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Gewebekleber nach dem Vorbild der Natur

Gewebekleber finden häufig Einsatz in der Chirurgie und Wundversorgung, doch ist ihr Anwendungsspektrum aufgrund ihrer geringen Haftkraft oder Gewebetoxizität begrenzt. Daher wird an neuartigen Gewebeklebern geforscht, die biokompatibel sind und den unterschiedlichen Anforderungen der Gewebe gerecht werden können. Die Natur hat viele Mechanismen für erfolgreiches Kleben unter diversesten Bedingungen hervorgebracht. Ein Beispiel dafür sind einige Zeckenarten, die ein Sekret zur zusätzlichen Verankerung der Mundwerkzeuge in der Haut produzieren. Dieses Sekret ist für die biomedizinische Forschung von besonderem Interesse, da es von Natur aus für den Kontakt mit Gewebe konzipiert ist. Die Substanz wird derzeit auf seine Eigenschaften und Zusammensetzung untersucht.

Gewebekleber sind ein wichtiges Hilfsmittel bei der Wundversorgung sowie bei chirurgischen Eingriffen in allen Bereichen der Medizin und kommen in der Dermatologie, Zahnheilkunde und diversen Fächern der Chirurgie zum Einsatz. Das Anwendungsspektrum reicht von äußerer Anwendung auf der Haut für den Wundverschluss über die ergänzende Versorgung von Nähten und Klammern bis hin zur nahtfreien Stabilisierung von Implantaten. So werden im Zuge von orthopädischen, unfallchirurgischen und kardiovaskulären Operationen Glutaraldehyd- und Cyanoacrylat-basierende Kleber verwendet, um Wunden und Gefäße zu verschließen.1–3 Bei stark blutenden Verletzungen kommen gerinnungsfördernde Substanzen wie Fibrin oder Thrombin zum Einsatz, die den Blutverlust reduzieren und Defekte verschließen sollen.4,5 Für die Verankerung von Metall- oder Keramikimplantaten in der Orthopädie, Unfallchirurgie und Zahnmedizin sind Zemente, basierend auf Phosphaten oder Polymeren, verfügbar, die gleichzeitig als temporäres oder dauerhaftes Füllmaterial dienen.6–8

Bei einer Applikation von Geweben oder Zellen ist die Biokompatibilität das wichtigste Kriterium und die verfügbaren hydrogelartigen Kleber fungieren als Zellträger mit adhäsiven Eigenschaften. Ein Beispiel für diese Doppelfunktion ist Fibrin, das zur Applikation von Keratinozyten auf Hautläsionen als adhäsive Wundabdeckung mit temporärem Schutz für das geschädigte Gewebe und die applizierten Zellen dient.9

Abb. 1: Dermacentor-marginatus-Zecke auf einer künstlichen Membran einer Fütterungseinheit zur Gewinnung des biologischen Klebstoffs

Trotz dieses bereits sehr vielfältigen Anwendungsspektrums besteht dringender Bedarf an neuen Gewebeklebern. Ursachen sind die steigende Bedeutung der regenerativen Medizin, die zunehmende Anzahl medizinischer Implantate sowie der wachsende Anspruch an die Klebstoffeigenschaften. Vor allem die Biokompatibilität ist bei vielen der derzeitigen Produkte nicht gegeben, was die starke Einschränkung der Zulassungen erklärt. So sind beispielsweise einige der am häufigsten verwendeten und stärksten Gewebekleber zelltoxisch,2,10,11 da sie die Zellgifte Glutaraldehyd (z.B. BioGlue®) oder Cyanoacrylat (z.B. DermabondTM, Histoacryl®) enthalten, die in nichtklinischer Anwendung einerseits für die histologische Fixierung von Gewebe verwendet werden und andererseits vom haushaltsüblichen „Superkleber“ bekannt sind.

Der Gewebekleber Fibrin ist hingegen zellkompatibel und sogar regenerativ, hat jedoch nur eine sehr geringe Haftkraft und ist daher für starke mechanische Belastung nicht geeignet.12

Der Bedarf an neuen Klebesystemen ergibt sich weiters aus dem Trend zu minimal invasiven Methoden, die eine vollständige Reduktion von Nähten und Klammern anstreben. In weiterer Folge wären auch der teilweise Ersatz von Schrauben und Platten oder die Erweiterung von neuen Operationstechniken (Erhalt von kleinen Gewebestücken) eine Erleichterung und Revolution im chirurgischen Alltag.

Die größte Herausforderung in der Klebstoffentwicklung für die Medizin ist das feuchte Milieu. Die Natur hat viele Mechanismen für erfolgreiches Kleben, sowohl in trockener wie auch feuchter Umgebung, hervorgebracht. Daher werden die Haftmechanismen im Tier- und Pflanzenreich sowie jene von Mikroorganismen untersucht, um biophysikalische und biochemische Vorbilder für Gewebekleber zu finden.10,13,14

Abb. 2: Tröpfchenförmiges Klebesekret auf der Unterseite der künstlichen Membran

Einer der bekanntesten und intensiv erforschten Haftmechanismen ist jener der Miesmuschel, die mit feinen Haftfäden, den Byssusfäden, auf Steinen haftet und damit den Kräften der Meeresbrandung standhält. Die kleberelevante Substanz ist die Aminosäure DOPA, die in verschiedenen Proteinen („mussel foot proteins“) interne Kohäsion und oberflächliche Adhäsion bewirkt.15 Für DOPA gibt es mittlerweile eine Vielzahl an experimentellen und präklinischen Anwendungsversuchen, jedoch ist die zu erzielende Haftkraft nach wie vor nur wenig stärker als jene von Fibrin.16–18

Organismen, die bislang keine Beachtung im Klebstoffbereich gefunden haben, sind die Zecken. Einige Arten dieser Ektoparasiten sind unter Experten dafür bekannt, dass sie ein Klebesekret in den Stichkanal sezernieren, um sich zusätzlich zu den Mundwerkzeugen in der Haut zu verankern.19 Dieses Sekret hat unser Interesse geweckt, da es von Natur aus dafür konzipiert ist, auf Gewebe zu haften, und somit für die biomedizinische Forschung von besonderem Nutzen sein könnte.

