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Meet the Experts

Komplexe Pfannenrevisionen nach Hüfttotalendoprothese

<p class="article-intro">Hochkarätig national und international besetzte Expertenmeetings scheinen in Zeiten der Kongressübersättigung die großen Gesellschaftskongresse zu übertrumpfen. Kein Wunder, denn sie bieten eine spezifische interessante Fragestellung, ausreichend Gelegenheit zur Diskussion und die Möglichkeit, den Referenten persönlich kennenzulernen. Trotz Kaiserwetter nahmen am 9. September 2016 120 Teilnehmer an einem von Prof. Dr. Peter Ritschl veranstalteten Meeting im Orthopädischen Krankenhaus Gersthof teil.</p> <hr /> <p class="article-content"><p><strong>Herr Prof. Ritschl, Sie veranstalten nun bereits zum dritten Mal ein Expertentreffen rund um das Thema Endoprothetik. Wie ist die Akzeptanz?<br /></strong><strong>P. Ritschl:</strong> Die Akzeptanz unter den &ouml;sterreichischen Teilnehmern ist sehr hoch. Ich pers&ouml;nlich glaube, dass die hohe Teilnehmerzahl &ndash; abgesehen vom interessanten Thema und der besonderen Expertise der Referenten, die aus der Endo-Klinik Hamburg, der Charit&eacute; Berlin, den Universit&auml;tskliniken Wien und Innsbruck, dem Orthop&auml;dischen Spital Speising, dem orthop&auml;dischen Krankenhaus Gersthof und vielen anderen Institutionen kommen &ndash; mit der besonderen Stimmung zusammenh&auml;ngt. Das Ambiente ist einfach gut: Wir pflegen einen amikalen Gespr&auml;chsstil und ein wertsch&auml;tzendes Miteinander; wir kalkulieren ausreichend Zeit f&uuml;r die Diskussion ein, die Zuh&ouml;rer werden vielfach animiert, Fragen zu stellen. Heuer habe ich, nach der Implantatallergie vor zwei Jahren und den Knierevisionen voriges Jahr, die komplexen Pfannenrevisionen als Thema gew&auml;hlt.</p> <p><strong>Sind die Revisionseingriffe nach HTEP im Ansteigen?</strong><br /><strong>P. Ritschl:</strong> Das Ziel jeder Implantatrevision ist die Wiederherstellung von Anatomie und Biomechanik. 2008 wurden in Deutschland 22.630 H&uuml;ftrevisionen durchgef&uuml;hrt. Da uns keine Registerzahlen f&uuml;r &Ouml;sterreich zur Verf&uuml;gung stehen, m&uuml;ssen wir uns auf Hochrechnungen verlassen. Prinzipiell steht der Prothesenwechsel in einem engen Verh&auml;ltnis zur steigenden Anzahl der Prim&auml;rimplantationen, zur Zunahme des Lebensalters von Patienten und vor allem auch zur immer h&auml;ufigeren Vornahme dieses Eingriffes im j&uuml;ngeren Lebensalter.</p> <p><strong>Es gibt eine Vielzahl von Klassifikationen f&uuml;r Pfannendefekte. Worin unterscheiden sie sich und welches sind die Limitationen? </strong><br /> <strong>P. Ritschl: </strong>Die Tatsache, dass es 10 bis 15 verschiedene Klassifikationen gibt, zeigt, dass keine von ihnen ideal f&uuml;r eine Klassifikation dieser Defekte ist. Die Kriterien, auf denen sie basieren, sind etwa die Unterscheidung segmentaler und kavit&auml;rer Defekte. Die Orientierung nach der Spezifikation mit Bone-Craft-Rekonstruktionen, die anatomische Lage und Auspr&auml;gung der Defekte oder etwa die Annahme des voraussichtlich verbleibenden Knochendefektes nach Entfernung des Implantats sind unterschiedliche Ans&auml;tze zur Klassifizierung. Letztlich hat sich weltweit die Klassifikation nach Paprosky 1994 durchgesetzt. Dabei werden die verbliebenen azetabul&auml;ren Strukturen f&uuml;r das Revisionsimplantat als Klassifikationskriterium herangezogen.