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Fortschritt oder Modeerscheinung?
Jatros
Autor:
Dr. Klaus Schatz
Leiter des Schulterteams<br> Universitätsklinik für Orthopädie, Wien<br> E-Mail: klaus.schatz@meduniwien.ac.at
30
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15.09.2016
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<p class="article-intro">Nach der ersten Publikation von Neer 1974<sup>1</sup> über den endoprothetischen Ersatz des Schultergelenkes entwickelte sich die Disziplin hinsichtlich der Schaftlänge kontinuierlich in die gleiche Richtung. Unter Berücksichtigung des mit Abstand wesentlichsten Aspekts, der anatomisch korrekten Rekonstruktion, wurden über die vergangenen Jahrzehnte vier Generationen von konventionellen Endoprothesen entwickelt und inzwischen auch bereits zwei Generationen von Kurzschaftprothesen vorgestellt, die eine immer korrektere Positionierung der Implantate ermöglichten.</p>
<hr />
<p class="article-content"><p>Komplikationen im Schaftbereich sind zwar relativ selten (intraoperative Schaftfrakturen: 1,5 % , postoperative periprothetische Frakturen: 1,6–2,3 % ), langfristig kommt es jedoch bei der Schaftprothese durch „stress shielding“ mit Osteolysen und Schaftlockerungen auch zu Knochenresorptionen. Erschwerend kommt hinzu, dass nach fehlgeschlagener Primärimplantation jede weitere Revisionsoperation mit signifikantem zusätzlichem Knochenverlust und dementsprechend schlechten klinischen Ergebnissen einhergeht.<br /> <br /> Unter allen zu berücksichtigenden Parametern zeigte sich vor allem ein Trend über die Jahrzehnte hinweg: Die Prothesenschäfte wurden nahezu linear immer kürzer. Diese Entwicklung war unübersehbar und dem Wunsch des Chirurgen geschuldet, möglichst wenige Komplikationen im Bereich des Schaftes zu haben. Insbesondere gilt es, mögliche Komplikationen im Bereich des Schaftes zu vermeiden und gleichzeitig für allfällige Revisionseingriffe ausreichend Knochenmaterial zur Verfügung zu haben. Prinzipiell würde sich unter diesem Aspekt das sogenannte „resurfacing“, also der reine Oberflächenersatz ohne Kopfresektion, anbieten, allerdings um den Preis der Rekonstruktion des Gelenks im Sinne einer Total­endoprothese, da die einwandfreie Implantation eines Glenoidersatzes aufgrund der mangelhaften Glenoidexposition technisch sehr schwierig, wenn nicht unmöglich ist. <br /> <br /> Als eine der ersten schaftfreien Endoprothesen kam 2004 die Simplicity (Wright Medical) auf den Markt. 2010 erschien darüber die erste Originalarbeit von Huguet et al.<sup>2</sup> 63 Patienten wurden eingeschlossen, das Follow-up war 3 Jahre, untersucht wurden Prothesen des Typs TESS (Zimmer-Biomet), die sowohl als Hemi- (n=44) als auch als Totalendoprothesen (n=19) implantiert worden waren. Indikationen waren primäre und posttraumatische Arthrosen sowie Osteonekrosen. Huguet et al berichteten über eine Verbesserung des Constant Score von 35 präoperativ auf 75 nach 3 Jahren, Anteversion von 49° auf 145° sowie Außenrotation von 20° auf 40°. In ihrem Kollektiv kam es weder zu Lockerungen noch zu Osteolyse, „stress shielding“ oder radiologischen Saumbildungen um die Prothese. Allerdings berichteten sie über 5 intraoperative Frakturen im Bereich des lateralen Cortex beim Einschlagen des Schaftes, die nach 2 Monaten allesamt konservativ und komplikationslos ausgeheilt waren. 7 von 63 Prothesen mussten innerhalb von 3 Jahren entfernt werden, wobei viermal eine Infektion, zweimal eine massive Rotatorenmanschettenruptur und einmal eine Instabilität der Grund für den Revisionseingriff waren. Die hohe Revisionsrate von 11,1 ist durch die hohe Rate an Hemiprothesen im Kollektiv zu erklären.