Evidenzbasierte Behandlung des lateralen Ellbogenschmerzes

<p class="article-intro">Die Epikondylitis ist ein diagnostischer Sammelbegriff mit einem reichen Potenzial an Stolpersteinen. Er summiert eine Reihe pathomechanisch sehr unterschiedlicher Diagnosen, deren einzige Gemeinsamkeit es ist, dass bei keiner der Epikondylus selbst geschädigt ist und dass die wenigsten mit Tennis zu tun haben.</p> <p class="article-content"><div id="keypoints"> <h2>Keypoints</h2> <ul> <li>Schmerzen am lateralen Ellbogen sind h&auml;ufig und haben verschiedene Ursachen ausser dem Tennisarm.</li> <li>Chronische Schmerzen am lateralen Ellbogen (trotz Behandlung) sind eher eine Instabilit&auml;t als ein chronischer Tennisarm.</li> <li>Die Ellbogeninstabilit&auml;t kann mit einfachen Tests diagnostiziert werden, aber die Ver&auml;nderungen sind zumeist subtil.</li> <li>Auch kleine Frakturen k&ouml;nnen langfristige Probleme am Ellbogen erzeugen. Diese betreffen meist die Weichteile (B&auml;nder/Knorpel) und sind am Nativr&ouml;ntgen nicht sichtbar.</li> </ul> </div> <p>Atraumatische Schmerzen um den lateralen Ellbogen wurden lange Zeit und werden zum Teil immer noch nahezu reflexartig als Tennisarm angesehen. Dabei wird der Terminus als Sammelbegriff f&uuml;r ein unspezifisches Symptom vieler verschiedener Ursachen benutzt. Dank detaillierter wissenschaftlicher Kleinstarbeit und deutlich verbesserter technischer M&ouml;glichkeiten, wie der Ellbogenarthroskopie und hochaufl&ouml;sender Bildgebung, gibt es heute eine fundierte und stetig wachsende Grundlage f&uuml;r die Differenzialdiagnostik und Behandlung der Patienten mit lateralem Ellbogenschmerz. Diese Arbeit will einen &Uuml;berblick &uuml;ber die wichtigsten Diagnosen und einen kurzen Ausblick auf neue Themen geben.</p> <h2>Der Tennisarm</h2> <p>Der Tennisarm ist immer noch eine der wichtigsten Differenzialdiagnosen bei lateralem Ellbogenschmerz. Es handelt sich dabei aber nicht um eine Entz&uuml;ndung, sondern um eine angiofibroblastische Hyperplasie der Sehnen der Extensoren, die sowohl schmerzhaft ist, als auch zur degenerativen Sch&auml;den f&uuml;hrt. Weiters ist der Tennisarm eine selbstlimitierende Erkrankung. Eine rezente Metaanalyse von 22 randomisierten kontrollierten Studien zeigte sogar, dass zwischen reinem Abwarten und konservativer Therapie nach 1 Jahr Nachuntersuchung kein klinischer Unterschied besteht.<br /> In der Untersuchung wird gerne der Cozen-Test zitiert, also die Handgelenksstreckung gegen den Widerstand, wobei aber vergessen wird, dass dies ein unspezifischer Test f&uuml;r eine &Uuml;berlastung der Extensoren jeglicher Ursache ist.<br /> Als evidenzbasierte konservative Therapien haben sich exzentrische &Uuml;bungen, die Belastungskarenz und Infiltrationen herausgestellt. Unter den Letzteren hat Kortison zwar einen kurzfristigen schmerzlindernden Effekt, jedoch auch eine hohe R&uuml;ckfallrate und sekund&auml;re Gewebesch&auml;den werden bei geh&auml;uften Anwendungen gesehen. Thrombozytenkonzentrate und Hyalurons&auml;ure haben in randomisierten Studien gute und anhaltende Ergebnisse gezeigt. Bei therapierefrakt&auml;ren (&gt;6 Monate) F&auml;llen kann eine Arthroskopie mit ECRB-Release diskutiert werden, aber zuvor sollten Instabilit&auml;ten und andere Differenzialdiagnosen ausgeschlossen werden.