</p> <p><strong>Wie verl&auml;sslich sind die diagnostischen Tools, um periazetabul&auml;re Knochendefekte festzustellen? Was muss der Operateur erkennen? </strong><br /><strong>P. Ritschl:</strong> Das generelle Problem jeglicher Diagnostik ist es, dass bei jedem diagnostischen Verfahren nur eine zweidimensionale Analyse f&uuml;r ein an und f&uuml;r sich dreidimensionales Problem zur Verf&uuml;gung steht. Im Detail interessieren den Operateur &bdquo;radiolucent zones&ldquo; (RLZ), Migrationen des Implantats, Frakturen des Pfannenbodens, der Pfannenschale oder des Inlays, der Zustand des vorderen und hinteren Knochenpfeilers und eine eventuelle Beckendiskontinuit&auml;t. Die PE/Metall-Osteolysen sollten im Vorfeld in ihrer Ausdehnung genau bekannt sein. Dabei stellt vor allem das Computertomogramm heute die Methode der Wahl dar. Im CT lassen sich bis zu 80 % der Osteolysen rund um das Pfannenimplantat exakt bestimmen. Wichtig ist zu wissen, dass die diesbez&uuml;gliche Aussagekraft im periazetabul&auml;ren Illeumbereich am besten und im Pubisbereich am schlechtesten ist.</p> <p><strong>Was hat sich bei der Bildgebung ver&auml;ndert? </strong><br /><strong>P. Ritschl:</strong> Das Nativr&ouml;ntgen mit gezielten Aufnahmen und Schr&auml;gaufnahmen liefert eine erste Verdachtsdiagnose und sollte in jedem Fall am Beginn der Untersuchungskette stehen. Vor allem die Schr&auml;gaufnahmen erh&ouml;hen die Trefferquote. Das CT ist, wie oben erw&auml;hnt, das Standardverfahren in der Diagnostik von Osteolysen, aber auch von Implantatfehlschl&auml;gen wie kleinsten Implantatfissuren oder Keramikbr&uuml;chen.<br /> An der Universit&auml;tsklinik Wien gibt es ein neues Dual Energy CT, das Metallartefakte reduziert und die diagnostische Treffsicherheit erh&ouml;ht. Die MRT hat eine gewisse Bedeutung bei Weichteill&auml;sionen, die Knochenszintigrafie besitzt heute keinen Stellenwert mehr. Als wesentlichen Fortschritt sehe ich das Verfahren der 3D-Rekonstruktion und des 3D-Drucks. Meiner Meinung nach sollten 3D-Analysen bei 3A- und 3B-Defekten (Paprosky) zunehmend zum Einsatz kommen.</p> <p><strong>Gibt es das universelle Revisionsimplantat?</strong><br /><strong>P. Ritschl:</strong> Nein, man ben&ouml;tigt eher ein breites Sortiment an Revisionsimplantaten. Unser Hauptziel ist es dabei, das H&uuml;ftzentrum zu rekonstruieren, die Beinl&auml;nge der gesunden Seite anzugleichen, das Offset f&uuml;r die entsprechende Muskelspannung wiederherzustellen und eine m&ouml;glichst breitfl&auml;chige und sichere Verankerung des Implantates zu erreichen.</p> <p><strong>Welche M&ouml;glichkeiten gibt es, um die Beckendiskontinuit&auml;t zu l&ouml;sen?</strong><br /><strong>P. Ritschl:</strong> Die Beckendiskontinuit&auml;t stellt eines der schwierigsten Probleme bei Pfannenrekonstruktionen im Revisionsfall dar. Die fr&uuml;her verwendeten Sockelpfannen werden heute nicht mehr produziert und stehen deshalb nicht mehr zur Verf&uuml;gung. Heute g&auml;ngige Verfahren sind Cup-and-Cage-Rekonstruktionen. Dabei wird eine Pfannenschale plus/minus Augment in das kn&ouml;cherne Pfannenbett unter Vordehnung verschraubt. In diese Pfannenschale wird dann eine St&uuml;tzschale eingesetzt, die eine zus&auml;tzliche Stabilit&auml;t zwischen dem Ileum und dem Sitzbein herstellt. Die Sitzbeinlasche wird nicht verschraubt, sondern nur im Sitzbein verankert. In dieses Konstrukt wird dann eine Polyethylenschale einzementiert. <br />Die neueste Entwicklung auf diesem Gebiet sind Pfannenprothesen, die auf 3D-Basis als Monoblockimplantat hergestellt werden. Diese f&uuml;llen perfekt den Knochendefekt aus und k&ouml;nnen &uuml;ber eine Illeum-, Pubis- und Ischiumlasche verschraubt werden. Die Verschraubung erfolgt durch vorgegebene Richtungen und Platzierungen im besonders tragf&auml;higen Knochen. Damit &uuml;bernimmt das Pfannenimplantat auch die Funktion einer Verplattung bei Beckendiskontinuit&auml;t. Nach Pseudarthrosenresektion und Auff&uuml;llung des Knochendefektes mit homologer Spongiosa stellt dieses Implantat gleichzeitig eine &Uuml;berbr&uuml;ckung des Defektes dar.