In einem durch die Forschungsförderungsgesellschaft geförderten Projekt (P28962) wird das Klebesekret in künstlichen Fütterungseinheiten gewonnen und mittels histochemischer und biochemischer Methoden untersucht. Die biochemische Zusammensetzung wird in Kooperation mit Martina Marchetti-Deschmann (TU Wien) analysiert. Diese Untersuchungen haben bisher ergeben, dass es sich bei dem Sekret der untersuchten Zeckenart (Dermacentor marginatus) um eine proteinbasierte Substanz handelt, die reich an der Aminosäure Glycin ist, die auch bei vielen anderen biologischen Klebstoffen gefunden wurde.20 Weiters enthält sie kein DOPA, womit angenommen werden kann, dass sich der Haftmechanismus von jenem der Miesmuschel unterscheidet. Das Sekret wird in spezialisierten Zellen der Speicheldrüsen der Tiere produziert, was auf eine Beteiligung mehrerer Komponenten hinweist. Bis dato war der Hafteffekt unerforscht und es galt herauszufinden, ob es sich um einen rein mechanischen Dübeleffekt oder eine Adhäsion handelt. In ersten Untersuchungen mit den Kooperationspartnern der TU Wien (Arbeitsgruppe Markus Valtiner) konnte eine Klebekraft bestätigt werden.

Langfristiges Ziel dieses Projekts ist es, die adhäsiven Substanzen zu identifizieren und einen biotechnologisch produzierbaren Klebstoff zu entwickeln, um einen Beitrag zur Deckung des wachsenden Bedarfs biokompatibler Klebstoffe zu leisten.

1 Bhamidipati CM et al.: BioGlue in 2011: what is its role in cardiac surgery? J Extra Corpor Technol 2012; 44(1): P6-12 2 Parsi K et al.: Cyanoacrylate closure for peripheral veins: Consensus document of the Australasian College of Phlebology. Phlebology 2020; 35(3): 153-75 3 Jenkins LE, Davis LS: Comprehensive review of tissue adhesives. Dermatol Surg 2018; 44(11): 1367-72 4 Przywozka-Suwal A et al.: The use of state-of-the-art haemostatic materials in gastrointestinal surgery. Pol Przegl Chir 2021; 93(1): 49-54 5 Spotnitz WD: Fibrin sealant: past, present, and future: a brief review. World J Surg 2010; 34(4): 632-4 6 Yousefi AM: A review of calcium phosphate cements and acrylic bone cements as injectable materials for bone repair and implant fixation. J Appl Biomater Funct Mater 2019; 17(4): 2280800019872594 7 Boker KO et al.: Current state of bone adhesives-necessities and hurdles. Materials (Basel) 2019; 12(23) 8 Shah M: The clinical outcome of bone cement in dental implant insertion – a systematic review. J Dent Implant 2020; 10(2): 59-71 9 Johnstone P et al.: Successful application of keratinocyte suspension using autologous fibrin spray. Burns 2017; 43(3): e27-e30.r 10 Park KH et al.: Advances in medical adhesives inspired by aquatic organisms‘ adhesion. Biomater Res 2017; 21: 16 11 Pascual G et al.: Cytotoxicity of cyanoacrylate-based tissue adhesives and short-term preclinical in vivo biocompatibility in abdominal hernia repair. PLoS One 2016; 11(6): e0157920 12 Spotnitz WD: Fibrin sealant: the only approved hemostat, sealant, and adhesive-a laboratory and clinical perspective. ISRN Surg 2014; 2014: 203943 13 Balkenende DWR et al.: Marine-inspired polymers in medical adhesion. Eur Polym J 2019; 116: 134-43 14 von Byern J, Grunwald I (eds.): Biological adhesive systems: from nature to technical and medical application. Springer, Wien 2010 15 Waite JH: Mussel adhesion - essential footwork. J Exp Biol 2017; 220(Pt 4): 517-30 16 Lee BP et al.: Mussel-inspired adhesives and coatings. Annu Rev Mater Res 2011; 41: 99-132 17 Zhu W et al.: A novel DOPA-albumin based tissue adhesive for internal medical applications. Biomaterials 2017; 147: 99-115 18 Li K et al.: The application of novel mussel-inspired compounds in dentistry. Dent Mater 2021; 37(4): 655-71 19 Suppan J et al.: Tick attachment cement - reviewing the mysteries of a biological skin plug system. Biol Rev Camb Philos Soc 2018; 93(2): 1056-76 20 Engel B et al.: Revisiting amino acid analyses for bioadhesives including a direct comparison of tick attachment cement (Dermacentor marginatus) and barnacle cement (Lepas anatifera). Int J Adhes Adhes 2021; 105: 102798

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