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Komplexe Pfannenrevisionen nach Hüfttotalendoprothese
Jatros
30
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17.11.2016
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<p class="article-intro">Hochkarätig national und international besetzte Expertenmeetings scheinen in Zeiten der Kongressübersättigung die großen Gesellschaftskongresse zu übertrumpfen. Kein Wunder, denn sie bieten eine spezifische interessante Fragestellung, ausreichend Gelegenheit zur Diskussion und die Möglichkeit, den Referenten persönlich kennenzulernen. Trotz Kaiserwetter nahmen am 9. September 2016 120 Teilnehmer an einem von Prof. Dr. Peter Ritschl veranstalteten Meeting im Orthopädischen Krankenhaus Gersthof teil.</p>
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<p class="article-content"><p><strong>Herr Prof. Ritschl, Sie veranstalten nun bereits zum dritten Mal ein Expertentreffen rund um das Thema Endoprothetik. Wie ist die Akzeptanz?<br /></strong><strong>P. Ritschl:</strong> Die Akzeptanz unter den österreichischen Teilnehmern ist sehr hoch. Ich persönlich glaube, dass die hohe Teilnehmerzahl – abgesehen vom interessanten Thema und der besonderen Expertise der Referenten, die aus der Endo-Klinik Hamburg, der Charité Berlin, den Universitätskliniken Wien und Innsbruck, dem Orthopädischen Spital Speising, dem orthopädischen Krankenhaus Gersthof und vielen anderen Institutionen kommen – mit der besonderen Stimmung zusammenhängt. Das Ambiente ist einfach gut: Wir pflegen einen amikalen Gesprächsstil und ein wertschätzendes Miteinander; wir kalkulieren ausreichend Zeit für die Diskussion ein, die Zuhörer werden vielfach animiert, Fragen zu stellen. Heuer habe ich, nach der Implantatallergie vor zwei Jahren und den Knierevisionen voriges Jahr, die komplexen Pfannenrevisionen als Thema gewählt.</p> <p><strong>Sind die Revisionseingriffe nach HTEP im Ansteigen?</strong><br /><strong>P. Ritschl:</strong> Das Ziel jeder Implantatrevision ist die Wiederherstellung von Anatomie und Biomechanik. 2008 wurden in Deutschland 22.630 Hüftrevisionen durchgeführt. Da uns keine Registerzahlen für Österreich zur Verfügung stehen, müssen wir uns auf Hochrechnungen verlassen. Prinzipiell steht der Prothesenwechsel in einem engen Verhältnis zur steigenden Anzahl der Primärimplantationen, zur Zunahme des Lebensalters von Patienten und vor allem auch zur immer häufigeren Vornahme dieses Eingriffes im jüngeren Lebensalter.</p> <p><strong>Es gibt eine Vielzahl von Klassifikationen für Pfannendefekte. Worin unterscheiden sie sich und welches sind die Limitationen? </strong><br /> <strong>P. Ritschl: </strong>Die Tatsache, dass es 10 bis 15 verschiedene Klassifikationen gibt, zeigt, dass keine von ihnen ideal für eine Klassifikation dieser Defekte ist. Die Kriterien, auf denen sie basieren, sind etwa die Unterscheidung segmentaler und kavitärer Defekte. Die Orientierung nach der Spezifikation mit Bone-Craft-Rekonstruktionen, die anatomische Lage und Ausprägung der Defekte oder etwa die Annahme des voraussichtlich verbleibenden Knochendefektes nach Entfernung des Implantats sind unterschiedliche Ansätze zur Klassifizierung. Letztlich hat sich weltweit die Klassifikation nach Paprosky 1994 durchgesetzt. Dabei werden die verbliebenen azetabulären Strukturen für das Revisionsimplantat als Klassifikationskriterium herangezogen.