<br /> <br /> 2013 publizierten Berth und Pap ihre Vergleichsstudie von TESS (schaftfrei) versus Affinis (mit Schaft).<sup>3</sup> 82 Patienten wurden prospektiv randomisiert im Rahmen einer longitudinalen Arbeit eingeschlossen. Als einzige Indikation für den Gelenksersatz wurde die Arthrose definiert, implantiert wurden ausschließlich Totalendoprothesen. Die 2-Jahres-Ergebnisse zeigten bei beiden ähnlich signifikante Verbesserungen bei ROM, DASH und Constant Score, wesentliche Unterschiede zwischen den beiden Prothesen wurden keine festgestellt. Die einzigen Parameter, die beim schaftfreien Implantat besser waren, ergaben sich aus der weniger invasiven Operationstechnik: OP-Zeit, Blutverlust und Hospitalisierungsdauer waren in dieser Gruppe niedriger. Radiologisch konnten bei beiden Prothesentypen nach 2 Jahren keinerlei Lockerungen festgestellt werden. Es gab eine intraoperative Fraktur des Tuberculum majus bei der Schaftprothese, Revisionen waren innerhalb des Beobachtungszeitraumes in beiden Gruppen nicht notwendig gewesen.<br /> <br /> Die größte Fallzahl wurde im Rahmen einer Arbeit von Churchill 2014 publiziert.<sup>4</sup> 149 Patienten mit Simplicity-Prothese (Tornier, resp. Wright Medical) wurden prospektiv randomisiert über 2 Jahre betrachtet. Zusammenfassend konnte auch hier eine signifikante Verbesserung hinsichtlich Constant Score, ASES-Score, Kraft, Schmerz und Bewegungsausmaß in allen 3 Ebenen evaluiert werden. Die verblindete radiologische Kontrolle anhand eines Vergleichs einer Aufnahme 2 Wochen postoperativ mit einer 2-Jahres-Untersuchung zeigte keinerlei Zeichen von Lockerung, Saumbildung, Osteolyse oder „stress shielding“. Die Studie ergab also stabile Verhältnisse der Simplicity-Prothesen nach 2 Jahren.<br /> <br /> Die aktuellsten Ergebnisse findet man bei Habermeyer, der im Rahmen einer mittelfristigen prospektiven Studie mit 96 Patienten über einen Zeitraum von 5 Jahren durchaus interessante Ergebnisse zu einigen Detailaspekten publizierte.<sup>5</sup> Die Indikationen waren heterogen, implantiert wurde immer eine Eclipse (Arthrex), entweder mit oder ohne Glenoid­ersatz. Abduktion/Elevation, Außen- und Innenrotation sowie Constant Score und Kraft verbesserten sich wie bei allen anderen Autoren signifikant. Die radiologische Analyse ergab jedoch ein gehäuftes Vorliegen von „verminderter spongiöser Knochendichte“ im Bereich des Tuberculum majus. Dieses Phänomen lag bei 54 % aller Hemiarthroplastiken sowie bei 46 % aller Totalendoprothesen vor. Diese Veränderung wurde als Zeichen der Knochenresorption gewertet, was allerdings keinerlei klinische Unterschiede im Vergleich zur Gruppe ohne dieses Phänomen innerhalb der 5-Jahres-Beobachtung zur Folge hatte. 1 Patient aus der Gruppe mit herabgesetzter Knochendichte im Trochanterbereich hatte zusätzlich eine inkomplette Aufhellungslinie im Bereich der Verankerung, 3 Patienten zeigten zusätzliche Knochenresorptionen unterhalb des Prothesenhalses. 2 von diesen wiederum hatten gleichzeitig eine Glenoidlockerung.<br /> Die gesamte Komplikationsrate wurde mit 12,8 % angegeben, die Revisionsrate war 9 % .</p> <h2>7 Prothesentypen am Markt</h2> <p>2004 wurde die Simplicity-Prothese vorgestellt (vormals Tornier, jetzt Wright Medical). Sie ist derzeit die Einzige, die eine Zulassung in Amerika hat und FDA-approved ist (März 2015). 2010 wurden erste klinische Ergebnisse aus Frankreich publiziert. Das Design ist zweiteilig mit drei Finnen, die Beschichtung ist porös, was ein gutes Einwachsen des Implantats ermöglichen soll.