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Hüftendoprothetik nach Acetabulumfrakturen

<p class="article-intro">Die endoprothetische Versorgung nach Acetabulumfrakturen – primär oder frühsekundär – gewinnt zunehmend an Bedeutung, die Versorgung muss aber streng individualisiert erfolgen.</p> <hr /> <p class="article-content"><p>Nach wie vor unterscheidet man in der Inzidenz der Beckenring- bzw. Acetabulumfrakturen zwei Altersgipfel: die Fraktur des j&uuml;ngeren Patienten (&uuml;blicherweise Folge eines Hochrasanztraumas) und die Br&uuml;che des &auml;lteren Patienten (oftmals Folge banaler St&uuml;rze). Die unterschiedlichen Verletzungsursachen und patienteneigenen Voraussetzungen f&uuml;hren zu unterschiedlichen Frakturmustern und in der Folge zu differenten Behandlungsstrategien.</p> <h2>Die Acetabulumfraktur des j&uuml;ngeren Patienten</h2> <p>Beim jungen Patienten stellt heutzutage selbstverst&auml;ndlich die offene Einrichtung und Stabilisierung mit Schrauben und Platten den Goldstandard dar. Je nach Erfahrung des Operateurs und in Abh&auml;ngigkeit vom Frakturtyp (und nat&uuml;rlich vom Alter, siehe unten) k&ouml;nnen in 70&ndash;80 % der F&auml;lle gute bis sehr gute Resultate erzielt werden.<br /> Unverschobene Br&uuml;che der H&uuml;ftpfanne und Br&uuml;che au&szlig;erhalb der Hauptbelastungszone k&ouml;nnen problemlos konservativ behandelt werden. In den meisten F&auml;llen unverschobener Br&uuml;che ist eine entlastende Mobilisierung f&uuml;r 6 Wochen ausreichend. Regelm&auml;&szlig;ige r&ouml;ntgenologische Verlaufskontrollen sind unabdingbar, um eine drohende sekund&auml;re Dislokation der Fraktur rechtzeitig erkennen zu k&ouml;nnen.<br /> Eine prim&auml;re endoprothetische Versorgung einer H&uuml;ftgelenksfraktur sollte beim jungen Patienten die absolute Ausnahme sein. Sehr wohl hat die Endoprothetik aber auch beim jungen Patienten beim Auftreten einer posttraumatischen Arthrose einen hohen Stellenwert. Die Arthrose kann fr&uuml;hzeitig, also nach Versagen einer konservativen oder operativen Behandlung, oder sp&auml;t, als posttraumatische Arthrose im eigentlichen Sinne, auftreten.<br /> Bei der prothetischen Versorgung des jungen Patienten sollten nach unserer Ansicht Standardprothesen zur Anwendung kommen, um einen im Lauf des Lebens wahrscheinlichen Folgeeingriff m&ouml;glichst einfach zu gestalten. Dies ist naturgem&auml;&szlig; nur m&ouml;glich, wenn ein ausreichender Anteil der kn&ouml;chernen H&uuml;ftpfanne stabil ist. Ist dies nicht der Fall, muss eine stabilisierende Osteosynthese (&uuml;blicherweise mit Anlagerung von Eigenknochen) mit der Prothese kombiniert werden. In Abh&auml;ngigkeit von der Aufgabenstellung m&uuml;ssen diese Eingriffe ein- oder zweizeitig und eventuell auch &uuml;ber mehrere Zug&auml;nge durchgef&uuml;hrt werden (Abb. 1).<br /> Sollte aufgrund der Frakturmorphologie oder des Knochendefektes die Implantation einer Schraub- oder Pressfit-Pfanne nicht m&ouml;glich sein, kommt auch beim j&uuml;ngeren Patienten eine Revisionsprothese zur Anwendung. Im eigenen Vorgehen bevorzugen wir in diesen F&auml;llen die Anwendung nicht zementierter Pfannensysteme, wiederum, um eine eventuell notwendige Revision zu erleichtern.