
Evidenzbasierte Behandlung des lateralen Ellbogenschmerzes
Leading Opinions
Autor:
PD Dr. med. Patrick Vavken
alphaclinic Zürich, Zürich<br> ADUS Klinik, Dielsdorf<br> Harvard Medical School, Boston, USA<br> E-Mail: vavken@alphaclinic.ch
30
Min. Lesezeit
27.09.2018
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<p class="article-intro">Die Epikondylitis ist ein diagnostischer Sammelbegriff mit einem reichen Potenzial an Stolpersteinen. Er summiert eine Reihe pathomechanisch sehr unterschiedlicher Diagnosen, deren einzige Gemeinsamkeit es ist, dass bei keiner der Epikondylus selbst geschädigt ist und dass die wenigsten mit Tennis zu tun haben.</p>
<p class="article-content"><div id="keypoints"> <h2>Keypoints</h2> <ul> <li>Schmerzen am lateralen Ellbogen sind häufig und haben verschiedene Ursachen ausser dem Tennisarm.</li> <li>Chronische Schmerzen am lateralen Ellbogen (trotz Behandlung) sind eher eine Instabilität als ein chronischer Tennisarm.</li> <li>Die Ellbogeninstabilität kann mit einfachen Tests diagnostiziert werden, aber die Veränderungen sind zumeist subtil.</li> <li>Auch kleine Frakturen können langfristige Probleme am Ellbogen erzeugen. Diese betreffen meist die Weichteile (Bänder/Knorpel) und sind am Nativröntgen nicht sichtbar.</li> </ul> </div> <p>Atraumatische Schmerzen um den lateralen Ellbogen wurden lange Zeit und werden zum Teil immer noch nahezu reflexartig als Tennisarm angesehen. Dabei wird der Terminus als Sammelbegriff für ein unspezifisches Symptom vieler verschiedener Ursachen benutzt. Dank detaillierter wissenschaftlicher Kleinstarbeit und deutlich verbesserter technischer Möglichkeiten, wie der Ellbogenarthroskopie und hochauflösender Bildgebung, gibt es heute eine fundierte und stetig wachsende Grundlage für die Differenzialdiagnostik und Behandlung der Patienten mit lateralem Ellbogenschmerz. Diese Arbeit will einen Überblick über die wichtigsten Diagnosen und einen kurzen Ausblick auf neue Themen geben.</p> <h2>Der Tennisarm</h2> <p>Der Tennisarm ist immer noch eine der wichtigsten Differenzialdiagnosen bei lateralem Ellbogenschmerz. Es handelt sich dabei aber nicht um eine Entzündung, sondern um eine angiofibroblastische Hyperplasie der Sehnen der Extensoren, die sowohl schmerzhaft ist, als auch zur degenerativen Schäden führt. Weiters ist der Tennisarm eine selbstlimitierende Erkrankung. Eine rezente Metaanalyse von 22 randomisierten kontrollierten Studien zeigte sogar, dass zwischen reinem Abwarten und konservativer Therapie nach 1 Jahr Nachuntersuchung kein klinischer Unterschied besteht.<br /> In der Untersuchung wird gerne der Cozen-Test zitiert, also die Handgelenksstreckung gegen den Widerstand, wobei aber vergessen wird, dass dies ein unspezifischer Test für eine Überlastung der Extensoren jeglicher Ursache ist.<br /> Als evidenzbasierte konservative Therapien haben sich exzentrische Übungen, die Belastungskarenz und Infiltrationen herausgestellt. Unter den Letzteren hat Kortison zwar einen kurzfristigen schmerzlindernden Effekt, jedoch auch eine hohe Rückfallrate und sekundäre Gewebeschäden werden bei gehäuften Anwendungen gesehen. Thrombozytenkonzentrate und Hyaluronsäure haben in randomisierten Studien gute und anhaltende Ergebnisse gezeigt. Bei therapierefraktären (>6 Monate) Fällen kann eine Arthroskopie mit ECRB-Release diskutiert werden, aber zuvor sollten Instabilitäten und andere Differenzialdiagnosen ausgeschlossen werden.</p> <p><strong>Pitfalls</strong><br /> Der laterale Ellbogenschmerz ist ein höchst unspezifisches Symptom mit einer Vielzahl möglicher Differenzialdiagnosen zum Tennisarm. Anhaltende (>6 Monate) Beschwerden trotz Behandlung oder Änderungen im Schmerzcharakter nach Behandlung müssen weiter abgeklärt werden!