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15 Jahre Gleitnagel im LKH Hall – Lernen aus Fehlern!?
Jatros
Autor:
Dr. Stefan Waldhof
Abteilung für Unfallchirurgie und Sporttraumatologie, Landeskrankenhaus Hall E-Mail: stefan.waldhof@tirol-kliniken.at
30
Min. Lesezeit
17.11.2016
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<p class="article-intro">Seit 15 Jahren verwenden wir den Gleitnagel zur Versorgung instabiler per-, subtrochantärer und proximaler Oberschenkelfrakturen – anfänglich im Wettstreit mit anderen intramedullären Kraftträgern und der DHS. Zwischenzeitlich verwenden wir ausschließlich den Gleitnagel, nachdem durch Modifikation der OP-Technik Klingenverluste, Cut-outs, Pseudoarthrosen oder auch Implantatversagen nur mehr eine ausgesprochene Rarität darstellen.</p>
<hr />
<p class="article-content"><p class="Copy-Initial">Laut Auszählung der OP-Berichte haben wir seit dem Jahre 2000 knapp 1.000 Gleitnägel, 273 DHS und 39 Y-Nägel implantiert. Während in den ersten Jahren noch die DHS überwog, verwendeten wir ab dem Jahre 2004 mehrheitlich und seit bald zehn Jahren fast ausschließlich den Gleitnagel zur Versorgung per- und subtrochantärer Oberschenkelfrakturen (ca. 80–90x/Jahr).</p> <h2>Warum haben wir auf den Gleitnagel gewechselt?</h2> <p>Nachdem wir unsere Anfangsprobleme überwunden und unsere ersten Lehren gezogen hatten, waren bei uns die implantatassoziierten Komplikationen beim Gleitnagel deutlich geringer als bei den anderen zuvor verwendeten Implantaten.</p> <h2>Welches waren implantatbezogen die Hauptprobleme?</h2> <p>Anfänglich wurden im Rahmen der Frakturversorgung bei allen Gleitnägeln entsprechend den Empfehlungen in der damaligen OP-Anleitung die Verriegelungslöcher statisch besetzt, um eine ausreichende Stabilität der Frakturversorgung zu gewährleisten. Zudem legten wir anfänglich nicht ausreichend viel Wert auf das Schließen des iatrogen durch Lagerung am Extensionstisch entstandenen Frakturspaltes. Durch das postoperative Mobilisieren des Verletzten schloss sich zwar meist der Frakturspalt, aber die Klinge des Gleitnagels rutschte hierbei immer nach lateral. Leider mussten wir so viermal innerhalb der ersten 97 Gleitnagelversorgungen einen Klingenverlust hinnehmen.</p> <h2>Wie konnten wir das Problem des Klingenverlustes beseitigen?</h2> <p>Wir analysierten unsere gelungenen, weniger gelungenen und gescheiterten Gleitnagelversorgungen und kamen zu dem Schluss, dass der Gleitnagel eine anhaltende Frakturdiastase sehr schlecht toleriert und dass bei Belastung die Klinge immer rutscht, bis die Bruchfragmente Kontakt bekommen. Primär versuchten wir nun, den Frakturspalt mittels Hammerschlägen auf den Kragen der Klinge und – nach Modifikation des Klingenkragens 2006 – mittels eines Reduktionstößels zu schließen, was bei vorhergehendem Nachlassen des Zugs am Extensionstisch auch gut bewerkstelligbar war und ist. Seitdem wir im Wissen, dass jeder Bruch zum Heilen Kontakt braucht, nur mehr die Verriegelungslöcher dynamisch besetzen, beobachten wir zumeist eine knöcherne Heilung binnen vier bis acht Wochen (glücklicherweise dürfen wir noch unsere Patienten nachbetreuen und selbst kontrollieren, was die Grundvoraussetzung für jegliche Qualitätskontrolle darstellt.) Zudem verklemmt sich wohl auf diese Art der Nagel ein wenig gegen die Klinge, sodass wir seitdem (außer einmal bei einer Nichtberücksichtigung dieser OP-Prinzipien) keinen weiteren Klingenverlust mehr hinnehmen mussten.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2016_Jatros_Ortho_1606_Weblinks_s65.jpg" alt="Abb. 1" width="1051" height="865" /></p> <h2>Probleme mit dem Cut-out</h2> <p>Zweimal mussten wir in den Anfängen ein Cut-out hinnehmen, da der Nagel nicht über die Trochanterspitze, sondern über die Fraktur eingebracht wurde und gleichzeitig die dabei entstandene Varisierung des Schenkelhalses intraoperativ durch Zug am Extensionstisch nicht behoben wurde, sodass die Klinge von Anfang an zu hoch zu liegen kam und bei fehlender medialer Abstützung bei mehr werdendem Varus des Schenkelhalses nach kranial durchschneiden musste. Deshalb sind für uns die möglichst exakte Reposition der Fraktur und ggf. auch eine Korrektur während der OP ebenso wie das Einbringen des Nagels über die Trochanterspitze ein Muss.</p> <h2>Probleme mit zentralen Klingenperforationen</h2> <p>Dieses Problem hatten wir einmal im Jahr 2006. Seit dem Designwechsel der Klinge kann diese theoretisch bis auf Anschlag an den lateralen Nagelrand im Knochen vorgeschlagen werden. Bei dynamischer Verriegelung kommt es jedoch zu einer Relativbewegung des Nagels im Knochen, sodass die Klinge unter einer Knochenschuppe zu liegen kommen kann. Will die Klinge gleiten, da der Bruchspalt nicht ausreichend behoben worden ist, wird sie nun daran gehindert und perforiert im Falle einer Annäherung der Bruchfragmente gegeneinander nun nach zentral. Deshalb ist es bei uns ein Muss, dass der laterale Klingenrand knapp außerhalb der Oberschenkel-Kortikalis zu liegen kommt!