<br /> Die Sockelpfanne (AQ Solutions, Vertrieb fr&uuml;her &uuml;ber ITS Spectromed) bietet den Vorteil einer zus&auml;tzlichen Verankerungsm&ouml;glichkeit bei relativ schlechter Knochenqualit&auml;t. In der Praxis hat sich jedoch gezeigt, dass die Verankerung des zentralen Befestigungsstiftes je nach anatomischen Gegebenheiten extrem schwierig sein kann.<br /> Die MRS-Pfanne (Fa. Brehm) wird mit einem kleinen Haken im Foramen obturatum verankert und mit verschieden gro&szlig;en Laschen am Ileum verschraubt. Das System bietet den Vorteil, dass eine innere Pfanne im &auml;u&szlig;eren St&uuml;tzring zementfrei verankert werden kann. Mit der inneren Pfanne kann eine Angulation zur &auml;u&szlig;eren Pfanne in 6 verschiedenen Positionen eingestellt werden. Damit kann beispielsweise eine fehlende Antekurvation bei Defekt der Hinterwand ausgeglichen werden. Das Inlay wird ebenfalls zementfrei eingebracht, wobei mit einem asymmetrischen Antiluxationsinlay die Pfanneneingangsebene noch einmal zus&auml;tzlich korrigiert werden kann. Der Einbau des Systems ist &auml;u&szlig;erst komplex, die Unterst&uuml;tzung durch einen firmeneigenen Produktspezialisten ist (zumindest anf&auml;nglich) unabdingbar. Nichtsdestoweniger hat sich das MRS-System als Standard-Revisionspfanne in unserem eigenen Vorgehen etabliert.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2020_Jatros_Ortho_2003_Weblinks_jat_ortho_2003_s23_abb1_thewanger.jpg" alt="" width="475" height="208" /></p> <h2>Die Acetabulumfraktur des &auml;lteren Patienten</h2> <p>Die Inzidenz von Acetabulumfrakturen im h&ouml;heren Lebensalter hat in den letzten 2 Jahrzehnten dramatisch zugenommen, nach einigen Studien hat sich die Zahl sogar verdoppelt. Grund daf&uuml;r ist nicht nur die wachsende &Uuml;beralterung der Bev&ouml;lkerung in der westlichen Welt, sondern auch der zunehmend aktivere Lebensstil der &auml;lteren Semester. Wir haben es also sowohl mit sportlich aktiven &auml;lteren Personen zu tun, die vergleichbare Hochrasanztraumata aufweisen wie j&uuml;ngere, als auch mit geriatrischen Patienten, die schwerste Tr&uuml;mmerfrakturen nach Bagatelltrauma aufgrund schlechter Knochenqualit&auml;t zeigen (&bdquo;fragility fracture&ldquo;). Dementsprechend kann weder eine Altersgrenze genannt werden, ab der ein Patient als geriatrisch zu gelten hat, noch kann eine einheitliche Behandlungsempfehlung abgegeben werden.<br /> Prinzipiell unterscheiden wir bei der Acetabulumfraktur im h&ouml;heren Lebensalter folgende Behandlungsoptionen:</p> <ul> <li>konservativ</li> <li>ORIF</li> <li>prim&auml;re Prothetik</li> <li>sekund&auml;re Prothetik</li> </ul> <p>Zur Entscheidungsfindung m&uuml;ssen die folgenden relevanten Begleitumst&auml;nde herangezogen werden:</p> <ul> <li>patientenbezogene Faktoren: physiologisches Alter, Osteoporose, Komorbidit&auml;t, pr&auml;existente Arthrose, Aktivit&auml;tslevel, mentaler Zustand, evtl. Gerinnungshemmung</li> <li>verletzungsbezogene Faktoren: Verletzungsmechanismus, Frakturcharakteristik, Begleitverletzungen</li> <li>therapiebezogene Faktoren: prim&auml;re Entscheidung, ob operativ oder konservativ, Zeitpunkt und Qualit&auml;t der Versorgung, perioperative Komplikationen.