</p> <h2>Die Ellbogeninstabilität</h2> <p>Die wichtigste Differenzialdiagnose zum Tennisarm beim Patienten mit lateralem Ellbogenschmerz sind Schäden des lateralen und posterolateralen Bandapparates (Abb. 1). Dies verursacht ein seitliches Abdrehen des gesamten Unterarms in Relation zum Oberarm, genannt posterolaterale Rotationsinstabilität (PLRI). In unseren Breitengraden entsteht die PLRI weniger oft durch Trauma, sondern meist durch repetitive Überlastung. Bei Insuffizienz des Bandapparates versuchen die Extensoren den Ellbogen zu stabilisieren, werden dadurch aber überlastet und beginnen zu schmerzen. Die PLRI hat subtile Symptome, und auch spät im Verlauf klagen die Patienten mehr über Schmerz als über Instabilität. Es ist wichtig zu bedenken, dass Patienten, v.a. Kinder, auch wegen einer «Bewegungseinschränkung» vorgestellt werden, da sie die Provokationsstellung aus kombinierter Extension und Supination unbewusst vermeiden. Die klinische Untersuchung ist aber einfach und zuverlässig. Der Schubladentest kann die Diagnose der PLRI sichern (Abb. 2), ein einfacher Varusstresstest erlaubt die Beurteilung des Aussenbands (Endpunkt Schmerz: Sensitivität 65 % , Spezifität 50 % ; Endpunkt Aufklappbarkeit: Sensitivität 19 % , Spezifität 100 % ). Zur Bestätigung der klinischen Diagnose eignen sich Fluoroskopie und Ultraschall (Aufklappbarkeit) und das MRI (Bandschaden und Subluxationsstellung).<br /> Muskuläre Kompensation und Belastungsmodifikation stehen im Zentrum der konservativen Therapie. Da das instabile Gelenk die Gefahr einer beschleunigten arthritischen Degeneration birgt, sollte bei klinisch relevanter Instabilität und Versagen der konservativen Therapie über einen Stabilisierungseingriff diskutiert werden. <br /><br /><strong>Pitfalls</strong><br /> Rezente Studien zeigen, dass die posterolaterale Rotationsinstabilität zur häufigsten und damit wichtigsten Differenzialdiagnose beim chronischen lateralen Ellbogenschmerz («chronischer/therapieresistenter Tennisarm») gehört. Ein grosser Teil der Instabilitäten entsteht nicht durch einen Unfall, sondern durch repetitive Überlastung.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2018_Leading Opinions_Ortho_1803_Weblinks_s43_abb1.jpg" alt="" width="2149" height="940" /></p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2018_Leading Opinions_Ortho_1803_Weblinks_s43_abb2.jpg" alt="" width="1417" height="937" /></p> <h2>Die einklemmende Plica</h2> <p>Plicae sind Rückstände aus der embryonalen Entwicklung der Gelenke, die an sich nicht pathologisch sind (Abb. 3). Wenn sie eine gewisse Grösse erreichen, kann es aber zu schmerzhaften Einklemmungen kommen. Dadurch verdickt die Plica, was weitere Einklemmungen provoziert und einen Teufelskreis auslösen kann.<br /> Die Diagnostik erfolgt durch die typische Anamnese und Reproduktion der Beschwerden in der Bewegung von Flexion/ Pronation zu Extension/Supination. Im Ultraschall kann die Plica gut dargestellt und gezielt diagnostisch-therapeutisch infiltriert werden. Zumeist ist die Infiltration therapeutisch ausreichend, in seltenen Fällen wird danach trotzdem eine Resektion nötig, welche sehr gut arthroskopisch durchgeführt werden kann.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2018_Leading Opinions_Ortho_1803_Weblinks_s43_abb3.jpg" alt="" width="350" height="471" /></p> <h2>Der Knorpel</h2> <p>Eine lokalisierte Pathologie des radiocapitellären Knorpels ist eine weitere mögliche Ursache für lateralen Ellbogenschmerz. Typische Ursachen sind die idiopathische Osteochondritis dissecans (OCD) bei Kindern und Jugendlichen zwischen 10 und 16 Jahren (Abb. 4). Beim Erwachsenen sind es meist Traumata, häufig als Begleitverletzungen aus Radiuskopffrakturen (bis zu 11 % schon bei Mason- 1-Frakturen) oder als Folge von Instabilität.<br /> Die Diagnostik ist verhältnismässig einfach und speist sich aus der Anamnese und einem Druckschmerz auf dem Capitellum. Ebenso ist ein Krepitus bei Beugung/Streckung mit geballter Faust wegweisend. Sowohl Röntgen als auch MRI können die Diagnose bestätigen. Aufgrund der geringen Dicke des Knorpels am Capitellum kann ein Arthro-CT oft ein besseres Bild der Defektgrösse geben als ein Arthro-MRI.<br /> Die Behandlung richtet sich nach Ausmass und Ursache der Erkrankung. Bei der OCD im Wachstumsalter ist eine rein konservative Therapie in den meisten Fällen ausreichend. Beim Erwachsenen bzw. nach Schluss der Wachstumsfugen kann in frühen Stadien meist arthroskopisch behandelt werden, aber selbst eine nur gering bis moderat ausgeprägte Arthrose des lateralen Ellbogens kann sich beim sportlichen oder manuell tätigen Patienten zu einem ernsten Problem auswachsen. <br /><br /><strong>Pitfalls</strong><br /> Jugendliche mit Ellbogenschmerz, v.a. bei direktem Druck auf das Capitellum, sollten auf eine OCD abgeklärt werden. Schmerzen länger als 14 Tage nach einer «einfachen» Radiuskopffraktur sollten eine Untersuchung der Weichteile (Knorpel/ Bandapparat) nach sich ziehen.