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Grundprinzipien der Plattenosteosynthese bei periprothetischen Frakturen
Leading Opinions
Autor:
Prof. Dr. med. Ralph Zettl
Chefarzt Orthopädie und Traumatologie<br> Kantonsspital Frauenfeld<br> E-Mail: ralph.zettl@stgag.ch
30
Min. Lesezeit
22.11.2018
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<p class="article-intro">Die Versorgung periprothetischer Frakturen bedeutet in den meisten Fällen eine operative Therapie, vom Prothesenwechsel bis zur osteosynthetischen Rekonstruktion bei Prothesenerhalt. Bei gesichert fest verankerten Implantaten bieten moderne winkelstabile Plattensysteme in Kombination mit minimal invasiven Operationstechniken eine sichere Versorgungsmöglichkeit für diese anspruchsvolle Verletzung beim meist hochbetagten Patienten.</p>
<p class="article-content"><div id="keypoints"> <h2>Keypoints</h2> <ul> <li>Fast alle periprothetischen Frakturen können mit den neuen winkelstabilen polyaxialen Plattensystemen versorgt werden.</li> <li>Sie überzeugen durch niedrigere Komplikationsraten und erlauben frühzeitige Mobilität durch gute biomechanische Stabilität.</li> <li>Ein entscheidender Vorteil ist zusätzlich die moderne minimal invasive Operationstechnik, durch die Implantatversagen und Pseudarthrosen entscheidend reduziert werden können.</li> </ul> </div> <h2>Inzidenz und Ursache</h2> <p>Aufgrund der demografischen Entwicklung, der Verbesserungen der Endoprothesen und deren Implantationstechnik sowie auch infolge von Entwicklungen in Gesundheitssystemen weltweit, ist mit einer ansteigenden Zahl an Primärimplantationen, Wechseloperationen und damit auch von periprothetischen Frakturen zu rechnen. Die Ursache hierfür kann bereits intraoperativ entstehen und steigt exponentiell nach Wechseloperationen bzw. Revisionen. Zumeist ist sie Folge eines banalen Stolpersturzes des älteren Menschen. Neben der Osteoporose, der Revisionsoperation und verschiedensten internistischen Komorbiditäten stellt die unzementierte Fixation der Prothesenkomponenten einen Risikofaktor für die Entstehung einer periprothetischen Fraktur dar.</p> <h2>Klinik, Diagnostik und Klassifikation</h2> <p>Grundsätzlich muss bei Functio laesa nach einem Sturz bei liegender Totalendoprothese eine periprothetische Fraktur ausgeschlossen werden. Bei steigenden Implantationszahlen muss auch zunehmend mit interprothetischen Frakturen bei gleichzeitig einliegender Knie- und Hüftendoprothese gerechnet werden. Die obligatorische konventionelle Röntgenaufnahme in 2 Ebenen sollte damit auch immer die angrenzenden Gelenke abbilden. Obwohl die operative Strategie und die damit verbundenen Klassifikationen grundsätzlich die Abklärung beinhalten, ob eine Prothese fest oder locker ist, muss die konventionelle Diagnostik teilweise um eine CT-Untersuchung erweitert werden. Vorgängig sind anamnestische Angaben zum Mobilitätsgrad des Patienten, zu Schmerzen im Prothesenbereich, Infekten in der Vergangenheit und allgemeine Angaben zur Vorgeschichte zu erheben. Sehr hilfreich sind Voraufnahmen, wenn erhältlich, und die Operationsberichte der Primärimplantation. Da es sich bei der periprothetischen Femurfraktur um einen Notfall handelt, der im Allgemeinen innerhalb von 24–48 Stunden versorgt werden sollte, sind weiterführende Untersuchungen wie Punktion zur Bakteriologiegewinnung, SPECT-CT, Szintigrafie oder MRI wenig hilfreich. Die Weichteilsituation ist bei dieser Frakturform meist wenig kritisch. Offene Frakturen sind sehr selten und werden in aktuellen klinischen Studien nicht beschrieben.