</p> <p><strong>Pitfalls</strong><br /> Der laterale Ellbogenschmerz ist ein h&ouml;chst unspezifisches Symptom mit einer Vielzahl m&ouml;glicher Differenzialdiagnosen zum Tennisarm. Anhaltende (&gt;6 Monate) Beschwerden trotz Behandlung oder &Auml;nderungen im Schmerzcharakter nach Behandlung m&uuml;ssen weiter abgekl&auml;rt werden!</p> <h2>Die Ellbogeninstabilit&auml;t</h2> <p>Die wichtigste Differenzialdiagnose zum Tennisarm beim Patienten mit lateralem Ellbogenschmerz sind Sch&auml;den des lateralen und posterolateralen Bandapparates (Abb. 1). Dies verursacht ein seitliches Abdrehen des gesamten Unterarms in Relation zum Oberarm, genannt posterolaterale Rotationsinstabilit&auml;t (PLRI). In unseren Breitengraden entsteht die PLRI weniger oft durch Trauma, sondern meist durch repetitive &Uuml;berlastung. Bei Insuffizienz des Bandapparates versuchen die Extensoren den Ellbogen zu stabilisieren, werden dadurch aber &uuml;berlastet und beginnen zu schmerzen. Die PLRI hat subtile Symptome, und auch sp&auml;t im Verlauf klagen die Patienten mehr &uuml;ber Schmerz als &uuml;ber Instabilit&auml;t. Es ist wichtig zu bedenken, dass Patienten, v.a. Kinder, auch wegen einer &laquo;Bewegungseinschr&auml;nkung&raquo; vorgestellt werden, da sie die Provokationsstellung aus kombinierter Extension und Supination unbewusst vermeiden. Die klinische Untersuchung ist aber einfach und zuverl&auml;ssig. Der Schubladentest kann die Diagnose der PLRI sichern (Abb. 2), ein einfacher Varusstresstest erlaubt die Beurteilung des Aussenbands (Endpunkt Schmerz: Sensitivit&auml;t 65 % , Spezifit&auml;t 50 % ; Endpunkt Aufklappbarkeit: Sensitivit&auml;t 19 % , Spezifit&auml;t 100 % ). Zur Best&auml;tigung der klinischen Diagnose eignen sich Fluoroskopie und Ultraschall (Aufklappbarkeit) und das MRI (Bandschaden und Subluxationsstellung).<br /> Muskul&auml;re Kompensation und Belastungsmodifikation stehen im Zentrum der konservativen Therapie. Da das instabile Gelenk die Gefahr einer beschleunigten arthritischen Degeneration birgt, sollte bei klinisch relevanter Instabilit&auml;t und Versagen der konservativen Therapie &uuml;ber einen Stabilisierungseingriff diskutiert werden. <br /><br /><strong>Pitfalls</strong><br /> Rezente Studien zeigen, dass die posterolaterale Rotationsinstabilit&auml;t zur h&auml;ufigsten und damit wichtigsten Differenzialdiagnose beim chronischen lateralen Ellbogenschmerz (&laquo;chronischer/therapieresistenter Tennisarm&raquo;) geh&ouml;rt. Ein grosser Teil der Instabilit&auml;ten entsteht nicht durch einen Unfall, sondern durch repetitive &Uuml;berlastung.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2018_Leading Opinions_Ortho_1803_Weblinks_s43_abb1.jpg" alt="" width="2149" height="940" /></p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2018_Leading Opinions_Ortho_1803_Weblinks_s43_abb2.jpg" alt="" width="1417" height="937" /></p> <h2>Die einklemmende Plica</h2> <p>Plicae sind R&uuml;ckst&auml;nde aus der embryonalen Entwicklung der Gelenke, die an sich nicht pathologisch sind (Abb. 3). Wenn sie eine gewisse Gr&ouml;sse erreichen, kann es aber zu schmerzhaften Einklemmungen kommen. Dadurch verdickt die Plica, was weitere Einklemmungen provoziert und einen Teufelskreis ausl&ouml;sen kann.