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Anteriore Schulterinstabilität

Gibt es noch einen Platz für die arthroskopische Bankart-Operation?

<p class="article-intro">Durch die Verbreitung der arthroskopischen Techniken hat die Versorgung der traumatischen Schulterinstabilität in den letzten Jahren einen deutlichen Wandel erfahren. In Abhängigkeit von der vorliegenden Gewebequalität und knöchernen Defektsituation sowie der individuellen Belastung und dem Anspruch des Patienten gilt es, individuell zu therapieren. Der Trend zur Latarjet-Versorgung lässt anatomische Labrum-Kapsel-Rekonstruktionen in einem neuen Licht erscheinen und bedarf einer kritischen Auseinandersetzung, auch bezüglich der eventuellen Komplikationen und Möglichkeiten im Revisionsfall. Die Entscheidung zu einer entsprechenden Operationstechnik mit erfolgreichem Ergebnis für den Patienten erfordert spezialisiertes Können und Wissen um die unterschiedlichen Verfahren und sollte nach klaren Kriterien erfolgen. </p> <hr /> <p class="article-content"><p>Die traumatische anteriore Schulterinstabilit&auml;t ist mit 5&ndash;8 % eine h&auml;ufige Verletzung des menschlichen K&ouml;rpers und die h&auml;ufigste Verrenkung aller Gelenke.<sup>1</sup> Sie weist eine Inzidenz von ca. 8,3&ndash;23,1/100 000<sup>2, 3</sup> auf und betrifft vor allem die j&uuml;ngere Bev&ouml;lkerung. Bei dieser h&auml;ufigsten Schulterinstabilit&auml;t gibt es viele unterschiedliche Einteilungen. F&uuml;r die Autoren scheint der ISIS-Score eine gute Leitlinie zur klinischen und radiologischen Beurteilung der initialen Situation zu geben (Tab. 1). Die harte Trennlinie von Bankart-Repair versus Latarjet scheint die Thematik aber zu stark zu vereinfachen und ist daher nicht ausreichend. Aus heutiger Sicht sollte eher eine pathologiebezogene Einsch&auml;tzung der Prognose in Abh&auml;ngigkeit des funktionellen Anspruches des Patienten erfolgen.<br /> Die Indikation zum operativen Vorgehen liegt in einer Notwendigkeit zur Stabilisation bei vorliegender Instabilit&auml;t oder Rezidivinstabilit&auml;t bei fehlgeschlagener konservativer Prim&auml;rbehandlung. Die H&auml;ufigkeit einer erneuten Luxation liegt bei 19 % im ersten Jahr und trifft zu 73 % M&auml;nner und 42 % Patienten unter 20 Jahren.<sup>3</sup> Auch ist eine progrediente Arthroseentstehung bei jedem neuerlichen Rezidiv bekannt.<sup>4</sup> Zudem konnten Studien zeigen, dass die Rezidivrate mit der Anzahl der Luxationen zunimmt.<sup>5, 6</sup> Somit rechtfertigt sich die Indikation zum operativen Vorgehen bei einer erneuten Luxation. <br />Die Wahl des Operationsverfahrens ist aber derzeit in Diskussion und entzweit die Lager in einerseits Rekonstruktion der entstandenen L&auml;sion (Kapsel-Labrum-Abriss, einhakende/&laquo;engaging&raquo; Hill-Sachs-Delle) und andererseits Stabilisierung durch einen Knochenblock oder Korakoidtransfer. Die Wahl sollte jedenfalls die Evaluation folgender Parameter beinhalten:</p> <ul> <li>Welche Strukturen sind verletzt: Labrum, humerale und glenoidale Kapselinsertion (HAGL), Knochen?</li> <li>Wie gross ist der vorhandene kn&ouml;cherne Defekt? Liegt ein Einhaken einer Hill-Sachs-Delle vor? (Abb. 1)</li> <li>Wie gross ist der Anspruch des Patienten zu &Uuml;berkopft&auml;tigkeiten und risikoreichen Sportarten?</li> <li>Gibt es Gewebeeinschr&auml;nkung: Hyperlaxizit&auml;t, Bindegewebsst&ouml;rungen, Anzahl der Luxationen?</li> <li>Wie alt ist der Patient?</li> <li>Seitendominanz?