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Gibt es noch einen Platz für die arthroskopische Bankart-Operation?
Leading Opinions
Autor:
Dr. Rolf Michael Krifter
KH Oberndorf/ Salzburg, Akademisches Lehrkrankenhaus der Paracelsus Universität Salzburg
Autor:
PD Dr. med. Claudio Rosso, MSc
ARTHRO Medics, shoulder and elbow center, Basel Universität Basel E-Mail: c.rosso@arthro.ch
30
Min. Lesezeit
24.11.2016
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<p class="article-intro">Durch die Verbreitung der arthroskopischen Techniken hat die Versorgung der traumatischen Schulterinstabilität in den letzten Jahren einen deutlichen Wandel erfahren. In Abhängigkeit von der vorliegenden Gewebequalität und knöchernen Defektsituation sowie der individuellen Belastung und dem Anspruch des Patienten gilt es, individuell zu therapieren. Der Trend zur Latarjet-Versorgung lässt anatomische Labrum-Kapsel-Rekonstruktionen in einem neuen Licht erscheinen und bedarf einer kritischen Auseinandersetzung, auch bezüglich der eventuellen Komplikationen und Möglichkeiten im Revisionsfall. Die Entscheidung zu einer entsprechenden Operationstechnik mit erfolgreichem Ergebnis für den Patienten erfordert spezialisiertes Können und Wissen um die unterschiedlichen Verfahren und sollte nach klaren Kriterien erfolgen. </p>
<hr />
<p class="article-content"><p>Die traumatische anteriore Schulterinstabilität ist mit 5–8 % eine häufige Verletzung des menschlichen Körpers und die häufigste Verrenkung aller Gelenke.<sup>1</sup> Sie weist eine Inzidenz von ca. 8,3–23,1/100 000<sup>2, 3</sup> auf und betrifft vor allem die jüngere Bevölkerung. Bei dieser häufigsten Schulterinstabilität gibt es viele unterschiedliche Einteilungen. Für die Autoren scheint der ISIS-Score eine gute Leitlinie zur klinischen und radiologischen Beurteilung der initialen Situation zu geben (Tab. 1). Die harte Trennlinie von Bankart-Repair versus Latarjet scheint die Thematik aber zu stark zu vereinfachen und ist daher nicht ausreichend. Aus heutiger Sicht sollte eher eine pathologiebezogene Einschätzung der Prognose in Abhängigkeit des funktionellen Anspruches des Patienten erfolgen.<br /> Die Indikation zum operativen Vorgehen liegt in einer Notwendigkeit zur Stabilisation bei vorliegender Instabilität oder Rezidivinstabilität bei fehlgeschlagener konservativer Primärbehandlung. Die Häufigkeit einer erneuten Luxation liegt bei 19 % im ersten Jahr und trifft zu 73 % Männer und 42 % Patienten unter 20 Jahren.<sup>3</sup> Auch ist eine progrediente Arthroseentstehung bei jedem neuerlichen Rezidiv bekannt.<sup>4</sup> Zudem konnten Studien zeigen, dass die Rezidivrate mit der Anzahl der Luxationen zunimmt.<sup>5, 6</sup> Somit rechtfertigt sich die Indikation zum operativen Vorgehen bei einer erneuten Luxation. <br />Die Wahl des Operationsverfahrens ist aber derzeit in Diskussion und entzweit die Lager in einerseits Rekonstruktion der entstandenen Läsion (Kapsel-Labrum-Abriss, einhakende/«engaging» Hill-Sachs-Delle) und andererseits Stabilisierung durch einen Knochenblock oder Korakoidtransfer. Die Wahl sollte jedenfalls die Evaluation folgender Parameter beinhalten:</p> <ul> <li>Welche Strukturen sind verletzt: Labrum, humerale und glenoidale Kapselinsertion (HAGL), Knochen?</li> <li>Wie gross ist der vorhandene knöcherne Defekt? Liegt ein Einhaken einer Hill-Sachs-Delle vor? (Abb. 1)</li> <li>Wie gross ist der Anspruch des Patienten zu Überkopftätigkeiten und risikoreichen Sportarten?</li> <li>Gibt es Gewebeeinschränkung: Hyperlaxizität, Bindegewebsstörungen, Anzahl der Luxationen?</li> <li>Wie alt ist der Patient?</li> <li>Seitendominanz?