<br /> Die gebräuchlichsten Klassifikationen sind die Vancouver-Klassifikation bei liegender Hüfttotalendoprothese und die Klassifikation nach Lewis und Rorabeck bei Knietotalendoprothese. Sie sind einfach anwendbar und gut reproduzierbar. Beiden Klassifikationen ist gemeinsam, dass sie zwischen fest integrierter und lockerer Prothese unterscheiden. Ein weiteres Merkmal der meisten Klassifikationen ist, dass weder der Prothesentyp (Primärimplantat versus Revisionsimplantat) noch die Fixationstechnik (zementiert versus unzementiert) und auch nicht die Frakturmorphologie (Zweifragmentfraktur versus Mehrfragmentfraktur) berücksichtigt werden. Dies hat jedoch für die therapeutische Strategie eine wichtige Konsequenz. Zumindest die Frakturmorphologie hat bei unserer Versorgungstrategie einen wesentlichen Einfluss auf den Zugangsweg. Aus diesem Grund kombinieren wir zusätzlich die AO-Klassifikation, um eine direkte Versorgungsstrategie ableiten zu können.</p> <h2>Implantate</h2> <p>Der Fixationstechnik und dem Prothesendesign kann durch eine einheitliche Implantatwahl Rechnung getragen werden. Wir verwenden ausschliesslich polyaxiale, winkelstabile Plattensysteme. Der Nutzen der Winkelstabilität im osteoporotischen Knochen ist bei der Frakturversorgung unbestritten und wurde in der letzten Dekade in Studien gerade bei den periprothetischen Frakturen mit guter Datenlage untermauert. Unverändert geht aber die Diskussion hinsichtlich der Vor- und Nachteile von retrograden Nägeln weiter. Ein aktueller Review zur distalen Femurfraktur bei liegender Knieprothese zeigte die winkelstabile Platte und den intramedullären Nagel als häufigste Implantate für die Versorgung dieser Frakturen. 448 Frakturen wurden analysiert, wobei die Rorabeck-Typ-II-Fraktur am häufigsten auftrat. Beide Implantate hatten gute und fast identische Heilungsraten mit 87 % (Platte) und 84 % (Nagel). Die Komplikations- und damit auch die Revisionsrate lag aber beim Nagel bei 53 % und war signifikant höher als bei der Platte mit 35 % .<br /> Ein weiterer Vorteil der Platte ist, dass damit eine Strategie «one implant fits all» betrieben werden kann. Möglichst viele Mitarbeiter sind an einem System eingearbeitet, mit dem man alle Frakturen versorgen kann. Damit entfällt die Klärung der Frage, ob das Prothesendesign überhaupt eine Versorgung mittels retrograder Nagelung zulässt. Zusätzlich erscheint dies auch betriebswirtschaftlich sinnvoll, da nicht verschiedene Systeme angeschafft und vorgehalten werden müssen. Monokortikale Schrauben haben in biomechanischen Studien nicht überzeugen können, sodass die neueste Generation polyaxialer winkelstabiler Systeme am geeignetsten erscheint. Dies konnte auch in klinischen Studien ausreichend belegt werden. Mit polyaxialen Schrauben können auch bei liegenden Revisionsschäften bikortikale Fixierungen erreicht werden, sodass meist mit 4 Schrauben pro Fragment (zumindest in der Diaphyse) eine stabile Situation resultiert. Unterstützend gibt es verschiedene Schraubendicken und speziell gehärtete und geschärfte Instrumente, die das Durchbohren des Zementmantels ermöglichen, ohne ihn zu sprengen.</p> <h2>Therapie</h2> <p>Die Vorteile minimal invasiver Operationstechniken liegen insbesondere bei der Versorgung periprothetischer Frakturen auf der Hand. Zumeist liegt schon eine gestörte Biologie am Knochen vor, durch vorbestehende Osteoporose, zementierte Endoprothesen wie auch durch die Voroperation per se. Der osteoporotische Knochen hat zwar dieselbe Heilungspotenz, nach Daten aus klinischen Studien benötigt er aber sehr viel mehr Zeit für die Konsolidierung. Obwohl damit sämtliche Argumente für eine minimal invasive Versorgung sprechen, ist der offene Zugang nach wie vor Standard. Daten aus klinischen Studien zeigen Revisionsraten bei periprothetischer Frakturversorgung mit winkelstabilen Platten und offener Operationstechnik zwischen 7 und 29 % , während bei identischen Implantaten mit minimal invasiven Techniken die Revisionsraten nur bei 0–13 % liegen.