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Fraktur-Liaison-Service verhindert Folgefrakturen nach Fragilitätsfrakturen
Jatros
Autor:
Prof. Dr. Christian Kammerlander
Klinik für Allgemeine, Unfall- und Wiederherstellungschirurgie<br> Klinikum der LMU München<br>E-Mail: christian.kammerlander@med.uni-muenchen.de
Autor:
PD Dr. Carl Neuerburg
Klinik für Allgemeine, Unfall- und Wiederherstellungschirurgie Klinikum der LMU München
Autor:
Prof. Dr. Wolfgang Böcker
Klinik für Allgemeine, Unfall- und Wiederherstellungschirurgie<br> Klinikum der LMU München
30
Min. Lesezeit
13.05.2019
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<p class="article-intro">Der demografische Wandel hin zur älteren Gesellschaft stellt auch die muskuloskelettale Chirurgie vor neue Herausforderungen. Durch die Behandlung unserer älteren Patienten im Rahmen von orthogeriatrischen Co-Managementsystemen findet bereits eine bessere Behandlung der multiplen Komorbiditäten statt. Gleichwohl spielt aber auch vor allem die zugrundeliegende Osteoporose eine wesentliche Rolle, da die Patienten mit osteoporotischen Frakturen das höchste Risiko für weitere osteoporotische Frakturen haben. Ein Fraktur-Liaison-Service kann hier helfen, um die Anzahl der Folgefrakturen zu reduzieren.</p>
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<p class="article-content"><p>Die Prävalenz der Osteoporose wird bei weiblichen Patienten über 75 Jahre mit 59,2 % angegeben. In Deutschland sind schätzungsweise ca. 6,3 bis 7,8 Millionen Patienten von einer Osteoporose betroffen und die Kosten und Folgekosten belaufen sich auf schätzungsweise 9 Milliarden Euro. Dennoch wird bei einem hohen Prozentsatz dieser Patienten die Osteoporose nicht adäquat behandelt. Auch nach stattgehabten Fragilitätsfrakturen (Frakturen ohne adäquates Trauma) werden nur ca. 16–21 % der weiblichen und 3,4 % der männlichen Patienten einer spezifischen medikamentösen Therapie zugeführt. Die Ursachen hierfür sind vielfältig und reichen von mangelnder Kenntnis auf ärztlicher Seite bis hin zu Complianceproblemen vonseiten der Patienten.<br />Bei unbehandelter Osteoporose ist die Refrakturrate nach der ersten Fraktur innerhalb der ersten beiden Jahre deutlich erhöht. Patienten mit Fragilitätsfrakturen haben ein um 86 % erhöhtes Risiko für Folgefrakturen. Bei Patienten mit Wirbelkörperfraktur ist das Risiko einer Refraktur verdoppelt und das Risiko für Frakturen im Bereich des proximalen Femurs verdreifacht.<br />Eine Basisdiagnostik wird bei postmenopausalen Frauen und bei Männern ab 60 Jahren empfohlen, sobald eine niedrigtraumatische Fraktur oder ein erhöhtes Frakturrisiko vorliegen. In der Literatur zeigt sich bei unfallchirurgischen Patienten mit Indikatorfraktur für eine Osteoporose bei 56,2 % der über 50-jährigen Frauen und der über 60-jährigen Männer eine Osteoporose. Zu den Indikatorfrakturen zählen Brust- und Lendenwirbelkörperfrakturen, proximale Femurfrakturen, proximale Humerusfrakturen sowie distale Radiusfrakturen. Sinnvoll ist demnach eine Osteoporoseabklärung bei Patienten mit Indikatorfraktur ab einem Alter von 50 Jahren bei Frauen und ab 60 Jahren bei Männern. Bei Patienten ohne Fraktur wird eine Osteoporosebasisdiagnostik bei Frauen ab 70 Jahren und bei Männern ab 80 Jahren empfohlen, bei erhöhtem Risikoprofil ist eine Abklärung bereits in jüngerem Alter sinnvoll.<br />Zur Umsetzung einer optimierten Versorgung bei Osteoporose von geriatrischen Frakturpatienten kann die Etablierung eines Netzwerkes im Sinne eines Fracture- Liaison-Service (FLS) eine mögliche Ergänzung des orthogeriatrischen Co-Managements darstellen.</p> <h2>FLS zur Sekundärprävention</h2> <p>Als Sekundärprävention bezeichnet man die Prävention weiterer Frakturen bei Patienten mit stattgehabter osteoporotischer Fraktur. Sie ist somit eine wesentliche Ergänzung des Co-Managements geriatrischer Frakturpatienten. Neben der Optimierung des Knochenmetabolismus sollte dabei auch die Sturzprophylaxe adressiert werden. Erstmals wurde 1999 im Rahmen des UK National Health Service in Glasgow, Schottland, der FLS ins Leben gerufen. Heute können sich Kliniken über die International Osteoporosis Foundation (IOF) als FLS zertifizieren. Die Koordination des FLS wird dabei oftmals von einer speziell geschulten Pflegekraft, der „fragility fracture nurse“, organisiert. Dieses Koordinator-basierte System hat in den letzten Jahren international sehr an Bedeutung gewonnen und es konnte klar gezeigt werden, dass dadurch Folgefrakturen effektiv verhindert werden.