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Fraktur-Liaison-Service verhindert Folgefrakturen nach Fragilitätsfrakturen

<p class="article-intro">Der demografische Wandel hin zur älteren Gesellschaft stellt auch die muskuloskelettale Chirurgie vor neue Herausforderungen. Durch die Behandlung unserer älteren Patienten im Rahmen von orthogeriatrischen Co-Managementsystemen findet bereits eine bessere Behandlung der multiplen Komorbiditäten statt. Gleichwohl spielt aber auch vor allem die zugrundeliegende Osteoporose eine wesentliche Rolle, da die Patienten mit osteoporotischen Frakturen das höchste Risiko für weitere osteoporotische Frakturen haben. Ein Fraktur-Liaison-Service kann hier helfen, um die Anzahl der Folgefrakturen zu reduzieren.</p> <hr /> <p class="article-content"><p>Die Pr&auml;valenz der Osteoporose wird bei weiblichen Patienten &uuml;ber 75 Jahre mit 59,2 % angegeben. In Deutschland sind sch&auml;tzungsweise ca. 6,3 bis 7,8 Millionen Patienten von einer Osteoporose betroffen und die Kosten und Folgekosten belaufen sich auf sch&auml;tzungsweise 9 Milliarden Euro. Dennoch wird bei einem hohen Prozentsatz dieser Patienten die Osteoporose nicht ad&auml;quat behandelt. Auch nach stattgehabten Fragilit&auml;tsfrakturen (Frakturen ohne ad&auml;quates Trauma) werden nur ca. 16&ndash;21 % der weiblichen und 3,4 % der m&auml;nnlichen Patienten einer spezifischen medikament&ouml;sen Therapie zugef&uuml;hrt. Die Ursachen hierf&uuml;r sind vielf&auml;ltig und reichen von mangelnder Kenntnis auf &auml;rztlicher Seite bis hin zu Complianceproblemen vonseiten der Patienten.<br />Bei unbehandelter Osteoporose ist die Refrakturrate nach der ersten Fraktur innerhalb der ersten beiden Jahre deutlich erh&ouml;ht. Patienten mit Fragilit&auml;tsfrakturen haben ein um 86 % erh&ouml;htes Risiko f&uuml;r Folgefrakturen. Bei Patienten mit Wirbelk&ouml;rperfraktur ist das Risiko einer Refraktur verdoppelt und das Risiko f&uuml;r Frakturen im Bereich des proximalen Femurs verdreifacht.<br />Eine Basisdiagnostik wird bei postmenopausalen Frauen und bei M&auml;nnern ab 60 Jahren empfohlen, sobald eine niedrigtraumatische Fraktur oder ein erh&ouml;htes Frakturrisiko vorliegen. In der Literatur zeigt sich bei unfallchirurgischen Patienten mit Indikatorfraktur f&uuml;r eine Osteoporose bei 56,2 % der &uuml;ber 50-j&auml;hrigen Frauen und der &uuml;ber 60-j&auml;hrigen M&auml;nner eine Osteoporose. Zu den Indikatorfrakturen z&auml;hlen Brust- und Lendenwirbelk&ouml;rperfrakturen, proximale Femurfrakturen, proximale Humerusfrakturen sowie distale Radiusfrakturen. Sinnvoll ist demnach eine Osteoporoseabkl&auml;rung bei Patienten mit Indikatorfraktur ab einem Alter von 50 Jahren bei Frauen und ab 60 Jahren bei M&auml;nnern. Bei Patienten ohne Fraktur wird eine Osteoporosebasisdiagnostik bei Frauen ab 70 Jahren und bei M&auml;nnern ab 80 Jahren empfohlen, bei erh&ouml;htem Risikoprofil ist eine Abkl&auml;rung bereits in j&uuml;ngerem Alter sinnvoll.<br />Zur Umsetzung einer optimierten Versorgung bei Osteoporose von geriatrischen Frakturpatienten kann die Etablierung eines Netzwerkes im Sinne eines Fracture- Liaison-Service (FLS) eine m&ouml;gliche Erg&auml;nzung des orthogeriatrischen Co-Managements darstellen.