</li> </ul> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2016_Leading Opinions_Ortho_1604_Weblinks_s16.jpg" alt="Abb1_Tab1" width="2138" height="866" /></p> <h2>OP-Techniken</h2> <p>An operativen Techniken sind der anatomische sogenannte Bankart-Repair und Knochenblocktechniken am meisten verbreitet. Bei der anatomischen Bankart-OP wird das eingerissene anteroinferiore Labrum mittels Fadenankern am Glenoid refixiert und meist mit einem Kapselshift versehen (Abb. 2 und 3). An Knochenblocktechniken gibt es den anterioren Knochenspan (autolog vom Beckenkamm oder als Allograft) oder den Korakoidtransfer an das anteriore Glenoid (Latarjet- oder Bristow-Operation). <br /> Im angels&auml;chsischen Raum ist der Bankart-Repair prim&auml;r und auch als Revisionsoperation verbreitet, wobei auch dort die Tendenz zu Knochenblocktechniken bei oss&auml;rem Defekt zunimmt. In Europa wird bei Knochenverlust &auml;hnlich den in Abbildung 4 genannten Kriterien die Operation indiziert. Ausgangspunkt ist jedenfalls der oss&auml;re Defekt, um gegebenenfalls eine Knochenblocktechnik - Latarjet, Bristow, anteriorer Knochenblock (J-Span, verschraubter anteriorer Knochenblock) - zu w&auml;hlen.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2016_Leading Opinions_Ortho_1604_Weblinks_s17.jpg" alt="" width="2149" height="660" /></p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2016_Leading Opinions_Ortho_1604_Weblinks_s18_2.jpg" alt="Abb4" width="2150" height="1482" /></p> <p>In den letzten Jahren wurde die Diskussion der Indikationsstellung bei anteriorer Schulterinstabilit&auml;t nochmals intensiviert. Dies vor allem aufgrund der hohen Reluxationsraten nach Bankart-Repair 2&ndash;5 Jahre postoperativ.<sup>7</sup> Es gibt diverse Studien, die sich mit dem Thema der Ursache dieser hohen Reluxationsrate besch&auml;ftigen. Hierbei haben sich folgende Punkte herauskristallisiert, die eine Tendenz zu einer zu grossz&uuml;gigen Indikationsstellung eines Bankart-Repairs zeigen:<sup>8</sup></p> <ul> <li>Eine HAGL(&laquo;humeral avulsion of glenohumeral ligaments&raquo;)-L&auml;sion wurde &uuml;bersehen.<sup>9</sup></li> <li>Ein glenoidaler und/oder humeraler Knochenverlust wurde nicht addressiert.<sup>7&ndash;10</sup></li> <li>Die Gewebequalit&auml;t war zu gering, entweder intrinsisch (Hyperlaxizit&auml;t, Kollagenose) oder durch rezidivierende Luxationen.<sup>7</sup></li> </ul> <p>Zunehmend wird deswegen nun auch bei Patienten ohne Knochenverlust ein Korakoidtransfer oder Knochenblock propagiert. Die Argumente der Bef&uuml;rworter einer Knochenblocktechnik sind wie folgt:</p> <ul> <li>geringere Reluxationsrate<sup>11&ndash;14</sup></li> <li>bessere Aussenrotation<sup>15</sup></li> <li>h&ouml;here biomechanische Belastbarkeit der Schulter<sup>16</sup></li> </ul> <p>Gibt es bei diesen schlagenden Argumenten noch einen Platz f&uuml;r die anatomische Bankart-Operation im Sinne einer Labrumrefixation? Die oben genannten Knochenblockoperationen haben trotz der starken Pros betr&auml;chtliche Risiken:<sup>17, 18</sup></p> <ul> <li>Nervensch&auml;digungen des N. axillaris</li> <li>extraanatomischer Charakter der Rekonstruktion</li> <li>Graft-Positionierung und -resorption</li> <li>technisch anspruchsvolle Prim&auml;r- und Revisionsoperationen</li> </ul> <h2>Nervensch&auml;digungen (N. axillaris, N. musculocutaneus)</h2> <p>Eine interessante Arbeit der Gruppe um Delaney und Warner, Boston, USA, zeigte eine Rate an klinisch relevanten Nervensch&auml;digungen der Nervi axillaris und musculocutaneus bei 20 % der F&auml;lle, wobei in 75 % der F&auml;lle das Neuromonitoring eine Nervenaffektion zeigte.<sup>19</sup></p> <h2>Extraanatomische Rekonstruktion</h2> <p>Bei der Bristow- und Latarjet-Operation wird das Korakoid inklusive der daran befestigten &laquo;conjoint tendon&raquo; (kurze Bizepssehne und Coracobrachialis) &uuml;ber einen Subscapularis-Split am Glenoid befestigt. Hierbei wird die Anatomie substanziell und dauerhaft ver&auml;ndert. Wie auch bei den anderen Knochenblocktechniken kann es zu einer Reizung der Subscapularis-Sehne durch Schraubenmaterial oder durch den Knochenblock selbst kommen.