</p> <h2>Wie funktioniert ein FLS?</h2> <p>Neben ärztlichem Personal ist vor allem die „fragility fracture nurse“ als Koordinatorin an der Risikostratifizierung und Einleitung der Diagnostik beteiligt. Dabei werden die unfallchirurgischen Patienten über die Notaufnahme zur operativen Versorgung aufgenommen und die Risikofaktoren für eine Osteoporose werden unmittelbar zu Beginn des stationären Aufenthaltes standardisiert in Form eines Risikofragebogens erfasst. Unsere Fragebögen und Algorithmen orientieren sich an der Osteoporoseleitlinie des Dachverbandes Osteologie e. V. (DVO) 2017 zur Prophylaxe, Diagnostik und Therapie der Osteoporose. Zudem werden im Rahmen dieser Anamnese auch Sturzneigung, Medikamenteneinnahme (insbesondere Glukokortikoide, Protonenpumpenhemmer) sowie Vorerkrankungen wie Diabetes mellitus, Morbus Bechterew, COPD und endokrine Erkrankungen, wie z. B. Schilddrüsenunterfunktionen, auch zum Ausschluss einer sekundären Osteoporoseform erhoben. Ein weiterer wesentlicher Baustein ist das Osteoporosebasislabor, welches als vordefiniertes Profil im Labor vorhanden ist. Hierbei werden folgende Parameter erfasst: Kalzium und Phosphat im Serum, Alkalische Phosphatase, Gamma-GT, Kreatinin, CRP, TSH, Vitamin D3 sowie eine Serumelektrophorese und ein Blutbild.<br />Dem Basislabor folgt je nach der zugrundeliegenden Fraktur häufig eine Osteodensitometrie. Goldstandard ist eine Knochendichtemessung mittels DXA. Die Datenlage ist solide; Kosten sowie Strahlenbelastung fallen niedrig aus. Zur Dichtemessung werden Werte im Bereich der LWS, des Femurs und des Schenkelhalses in Relation zu Knochendichtewerten eines Normalkollektivs gesetzt (T-Wert). Der TWert bildet in Zusammenhang mit Patientenalter und den individuellen Risikofaktoren die Basis zur Entscheidung für eine spezifische Osteoporosetherapie.</p> <h2>Osteoporosetherapie</h2> <p>Entsprechend unserem leitliniengemäßen Behandlungsalgorithmus wird meist zunächst eine Osteoporosebasistherapie initiiert, da überwiegend ein Vitamin-DMangel vorliegt und eine ausgeglichene Kalziumhomöostase die Grundvoraussetzung für den Beginn einer spezifischen Osteoporosetherapie darstellt. Je nach Osteoporosebasislabor kann eine spezifische Therapie auch schon während des stationären Aufenthaltes initiiert werden, wobei jedoch z. B. bei einer Therapie mit Bisphosphonaten eine Therapiekarenz von mindestens 2 Wochen nach Frakturversorgung eingehalten werden sollte.<br />Eine Basistherapie besteht aus einem Vitamin-D-Präparat und einer ausreichenden Kalziumaufnahme. Als Erhaltungsdosis dienen laut DVO-Leitlinien 800–1000 IE Vitamin D/Tag. Die Kalziumaufnahme sollte an 1000 mg/Tag angepasst werden. Dies kann über die Nahrung in der Regel erreicht werden. Hierfür empfiehlt sich vor allem eine Anpassung der Ernährung z. B. durch Trinken von kalziumreichem Mineralwasser (ca. 400 mg/l) sowie mit Milchprodukten wie Milch, Käse, Quark oder Joghurt. Bei Glukokortikoideinnahme empfiehlt sich die Einnahme von 1000 mg Kalzium/Tag als Supplement.<br />Eine spezifische Therapie erfolgt mit Bisphosphonaten oral oder intravenös und je nach Risikoprofil mit Denosumab. Eine intravenöse Bisphosphonatgabe sollte erst 14 Tage nach der Operation erfolgen, um die Anreicherung im Bereich der Osteosynthese zu verhindern.<br />Nicht geeignet auf einer unfallchirurgischen Station sind wegen des erhöhten Thromboserisikos SERM (selektive Östrogenrezeptormodulatoren: Raloxifen, Bazedoxifen) sowie Östrogene (ggf. in Kombination mit einem Gestagen).<br />Die weiterführende Behandlung soll dann im niedergelassenen Bereich erfolgen und aufrechterhalten werden. Hierzu ist die sektorübergreifende Arbeit der „fragility fracture nurse“ notwendig.<br />Wesentliches Ziel des Fracture-Liaison- Service ist es, einen engen Kontakt und somit auch Austausch zwischen Patienten, niedergelassenen Behandlern und der Klinik zu sichern. Diese engmaschige Kontrolle bzw. Anbindung ermöglicht neben einer effizienteren Osteoporosetherapie auch eine erhöhte Compliance der Patienten und zeigte in Untersuchungen eine Erhöhung der Osteoporosetherapierate nach Fragilitätsfraktur von 14,7 % auf 43 %.