche). Die weiteren Kriterien lauten wie folgt:</p> <p style="padding-left: 30px;">5. persistierende Symptome für mehr als 6 Monate<br />6. persistierende Symptome trotz supervidierter Physiotherapie von mindestens 3 Monaten</p> <p>In der Studie von 112 konsekutiven Patienten zeigten sich bei einem präoperativen Score von 5 oder 6 positiven Kriterien signifikant verbesserte Oxford-Scores nach 3 und 12 Monaten mit guten Resultaten. Die Autoren bezeichnen die Indikation zur ASAD bei weniger als 5 Kriterien als fragwürdig.</p> <p><strong>Weitere Kriterien</strong></p> <ul> <li>Tendinopathie der Supraspinatussehne (Ultraschall und MRT, siehe Abb. 1c)</li> <li>arthroskopische Zeichen an Supraspinatussehne (Aufrauung) und Akromion / CA-Ligament (Schleifspuren)</li> </ul> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2019_Leading Opinions_Ortho_1903_Weblinks_s30_abb1.jpg" alt="" width="1818" height="732" /></p> <h2>Fallbeispiel (Abb. 1)</h2> <p>46-jährige, rechtshändige Krankenhilfsschwester:</p> <ul> <li>Erstvorstellung Januar 2017</li> <li>Schulterschmerzen im mittleren Bewegungsbereich seit mehreren Jahren (1 + 1 Punkte)</li> <li>Einmalige subakromiale Kortikoidinfiltration mit Linderung von ca. 3 Wochen (1 Punkt)</li> <li>Gezielte Physiotherapie von 3 – 6 Monaten (u. a. Training der humeruskopfsenkenden und zentrierenden Muskulatur) (1 Punkt)</li> <li>Constant Score: 53; Subjective Shoulder Value (SSV): 30 %</li> <li>Hawkins-Test 2-malig positiv (1 Punkt)</li> <li>Radiologische Impingementzeichen (Abb. 1; 1 Punkt) bei erhöhtem, kritischem Schulterwinkel</li> <li>Singh Score: 6 / 6 Punkte mit Indikation zur ASAD</li> </ul> <p><strong>Postoperatives Outcome</strong> <br />Nach 12 und 24 Monaten: sehr zufriedene, schmerzfreie Patientin (Constant Score: 100 Punkte; SSV: 100 %).</p> <h2>Schlussfolgerung</h2> <p>Die Anwendung spezifischer Kriterien zur Indikationsstellung der ASAD ist zwingend erforderlich und führt zu guten postoperativen Resultaten. Aus methodisch mangelhaften, doppelblinden Vergleichsstudien abgeleitete Verallgemeinerungen mit Diskreditierung der ASAD sind wissenschaftlich nicht vertretbar und entsprechen nicht den spezifischen Indikationen und Bedürfnissen der Patienten im klinischen Alltag.</p></p>
<p class="article-footer">
<a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a>
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<p><strong>1</strong> Yu E et al.: Arthroscopy and the dramatic increase in frequency of anterior acromioplasty from 1980 to 2005: an epidemiologic study. Arthroscopy 2010; 26(9 Suppl): S142- 147 <strong>2</strong> Lähdeoja T et al.: Subacromial decompression surgery for adults with shoulder pain: a systematic review with meta-analysis. Br J Sports Med 2019 <strong>3</strong> Paavola M et al.: Subacromial decompression versus diagnostic arthroscopy for shoulder impingement: randomised, placebo surgery controlled clinical trial. BMJ 2018; 362: k2860 <strong>4</strong> Beard DJ et al.: Arthroscopic subacromial decompression for subacromial shoulder pain (CSAW): a multicentre, pragmatic, parallel group, placebo-controlled, threegroup, randomised surgical trial. Lancet 2018; 391(10118): 329-38 <strong>5</strong> Wang A et al.: Can shoulder arthroscopy work? (CSAW) trial. Lancet 2018; 392(10144): 281 <strong>6</strong> Neer CS: Anterior acromioplasty for the chronic impingement syndrome in the shoulder. 1972. J Bone Joint Surg Am 2005; 87(6): 1399 <strong>7</strong> Neer CS.: Impingement lesions. Clin Orthop Relat Res 1983; (173): 70-7 <strong>8</strong> Paavola M et al.: Finnish Subacromial Impingement Arthroscopy Controlled Trial (FIMPACT): a protocol for a randomised trial comparing arthroscopic subacromial decompression and diagnostic arthroscopy (placebo control), with an exercise therapy control, in the treatment of shoulder impingement syndrome. BMJ Open 2017; 7(5): e 014087 <strong>9</strong> Lunsjö K et al.: Patients with shoulder impingement remain satisfied 6 years after arthroscopic subacromial decompression: a prospective study of 46 patients. Acta Orthop 2011; 82(6): 711-3 <strong>10</strong> Magaji SA et al.: Arthroscopic subacromial decompression is effective in selected patients with shoulder impingement syndrome. J Bone Joint Surg Br 2012; 94(8): 1086-9 <strong>11</strong> Singh HP et al.: A preoperative scoring system to select patients for arthroscopic subacromial decompression. J Shoulder Elbow Surg 2014; 23(9): 1251-6</p>
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