</p> <h2>Probleme mit Frakturpseudoarthrosen</h2> <p>Probleme mit Frakturpseudoarthrosen traten zweimal bei pertrochantären Frakturen und einmal bei einer subtrochantären Fraktur auf. Dabei wurden die iatrogen entstandenen Frakturdiastasen intraoperativ falsch eingeschätzt und unzureichend intraoperativ behoben. Durch Verwendung des Reduktionstößels bzw. durch Nachlassen des Zugs am Extensionstisch bei subtrochantären Frakturen sowie aktives Stauchen des Beines über die Halterung lässt sich die künstliche Diastase meist gut beseitigen. Dies ist ein absolutes Muss!</p> <h2>Probleme mit Implantatbrüchen</h2> <p>Diese traten insgesamt dreimal auf. In allen Fällen war die per- oder subtrochantäre Diastase nicht ausreichend beseitigt worden, sodass mangels Kontaktes der Bruchfragmente die Fraktur erst heilen konnte, als der Nagel am Kragen gebrochen war. Ein frühzeitiges Entfernen der Gleitlochschraube im Bedarfsfall, ähnlich wie beim Unterschenkel, hilft bei der Vorbeugung einer Pseudoarthrose oder eines Implantatversagens immens.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2016_Jatros_Ortho_1606_Weblinks_s66.jpg" alt="Abb.2-4" width="1417" height="1166" /></p> <h2>Wann und von wem werden bei <br />uns hüftgelenksnahe Oberschenkel­frakturen versorgt?</h2> <p>Der Eingriff erfolgt möglichst zeitnah zum Unfall, zumeist im Dienst, sofern eine OP-Freigabe besteht, und wird auch von Assistenzärzten im zweiten Ausbildungsjahr, sofern entsprechend eingeschult und versiert, selbstständig durchgeführt.</p> <h2>Welches sind die aktuellen Probleme beim Umgang mit dem Gleitnagel?</h2> <p>Bei exakter Reposition und intraoperativem Schließen des Frakturspaltes heilt der Bruch zumeist problemlos. Aber diese Erkenntnis birgt auch die Gefahr, dass man unvorsichtig wird, sich mit mittelmäßigen Klingenlagen zufrieden gibt und so unnötigerweise mögliche Komplikationen hervorruft. Durch Einhalten der „To do“-Liste (Tab. 1) konnten die implantatassoziierten und im OP revidierten Komplikationen gegenüber den ersten Jahren deutlich gesenkt werden. Es gab bei uns Jahre ohne Revisionseingriff nach Gleitnagelversorgungen. (Ob diese evtl. in anderen Kliniken durchgeführt wurden, ist uns allerdings nicht bekannt.)</p> <h2>Nagel und Einschlagsystem entsprechen wohl nicht einem modernen, dynamischen <br />Design, oder?</h2> <p>Der Nagel selbst ist zeitlos. Das Einschlagsystem ist allerdings in die Jahre gekommen. Wir verwenden zudem nur den alten Stahlbügel, da wir intraoperativ öfter auf diesen schlagen, bis sich der Nagel zum Einbringen des Führungsstiftes für die Klinge in der idealen Position befindet. Mit dem Kompressionsstößel schlagen wir auf die Schutzhülse, bis diese den Oberschenkelknochen auf den Schenkelhals drückt – aber nur bei nachgelassenem Zug am Extensionstisch! Das ist vielleicht nicht besonders „stylisch“, aber einfach und ausgesprochen effektiv.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2016_Jatros_Ortho_1606_Weblinks_67.jpg" alt="Abb. 5,6;Tab. 1" width="1554" height="1084" /></p> <h2>Vorteile des Geitnagels gegenüber anderen Implantaten</h2> <p>Ich bin im alltäglichen Umgang nicht mit anderen intramedullären Implantaten vertraut. Aber beim Gleitnagel habe ich noch nie ein Verrotieren der fixierten Kopfkalotte gesehen. Das H-Profil (Doppel-T) der Klinge ist offensichtlich sehr rotationsstabil. Es bedarf keiner zusätzlichen Zementaugmentation, keiner zweiten Klinge oder Ähnlichem. <br />Das Schließen des Frakturspaltes scheint mir das Tor zum Erfolg zu sein und mit dem Reduktionsstößel und dem Stauchen des Beines nach Nachlassen des Zugs am Extensionstisch gelingt das fast mühelos. Derartige Tools gibt es derzeit, meines Wissens, bei den meisten anderen intramedullären Kraftträgern nicht. Auch, glaube ich, ist es sehr wertvoll, dass die Klinge eingeschlagen wird und daher nicht noch zusätzliches Knochenmaterial mit dem Bohren geopfert wird. Zwar schaut der Gleitnagel im Röntgen recht wuchtig aus, aber im Querschnitt ist er dank des H-Profils fast „zart“ und trotzdem äußerst stabil. <br />Ich habe auch schon viele Brüche heilen gesehen, obwohl die Klingenlage suboptimal war. Der Gleitnagel ist erfreulicherweise fehlerverzeihend, sofern man es nicht übertreibt und die „To do“-Prinzipien einhält. Der Bruch heilt zumeist so, wie er den OP verlässt.</p> <p><em>Dank an meine Kollegen und Freunde für die Hilfe beim OP-Bericht-Ausheben: Dr. Fabian Mores und Dr. Fabian Gerber; geistiger Miteigentümer: OA Dr. Schahin Dehbalaien</em></p></p>
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