
Knochenverlust bei Rheuma verhindern
Das Hauptinteresse der modernen Rheumatologie besteht darin, die Krankheit für eine effektive Therapie möglichst früh zu diagnostizieren, damit eine Remission erreicht bzw. der Knochenverlust gering gehalten wird. Mit einem entsprechenden Prädiktor könnte die Wirksamkeit einer bildgebungsunterstützten, hochaktiven Therapie sichergestellt werden.
Der Knochen ist gesund, wenn ein Gleichgewicht zwischen Knochenbildung und Resorption (Homöostase) besteht. Die rheumatoide Arthritis (RA) ist lokal erosiv und destruierend mit einem meist polyartikulären und symmetrischen Befall. Die Entzündung (Synovitis) führt zu einem regelrechten „Zytokin-Boost“. Unter dem Einfluss von IL-1 und IL-6 sowie TNF kommt es einerseits über RANKL und DKK1 zur Aktivierung der Osteoblastogenese und der Osteoklasten, andererseits entsteht durch die Inhibierung der Osteoblasten ein resorptiver Effekt.1 Beim Osteoporoseforum in St. Wolfgang sprach Dr. Harald Leiss, Universitätsklinik für Innere Medizin III, Wien, über die Wirkung von biologischen DMARDs auf den Knochen.
Systemischer Knochenverlust
Grundsätzliche Risikofaktoren wie Alter, Geschlecht, Osteoporose in der Familie, niedriger BMI, Sturzrisiko und Lebensstil begünstigen gemeinsam mit krankheitsbedingten Risikofaktoren wie Entzündung, Immobilität und Medikamenten (vor allem hohe Kortikoiddosen) eine Osteoporose (und damit auch Frakturen) bei entzündlich-rheumatischen Erkrankungen. Vitamin-D-Mangel ist vor allem beim systemischen Lupus erythematodes (SLE) als Risikofaktor einzustufen.
Eine Untersuchung aus dem Jahr 2000 konnte zeigen, dass das Risiko, an einer Osteoporose zu erkranken, bei Patienten mit rheumatoider Arthritis etwa doppelt so hoch ist wie in der Normalbevölkerung.2 Ein ähnliches Bild zeigt sich bei den Entzündungsmarkern: Patienten mit hohem CRP-Spiegel im Blut haben ein etwa zehnfaches Risiko, einen nicht traumatischen Knochenbruch zu erleiden.3 Ein weiteres Spezifikum besteht darin, dass ACPA (Antikörper gegen citrullinierte Peptide/Proteine) einen systemischen Knochenverlust induzieren. Es zeigte sich, dass diese Antikörper nicht nur bei erkrankten Rheumapatienten, sondern auch bei Patienten ohne klinische Symptome vorhanden sind. Bei ACPA-positiven Patienten ist bereits ein präklinischer Effekt mit vermehrtem Auftreten von Osteoklasten und verminderter Knochendichte zu beobachten.4
Alte und neue Therapieansätze
TNF, IL-6, IL-1, IL-17 und CD20 sind die Parameter, bei denen therapeutisch angesetzt werden kann, wobei die Datenlage unterschiedlich ist. Eine TNF-Inhibition hält den generalisierten Knochenmasseverlust auf. Bezüglich des lokalen Knochenverlustes besitzen die Studien aufgrund der geringen Fallzahlen nur bedingte Aussagekraft und werden daher auch kontrovers diskutiert.
Unabhängig davon, ob eine Therapie mit synthetischen DMARDs oder eine Step-up-Therapie (eine Kombination mit Glukokortikoiden oder mit Infliximab) durchgeführt wird, ist der rechtzeitige Therapiebeginn entscheidend für die Aufrechterhaltung der Knochenmasse.5 Das Risiko, auch unter laufender antiinflammatorischer Therapie eine Fraktur zu erleiden, kann einerseits durch frühzeitigen Therapiebeginn sehr gering gehalten werden und ist andererseits unabhängig von der Therapieform (TNF oder cDMARDs).6
IL-6 ist ein multifunktionelles Enzym, das entscheidend im Zusammenhang mit der Knochengesundheit ist, da seine Aktivität im Zusammenspiel mit RANKL zur Osteoklastenaktivierung und Knochenresorption führt. Der IL-6-Hemmer Tocilizumab als Monotherapie scheint einen radiografischen Benefit im Vergleich zu Methotrexat zu bringen und den Knochenschaden bzw. die Gelenksdestruktion unabhängig vom klinischen Ansprechen zu vermindern. Die resorptiven Parameter für den Knochenstoffwechsel gehen zurück, während die anabolen Parameter im Laufe der Therapie ansteigen. Hinsichtlich der Knochendichte zeigte sich eine signifikante Zunahme der BMD bei Patienten, die zu Therapiebeginn eine Osteopenie hatten. Bei Patienten mit normaler Knochendichte zur Baseline scheint Tocilizumab das Fortschreiten des Knochenmasseverlustes zumindest aufzuhalten.7 „Eine IL-6-Blockade inhibiert also die Progression des Gelenkschadens, unabhängig vom antiinflammatorischen bzw. klinischen Effekt, und es kommt zur Verbesserung der Knochenstoffwechselparameter und zur Stabilisierung des systemischen Knochenmasseverlusts“, erklärt Leiss.
