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Inverse Schultertotalendoprothese: ein Schritt in die richtige Richtung?
Jatros
Autor:
Prim. Univ.-Doz. Dr. Christian Wurnig
Orthopädisches Spital Speising, Wien<br> E-Mail: christian.wurnig@oss.at
30
Min. Lesezeit
15.09.2016
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<p class="article-intro">Die inverse Schultertotalendoprothese führt zu guten Langzeitergebnissen. Dieses Design gewährleistet die Reetablierung eines stabilen Drehzentrums und damit eine gute Schulterfunktionalität. Allerdings sind Revisionsraten zwischen 15 und 20 % zu erwarten. Durch die entsprechende Implantatwahl kann eine höhere Stabilität bzw. ein geringeres Luxationsrisiko gewährleistet werden. Ebenso kann das Notching, das möglicherweise für die Glenoidlockerung verantwortlich ist, minimiert werden.</p>
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<p class="article-content"><p>Das Design der inversen Schultertotal­endoprothese hat im Gelenksersatz der Schulter eine deutliche Ausweitung der Möglichkeiten gewährleistet. Das Prinzip besteht in der Wiederherstellung eines stabilen Drehzentrums, was für das weichteilgeführte Schultergelenk sehr wichtig ist. Aufgrund des sehr erfolgreichen Konzeptes hat sich die Indikation zur Verwendung eines solchen inversen Designs sehr ausgeweitet. Es findet Anwendung bei Rotatorenmanschettenarthropathien, Tumorresektionen, wenn der Deltoideusansatz und -ursprung erhalten werden können, bei komplexen Fraktursituationen, im Speziellen bei Drei- und Vierteilfrakturen, sowie in Revisionssituationen.<br /> <br /> Nachdem auch immer mehr jüngere Patienten mit einem solchen Prothesendesign versorgt werden, sind mittelfristige und längerfristige Ergebnisse gefragt. In Anlehnung an das Design von Paul Grammont (DePuy, Johnson & Johnson) gibt es nun zahlreiche andere Hersteller, die ein sehr ähnliches Design anbieten. Hinsichtlich der Designfrage ergeben sich mehrere Möglichkeiten, um die Haltbarkeit einer solchen Endoprothese zu verlängern.<br /> Glenoidkomponente: Die Glenoidkomponente besteht üblicherweise aus einer Basisplatte (Metaglene), die zementfrei im Knochen verankert wird, sowie einer Halbkugel (Glenosphäre), die an der Basisplatte fixiert wird.<br /> Basisplatte: Hier gibt es die Möglichkeit einer Verankerung mittels eines Zentralzapfens sowie der Verankerung mittels eines Mehrzapfen-Verankerungsprinzips.<br /> Zusätzlich wird die Basisplatte mit Schrauben im Glenoid fixiert, wobei diese entweder winkelstabil oder nicht winkelstabil gesetzt werden können. Die Glenosphäre (Halbkugel) wird dann mithilfe eines Konus-press-fit-Mechanismus an dieser Basisplatte fixiert. Die Glenosphäre ist designabhängig entweder aus einer Chrom-Kobalt-Stahl-Legierung oder aus Polyäthylen. Der Vorteil der Polyäthylen-Glenosphäre besteht darin, dass die Basisplatte (Metaglene) radiologisch besser beurteilt werden kann (Abb. 1). <br /> Die Basisplatte gibt es üblicherweise in einer Dimensionierung, ausgenommen Revisionsbasisplatten mit entsprechend längerem Zapfen etc. Die Glenosphäre ist in unterschiedlichen Größen vorhanden und die Größe wird entweder durch Planung präoperativ bestimmt oder intraoperativ entsprechend der Weichteilspannung gewählt. Gesichert ist allerdings heute, dass eine größere Glenosphäre eine höhere Sicherheit hinsichtlich Luxation sowie einen größeren Bewegungsumfang gewährleistet.<br /> Die Schaftkomponente kann entweder zementiert oder zementfrei verankert werden, wobei deutlich häufiger eine zementierte Verankerung gewählt wird. Letztendlich ist es jedoch die Entscheidung des Operateurs, welcher Verankerungstyp verwendet wird. Der Schaft liegt entweder als Monoblock-Variante vor oder als Modularsystem. Bei den modularen Systemen kann die Retrotorsion variiert werden, bei einigen Modellen auch der Winkel zwischen Schaft und Epiphyse sowie die Lateralisierung. Modulare Schäfte finden hauptsächlich in der Fraktursituation ihre Anwendung. Seit Kurzem sind auch schaftlose Varianten am Markt. Der Vorteil liegt in der Erhaltung der Knochensubstanz. Inwieweit sich die Verwendung einer schaftlosen Verankerung auf Haltbarkeit und klinisches Ergebnis auswirkt, kann derzeit nicht beantwortet werden.