<br /> Wir empfehlen die Versorgung einer periprothetischen Fraktur zwar zeitnah, aber nicht zwingend sofort oder noch nachts. Ideal hat sich die optimale Vorbereitung des Patienten auf die OP unter bestmöglichen Bedingungen und mit dem am besten qualifizierten Operationsteam bewährt. Anästhesiologische, internistische und geriatrische OP-Vorbereitung zur Optimierung des Patientenzustands sind hilfreich zur Verbesserung des Outcomes. Da insbesondere bei Wechseloperationen auch Implantate und Instrumente bestellt werden müssen, tolerieren wir hier ein Zeitintervall von 24 bis zu 48 Stunden. In jedem Fall sollten neben der osteosynthetischen Rekonstruktion auch immer das komplette Know-how sowie die Logistik für eine Wechseloperation vorliegen.<br /> Grundsätzlich wird jede Operation so wenig invasiv wie möglich geplant. Wir unterscheiden dabei 2 Strategien, die wir anhand der AO-Klassifikation festlegen. Liegt bei fest integrierter Prothese eine 2-Fragment-Fraktur vor, idealerweise in Form einer Spiralfraktur, so wird ein Mini- open-Zugang gewählt. Dabei werden über möglichst kleine Inzisionen sowohl die Platten eingeschoben als auch die Schrauben eingebracht. Im ersten Schritt wird dabei aber eine offene Reposition mit einem möglichst geringen Weichteiltrauma durchgeführt, anatomisch reponiert und z.B. mit einer Cerclage fixiert. Der Vorteil ist, dass damit in aller Regel Länge, Achse und Rotation anatomisch rekonstruiert sind. Der Nachteil liegt natürlich darin, dass die Fraktur eröffnet wird und damit die Biologie nicht komplett respektiert werden kann.<br /> Liegt nach AO-Klassifikation eine Mehrfragment- oder Trümmerfraktur vor, wird immer ein komplett minimal invasives Vorgehen gewählt. Dabei bleibt die Frakturregion unberührt (Abb. 1–4). Cerclagen oder Zugschrauben haben in der Trümmerregion in der Regel keinerlei Wert, führen aber zu einer zusätzlichen Störung der Biologie und damit der Frakturheilung. Bei beiden Strategien wird keinerlei Kompromiss hinsichtlich der anatomischen Reposition wie auch der Stabilität der Osteosynthese eingegangen. Ein nicht zu vernachlässigender Nachteil der minimal invasiven Operationstechnik ist die erhöhte Strahlenbelastung, insbesondere für das Personal, da viele Operationsschritte unter dem Bildverstärker kontrolliert durchgeführt werden müssen.<br /> Sämtliche Operationsschritte sind standardisiert und werden in einer festgelegten Reihenfolge abgearbeitet. Der Eingriff wird in unserer Abteilung standardisiert in Rückenlage durchgeführt. In Ausnahmefällen verwenden wir den Extensionstisch, im Regelfall genügt ein Traumatisch, der eine ausreichende Durchleuchtungsmöglichkeit bietet. Ist die Klassifikation festgelegt und die Entscheidung über den operativen Zugang getroffen, wird primär das einzusetzende Implantat ausgewählt. Es liegen anatomisch konfigurierte Platten sowohl für das proximale als auch für das distale Femur vor. Bei der Entscheidung müssen sowohl die Frakturhöhe, insbesondere die Frakturmorphologie, als auch die einliegenden Implantate berücksichtigt werden.<br /> Mittlerweile liegen auch immer häufiger interprothetische Frakturen vor, bei denen sowohl eine Hüft- als auch eine Knieendoprothese einliegt. In der Regel ist hier die Frakturmorphologie ausschlaggebend, um zu entscheiden, ob die Fraktur von proximal oder von distal angegangen werden kann.<br /> Die primäre Inzision liegt bei der Miniopen- Technik bei etwa 4–5cm. Durch einen Subvastus-Zugang wird der Muskel angehoben, um dann mit einem entsprechend scharfen und starren Cerclageführungsinstrument mit unterschiedlichen Durchmessern möglichst wenig invasiv die Cerclage zu platzieren. Durch axialen Längszug, Ausgleich der Rotation und direkte wie indirekte Manipulation sollte eine anatomische Reposition erzeugt werden, die dann durch Anziehen der Cerclage entsprechend fixiert werden kann. Im nächsten Schritt wird von distal oder proximal die Platte über einen ähnlich grossen Zugang eingeschoben. Auch hier wird streng ein Subvastus-Zugang gewählt. Die Platten werden passager proximal und distal mit Kirschnerdrähten fixiert und dann erneut das Repositionsergebnis sowie die Implantatlage überprüft. Hierzu muss in beiden Ebenen eine adäquate Durchleuchtung möglich sein.