Eine Anti-CD20-B-Zell-Therapie (Rituximab) reduziert die Gelenksdestruktion und verbessert die Knochenstoffwechselparameter. Rituximab plus Methotrexat führt zu einer deutlichen Verringerung der Progression im radiologischen Bereich, unabhängig davon, welche Dosis verabreicht wird.8 In einer kleinen Kohortenstudie (n=46) zeigte sich, dass sich auch die Resorptions- und die anabolen Marker „in die richtige Richtung bewegen“.9 Die Kostimulationsblockade mit humanem CTLA4 (CD28 mit CD80/86; Abatacept) hat einen direkten inhibierenden Effekt auf die Osteoklastogenese: Dosisabhängig ist in einer präklinischen Studie ein Rückgang der Osteoklasten zu beobachten.10
Kurz vor der Anwendung stehen die JAK-Inhibitoren. Zur Auswirkung von Tofacitinib auf die Knochendichte gibt es noch keine effektiven Daten, sie ist daher noch nicht gänzlich geklärt. In einer Vergleichsstudie mit Methotrexat zeigten sich positive Effekte, indem der Sharp Score, die Erosionen und der Joint Space Narrowing Score – und damit die Knorpelund Knochendestruktion – durch eine JAK1- und JAK3-Blockade mit Tofacitinib deutlich reduziert werden konnten.11
Jahreszeiten in der Rheumatologie
Zahlen aus einer im Jahr 2015 publizierten Studie konnten zeigen, dass sich das menschliche Immunsystem den Jahreszeiten anpasst und sich je nach Saison die Aktivität von fast einem Viertel der Gene verändert.12 „Es fehlen zwar noch viele Daten, jedoch könnte der Fachbereich der Osteoimmunologie mithelfen, diesen Effekt zu erklären und eventuell therapeutisch umzusetzen“, erklärt Dr. Jürgen Rech, Universitätsklinikum Erlangen. Mit dem neuartigen, hochauflösenden, peripheren quantitativen CT (HRPQ- CT oder XtremeCT) lässt sich die trabekuläre und kortikale Struktur des Knochens bei Patienten mit rheumatoider Arthritis, Psoriasisarthritis oder Spondylarthropathie gut darstellen. Zu einem sehr frühen Zeitpunkt kann man mit dieser Methode Knochenstrukturveränderungen detektieren, auch wenn der Patient scheinbar noch an keiner systemischen Erkrankung leidet. Solche frühen Veränderungen in der Knochenstruktur werden bei symptomlosen Patienten, die nur ACPA-Antikörper aufweisen, nachgewiesen. Auch bei Patienten mit Psoriasis, welche die CASPAR-Klassifikationskriterien noch nicht erfüllen und keine Gelenkschmerzen haben, sind Strukturveränderungen und eine Abnahme der Knochendichte nachweisbar.
ZNS-Signale und Biomarker als Prädiktoren
Wie beim Mausmodell das erste Mal gezeigt, lässt sich auch beim Menschen über einen ins ZNS weitergeleiteten, peripheren Schmerzreiz ein sensorisches Signal messen und mit dem motorischen Signal vergleichen. Die Patienten, die auf TNF-Blocker ansprechen, haben ein hohes Signal zu Beginn, während Patienten, die ein sehr geringes ZNS-Signal haben, nicht auf den TNF-Blocker ansprechen werden. Mit diesem Prädiktor (dargestellt durch ein funktionelles MRT des ZNS) kann man die Areale im sensorischen Kortex beobachten. Wenn der Patient auf die TNFBlockade anspricht, nimmt dieses Signal ab und zeigt damit frühzeitig an, dass das richtige Medikament eingesetzt wird.13
Prognosefaktoren für das Rückfallrisiko bei Patienten in Remission hat eine andere Studie gefunden. „Es hat sich gezeigt, dass man bei vielen Patienten in Remission sowohl ihre Basistherapie als auch ihre Biologika entweder halbieren oder sogar ganz absetzen kann“, erklärt Rech. Als Risikofaktor für einen Rückfall sind die ACPA-Antikörper zu nennen, bei deren Vorhandensein es nicht sinnvoll ist, zu reduzieren. In der aktuellen Studie wurde die Rolle der „multibiomarker disease activity“ (MBDA), einem Panel von Entzündungsmediatoren, untersucht. Es zeigte sich, dass die Kombination von MBDA mit dem ACPA-Status in mehr als 80 % der Fälle das Rückfallrisiko vorhersagen kann.14 Sind beide Marker positiv, sollte die Rheumatherapie nicht reduziert werden. Vielmehr muss die bestehende Therapie fortgesetzt werden, da es ansonsten wieder zu Entzündungen kommt und man damit erneut eine Schädigung im Knochenstoffwechsel provoziert. Rech: „Beim Zusammenspannen des ACPA- und des Zytokin-Panels handelt es sich daher um ein kostensparendes Modell. Denn wenn beide negativ sind, kann man die Medikation halbieren oder sogar absetzen.“
Quelle: 25. Osteoporoseforum, 20.–22. April 2017, St. Wolfgang
1 Schett G et al: Nat Rev Rheumatol 2012; 8(11): 656-64 2 Haugeberg G et al: Arthritis Rheum 2000; 43: 522-30 3 Schett G et al: Arch Intern Med 2006; 166(22): 2495-501 4 Harre U et al: J Clin Invest 2012; 122(5): 1791-802 5 Güler-Yüksel M et al: Ann Rheum Dis 2007; 66: 1508-12 6 K im S Y e t a l: J B one M iner R es 2 012; 2 7(4): 7 89-96 7 Kume K et al: Rheumatology (Oxford) 2014; 53(5): 900-3 8 Tak PP et al: Ann Rheum Dis 2011; 70: 39-46 9 Wheater G et al: Osteoporos Int 2011; 12: 3067-72 10 Axmann R et al: Ann Rheum Dis 2008; 67(11): 1603-9 11 Lee EB et al: N Engl J Med 2014; 370(25): 2377-86 12 Dopico XC et al: Nat Commun 2015; 6: 7000 13 Rech J et al: Arthritis Rheum 2013; 65(2): 325-33 14 Rech J et al: Ann Rheum Dis 2016; 75(9): 1637-44
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