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_data_Zeitungen_2016_Jatros_Ortho_1605_Weblinks_Seite22.jpg" alt="" width="" height="" /></p> <h2>Komplikationsmöglichkeiten</h2> <p><strong>Infekt:</strong> Schultertotalendoprothesen, im Speziellen inverse Schultertotalendoprothesen, haben eine deutlich höhere Infektionsrate als Hüft- und Knietotalendoprothesen. Die Rate der Infekte ist mit etwa 3 % anzusetzen. Relativ häufig wird in den Abstrichen ein Corynebacterium acne nachgewiesen. Dementsprechend sollte auch im Rahmen der Antibiotika­prophylaxe dieser Keim berücksichtigt werden.<br /> <br /><strong>Instabilität:</strong> Eine Luxation, im Speziellen bei Revisionsoperationen, zählt ebenfalls zu den häufigeren Komplikationen nach inverser Schultertotalendoprothese. Die Instabilitätsrate kann durch Verwendung von größeren Glenosphären deutlich gesenkt werden.<br /><br /> <strong>Glenoidnotching:</strong> An der Unterkante des Glenoids kann es durch Impingement der humeralen Komponente am glenoidalen Knochen zu einer Osteolyse kommen, was möglicherweise zu einer aspetischen Lockerung der Glenoidkomponente führen kann (Abb. 2). Um dieses Notching möglichst hintanzuhalten, sollte die Basisplatte der Glenoidkomponente möglichst an den Unterrand der Pfanne gesetzt werden. Durch Wahl einer entsprechenden Glenosphäre kann der Abstand der kaudalen Glenoidkante zur Epiphyse der Schaftkomponente zusätzlich vergrößert werden. Diese Maßnahmen tragen zur Verhinderung des Notchingphänomens wesentlich bei (Abb. 3).<br /> <br /> <strong>Lockerung der Komponenten:</strong> Wesentlich häufiger als die humerale Komponente ist die Glenoidkomponente von einer Lockerung betroffen. Im Falle einer Revision sind häufig Knochenblockinterpositionen erforderlich.<br /> <br /> <strong>Nervenläsionen:</strong> Durch Dehnung des Plexus brachialis bzw. durch entsprechende Präparation im Bereich des Recessus axillaris kann es zu Nervenschädigungen kommen, die jedoch üblicherweise passager sind.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_data_Zeitungen_2016_Jatros_Ortho_1605_Weblinks_Seite23_2.jpg" alt="" width="" height="" /></p> <h2>Langzeitergebnisse</h2> <p>Nachdem sich die Indikation zur Implantation einer inversen Schultertotalendoprothese deutlich ausgeweitet hat, sind Langzeitergebnisse von großem Interesse. In der Literatur finden sich Berichte über klinische Ergebnisse zwischen 13 und 70 Monaten. Die Ergebnisse sind sehr unterschiedlich, die Revisionsrate liegt zwischen 8 % und 33 % (Tab. 1).<br /> In einer eigenen Nachuntersuchung von 122 Patienten nach einem durchschnittlichen Nachuntersuchungszeitraum von 7 Jahren fanden wir eine hohe Patientenzufriedenheit und hohe Funktionalität. Wir hatten eine Revisionsrate von 17 % . Die Ursachen für Revisionsoperationen waren Luxationen, Infekte, Frakturen, aseptische Lockerungen sowie Polyäthylenabrieb bei einem retentiven Inlay. Das schon oben beschriebene Notching wurde in unserer Serie in mehr als zwei Dritteln der Fälle gefunden. In der Literatur wird die Notchingrate zwischen 50 und 88 % angegeben.<br /> Eine Arbeit aus dem Jahr 2011 beschreibt einen deutlichen Funktionsverlust 6–7 Jahre nach Implantation, was einerseits durch das zunehmende Alter der Patienten erklärt werden kann, aber andererseits auch durch die Überdehnung bzw. Überlastung des Musculus deltoideus. Hinsichtlich der Lockerungsrate werden in der Literatur zwei Gipfel beschrieben, und zwar nach etwa 3 Jahren sowie nach etwa 6–7 Jahren.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_data_Zeitungen_2016_Jatros_Ortho_1605_Weblinks_Seite23_1.jpg" alt="" width="" height="" /></p> <h2>Revisionsoperation</h2> <p><strong>Glenoidauslockerung:</strong> Hier gilt es, das Knochendefizit durch entsprechenden Aufbau mit autologem Knochen (Beckenspan) zu kompensieren. Die Fixation dieser Knochenblöcke kann in der Regel über Schrauben der Glenoidkomponente erreicht werden.<br /> <br /><strong>Frakturen:</strong> Entsprechend der Frakturlage ist entweder eine Langschaftprothese vonnöten oder die Fraktur kann entsprechend verplattet werden.<br /> <br /><strong>Infektion:</strong> Im Rahmen einer Revisionsoperation bei Infektionen kann es notwendig sein, einen Spacer zu implantieren, den wir dafür intraoperativ anfertigen (Abb. 4).<br /> <br /><strong> Luxation:</strong> Bei Luxation ist es in der Regel notwendig, ein höheres Inlay zu implantieren. Die sogenannten retentiven Inlays haben sich in unseren Händen nicht bewährt und haben meistens zu einem erhöhten Polyäthylenabrieb geführt.</p></p>