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2018_Leading Opinions_Ortho_1803_Weblinks_s43_abb4.jpg" alt="" width="350" height="403" /></p> <h2>Die Nervenkompression</h2> <p>Eine Kompression des (Ramus profundus des) Nervus radialis kann eine Ursache eines lateralen Ellbogenschmerzes sein. Die wichtigste Abgrenzung zum Tennisarm ist ein Druckschmerz über dem Supinator statt des lateralen Epikondylus (sprich 2–5cm weiter distal). Eine Schwäche der Extensoren zusätzlich zur Schmerzhaftigkeit kann vorliegen, es ist jedoch auch ein reines Schmerzsyndrom ohne motorische Probleme beschrieben. In der Ultraschalluntersuchung kann die Kompression oft gezeigt und mittels gezielter Infiltration bewiesen und behandelt werden. Chronische Fälle (>6–12 Monate) können eine operative Dekompression nötig machen. Danach kann die Erholung des Nervens jedoch bis zu 18 Monate dauern, und die Ergebnisse sind variabel mit Erfolgsraten zwischen 50 % und 90 % . <br /><br /><strong>Pitfalls</strong><br /> Sogenannte Double-crush-Probleme, bei denen der Nerv an zwei Stellen kompromittiert wird, z.B an der HWS und am Ellbogen, haben schlechtere Ergebnisse. Generell ist diese Diagnose recht en vogue, obwohl die klinische Evidenz die Inzidenz mit nur knapp 5 % beschreibt! Die Patienten müssen auf die möglicherweise lange Rekonvaleszenz auch nach erfolgreicher Operation vorbereitet werden.</p> <h2>Die HWS</h2> <p>Eine Radikulopathie, typischerweise C6 oder auch C7, kann brennende Schmerzen am lateralen Ellbogen verursachen, die nicht mit einem Tennisarm verwechselt werden dürfen. Hyperextension der HWS oder Kompression (Spurling-Test) reproduzieren die typischen brennenden Schmerzen. Ein MRI kann die Diagnose bestätigen, etwaige HWS-Probleme sollten mit einem wirbelsäulenchirurgischen oder schmerztherapeutischen Konsil gewürdigt werden. Neue Themen am lateralen Ellbogen Eine Übersicht der jüngsten Entwicklungen auf dem Gebiet der Ellbogenchirurgie bzw. der Behandlung des lateralen Ellbogenschmerzes wäre ohne kurze Erwähnung aktueller Forschungsfragen nicht komplett. Zum einen ist dies die (Weiter-)Entwicklung arthroskopischer Techniken zur Stabilisierung des instabilen Ellbogens. Hier gibt es Studien zur arthroskopischen Refixation des Kaspelbandapparates und der Extensoren mit Ankern, was auch ein Thema in der nächsten Ausgabe von <em>LEADING OPINIONS Orthopädie & Rheumatologie 4/2018</em> sein wird. Zur Behandlung der Instabilität gibt es auch Ansätze zur Korrekturosteotomie des Radiushalses, analog zur Tibiaosteomie bei Kreuzbandinsuffizienz (Abb. 5). Zuletzt bleibt die radiocapitelläre Arthrose ein Thema mit viel Verbesserungsbedarf. Unikompartmentale Prothesen sind weitgehend vollständig vom Markt verschwunden. Radiuskopfresektion/-prothese und/oder Interpositionsarthroplastiken haben keinen definitiven Platz im Behandlungsschema bzw. haben ihre höchste Effektivität bei einer speziellen, eingegrenzten Population. Für fokale Knorpeldefekte oder OCD hingegen hat der Knochen-Knorpel-Zylindertransfer gute Ergebnisse gezeigt, wenngleich es auch hier noch keinen technischen Gold-Standard gibt (Abb. 6).</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2018_Leading Opinions_Ortho_1803_Weblinks_s43_abb5.jpg" alt="" width="2149" height="946" /></p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2018_Leading Opinions_Ortho_1803_Weblinks_s43_abb6.jpg" alt="" width="1417" height="909" /></p> <h2>Fazit</h2> <p>In der Behandlung des lateralen Ellbogenschmerzes hat die Orthopädie respektive Sportmedizin zuletzt grosse Fortschritte gemacht. Die wahrscheinlich wichtigste Entwicklung war das Konzept der Diagnose und Behandlung der posterolateralen Rotationsinstabilität, besonders als Differenzialdiagnose zum «chronischen Tennisarm». Weitere Entwicklungen und wissenschaftliche Studien werden vielleicht schon in naher Zukunft neue Optionen für arthroskopische Techniken und die Behandlung von Knorpelschäden und Arthrose bieten.</p></p>
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<a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a>
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<p>beim Verfasser</p>
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