</p> <h2>FLS zur Sekund&auml;rpr&auml;vention</h2> <p>Als Sekund&auml;rpr&auml;vention bezeichnet man die Pr&auml;vention weiterer Frakturen bei Patienten mit stattgehabter osteoporotischer Fraktur. Sie ist somit eine wesentliche Erg&auml;nzung des Co-Managements geriatrischer Frakturpatienten. Neben der Optimierung des Knochenmetabolismus sollte dabei auch die Sturzprophylaxe adressiert werden. Erstmals wurde 1999 im Rahmen des UK National Health Service in Glasgow, Schottland, der FLS ins Leben gerufen. Heute k&ouml;nnen sich Kliniken &uuml;ber die International Osteoporosis Foundation (IOF) als FLS zertifizieren. Die Koordination des FLS wird dabei oftmals von einer speziell geschulten Pflegekraft, der &bdquo;fragility fracture nurse&ldquo;, organisiert. Dieses Koordinator-basierte System hat in den letzten Jahren international sehr an Bedeutung gewonnen und es konnte klar gezeigt werden, dass dadurch Folgefrakturen effektiv verhindert werden.</p> <h2>Wie funktioniert ein FLS?</h2> <p>Neben &auml;rztlichem Personal ist vor allem die &bdquo;fragility fracture nurse&ldquo; als Koordinatorin an der Risikostratifizierung und Einleitung der Diagnostik beteiligt. Dabei werden die unfallchirurgischen Patienten &uuml;ber die Notaufnahme zur operativen Versorgung aufgenommen und die Risikofaktoren f&uuml;r eine Osteoporose werden unmittelbar zu Beginn des station&auml;ren Aufenthaltes standardisiert in Form eines Risikofragebogens erfasst. Unsere Frageb&ouml;gen und Algorithmen orientieren sich an der Osteoporoseleitlinie des Dachverbandes Osteologie e. V. (DVO) 2017 zur Prophylaxe, Diagnostik und Therapie der Osteoporose. Zudem werden im Rahmen dieser Anamnese auch Sturzneigung, Medikamenteneinnahme (insbesondere Glukokortikoide, Protonenpumpenhemmer) sowie Vorerkrankungen wie Diabetes mellitus, Morbus Bechterew, COPD und endokrine Erkrankungen, wie z. B. Schilddr&uuml;senunterfunktionen, auch zum Ausschluss einer sekund&auml;ren Osteoporoseform erhoben. Ein weiterer wesentlicher Baustein ist das Osteoporosebasislabor, welches als vordefiniertes Profil im Labor vorhanden ist. Hierbei werden folgende Parameter erfasst: Kalzium und Phosphat im Serum, Alkalische Phosphatase, Gamma-GT, Kreatinin, CRP, TSH, Vitamin D3 sowie eine Serumelektrophorese und ein Blutbild.<br />Dem Basislabor folgt je nach der zugrundeliegenden Fraktur h&auml;ufig eine Osteodensitometrie. Goldstandard ist eine Knochendichtemessung mittels DXA. Die Datenlage ist solide; Kosten sowie Strahlenbelastung fallen niedrig aus. Zur Dichtemessung werden Werte im Bereich der LWS, des Femurs und des Schenkelhalses in Relation zu Knochendichtewerten eines Normalkollektivs gesetzt (T-Wert). Der TWert bildet in Zusammenhang mit Patientenalter und den individuellen Risikofaktoren die Basis zur Entscheidung f&uuml;r eine spezifische Osteoporosetherapie.</p> <h2>Osteoporosetherapie</h2> <p>Entsprechend unserem leitliniengem&auml;&szlig;en Behandlungsalgorithmus wird meist zun&auml;chst eine Osteoporosebasistherapie initiiert, da &uuml;berwiegend ein Vitamin-DMangel vorliegt und eine ausgeglichene Kalziumhom&ouml;ostase die Grundvoraussetzung f&uuml;r den Beginn einer spezifischen Osteoporosetherapie darstellt. Je nach Osteoporosebasislabor kann eine spezifische Therapie auch schon w&auml;hrend des station&auml;ren Aufenthaltes initiiert werden, wobei jedoch z. B. bei einer Therapie mit Bisphosphonaten eine Therapiekarenz von mindestens 2 Wochen nach Frakturversorgung eingehalten werden sollte.