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Erfolge, Grenzen und Hoffnungsschimmer

<p class="article-intro">Die operative Behandlung osteolytischer Metastasen kann die Lebensqualität von Tumorpatienten erheblich verbessern und dank moderner Operationstechniken können heute auch hochgradige Deformitäten der Wirbelsäule korrigiert werden. Das Risiko für Komplikationen ist allerdings ebenfalls hoch. Hoffnung für Bandscheiben bieten regenerative Therapieansätze mit Stammzellen – vorläufig jedoch nur im Tiermodell.</p> <hr /> <p class="article-content"><p>Experten aus Deutschland und &Ouml;sterreich trafen beim 18. Spine-Symposium zusammen, um vor interessiertem Fachpublikum aktuellste Entwicklungen auf dem Gebiet der Wirbels&auml;ulenmedizin vorzustellen, Erfahrungen auszutauschen und interdisziplin&auml;r zu diskutieren. Beim Thema &bdquo;Erfolge und Grenzen der Therapie&ldquo; lag der Schwerpunkt unter anderem beim stetig wachsenden Bereich der Deformit&auml;tenchirurgie. Dabei wurden nicht nur die M&ouml;glichkeiten, sondern auch Bedenken und Herausforderungen zur Sprache gebracht.</p> <h2>Osteolytische L&auml;sionen bei Metastasen</h2> <p>Die prim&auml;ren Ziele und Indikationen in der orthop&auml;dischen Metastasenbehandlung sind die Wiederherstellung der Stabilit&auml;t (f&uuml;r die erwartete Lebenszeit) und die Reduktion von neurologischen Symptomen und Schmerz. &bdquo;Die Eingriffe sind hochinvasiv, sodass wir uns immer die Frage stellen m&uuml;ssen: Was wollen wir dem Patienten zumuten?&ldquo;, sagt Prof. Dr. Petra Krepler, Universit&auml;tsklinik f&uuml;r Orthop&auml;die, Wien. &bdquo;Die Palliation &ndash; mit dem Ziel der maximierten Lebensqualit&auml;t &ndash; sollte im Vordergrund stehen.&ldquo; Ein individueller Behandlungsplan sollte in einem interdisziplin&auml;ren Tumorboard erarbeitet werden. Wichtig ist es in jedem Fall, den Patienten in die Therapieplanung miteinzubeziehen, das Risiko des Eingriffs mit ihm zu besprechen, nach seinen Erwartungen zu fragen und seinen Lebensplan zu ber&uuml;cksichtigen.<br /> &bdquo;W&auml;hrend fr&uuml;her im Palliativsetting Operationen eher vermieden wurden, wei&szlig; man heute, dass die chirurgische Behandlung oss&auml;rer Metastasen die Lebensqualit&auml;t verbessern kann&ldquo;, berichtet Krepler. Einem Komplikationsrisiko von bis zu 25 % steht der Nutzen der operativen Versorgung gegen&uuml;ber: 80 % der Patienten profitieren mit besserer Mobilit&auml;t und Schmerzreduktion; aber auch unspezifische Parameter wie M&uuml;digkeit, Appetitlosigkeit und Angst zeigen eine Besserung. Die Lebenserwartung hingegen wird nicht beeinflusst. Sie liegt im Schnitt zwischen 11 und 13 Monaten, ist jedoch stark abh&auml;ngig von der Art des Prim&auml;rtumors. In den zur Verf&uuml;gung stehenden Algorithmen zur Behandlungsplanung wird deshalb auch die Tumorentit&auml;t ber&uuml;cksichtigt.<br /> &bdquo;Moderne Bildgebungsmethoden erleichtern Abkl&auml;rung, Staging und pr&auml;operative Planung&ldquo;, so Krepler. Verbesserte perioperative Behandlungsm&ouml;glichkeiten haben ebenfalls zum Paradigmenwechsel beigetragen. Die operativen M&ouml;glichkeiten reichen von der reinen Dekompression bis hin zur Entfernung der Metastasen mit Stabilisierung. Radiosensitive Tumoren sollten zuvor bestrahlt werden. Bei nicht strahlenempfindlichen Tumoren und epiduraler Myelonkompression wird &bdquo;surgery first&ldquo; empfohlen.