<br /> Die Diagnostik erfolgt durch die typische Anamnese und Reproduktion der Beschwerden in der Bewegung von Flexion/ Pronation zu Extension/Supination. Im Ultraschall kann die Plica gut dargestellt und gezielt diagnostisch-therapeutisch infiltriert werden. Zumeist ist die Infiltration therapeutisch ausreichend, in seltenen F&auml;llen wird danach trotzdem eine Resektion n&ouml;tig, welche sehr gut arthroskopisch durchgef&uuml;hrt werden kann.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2018_Leading Opinions_Ortho_1803_Weblinks_s43_abb3.jpg" alt="" width="350" height="471" /></p> <h2>Der Knorpel</h2> <p>Eine lokalisierte Pathologie des radiocapitell&auml;ren Knorpels ist eine weitere m&ouml;gliche Ursache f&uuml;r lateralen Ellbogenschmerz. Typische Ursachen sind die idiopathische Osteochondritis dissecans (OCD) bei Kindern und Jugendlichen zwischen 10 und 16 Jahren (Abb. 4). Beim Erwachsenen sind es meist Traumata, h&auml;ufig als Begleitverletzungen aus Radiuskopffrakturen (bis zu 11 % schon bei Mason- 1-Frakturen) oder als Folge von Instabilit&auml;t.<br /> Die Diagnostik ist verh&auml;ltnism&auml;ssig einfach und speist sich aus der Anamnese und einem Druckschmerz auf dem Capitellum. Ebenso ist ein Krepitus bei Beugung/Streckung mit geballter Faust wegweisend. Sowohl R&ouml;ntgen als auch MRI k&ouml;nnen die Diagnose best&auml;tigen. Aufgrund der geringen Dicke des Knorpels am Capitellum kann ein Arthro-CT oft ein besseres Bild der Defektgr&ouml;sse geben als ein Arthro-MRI.<br /> Die Behandlung richtet sich nach Ausmass und Ursache der Erkrankung. Bei der OCD im Wachstumsalter ist eine rein konservative Therapie in den meisten F&auml;llen ausreichend. Beim Erwachsenen bzw. nach Schluss der Wachstumsfugen kann in fr&uuml;hen Stadien meist arthroskopisch behandelt werden, aber selbst eine nur gering bis moderat ausgepr&auml;gte Arthrose des lateralen Ellbogens kann sich beim sportlichen oder manuell t&auml;tigen Patienten zu einem ernsten Problem auswachsen. <br /><br /><strong>Pitfalls</strong><br /> Jugendliche mit Ellbogenschmerz, v.a. bei direktem Druck auf das Capitellum, sollten auf eine OCD abgekl&auml;rt werden. Schmerzen l&auml;nger als 14 Tage nach einer &laquo;einfachen&raquo; Radiuskopffraktur sollten eine Untersuchung der Weichteile (Knorpel/ Bandapparat) nach sich ziehen.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2018_Leading Opinions_Ortho_1803_Weblinks_s43_abb4.jpg" alt="" width="350" height="403" /></p> <h2>Die Nervenkompression</h2> <p>Eine Kompression des (Ramus profundus des) Nervus radialis kann eine Ursache eines lateralen Ellbogenschmerzes sein. Die wichtigste Abgrenzung zum Tennisarm ist ein Druckschmerz &uuml;ber dem Supinator statt des lateralen Epikondylus (sprich 2&ndash;5cm weiter distal). Eine Schw&auml;che der Extensoren zus&auml;tzlich zur Schmerzhaftigkeit kann vorliegen, es ist jedoch auch ein reines Schmerzsyndrom ohne motorische Probleme beschrieben. In der Ultraschalluntersuchung kann die Kompression oft gezeigt und mittels gezielter Infiltration bewiesen und behandelt werden. Chronische F&auml;lle (&gt;6&ndash;12 Monate) k&ouml;nnen eine operative Dekompression n&ouml;tig machen. Danach kann die Erholung des Nervens jedoch bis zu 18 Monate dauern, und die Ergebnisse sind variabel mit Erfolgsraten zwischen 50 % und 90 % . <br /><br /><strong>Pitfalls</strong><br /> Sogenannte Double-crush-Probleme, bei denen der Nerv an zwei Stellen kompromittiert wird, z.B an der HWS und am Ellbogen, haben schlechtere Ergebnisse. Generell ist diese Diagnose recht en vogue, obwohl die klinische Evidenz die Inzidenz mit nur knapp 5 % beschreibt! Die Patienten m&uuml;ssen auf die m&ouml;glicherweise lange Rekonvaleszenz auch nach erfolgreicher Operation vorbereitet werden.