</li> </ul> <p>Die Auswahl der jeweiligen Behandlungsoption unterliegt weiters den folgenden Kriterien: F&uuml;r die konservative Behandlung muss der Patient in der Lage sein, mit Kr&uuml;cken zu gehen. Entgegen einer fr&uuml;her weit verbreiteten Ansicht sollte es heute keinen Grund mehr f&uuml;r eine Extensionsbehandlung geben. Ganz im Gegenteil gilt die Notwendigkeit einer Extension (z. B. Instabilit&auml;t nach Luxation) heute als Operationsindikation. Infrage kommen f&uuml;r die konservative Behandlung unverschobene Br&uuml;che und bestimmte Bruchformen mit sogenannter sekund&auml;rer Kongruenz, wie z. B. die im Alter oft gesehenen Zweipfeilerfrakturen (Abb. 2).<br /> Die Grundz&uuml;ge der konservativen Therapie setzen sich zusammen aus: entlastender Mobilisierung, effizienter Schmerztherapie, ad&auml;quater Physiotherapie und entsprechender Thromboseprophylaxe. Weiters m&uuml;ssen regelm&auml;&szlig;ige R&ouml;ntgenkontrollen durchgef&uuml;hrt werden.<br /> F&uuml;r die offene Einrichtung und Osteosynthese m&uuml;ssen folgende Kriterien erf&uuml;llt sein:</p> <ul> <li>Es muss eine Reposition und Wiederherstellung der Gelenkskongruenz erwartbar sein.</li> <li>Es muss ein relativ einfacher Eingriff &uuml;ber einen Standardzugang durchgef&uuml;hrt werden k&ouml;nnen.</li> <li>Die Operationsdauer sollte nicht mehr als 3&ndash;4 Stunden betragen.</li> <li>Es darf keine offensichtliche Sch&auml;digung des H&uuml;ftkopfes vorliegen.</li> <li>Es muss eine ad&auml;quate Knochenqualit&auml;t vorliegen.</li> </ul> <p>Unter Ber&uuml;cksichtigung der oben genannten Punkte kann mit einem guten Ergebnis der ORIF gerechnet werden. Zu ber&uuml;cksichtigen ist allerdings, dass in der gesamten Literatur bei Patienten &uuml;ber 60 Jahre die Rate anatomischer Rekonstruktionen deutlich schlechter ist als bei j&uuml;ngeren Patienten. Dies wird auf die ver&auml;nderte Frakturcharakteristik des alten Patienten (h&ouml;herer Anteil an Tr&uuml;mmerfrakturen) zur&uuml;ckgef&uuml;hrt (Abb. 3).<br /> Die prim&auml;re Endoprothetik zeigt, insbesondere in Kombination mit gleichzeitig durchgef&uuml;hrten Minimalosteosynthesen, sehr gute Ergebnisse &ndash; sowohl in der Literatur als auch im eigenen Vorgehen. Das zugrunde liegende Operationsprinzip ist hierbei nicht das Anstreben einer anatomischen Reposition, sondern das Herstellen ausreichend stabiler Verh&auml;ltnisse, um eine H&uuml;ftprothese verankern zu k&ouml;nnen. Das bei Jugendlichen genannte Kriterium einer eventuell notwendigen Wechseloperation spielt beim geriatrischen Patienten naturgem&auml;&szlig; keine Rolle. Dementsprechend kommen verschiedene Revisionssysteme zum Einsatz. Im Vordergrund steht die belastungsstabile Verankerung der Pfannenkomponente, sodass eine Mobilisierung mit Vollbelastung unmittelbar postoperativ erfolgen kann.<br /> Um auch langfristig ein gutes Ergebnis zu erzielen, muss auf eine entsprechende kn&ouml;cherne Auflage der Prothese geachtet werden. Als Beispiel m&ouml;ge hier die (im eigenen Vorgehen sehr oft verwendete) Burch-Schneider-Pfanne dienen: Die Pfanne muss massiv mit Eigenspongiosa (&uuml;blicherweise aus dem Femurkopf) unterf&uuml;ttert werden, um ein Durchtreten des Zementes durch die Pfannenl&ouml;cher beim Platzieren des Inlays m&ouml;glichst zu verhindern. Der Zement verhindert n&auml;mlich eine kn&ouml;cherne Integration der Pfanne &ndash; dies f&uuml;hrt &uuml;ber kurz oder lang zum Implantatversagen (Abb. 4).