</p> <h2>Sinnhaftigkeit der En-bloc-Spondylektomie</h2> <p>Unter den Behandlungsoptionen bei spinalen Tumoren stellt die En-bloc-Resektion eine besondere chirurgische Herausforderung dar. &bdquo;Das sind riesige Operationen mit betr&auml;chtlichen Komplikationsraten. Dessen m&uuml;ssen wir uns bewusst sein&ldquo;, sagt Prof. Dr. Claudius Thom&eacute; von der Universit&auml;tsklinik f&uuml;r Neurochirurgie, Innsbruck. Solche Eingriffe sind mit einer hohen Morbidit&auml;t von &uuml;ber 40 % verbunden. Problematisch sind die lange Operationsdauer und der hohe Blutverlust (laut Literaturangaben bis zu 6,5 Liter).<br /> H&auml;ufig kommt es zu Rezidiven, weil die Resektionsr&auml;nder kontaminiert bleiben. &bdquo;Auch in den besten Zentren erfolgt die Resektion in bis zu 60 % der F&auml;lle nicht extral&auml;sional&ldquo;, berichtet Thom&eacute;. Dementsprechend ist die Prognose der Patienten &ndash; vor allem beim Ewing-Sarkom und beim Osteosarkom &ndash; nach wie vor nicht g&uuml;nstig. In welchen F&auml;llen ist diese Operation dann &uuml;berhaupt indiziert? &bdquo;Grunds&auml;tzlich entscheidend f&uuml;r die Auswahl der Therapie ist, ob es sich um Prim&auml;rtumoren oder um Metastasen handelt&ldquo;, sagt Thom&eacute;. W&auml;hrend bei prim&auml;ren Tumoren eine kurative Therapie angestrebt wird, ist bei metastatischen Tumoren eine individualisierte palliative Behandlung das Ziel. Zwischen dem (seltenen) prim&auml;ren Wirbels&auml;ulentumor und der progredienten Systemerkrankung mit schlechtem Allgemeinzustand gibt es aber ein Spektrum an weiteren Indikationen wie Solit&auml;rmetastasen und Metastasen von wenig aggressiven Tumoren.<br /> Die haupts&auml;chlichen Indikationen sind Riesenzelltumoren, Osteo- und Chondrosarkome, Chordome und das Ewing-Sarkom. &bdquo;Bei Rezidiven und spinalen Metastasen ist die Indikation zur En-bloc- Spondylektomie nach evidenzbasierten Kriterien nicht gegeben&ldquo;, so Thom&eacute;. &bdquo;Sie kann dennoch im Einzelfall sinnvoll sein.&ldquo; H&auml;ufig ist ein solcher Eingriff jedoch rein technisch gar nicht m&ouml;glich, etwa bei gro&szlig;en L&auml;sionen an der Halswirbels&auml;ule und bei Tumoren mit erheblicher epiduraler Ausdehnung.<br /> Die En-bloc-Resektion von Tumorgewebe kann in verschieden hohem Ausma&szlig; von marginal bis radikal erfolgen. Um das Rezidivrisiko zu senken, r&auml;t Thom&eacute;, vor allem bei jungen Patienten nicht prim&auml;r zu operieren, sondern zuvor eine neoadjuvante Chemotherapie durchzuf&uuml;hren und erst danach &ndash; &bdquo;zum richtigen Zeitpunkt&ldquo; &ndash; den Resttumor zu entfernen. Entscheidend f&uuml;r das Outcome ist auch die postoperative Radiotherapie.</p> <h2>Zellul&auml;re Behandlungsstrategien</h2> <p>Einen Hoffnungsschimmer aus der Grundlagenforschung pr&auml;sentierte die Biologin Dr. Cornelia Neidlinger- Wilke vom Institut f&uuml;r Unfallchirurgische Forschung und Biomechanik der Universit&auml;t Ulm. Zur Regeneration von Bandscheibengewebe gibt es derzeit die meiste Erfahrung mit autologen Bandscheibenzellen. Diese ist recht gut, nachteilig sind die Zweizeitigkeit des Verfahrens und die Tatsache, dass patienteneigenes Bandscheibengewebe m&ouml;glicherweise schon degenerativ ver&auml;ndert ist. Als Alternative wird einerseits am Bandscheibenersatz mit Stammzellen, andererseits an der Stimulierung endogener Zellen geforscht. &bdquo;Stammzellen haben nicht nur das Potenzial, zu bandscheiben&auml;hnlichen Zellen zu differenzieren. Man vermutet, dass sie auch Wachstumsfaktoren und antiinflammatorische Zytokine produzieren und damit das Milieu so ver&auml;ndern, dass der Matrixaufbau gef&ouml;rdert wird&ldquo;, berichtet Neidlinger- Wilke.