<br />Eine Basistherapie besteht aus einem Vitamin-D-Pr&auml;parat und einer ausreichenden Kalziumaufnahme. Als Erhaltungsdosis dienen laut DVO-Leitlinien 800&ndash;1000 IE Vitamin D/Tag. Die Kalziumaufnahme sollte an 1000 mg/Tag angepasst werden. Dies kann &uuml;ber die Nahrung in der Regel erreicht werden. Hierf&uuml;r empfiehlt sich vor allem eine Anpassung der Ern&auml;hrung z. B. durch Trinken von kalziumreichem Mineralwasser (ca. 400 mg/l) sowie mit Milchprodukten wie Milch, K&auml;se, Quark oder Joghurt. Bei Glukokortikoideinnahme empfiehlt sich die Einnahme von 1000 mg Kalzium/Tag als Supplement.<br />Eine spezifische Therapie erfolgt mit Bisphosphonaten oral oder intraven&ouml;s und je nach Risikoprofil mit Denosumab. Eine intraven&ouml;se Bisphosphonatgabe sollte erst 14 Tage nach der Operation erfolgen, um die Anreicherung im Bereich der Osteosynthese zu verhindern.<br />Nicht geeignet auf einer unfallchirurgischen Station sind wegen des erh&ouml;hten Thromboserisikos SERM (selektive Östrogenrezeptormodulatoren: Raloxifen, Bazedoxifen) sowie Östrogene (ggf. in Kombination mit einem Gestagen).<br />Die weiterf&uuml;hrende Behandlung soll dann im niedergelassenen Bereich erfolgen und aufrechterhalten werden. Hierzu ist die sektor&uuml;bergreifende Arbeit der &bdquo;fragility fracture nurse&ldquo; notwendig.<br />Wesentliches Ziel des Fracture-Liaison- Service ist es, einen engen Kontakt und somit auch Austausch zwischen Patienten, niedergelassenen Behandlern und der Klinik zu sichern. Diese engmaschige Kontrolle bzw. Anbindung erm&ouml;glicht neben einer effizienteren Osteoporosetherapie auch eine erh&ouml;hte Compliance der Patienten und zeigte in Untersuchungen eine Erh&ouml;hung der Osteoporosetherapierate nach Fragilit&auml;tsfraktur von 14,7 % auf 43 %.</p> <h2>3,2 Millionen Euro f&uuml;r die Osteoporoseforschung</h2> <p>Der Innovationsfonds des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) hat zum Ziel, die qualitative Weiterentwicklung der Versorgung in der gesetzlichen Krankenversicherung zu f&ouml;rdern und erfolgreiche Projekte in die Regelversorgung zu &uuml;berf&uuml;hren. Das Projekt FLS-CARE wird aus diesem Topf mit ca. 3,2 Millionen Euro gef&ouml;rdert, um in einer prospektiv randomisierten Studie die Effektivit&auml;t eines FLS zu untersuchen. &bdquo;CARE&ldquo; bedeutet dabei Case-Management und Register: Neben dem klassischen Case- Management wird ein sektor&uuml;bergreifendes Register aufgebaut, welches zum einen das Management der Patienten unterst&uuml;tzt und zum anderen auch dem niedergelassenen System erm&ouml;glicht, die beim Prim&auml;raufenthalt erhobenen Parameter einzusehen. Das Netzwerk aus &Auml;rzten, Pflegekr&auml;ften und Physiotherapeuten stellt sicher, dass die im Krankenhaus begonnene Abkl&auml;rung und Therapie der Osteoporose in der ambulanten Struktur weiter durchgef&uuml;hrt wird. Die Koordination der &Uuml;berleitung der Patienten &uuml;bernimmt dabei eine Pflegekraft.