<br /> Bestehen Zweifel hinsichtlich der korrekten Achse, muss eine entsprechende intraoperative Bildgebung zur Achsbestimmung der gesamten Extremität durchgeführt werden. Dies wird in unserer Abteilung mittels der Kabelmethode praktiziert. Dies bedeutet, dass die Extremität von Hüftgelenk bis Sprunggelenk komplett im ap-Strahlengang durchleuchtbar sein muss.<br /> Im Unterschied zu monoaxialen Platten- und Schraubensystemen ist bei polyaxialen Systemen die erste Schraube entscheidend. Sie muss immer diaphysär verankert werden und dient in erster Linie als Zugschraube, die die Platte an den Knochen herandrücken kann und damit zusätzlich eine indirekte Reposition zulässt. Nach Anziehen wird diese winkelstabil verriegelt und im Anschluss das metaphysäre bzw. implantattragende Fragment fixiert. Im nächsten Schritt wird erneut die Achse und Rotation überprüft, da im Anschluss keinerlei Veränderungen der Reposition mehr möglich sind. Grundsätzlich werden 4 bikortikale Schrauben im diaphysären Fragment verankert. Im Bereich des Implantates gilt die Devise, so viele Schrauben wie möglich zu verankern. Letztlich werden alle Schrauben winkelstabil verriegelt.<br /> Handelt es sich bei der vorliegenden Fraktur um eine Trümmerfraktur, wird auf die Platzierung und anatomische Reposition durch Cerclagen verzichtet. Die Frakturregion bleibt unberührt (Abb. 1). Die Reposition erfolgt ausschliesslich über axialen Längszug, Ausrichten der Rotation und dann indirekte Reposition an der Platte. Damit kann auf eine zusätzliche Inzision verzichtet werden. Der erste Schritt ist das Schaffen eines Zugangsweges über 4–5cm zum Einführen der Platte (Abb. 2, 3). Nach anatomischer Reposition der Platte wird diese passager mit einem Kirschnerdraht fixiert. Es erfolgt die erneute Kontrolle der Länge und Rotation sowie die Fixierung mit einem zweiten Kirschnerdraht. Die erste Schraube hier ist wieder diaphysär zu verankern und dient dazu, die Platte an den Knochen heranzudrücken. Die zweite Schraube im metaphysären Bereich kann wiederum als Zugschraube die indirekte Reposition komplettieren. Beide Schrauben werden im Anschluss winkelstabil verriegelt und dann erneut die Reposition und Implantatlage radiologisch wie klinisch kontrolliert (Abb. 4).</p> <p>Es erfolgt eine Abschlussdokumentation unter dem Bildverstärker in 2 Ebenen. Es sollte ein lockerer Wattekompressionsverband angelegt werden. Infolge der minimal invasiven Zugänge, meist nur Stichinzisionen, erfolgt die Blutstillung durch Kompression. Auf die zusätzliche Ruhigstellung in einer Schiene oder in Gipsverbänden kann in jedem Fall verzichtet werden.</p> <h2>Postoperative Nachbehandlung</h2> <p>Winkelstabile Plattensysteme sind grundsätzlich zumindest für eine Teilbelastung freizugeben. Da in diesem Patientenkollektiv eine Teilbelastung oder Entlastung häufig nicht möglich ist, muss für sehr adipöse Patienten, die eine Teilbelastung nicht umsetzen können, die ersten 6 Wochen ein Bett-/Stuhltransfer ermöglicht werden. Die physiotherapeutische Beübung erfolgt am Bock oder im Gehwagen. Unabhängig von Körpergewicht und Compliance kann nach 6 Wochen bei allen Patienten die Vollbelastung freigegeben werden. Die radiologische Konsolidierung der Fraktur ist zu diesem Zeitpunkt in aller Regel noch nicht nachweisbar, sollte aber nicht zu längeren Entlastungen führen, da die radiologische Diagnostik der klinischen Knochenheilung meistens hinterherhinkt.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2018_Leading Opinions_Ortho_1804_Weblinks_lo_ortho_1804_s15_abb1+2.jpg" alt="" width="1417" height="1900" /></p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2018_Leading Opinions_Ortho_1804_Weblinks_lo_ortho_1804_s16_abb3+4.jpg" alt="" width="2152" height="2071" /></p></p>
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