<br /> In verschiedenen Tiermodellen konnten mit Stammzellen schon vielversprechende Ergebnisse erzielt werden: Es gibt Hinweise auf eine Verz&ouml;gerung der Degeneration. Auch bez&uuml;glich Bandscheibenh&ouml;he und MR-Signalintensit&auml;t wurden Verbesserungen beobachtet. Das gro&szlig;e Aber: Die Bandscheibendegeneration in vielen Tiermodellen ist nicht &bdquo;nat&uuml;rlich&ldquo; entstanden, sondern traumatisch induziert. &bdquo;Eine solche induzierte Degeneration ist mit der altersbedingten Bandscheibendegeneration beim Menschen nicht vergleichbar&ldquo;, sagt Neidlinger-Wilke. Ob die Ergebnisse daher auf die Situation beim menschlichen Patienten &uuml;bertragbar sind, sollen klinische Studien zeigen. Die ersten diesbez&uuml;glich vorliegenden Resultate sind noch widerspr&uuml;chlich; auch sind die Fallzahlen gering. Gr&ouml;&szlig;ere multizentrische Studien sind aber im Laufen.<br /> Viele Fragen sind noch offen: Wie beeinflussen degenerativ- inflammatorische Bedingungen die Stammzelldifferenzierung? Welches Ursprungsgewebe eignet sich am besten? K&ouml;nnen Stammzellen aus der Bandscheibenumgebung rekrutiert werden? M&uuml;ssen die Zellen injiziert werden und gibt es parakrine Effekte? Mit Grundlagenstudien wird versucht, diese Schl&uuml;sselfragen zu beantworten. Neidlinger-Wilke berichtet bisherige Erkenntnisse aus ihrer eigenen In-vitro-Forschungsarbeit mit Stammzellen aus Knochenmark und Fettgewebe. So konnte sie feststellen, dass die chondrogene Differenzierung beider Zelltypen durch das proinflammatorische Milieu reduziert wird. Hinsichtlich der Genexpression von Entz&uuml;ndungsmarkern fand sie erhebliche marker- und spenderabh&auml;ngige Unterschiede: Manche Stammzellen reagierten sogar mit einer erh&ouml;hten Entz&uuml;ndungsantwort. Unter den gew&auml;hlten Versuchsbedingungen war auch die erhoffte positive Wirkung auf den Matrixaufbau nicht zu beobachten: &bdquo;Die Matrixbildung konnte durch mesenchymale Stammzellen in vitro nicht verbessert werden&ldquo;, so Neidlinger-Wilke. Ein erfreuliches Ergebnis: Stammzellen produzieren Faktoren, welche die Zellmigration f&ouml;rdern, sodass sie m&ouml;glicherweise Zellen aus der Umgebung &bdquo;rekrutieren&ldquo; k&ouml;nnen. Die Hoffnungen ruhen darauf, dass die Zelltherapie eine immunmodulierende Wirkung hat und damit Entz&uuml;ndung und Schmerz reduzieren kann. Dies zu untersuchen ist Gegenstand der aktuellen Forschung auf diesem Gebiet.</p> <h2>Posttraumatische Kyphose</h2> <p>Inad&auml;quate Frakturbehandlung bzw. -heilung, chirurgisch-technische Fehler, perioperative Infektionen oder sekund&auml;r degenerative Ver&auml;nderungen k&ouml;nnen zu Kyphosen f&uuml;hren. Eine allgemein akzeptierte Klassifikation solcher posttraumatischer Kyphosen gibt es noch nicht. &Uuml;blicherweise wird der segmentale Kyphosewinkel bestimmt und dokumentiert. &bdquo;Er wird am besten zwischen der Grundplatte des Wirbels kranial der L&auml;sion und der Deckplatte des Wirbels kaudal der L&auml;sion gemessen&ldquo;, erkl&auml;rt Spine-Pr&auml;sident Doz. Dr. Mag. Christian Bach. Ab welchem Winkel eine Kyphose klinisch relevant wird, dar&uuml;ber besteht in der Literatur keine Einigkeit. Manche Autoren ziehen die Grenze bei 5&deg;, andere bei 20&deg;. Ein statistisch signifikantes Risiko f&uuml;r chronisch anhaltende Schmerzen besteht jedenfalls bei einem segmentalen Kyphosewinkel von mehr als 30&deg;. Relevanter als der Winkel ist aber laut Bach die Rigidit&auml;t: &bdquo;Ob die Kyphose flexibel ist oder kn&ouml;chern verankert, ist f&uuml;r das weitere Vorgehen von entscheidender Bedeutung.