</p> <h2>3,2 Millionen Euro für die Osteoporoseforschung</h2> <p>Der Innovationsfonds des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) hat zum Ziel, die qualitative Weiterentwicklung der Versorgung in der gesetzlichen Krankenversicherung zu fördern und erfolgreiche Projekte in die Regelversorgung zu überführen. Das Projekt FLS-CARE wird aus diesem Topf mit ca. 3,2 Millionen Euro gefördert, um in einer prospektiv randomisierten Studie die Effektivität eines FLS zu untersuchen. „CARE“ bedeutet dabei Case-Management und Register: Neben dem klassischen Case- Management wird ein sektorübergreifendes Register aufgebaut, welches zum einen das Management der Patienten unterstützt und zum anderen auch dem niedergelassenen System ermöglicht, die beim Primäraufenthalt erhobenen Parameter einzusehen. Das Netzwerk aus Ärzten, Pflegekräften und Physiotherapeuten stellt sicher, dass die im Krankenhaus begonnene Abklärung und Therapie der Osteoporose in der ambulanten Struktur weiter durchgeführt wird. Die Koordination der Überleitung der Patienten übernimmt dabei eine Pflegekraft.<br /> Zur Osteoporosetherapie wird auch ein Sturzpräventionsprogramm inkl. Hausbesuch durchgeführt. Insgesamt werden 1200 Patienten eingeschlossen, an 9 Zentren ein FLS-System aufgebaut und mit 9 anderen Kliniken der Regelversorgung verglichen. Das Konsortium unter der Leitung von Prof. Wolfgang Böcker und Prof. Christian Kammerlander besteht aus gesetzlichen Krankenkassen (TK, DAK-Gesundheit, IKK classic, AOK Bayern), der Akademie der Unfallchirurgie der Deutschen Gesellschaft für Unfallchirurgie (AUC; Prof. Dr. J. Sturm), der Managementfirma PVM (Hr. Trinemeier) und dem Health Services Management der LMU München (Prof. Dr. Leonie Sundmacher). Derzeit befindet sich die Versorgungsform im Aufbau und wird 2023 erste Ergebnisse liefern.</p> <h2>Take Home Message</h2> <p>Aufgrund der demografischen Entwicklung nehmen osteoporoseassoziierte Frakturen stetig zu. Neben der chirurgischen Frakturversorgung sind fundierte osteologische Diagnostik und Behandlung wesentliche Bestandteile einer erfolgreichen Therapie und entscheidend für die Prävention weiterer Frakturen.<br />Eine Kombination aus Alterstraumazentrum und Fracture-Liaison-Service ermöglicht eine effizientere Osteoporosetherapie durch enge Anbindung der alterstraumatologischen Patienten an die Behandler und eine engere Verknüpfung untereinander. Es wird eine zügige Initiierung der geeigneten Osteoporosetherapie ermöglicht und die Refrakturraten können deutlich gesenkt werden. Ein weiterer positiver Effekt zeigt sich in der gesundheitsökonomischen Kostenreduktion.<br />Der Fracture-Liaison-Service schafft eine deutliche Steigerung der Effizienz der Osteoporosetherapie und eine Reduktion der Folgefrakturrate bei alterstraumatologischen Patienten.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2019_Jatros_Ortho_1903_Weblinks_jatros_ortho_1903_s32_abb1_kammerlander.jpg" alt="" width="550" height="305" /></p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2019_Jatros_Ortho_1903_Weblinks_jatros_ortho_1903_s33_abb2_kammerlander.jpg" alt="" width="550" height="528" /></p></p>
<p class="article-footer">
<a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a>
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<p>• Böcker W et al.: Alterstraumatologie praxisnah, kompakt, interdisziplinär. Stuttgart: Schattauer Verlag, 2018 • Gleich J et al.: Orthogeriatric treatment reduces potential inappropriate medication in older trauma patients: a retrospective, dual-center study comparing conventional trauma care and co-managed treatment. Eur J Med Res 2019; 24(1): 4 • Kammerlander C et al.: Patient outcomes after screw fixation of hip fractures. Lancet 2018; 392(10161): 2264-5 • Neuerburg C et al.: Identification, diagnostics and guideline conform therapy of osteoporosis (DVO) in trauma patients: a treatment algorithm. Unfallchirurg 2015; 118(11): 913-24 • Neuerburg C et al.: Investigation and management of osteoporosis in aged trauma patients: a treatment algorithm adapted to the German guidelines for osteoporosis. J Orthop Surg Res 2017; 12(1): 86 • Schray D et al.: Value of a coordinated management of osteoporosis via Fracture Liaison Service for the treatment of orthogeriatric patients. Eur J Trauma Emerg Surg 2016; 42(5): 559-64</p> <p>• Weitere Literatur: bei den Verfassern</p>
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