</li> </ul> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2016_Leading Opinions_Ortho_1604_Weblinks_s16.jpg" alt="Abb1_Tab1" width="2138" height="866" /></p> <h2>OP-Techniken</h2> <p>An operativen Techniken sind der anatomische sogenannte Bankart-Repair und Knochenblocktechniken am meisten verbreitet. Bei der anatomischen Bankart-OP wird das eingerissene anteroinferiore Labrum mittels Fadenankern am Glenoid refixiert und meist mit einem Kapselshift versehen (Abb. 2 und 3). An Knochenblocktechniken gibt es den anterioren Knochenspan (autolog vom Beckenkamm oder als Allograft) oder den Korakoidtransfer an das anteriore Glenoid (Latarjet- oder Bristow-Operation). <br /> Im angelsächsischen Raum ist der Bankart-Repair primär und auch als Revisionsoperation verbreitet, wobei auch dort die Tendenz zu Knochenblocktechniken bei ossärem Defekt zunimmt. In Europa wird bei Knochenverlust ähnlich den in Abbildung 4 genannten Kriterien die Operation indiziert. Ausgangspunkt ist jedenfalls der ossäre Defekt, um gegebenenfalls eine Knochenblocktechnik - Latarjet, Bristow, anteriorer Knochenblock (J-Span, verschraubter anteriorer Knochenblock) - zu wählen.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2016_Leading Opinions_Ortho_1604_Weblinks_s17.jpg" alt="" width="2149" height="660" /></p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2016_Leading Opinions_Ortho_1604_Weblinks_s18_2.jpg" alt="Abb4" width="2150" height="1482" /></p> <p>In den letzten Jahren wurde die Diskussion der Indikationsstellung bei anteriorer Schulterinstabilität nochmals intensiviert. Dies vor allem aufgrund der hohen Reluxationsraten nach Bankart-Repair 2–5 Jahre postoperativ.<sup>7</sup> Es gibt diverse Studien, die sich mit dem Thema der Ursache dieser hohen Reluxationsrate beschäftigen. Hierbei haben sich folgende Punkte herauskristallisiert, die eine Tendenz zu einer zu grosszügigen Indikationsstellung eines Bankart-Repairs zeigen:<sup>8</sup></p> <ul> <li>Eine HAGL(«humeral avulsion of glenohumeral ligaments»)-Läsion wurde übersehen.<sup>9</sup></li> <li>Ein glenoidaler und/oder humeraler Knochenverlust wurde nicht addressiert.<sup>7–10</sup></li> <li>Die Gewebequalität war zu gering, entweder intrinsisch (Hyperlaxizität, Kollagenose) oder durch rezidivierende Luxationen.<sup>7</sup></li> </ul> <p>Zunehmend wird deswegen nun auch bei Patienten ohne Knochenverlust ein Korakoidtransfer oder Knochenblock propagiert. Die Argumente der Befürworter einer Knochenblocktechnik sind wie folgt:</p> <ul> <li>geringere Reluxationsrate<sup>11–14</sup></li> <li>bessere Aussenrotation<sup>15</sup></li> <li>höhere biomechanische Belastbarkeit der Schulter<sup>16</sup></li> </ul> <p>Gibt es bei diesen schlagenden Argumenten noch einen Platz für die anatomische Bankart-Operation im Sinne einer Labrumrefixation? Die oben genannten Knochenblockoperationen haben trotz der starken Pros beträchtliche Risiken:<sup>17, 18</sup></p> <ul> <li>Nervenschädigungen des N. axillaris</li> <li>extraanatomischer Charakter der Rekonstruktion</li> <li>Graft-Positionierung und -resorption</li> <li>technisch anspruchsvolle Primär- und Revisionsoperationen</li> </ul> <h2>Nervenschädigungen (N. axillaris, N. musculocutaneus)</h2> <p>Eine interessante Arbeit der Gruppe um Delaney und Warner, Boston, USA, zeigte eine Rate an klinisch relevanten Nervenschädigungen der Nervi axillaris und musculocutaneus bei 20 % der Fälle, wobei in 75 % der Fälle das Neuromonitoring eine Nervenaffektion zeigte.<sup>19</sup></p> <h2>Extraanatomische Rekonstruktion</h2> <p>Bei der Bristow- und Latarjet-Operation wird das Korakoid inklusive der daran befestigten «conjoint tendon» (kurze Bizepssehne und Coracobrachialis) über einen Subscapularis-Split am Glenoid befestigt. Hierbei wird die Anatomie substanziell und dauerhaft verändert. Wie auch bei den anderen Knochenblocktechniken kann es zu einer Reizung der Subscapularis-Sehne durch Schraubenmaterial oder durch den Knochenblock selbst kommen.