<br /> Zur Osteoporosetherapie wird auch ein Sturzpr&auml;ventionsprogramm inkl. Hausbesuch durchgef&uuml;hrt. Insgesamt werden 1200 Patienten eingeschlossen, an 9 Zentren ein FLS-System aufgebaut und mit 9 anderen Kliniken der Regelversorgung verglichen. Das Konsortium unter der Leitung von Prof. Wolfgang B&ouml;cker und Prof. Christian Kammerlander besteht aus gesetzlichen Krankenkassen (TK, DAK-Gesundheit, IKK classic, AOK Bayern), der Akademie der Unfallchirurgie der Deutschen Gesellschaft f&uuml;r Unfallchirurgie (AUC; Prof. Dr. J. Sturm), der Managementfirma PVM (Hr. Trinemeier) und dem Health Services Management der LMU M&uuml;nchen (Prof. Dr. Leonie Sundmacher). Derzeit befindet sich die Versorgungsform im Aufbau und wird 2023 erste Ergebnisse liefern.</p> <h2>Take Home Message</h2> <p>Aufgrund der demografischen Entwicklung nehmen osteoporoseassoziierte Frakturen stetig zu. Neben der chirurgischen Frakturversorgung sind fundierte osteologische Diagnostik und Behandlung wesentliche Bestandteile einer erfolgreichen Therapie und entscheidend f&uuml;r die Pr&auml;vention weiterer Frakturen.<br />Eine Kombination aus Alterstraumazentrum und Fracture-Liaison-Service erm&ouml;glicht eine effizientere Osteoporosetherapie durch enge Anbindung der alterstraumatologischen Patienten an die Behandler und eine engere Verkn&uuml;pfung untereinander. Es wird eine z&uuml;gige Initiierung der geeigneten Osteoporosetherapie erm&ouml;glicht und die Refrakturraten k&ouml;nnen deutlich gesenkt werden. Ein weiterer positiver Effekt zeigt sich in der gesundheits&ouml;konomischen Kostenreduktion.<br />Der Fracture-Liaison-Service schafft eine deutliche Steigerung der Effizienz der Osteoporosetherapie und eine Reduktion der Folgefrakturrate bei alterstraumatologischen Patienten.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2019_Jatros_Ortho_1903_Weblinks_jatros_ortho_1903_s32_abb1_kammerlander.jpg" alt="" width="550" height="305" /></p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2019_Jatros_Ortho_1903_Weblinks_jatros_ortho_1903_s33_abb2_kammerlander.jpg" alt="" width="550" height="528" /></p></p> <p class="article-footer"> <a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a> <div class="collapse" id="collapseLiteratur"> <p>&bull; Böcker W et al.: Alterstraumatologie praxisnah, kompakt, interdisziplinär. Stuttgart: Schattauer Verlag, 2018 &bull; Gleich J et al.: Orthogeriatric treatment reduces potential inappropriate medication in older trauma patients: a retrospective, dual-center study comparing conventional trauma care and co-managed treatment. Eur J Med Res 2019; 24(1): 4 &bull; Kammerlander C et al.: Patient outcomes after screw fixation of hip fractures. Lancet 2018; 392(10161): 2264-5 &bull; Neuerburg C et al.: Identification, diagnostics and guideline conform therapy of osteoporosis (DVO) in trauma patients: a treatment algorithm. Unfallchirurg 2015; 118(11): 913-24 &bull; Neuerburg C et al.: Investigation and management of osteoporosis in aged trauma patients: a treatment algorithm adapted to the German guidelines for osteoporosis. J Orthop Surg Res 2017; 12(1): 86 &bull; Schray D et al.: Value of a coordinated management of osteoporosis via Fracture Liaison Service for the treatment of orthogeriatric patients. Eur J Trauma Emerg Surg 2016; 42(5): 559-64</p> <p>&bull; Weitere Literatur: bei den Verfassern</p> </div> </p>
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