</p> <p><strong>Welcher Zugang kommt in welcher Situation infrage?</strong><br /><strong>P. Ritschl:</strong> Sowohl der transgluteale Zugang als auch der dorsale Zugang sind f&uuml;r alle diese Systeme geeignet. Im Falle von Mehrfachrevisionen sollte eher der dorsale Zugang gew&auml;hlt werden, um die Funktion des Musculus gluteus medius nicht noch mehr zu beeintr&auml;chtigen.</p> <p><strong>Wann spielt Zement eine Rolle in der Pfannenrevision?</strong><br /><strong>P. Ritschl:</strong> Zement kommt in der Revisionschirurgie der Pfanne nur in Ausnahmef&auml;llen zur Anwendung.</p> <p><strong>Geht der Trend weg von der Modularit&auml;t und wieder in Richtung Monoblock?</strong><br /><strong>P. Ritschl:</strong> Prof. Dr. Michael Morlock von der TU Hamburg berichtet generell &uuml;ber Modularit&auml;t bei Revisionssystemen. Am Beispiel der Modularit&auml;t von Schaftprothesen berichtet er &uuml;ber die Ursachen wie Korrosionen, Kontamination der Konusverbindung, Erm&uuml;dungsbr&uuml;che etc. Wenn die Konusverbindungen nicht korrekt gesetzt sind, entstehen Mikrobewegungen, die man verhindern muss. Dabei ist die Verf&uuml;gung der Komponenten essenziell. In bestimmten F&auml;llen, wie z.B. bei Adipositas, r&auml;t Morlock daher a priori zu Monoblockprothesen. Von Smith &amp; Nephew wird im Rahmen des Workshops ein neues Monoblocksystem f&uuml;r den Schaft (REDAPT-System) vorgestellt, welches in K&uuml;rze in Europa gelauncht wird.</p> <p><strong>Wann ist &bdquo;impaction bone grafting&ldquo; sinnvoll?</strong><br /><strong>P. Ritschl:</strong> Die Rolle von IPG besteht in der Auff&uuml;llung von kavit&auml;ren und &bdquo;contained&ldquo; Defekten.</p> <p><strong>Welche Einflussgr&ouml;&szlig;en der Implantatwahl haben Sie, um Luxationen zu verhindern? </strong><br /><strong>P. Ritschl:</strong> Wie bei der Prim&auml;rendoprothetik gibt es eine Reihe von M&ouml;glichkeiten, das Luxationsverhalten zu beeinflussen. Dabei sind die gro&szlig;en Femurk&ouml;pfe, &bdquo;hooded inlays&ldquo;, &bdquo;con&shy;strained inlays&ldquo; sowie &bdquo;Double mobility&ldquo;-Pfannensysteme die erste Wahl. Die Rekonstruktion des Offsets und des H&uuml;ftkopfzentrums und die Erhaltung der ad&auml;quaten Muskelspannung sind weitere Aspekte, um Dislokationen der H&uuml;fte zu vermeiden.</p> <p><strong>Welche neuen Behandlungswege haben wir, um Low-Grade-Infekte zu vermeiden?</strong><br /><strong>P. Ritschl:</strong> Prof. Dr. Reinhard Windhager und Dr. Kevin Staats haben in einer klinischen Studie untersucht, ob aseptische Komplikationen oder Infekte mit positiven Minorkriterien die Ursachen der Revision waren. Ihr Fazit lautet: In 86,6 % der Rerevisionen war ein Infekt die Ursache. Dabei handelt es sich um chronische niedrig virulente Keime, die mit zweizeitigem Wechsel zu sanieren sind.<br />Ganz hervorragend pr&auml;sentierte Prof. Dr. Andr&eacute; Trampuz, der jetzt an der Charit&eacute; in Berlin arbeitet, sein Konzept der Infektionsprophylaxe und -behandlung. Insbesondere Fr&uuml;hlockerungen gelten so lange als Infektion, bis das Gegenteil bewiesen ist, auch bei negativem CRP. Trampuz hat einen Pocketguide und eine App zur Diagnostik und Behandlung von periprothetischen Infektionen publiziert. Die aktuelle Version kann &uuml;ber <a href="http://www.pro-implant-foundation.org" target="_blank">www.pro-implant-foundation.org</a> bestellt werden.</p> <p><strong>Welches Thema planen Sie f&uuml;r 2017?</strong><br /><strong>P. Ritschl:</strong> Vielleicht etwas zu fr&uuml;h gefragt, aber wir hoffen, dass es wieder spannend wird.</p></p>
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