<br /> Wie bei j&uuml;ngeren Patienten kann auch bei &auml;lteren nach dem Versagen einer konservativen oder prim&auml;r operativen Behandlung die sekund&auml;re Endoprothetik zur Anwendung kommen. In diesen F&auml;llen sind die Ergebnisse jedoch schlechter als bei der prim&auml;ren Prothetik. Als Gr&uuml;nde daf&uuml;r werden Ver&auml;nderungen der anatomischen Gegebenheiten und Vernarbungen angegeben (Abb.5). Es hat sich jedoch in den letzten Jahren ein Konzept der zweizeitigen Versorgung etabliert, das von einigen Autoren pr&auml;feriert wird und offensichtlich ebenfalls gute Ergebnisse erwarten l&auml;sst: Prim&auml;r wird eine limitierte osteosynthetische Stabilisierung des Acetabulums ohne Anspruch auf anatomische Reposition durchgef&uuml;hrt, um ein kn&ouml;chernes Widerlager f&uuml;r die sp&auml;tere Endoprothetik herzustellen. Nach kn&ouml;cherner Konsolidierung des Bruches wird dann die Prothetik durchgef&uuml;hrt, wobei zementfreie Standardprothesen verwendet werden k&ouml;nnen.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2020_Jatros_Ortho_2003_Weblinks_jat_ortho_2003_s24_abb2_thewanger.jpg" alt="" width="475" height="192" /></p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2020_Jatros_Ortho_2003_Weblinks_jat_ortho_2003_s24_abb3_thewanger.jpg" alt="" width="475" height="230" /></p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2020_Jatros_Ortho_2003_Weblinks_jat_ortho_2003_s25_abb4+5_thewanger.jpg" alt="" width="850" height="263" /></p> <h2>Zusammenfassung</h2> <p>Beim jungen und auch beim biologisch j&uuml;ngeren Patienten im fortgeschrittenen Lebensalter gelten die offene Reposition und innere Fixation der Acetabulumfraktur als Mittel der Wahl. Ein prothetischer Ersatz sollte hier immer erst sekund&auml;r zur Anwendung kommen.<br /> Beim &auml;lteren Patienten kann die Endoprothetik unter Ber&uuml;cksichtigung verschiedener Kriterien eine geeignete Therapieoption in der Behandlung der Acetabulumfraktur sein. Die Prothetik kann prim&auml;r in Kombination mit Osteosynthese und Spongiosaplastik durchgef&uuml;hrt werden oder sekund&auml;r nach Konsolidieren der Fraktur.</p></p> <p class="article-footer"> <a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a> <div class="collapse" id="collapseLiteratur"> <p>● G&auml;nnslen A et al. (Hrsg.): Acetabular Fractures. Thieme 2017 ● Hanschen M et al.: Management of acetabular fracures in the geriatric patient. SICOT J 2017; 3: 37 ● Pagenkopf E et al.: Acetabular fractures in the elderly: treatment recommendations, HSS J 2006; 2(2): 161&ndash;71 ● Perl M et al.: Acetabulumfraktur &ndash; Prothesenversorgung wann und wie? Wie sind die Resultate? Trauma Berufskrankh 2017; 19: 141-7 ● Perl M, B&uuml;hren V: Prim&auml;re und fr&uuml;h-sekund&auml;re Endoprothetik nach Br&uuml;chen des H&uuml;ftgelenkes. Trauma Berufskrankh 2018; 20: 38-40 ● Rommens PM: Stellenwert der Endoprothetik nach Acetabulumfraktur. Trauma Berufskrankh 2017; 19 (Suppl 2): S184-91 ● Tidermark J et al.: Primary total hip arthroplasty with a Burch-Schneider antiprotrusion cage and autologous bone grafting for acetabular fractures in elderly patients. J Orthop Trauma 2003; 17(3): 193-7 ● Wollmerst&auml;dt J et al.: Mortality, complications and long-term functional outcome in elderly patients with fragility fractures of the acetabulum. BMC Geriatrics 2020; 20: 66</p> </div> </p>
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