</p> <h2>Graftpositionierung und -resorption</h2> <p>Ein wichtiger Punkt der Knochenblocktechniken ist die Graftpositionierung: Soll die Konvexit&auml;t des Glenoids rekonstruiert werden oder soll das Graft in einer Linie mit dem Glenoid positioniert werden? Einig sind sich die Autoren bez&uuml;glich der Gefahr einer zu lateralen Lage des Grafts und damit des erh&ouml;hten Kontaktdruckes mit dem Humeruskopf mit fr&uuml;hzeitiger Arthroseentstehung. Neben einer eventuellen Pseudarthrosenbildung kann es in bis zu 90 % der F&auml;lle im Zeitraum von 12 Monaten postoperativ zu einer superioren Graftresorption kommen.<sup>20</sup> Dadurch k&ouml;nnen die eventuell eingebrachten Metallschraubenk&ouml;pfe freigelegt werden, was bei Kontakt zu einer progredienten Knorpel- und Knochenarrosion des Humeruskopfes und damit zu einer rapid voranschreitenden Omarthrose f&uuml;hren kann.</p> <h2>Technisch anspruchsvolle Prim&auml;r- und Revisionsoperationen<sup>21</sup></h2> <p>Die Prim&auml;roperationen sind im Vergleich zu einem Bankart-Repair technisch deutlich anspruchsvoller. <br /> Durch den oben genannten extraanatomischen Charakter wird eine eventuelle Revisionsoperation bei Reluxation, Graftresorption und Schraubenextrusion technisch auch komplexer. Bei einer Latarjet-Revision muss die &laquo;conjoint tendon&raquo; ber&uuml;cksichtigt werden. Zudem ist bei der Revision meist autologer Beckenkammspan zur oss&auml;ren Augmentation vonn&ouml;ten. <br />Somit muss eine Abw&auml;gung des h&ouml;heren Komplikationsrisikos und der nachhaltigen Ver&auml;nderung der Anatomie mit dem h&ouml;heren Reluxationsrisiko des Bankart-Repairs individuell (siehe oben) erfolgen. Zur Beurteilung der individuellen Situation siehe Tabelle 2.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2016_Leading Opinions_Ortho_1604_Weblinks_s18_1.jpg" alt="Tab2" width="1417" height="792" /></p> <p>Aufgrund dessen empfehlen die Autoren, dass als prim&auml;re Operation bei Vorliegen folgender individueller Faktoren weiterhin ein Bankart-Repair durchgef&uuml;hrt wird:</p> <ul> <li>kein oder nur geringer (&lt;5 % ) Knochenverlust glenoidal</li> <li>frische L&auml;sion bei erster Reluxation (dieser Punkt ist optional: eine frische L&auml;sion ist mit einem besseren Outcome vergesellschaftet)</li> <li>gute Gewebequalit&auml;t</li> <li>kein Risikosportler (&Uuml;berkopf, Kontakt)</li> <li>adominanter Arm</li> <li>bei Hill-Sachs-Delle ohne glenoidalen Knochenverlust: gegebenenfalls additiv Remplissage</li> </ul></p> <p class="article-footer"> <a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a> <div class="collapse" id="collapseLiteratur"> <p><sup>1</sup> Steinbruck K: Sportverletz Sportschaden 1999; 13(2): 38-52 <sup>2</sup> Hovelius L: Clin Orthop Relat Res 1982; (166): 127-31 <sup>3</sup> Leroux T et al: Am J Sports Med 2014; 42(2): 442-50 <sup>4</sup> Cameron ML et al: Am J Sports Med 2003; 31(1): 53-5 <sup>5</sup> Gerometta A et al: Knee Surg Sports Traumatol Arthrosc 2016; 24(6): 1877-83 <sup>6</sup> Imhoff AB et al: Am J Sports Med 2010; 38(9): 1795-1803 <sup>7</sup> Boileau P et al: J Bone Joint Surg Am 2006; 88(8): 1755-63 <sup>8</sup> Randelli P et al: Knee Surg Sports Traumatol Arthrosc 2012; 20(11): 2129-38 <sup>9</sup> Tauber M et al: J Shoulder Elbow Surg 2004; 13(3): 279-85 <sup>10</sup> Sommaire C et al: Orthop Traumatol Surg Res 2012; 98(5): 514-9 <sup>11</sup> Burkhart SS et al: Arthroscopy 2007; 23(10): 1033-41 <sup>12</sup> Dumont GD et al: Am J Sports Med 2014; 42(11): 2560-6 <sup>13</sup> Hovelius L et al: J Shoulder Elbow Surg 2012; 21(5): 647-60 <sup>14</sup> Longo UG et al: Arthroscopy 2014; 30(9): 1184-211 <sup>15</sup> An VV et al: J Shoulder Elbow Surg 2016; 25(5): 853-63 <sup>16</sup> Yamamoto N et al: J Bone Joint Surg Am 2013; 95(15): 1390-7 <sup>17</sup> Athwal GS et al: Arthroscopy 2016; 32(10): 1965-70 <sup>18</sup> Shah AA et al: J Bone Joint Surg Am 2012; 94(6): 495-501 <sup>19</sup> Delaney RA et al: J Shoulder Elbow Surg 2014; 23(10): 1473-80 <sup>20</sup> Zhu YM et al: J Shoulder Elbow Surg 2015; 24(11): 1782-8 <sup>21</sup> Gupta A et al: Curr Rev Musculoskelet Med 2015; 8(1): 59-66</p> </div> </p>
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