</p> <p><strong>Wie verlässlich sind die diagnostischen Tools, um periazetabuläre Knochendefekte festzustellen? Was muss der Operateur erkennen? </strong><br /><strong>P. Ritschl:</strong> Das generelle Problem jeglicher Diagnostik ist es, dass bei jedem diagnostischen Verfahren nur eine zweidimensionale Analyse für ein an und für sich dreidimensionales Problem zur Verfügung steht. Im Detail interessieren den Operateur „radiolucent zones“ (RLZ), Migrationen des Implantats, Frakturen des Pfannenbodens, der Pfannenschale oder des Inlays, der Zustand des vorderen und hinteren Knochenpfeilers und eine eventuelle Beckendiskontinuität. Die PE/Metall-Osteolysen sollten im Vorfeld in ihrer Ausdehnung genau bekannt sein. Dabei stellt vor allem das Computertomogramm heute die Methode der Wahl dar. Im CT lassen sich bis zu 80 % der Osteolysen rund um das Pfannenimplantat exakt bestimmen. Wichtig ist zu wissen, dass die diesbezügliche Aussagekraft im periazetabulären Illeumbereich am besten und im Pubisbereich am schlechtesten ist.</p> <p><strong>Was hat sich bei der Bildgebung verändert? </strong><br /><strong>P. Ritschl:</strong> Das Nativröntgen mit gezielten Aufnahmen und Schrägaufnahmen liefert eine erste Verdachtsdiagnose und sollte in jedem Fall am Beginn der Untersuchungskette stehen. Vor allem die Schrägaufnahmen erhöhen die Trefferquote. Das CT ist, wie oben erwähnt, das Standardverfahren in der Diagnostik von Osteolysen, aber auch von Implantatfehlschlägen wie kleinsten Implantatfissuren oder Keramikbrüchen.<br /> An der Universitätsklinik Wien gibt es ein neues Dual Energy CT, das Metallartefakte reduziert und die diagnostische Treffsicherheit erhöht. Die MRT hat eine gewisse Bedeutung bei Weichteilläsionen, die Knochenszintigrafie besitzt heute keinen Stellenwert mehr. Als wesentlichen Fortschritt sehe ich das Verfahren der 3D-Rekonstruktion und des 3D-Drucks. Meiner Meinung nach sollten 3D-Analysen bei 3A- und 3B-Defekten (Paprosky) zunehmend zum Einsatz kommen.</p> <p><strong>Gibt es das universelle Revisionsimplantat?</strong><br /><strong>P. Ritschl:</strong> Nein, man benötigt eher ein breites Sortiment an Revisionsimplantaten. Unser Hauptziel ist es dabei, das Hüftzentrum zu rekonstruieren, die Beinlänge der gesunden Seite anzugleichen, das Offset für die entsprechende Muskelspannung wiederherzustellen und eine möglichst breitflächige und sichere Verankerung des Implantates zu erreichen.</p> <p><strong>Welche Möglichkeiten gibt es, um die Beckendiskontinuität zu lösen?</strong><br /><strong>P. Ritschl:</strong> Die Beckendiskontinuität stellt eines der schwierigsten Probleme bei Pfannenrekonstruktionen im Revisionsfall dar. Die früher verwendeten Sockelpfannen werden heute nicht mehr produziert und stehen deshalb nicht mehr zur Verfügung. Heute gängige Verfahren sind Cup-and-Cage-Rekonstruktionen. Dabei wird eine Pfannenschale plus/minus Augment in das knöcherne Pfannenbett unter Vordehnung verschraubt. In diese Pfannenschale wird dann eine Stützschale eingesetzt, die eine zusätzliche Stabilität zwischen dem Ileum und dem Sitzbein herstellt. Die Sitzbeinlasche wird nicht verschraubt, sondern nur im Sitzbein verankert. In dieses Konstrukt wird dann eine Polyethylenschale einzementiert. <br />Die neueste Entwicklung auf diesem Gebiet sind Pfannenprothesen, die auf 3D-Basis als Monoblockimplantat hergestellt werden. Diese füllen perfekt den Knochendefekt aus und können über eine Illeum-, Pubis- und Ischiumlasche verschraubt werden. Die Verschraubung erfolgt durch vorgegebene Richtungen und Platzierungen im besonders tragfähigen Knochen. Damit übernimmt das Pfannenimplantat auch die Funktion einer Verplattung bei Beckendiskontinuität. Nach Pseudarthrosenresektion und Auffüllung des Knochendefektes mit homologer Spongiosa stellt dieses Implantat gleichzeitig eine Überbrückung des Defektes dar.