<br /> <br /> Biomet brachte 2004 die Modellreihe TESS auf den Mark (etwas später gefolgt von der NANO, einem Implantat der zweiten Generation, also einer Prothese, die sowohl anatomisch als auch invers eingebaut werden kann), ebenfalls als porös beschichtetes Implantat zum metaphysären „impaction grafting“ ausgelegt. Es gibt derzeit noch keine Zulassung für die USA (IDE Trial läuft).<br /> <br /> 2005 kam Arthrex mit der Eclipse auf den Markt. Sie ist dreiteilig, mit rauer, sandgestrahlter Oberfläche, einem zentralen Cage und als Einzige mit einem Einschraubmechanismus versehen (kein „impaction grafting“, derzeit noch nicht FDA-approved, ebenfalls IDE-Trial-Status).<br /> <br /> 2008 folgte die Markteinführung der Affinis-Kurzschaftprothese (Mathys) in Europa, mit einem ähnlichen sogenannten „Open window“-Kragendesign wie bei Simplicity, aus Titan mit poröser Oberfläche und Keramikkopf. Auch hier gilt wieder: bisher keine FDA-Prüfung absolviert.<br /> <br /> 2012 erfolgte der Start der SIDUS-Kurzschaftprothese, ähnlich der Affinis mit 4 offenen Finnen und rauer Oberfläche. Auch hier läuft IDE, die FDA-Zulassung fehlt derzeit ebenfalls noch. <br /> <br /> 2015 war die Einführung der FX-Solutions von Easytech, bestehend aus 3 Komponenten mit einem zentralen Pfeiler, umgeben von einem 5-teiligen „Open window“-Kragen für „impaction grafting“ im Bereich der Metaphyse (kein FDA- Approval).<br /> <br /> 2015 folgte dann auch noch die „SMR stemless“ von Lima, ein 4-teiliges modulares System der zweiten Generation (anatomisch und invers anwendbar). Sie wird ebenfalls impaktiert und ermöglicht als trabekuläre Titanprothese das Einwachsen in die Metaphyse. Als inverses Implantat besteht sie aus CoCrMo mit einer Polyethylenglenosphäre.<br /> <br /> Unter den gängigsten 7 am Markt befindlichen Implantaten der ersten Generation gibt es heute, 12 Jahre nach Einführung, wenige Arbeiten mit längerfristigen Ergebnissen als 2 Jahre. Lediglich TESS (Biomet), Simplicity (Tornier/Wright Medical) und Eclipse (Arthrex) können solche 2-Jahres-Ergebnisse aufweisen.<br /> Grundsätzlich muss man festhalten, dass es im Vergleich zu konventionellen Goldstandard-Prothesen in kurz- und mittelfristigen Studien offensichtlich keine Unterschiede gibt. Sowohl radiologisch als auch klinisch dürften beide Prinzipien über den Beobachtungszeitraum von 2 Jahren einander ebenbürtig sein.<br /> Zu den wesentlichen Kriterien wie Verankerungsprinzip (einschrauben/„impaction grafting“), Art des Kragendesigns (geschlossener Ring/„open window“) sowie Art der idealen Oberflächenbeschaffenheit gibt es unter den verschiedenen Anbietern große Unterschiede. Da derzeit noch keine ausreichend langfristigen Ergebnisse von Implantaten der ersten Generation verfügbar sind, müssen Chirurgen bei der Auswahl des jeweiligen Typs sehr sorgfältig vorgehen. Mit besonderer Vorsicht sollte man an die Anwendung von Modellsystemen der zweiten Generation herangehen. Es gibt bis dato keine verlässlichen Informationen darüber, ob eine schaftfreie inverse Prothese bedenkenlos verwendbar ist.</p></p>
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<p><strong>1</strong> Neer CS: J Bone Joint Surg Am 1974; 56(1): 1-13 <strong>2</strong> Huguet D et al: J Shoulder Elb Surg 2010; 19(6): 847-52 <strong>3</strong> Berth A, Pap G: J Orthop Traumatol 2013; 14(1): 31-37 <strong>4</strong> Churchill RS: J Shoulder Elbow Surg 2014; 23(9): 1409-14 <strong>5</strong> Habermeyer P et al: J Shoulder Elb Surg 2013; 22(9): 1463-72</p>
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