</p> <h2>Graftpositionierung und -resorption</h2> <p>Ein wichtiger Punkt der Knochenblocktechniken ist die Graftpositionierung: Soll die Konvexität des Glenoids rekonstruiert werden oder soll das Graft in einer Linie mit dem Glenoid positioniert werden? Einig sind sich die Autoren bezüglich der Gefahr einer zu lateralen Lage des Grafts und damit des erhöhten Kontaktdruckes mit dem Humeruskopf mit frühzeitiger Arthroseentstehung. Neben einer eventuellen Pseudarthrosenbildung kann es in bis zu 90 % der Fälle im Zeitraum von 12 Monaten postoperativ zu einer superioren Graftresorption kommen.<sup>20</sup> Dadurch können die eventuell eingebrachten Metallschraubenköpfe freigelegt werden, was bei Kontakt zu einer progredienten Knorpel- und Knochenarrosion des Humeruskopfes und damit zu einer rapid voranschreitenden Omarthrose führen kann.</p> <h2>Technisch anspruchsvolle Primär- und Revisionsoperationen<sup>21</sup></h2> <p>Die Primäroperationen sind im Vergleich zu einem Bankart-Repair technisch deutlich anspruchsvoller. <br /> Durch den oben genannten extraanatomischen Charakter wird eine eventuelle Revisionsoperation bei Reluxation, Graftresorption und Schraubenextrusion technisch auch komplexer. Bei einer Latarjet-Revision muss die «conjoint tendon» berücksichtigt werden. Zudem ist bei der Revision meist autologer Beckenkammspan zur ossären Augmentation vonnöten. <br />Somit muss eine Abwägung des höheren Komplikationsrisikos und der nachhaltigen Veränderung der Anatomie mit dem höheren Reluxationsrisiko des Bankart-Repairs individuell (siehe oben) erfolgen. Zur Beurteilung der individuellen Situation siehe Tabelle 2.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2016_Leading Opinions_Ortho_1604_Weblinks_s18_1.jpg" alt="Tab2" width="1417" height="792" /></p> <p>Aufgrund dessen empfehlen die Autoren, dass als primäre Operation bei Vorliegen folgender individueller Faktoren weiterhin ein Bankart-Repair durchgeführt wird:</p> <ul> <li>kein oder nur geringer (<5 % ) Knochenverlust glenoidal</li> <li>frische Läsion bei erster Reluxation (dieser Punkt ist optional: eine frische Läsion ist mit einem besseren Outcome vergesellschaftet)</li> <li>gute Gewebequalität</li> <li>kein Risikosportler (Überkopf, Kontakt)</li> <li>adominanter Arm</li> <li>bei Hill-Sachs-Delle ohne glenoidalen Knochenverlust: gegebenenfalls additiv Remplissage</li> </ul></p>
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<p><sup>1</sup> Steinbruck K: Sportverletz Sportschaden 1999; 13(2): 38-52 <sup>2</sup> Hovelius L: Clin Orthop Relat Res 1982; (166): 127-31 <sup>3</sup> Leroux T et al: Am J Sports Med 2014; 42(2): 442-50 <sup>4</sup> Cameron ML et al: Am J Sports Med 2003; 31(1): 53-5 <sup>5</sup> Gerometta A et al: Knee Surg Sports Traumatol Arthrosc 2016; 24(6): 1877-83 <sup>6</sup> Imhoff AB et al: Am J Sports Med 2010; 38(9): 1795-1803 <sup>7</sup> Boileau P et al: J Bone Joint Surg Am 2006; 88(8): 1755-63 <sup>8</sup> Randelli P et al: Knee Surg Sports Traumatol Arthrosc 2012; 20(11): 2129-38 <sup>9</sup> Tauber M et al: J Shoulder Elbow Surg 2004; 13(3): 279-85 <sup>10</sup> Sommaire C et al: Orthop Traumatol Surg Res 2012; 98(5): 514-9 <sup>11</sup> Burkhart SS et al: Arthroscopy 2007; 23(10): 1033-41 <sup>12</sup> Dumont GD et al: Am J Sports Med 2014; 42(11): 2560-6 <sup>13</sup> Hovelius L et al: J Shoulder Elbow Surg 2012; 21(5): 647-60 <sup>14</sup> Longo UG et al: Arthroscopy 2014; 30(9): 1184-211 <sup>15</sup> An VV et al: J Shoulder Elbow Surg 2016; 25(5): 853-63 <sup>16</sup> Yamamoto N et al: J Bone Joint Surg Am 2013; 95(15): 1390-7 <sup>17</sup> Athwal GS et al: Arthroscopy 2016; 32(10): 1965-70 <sup>18</sup> Shah AA et al: J Bone Joint Surg Am 2012; 94(6): 495-501 <sup>19</sup> Delaney RA et al: J Shoulder Elbow Surg 2014; 23(10): 1473-80 <sup>20</sup> Zhu YM et al: J Shoulder Elbow Surg 2015; 24(11): 1782-8 <sup>21</sup> Gupta A et al: Curr Rev Musculoskelet Med 2015; 8(1): 59-66</p>
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