</p> <p><strong>Welcher Zugang kommt in welcher Situation infrage?</strong><br /><strong>P. Ritschl:</strong> Sowohl der transgluteale Zugang als auch der dorsale Zugang sind für alle diese Systeme geeignet. Im Falle von Mehrfachrevisionen sollte eher der dorsale Zugang gewählt werden, um die Funktion des Musculus gluteus medius nicht noch mehr zu beeinträchtigen.</p> <p><strong>Wann spielt Zement eine Rolle in der Pfannenrevision?</strong><br /><strong>P. Ritschl:</strong> Zement kommt in der Revisionschirurgie der Pfanne nur in Ausnahmefällen zur Anwendung.</p> <p><strong>Geht der Trend weg von der Modularität und wieder in Richtung Monoblock?</strong><br /><strong>P. Ritschl:</strong> Prof. Dr. Michael Morlock von der TU Hamburg berichtet generell über Modularität bei Revisionssystemen. Am Beispiel der Modularität von Schaftprothesen berichtet er über die Ursachen wie Korrosionen, Kontamination der Konusverbindung, Ermüdungsbrüche etc. Wenn die Konusverbindungen nicht korrekt gesetzt sind, entstehen Mikrobewegungen, die man verhindern muss. Dabei ist die Verfügung der Komponenten essenziell. In bestimmten Fällen, wie z.B. bei Adipositas, rät Morlock daher a priori zu Monoblockprothesen. Von Smith & Nephew wird im Rahmen des Workshops ein neues Monoblocksystem für den Schaft (REDAPT-System) vorgestellt, welches in Kürze in Europa gelauncht wird.</p> <p><strong>Wann ist „impaction bone grafting“ sinnvoll?</strong><br /><strong>P. Ritschl:</strong> Die Rolle von IPG besteht in der Auffüllung von kavitären und „contained“ Defekten.</p> <p><strong>Welche Einflussgrößen der Implantatwahl haben Sie, um Luxationen zu verhindern? </strong><br /><strong>P. Ritschl:</strong> Wie bei der Primärendoprothetik gibt es eine Reihe von Möglichkeiten, das Luxationsverhalten zu beeinflussen. Dabei sind die großen Femurköpfe, „hooded inlays“, „con­strained inlays“ sowie „Double mobility“-Pfannensysteme die erste Wahl. Die Rekonstruktion des Offsets und des Hüftkopfzentrums und die Erhaltung der adäquaten Muskelspannung sind weitere Aspekte, um Dislokationen der Hüfte zu vermeiden.</p> <p><strong>Welche neuen Behandlungswege haben wir, um Low-Grade-Infekte zu vermeiden?</strong><br /><strong>P. Ritschl:</strong> Prof. Dr. Reinhard Windhager und Dr. Kevin Staats haben in einer klinischen Studie untersucht, ob aseptische Komplikationen oder Infekte mit positiven Minorkriterien die Ursachen der Revision waren. Ihr Fazit lautet: In 86,6 % der Rerevisionen war ein Infekt die Ursache. Dabei handelt es sich um chronische niedrig virulente Keime, die mit zweizeitigem Wechsel zu sanieren sind.<br />Ganz hervorragend präsentierte Prof. Dr. André Trampuz, der jetzt an der Charité in Berlin arbeitet, sein Konzept der Infektionsprophylaxe und -behandlung. Insbesondere Frühlockerungen gelten so lange als Infektion, bis das Gegenteil bewiesen ist, auch bei negativem CRP. Trampuz hat einen Pocketguide und eine App zur Diagnostik und Behandlung von periprothetischen Infektionen publiziert. Die aktuelle Version kann über <a href="http://www.pro-implant-foundation.org" target="_blank">www.pro-implant-foundation.org</a> bestellt werden.</p> <p><strong>Welches Thema planen Sie für 2017?</strong><br /><strong>P. Ritschl:</strong> Vielleicht etwas zu früh gefragt, aber wir hoffen, dass es wieder spannend wird.</p></p>
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