&ldquo;<br /> Die Indikation zur OP sieht Bach bei chronisch anhaltender Schmerzsymptomatik, progressiven Kyphosen, sagittaler Balancest&ouml;rung, Kyphosen &uuml;ber 30&deg; und neurologischen Ausf&auml;llen. Einfache flexible Kyphosen werden mit ventraler Verl&auml;ngerung und dorsaler Verk&uuml;rzung versorgt. Bei h&ouml;hergradigen, rigideren Kyphosen reicht die ventrale Korrektur &uuml;ber die Bandscheiben oft nicht aus. Hier m&uuml;ssen eventuell Wirbelk&ouml;rper, ganz oder teilweise, entfernt werden, um mehr Flexibilit&auml;t zu schaffen. Bei hochgradigen und kn&ouml;chern fixierten Kyphosen kommen Osteotomie- Techniken wie SPO (Smith-Peterson- Osteotomie), PSO (Pedikelsubstraktionsosteotomie) oder VCR (&bdquo;vertebral column resection&ldquo;) zum Einsatz. Bach betont die Wichtigkeit des intraoperativen Neuromonitorings: SEP und MEP sollten bei allen Deformit&auml;tenkorrekturen Standard sein, aber besonders bei Kyphoseoperationen; denn statistisch gesehen treten neurologische Komplikationen bei Kyphoseaufrichtungen mit bis zu 7 % noch viel h&auml;ufiger auf als etwa bei Skoliosekorrekturen (0,1 % ).</p> <h2>Grenzen sind flie&szlig;end</h2> <p>&Uuml;ber die Grenzen der Deformit&auml;tenchirurgie an der Wirbels&auml;ule sprach Dr. Richard Eyb vom Donauspital SMZ Ost, Wien. Von der &Auml;tiologie her stellen bestimmte Erkrankungen, wie das Beals-, das Marfan- oder das Ehlers-Danlos-Syndrom, Kontraindikationen dar. Die Grenzen der verschiedenen Osteotomietechniken liegen beim Grad der m&ouml;glichen Korrektur: Mit SPO sind lediglich Korrekturen bis zu 5&deg; pro Segment m&ouml;glich. Mit PSO k&ouml;nnen Fehlstellungen bis zu 30&deg; (im Lumbalbereich), mit VCR bis zu 60&deg; korrigiert werden. Jedoch steigt das Risiko f&uuml;r Komplikationen, je mehr osteotomiert wird. Andererseits sind in Einzelf&auml;llen auch schon Korrekturen von noch viel h&ouml;hergradigeren Deformit&auml;ten gelungen, wie Eyb berichtet.<br /> Auch die Patienten selbst k&ouml;nnen der Wirbels&auml;ulenchirurgie Grenzen setzen. So sind ein h&ouml;heres Lebensalter, ein zu hoher oder zu niedriger BMI, An&auml;mie, Diabetes, Osteoporose und Arthritis mit einem erh&ouml;hten Komplikationsrisiko assoziiert. &bdquo;&Uuml;bergewicht ist sogar bei Jugendlichen ein Risikofaktor&ldquo;, sagt Eyb. In einer Analyse von 207 Adoleszenten kam es im Rahmen einer Skoliosekorrektur mit Pedikelschrauben bei 12 % der &Uuml;bergewichtigen zu Infektionen versus 3 % bei den Normalgewichtigen (Katyal C et al: Spine Deform 2015; 3: 166).<br /> Last, but not least weist Eyb auf die Grenzen im pers&ouml;nlichen Bereich hin: Nicht nur die Risikofaktoreneinsch&auml;tzung, sondern auch eine ehrliche Selbsteinsch&auml;tzung soll Teil der Therapieplanung sein. &bdquo;Insgesamt sind die Grenzen der Wirbels&auml;ulenchirurgie nicht scharf zu ziehen&ldquo;, meint Eyb zusammenfassend, &bdquo;und sie treten meist oft dort auf, wo wir sie nicht erwarten.&ldquo;</p></p> <p class="article-quelle">Quelle: 18. Symposium der Österreichischen Gesellschaft für Wirbelsäulenchirurgie, Wien, 28. Jänner 2017 </p>
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