</p> <h2>Die HWS</h2> <p>Eine Radikulopathie, typischerweise C6 oder auch C7, kann brennende Schmerzen am lateralen Ellbogen verursachen, die nicht mit einem Tennisarm verwechselt werden d&uuml;rfen. Hyperextension der HWS oder Kompression (Spurling-Test) reproduzieren die typischen brennenden Schmerzen. Ein MRI kann die Diagnose best&auml;tigen, etwaige HWS-Probleme sollten mit einem wirbels&auml;ulenchirurgischen oder schmerztherapeutischen Konsil gew&uuml;rdigt werden. Neue Themen am lateralen Ellbogen Eine &Uuml;bersicht der j&uuml;ngsten Entwicklungen auf dem Gebiet der Ellbogenchirurgie bzw. der Behandlung des lateralen Ellbogenschmerzes w&auml;re ohne kurze Erw&auml;hnung aktueller Forschungsfragen nicht komplett. Zum einen ist dies die (Weiter-)Entwicklung arthroskopischer Techniken zur Stabilisierung des instabilen Ellbogens. Hier gibt es Studien zur arthroskopischen Refixation des Kaspelbandapparates und der Extensoren mit Ankern, was auch ein Thema in der n&auml;chsten Ausgabe von <em>LEADING OPINIONS Orthop&auml;die &amp; Rheumatologie 4/2018</em> sein wird. Zur Behandlung der Instabilit&auml;t gibt es auch Ans&auml;tze zur Korrekturosteotomie des Radiushalses, analog zur Tibiaosteomie bei Kreuzbandinsuffizienz (Abb. 5). Zuletzt bleibt die radiocapitell&auml;re Arthrose ein Thema mit viel Verbesserungsbedarf. Unikompartmentale Prothesen sind weitgehend vollst&auml;ndig vom Markt verschwunden. Radiuskopfresektion/-prothese und/oder Interpositionsarthroplastiken haben keinen definitiven Platz im Behandlungsschema bzw. haben ihre h&ouml;chste Effektivit&auml;t bei einer speziellen, eingegrenzten Population. F&uuml;r fokale Knorpeldefekte oder OCD hingegen hat der Knochen-Knorpel-Zylindertransfer gute Ergebnisse gezeigt, wenngleich es auch hier noch keinen technischen Gold-Standard gibt (Abb. 6).</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2018_Leading Opinions_Ortho_1803_Weblinks_s43_abb5.jpg" alt="" width="2149" height="946" /></p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2018_Leading Opinions_Ortho_1803_Weblinks_s43_abb6.jpg" alt="" width="1417" height="909" /></p> <h2>Fazit</h2> <p>In der Behandlung des lateralen Ellbogenschmerzes hat die Orthop&auml;die respektive Sportmedizin zuletzt grosse Fortschritte gemacht. Die wahrscheinlich wichtigste Entwicklung war das Konzept der Diagnose und Behandlung der posterolateralen Rotationsinstabilit&auml;t, besonders als Differenzialdiagnose zum &laquo;chronischen Tennisarm&raquo;. Weitere Entwicklungen und wissenschaftliche Studien werden vielleicht schon in naher Zukunft neue Optionen f&uuml;r arthroskopische Techniken und die Behandlung von Knorpelsch&auml;den und Arthrose bieten.</p></p> <p class="article-footer"> <a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a> <div class="collapse" id="collapseLiteratur"> <p>beim Verfasser</p> </div> </p>
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