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Erfolge, Grenzen und Hoffnungsschimmer
Jatros
30
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30.03.2017
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<p class="article-intro">Die operative Behandlung osteolytischer Metastasen kann die Lebensqualität von Tumorpatienten erheblich verbessern und dank moderner Operationstechniken können heute auch hochgradige Deformitäten der Wirbelsäule korrigiert werden. Das Risiko für Komplikationen ist allerdings ebenfalls hoch. Hoffnung für Bandscheiben bieten regenerative Therapieansätze mit Stammzellen – vorläufig jedoch nur im Tiermodell.</p>
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<p class="article-content"><p>Experten aus Deutschland und Österreich trafen beim 18. Spine-Symposium zusammen, um vor interessiertem Fachpublikum aktuellste Entwicklungen auf dem Gebiet der Wirbelsäulenmedizin vorzustellen, Erfahrungen auszutauschen und interdisziplinär zu diskutieren. Beim Thema „Erfolge und Grenzen der Therapie“ lag der Schwerpunkt unter anderem beim stetig wachsenden Bereich der Deformitätenchirurgie. Dabei wurden nicht nur die Möglichkeiten, sondern auch Bedenken und Herausforderungen zur Sprache gebracht.</p> <h2>Osteolytische Läsionen bei Metastasen</h2> <p>Die primären Ziele und Indikationen in der orthopädischen Metastasenbehandlung sind die Wiederherstellung der Stabilität (für die erwartete Lebenszeit) und die Reduktion von neurologischen Symptomen und Schmerz. „Die Eingriffe sind hochinvasiv, sodass wir uns immer die Frage stellen müssen: Was wollen wir dem Patienten zumuten?“, sagt Prof. Dr. Petra Krepler, Universitätsklinik für Orthopädie, Wien. „Die Palliation – mit dem Ziel der maximierten Lebensqualität – sollte im Vordergrund stehen.“ Ein individueller Behandlungsplan sollte in einem interdisziplinären Tumorboard erarbeitet werden. Wichtig ist es in jedem Fall, den Patienten in die Therapieplanung miteinzubeziehen, das Risiko des Eingriffs mit ihm zu besprechen, nach seinen Erwartungen zu fragen und seinen Lebensplan zu berücksichtigen.<br /> „Während früher im Palliativsetting Operationen eher vermieden wurden, weiß man heute, dass die chirurgische Behandlung ossärer Metastasen die Lebensqualität verbessern kann“, berichtet Krepler. Einem Komplikationsrisiko von bis zu 25 % steht der Nutzen der operativen Versorgung gegenüber: 80 % der Patienten profitieren mit besserer Mobilität und Schmerzreduktion; aber auch unspezifische Parameter wie Müdigkeit, Appetitlosigkeit und Angst zeigen eine Besserung. Die Lebenserwartung hingegen wird nicht beeinflusst. Sie liegt im Schnitt zwischen 11 und 13 Monaten, ist jedoch stark abhängig von der Art des Primärtumors. In den zur Verfügung stehenden Algorithmen zur Behandlungsplanung wird deshalb auch die Tumorentität berücksichtigt.<br /> „Moderne Bildgebungsmethoden erleichtern Abklärung, Staging und präoperative Planung“, so Krepler. Verbesserte perioperative Behandlungsmöglichkeiten haben ebenfalls zum Paradigmenwechsel beigetragen. Die operativen Möglichkeiten reichen von der reinen Dekompression bis hin zur Entfernung der Metastasen mit Stabilisierung. Radiosensitive Tumoren sollten zuvor bestrahlt werden. Bei nicht strahlenempfindlichen Tumoren und epiduraler Myelonkompression wird „surgery first“ empfohlen.</p> <h2>Sinnhaftigkeit der En-bloc-Spondylektomie</h2> <p>Unter den Behandlungsoptionen bei spinalen Tumoren stellt die En-bloc-Resektion eine besondere chirurgische Herausforderung dar. „Das sind riesige Operationen mit beträchtlichen Komplikationsraten. Dessen müssen wir uns bewusst sein“, sagt Prof. Dr. Claudius Thomé von der Universitätsklinik für Neurochirurgie, Innsbruck. Solche Eingriffe sind mit einer hohen Morbidität von über 40 % verbunden. Problematisch sind die lange Operationsdauer und der hohe Blutverlust (laut Literaturangaben bis zu 6,5 Liter).<br /> Häufig kommt es zu Rezidiven, weil die Resektionsränder kontaminiert bleiben. „Auch in den besten Zentren erfolgt die Resektion in bis zu 60 % der Fälle nicht extraläsional“, berichtet Thomé. Dementsprechend ist die Prognose der Patienten – vor allem beim Ewing-Sarkom und beim Osteosarkom – nach wie vor nicht günstig. In welchen Fällen ist diese Operation dann überhaupt indiziert? „Grundsätzlich entscheidend für die Auswahl der Therapie ist, ob es sich um Primärtumoren oder um Metastasen handelt“, sagt Thomé. Während bei primären Tumoren eine kurative Therapie angestrebt wird, ist bei metastatischen Tumoren eine individualisierte palliative Behandlung das Ziel. Zwischen dem (seltenen) primären Wirbelsäulentumor und der progredienten Systemerkrankung mit schlechtem Allgemeinzustand gibt es aber ein Spektrum an weiteren Indikationen wie Solitärmetastasen und Metastasen von wenig aggressiven Tumoren.<br /> Die hauptsächlichen Indikationen sind Riesenzelltumoren, Osteo- und Chondrosarkome, Chordome und das Ewing-Sarkom. „Bei Rezidiven und spinalen Metastasen ist die Indikation zur En-bloc- Spondylektomie nach evidenzbasierten Kriterien nicht gegeben“, so Thomé. „Sie kann dennoch im Einzelfall sinnvoll sein.“ Häufig ist ein solcher Eingriff jedoch rein technisch gar nicht möglich, etwa bei großen Läsionen an der Halswirbelsäule und bei Tumoren mit erheblicher epiduraler Ausdehnung.<br /> Die En-bloc-Resektion von Tumorgewebe kann in verschieden hohem Ausmaß von marginal bis radikal erfolgen. Um das Rezidivrisiko zu senken, rät Thomé, vor allem bei jungen Patienten nicht primär zu operieren, sondern zuvor eine neoadjuvante Chemotherapie durchzuführen und erst danach – „zum richtigen Zeitpunkt“ – den Resttumor zu entfernen. Entscheidend für das Outcome ist auch die postoperative Radiotherapie.</p> <h2>Zelluläre Behandlungsstrategien</h2> <p>Einen Hoffnungsschimmer aus der Grundlagenforschung präsentierte die Biologin Dr. Cornelia Neidlinger- Wilke vom Institut für Unfallchirurgische Forschung und Biomechanik der Universität Ulm. Zur Regeneration von Bandscheibengewebe gibt es derzeit die meiste Erfahrung mit autologen Bandscheibenzellen. Diese ist recht gut, nachteilig sind die Zweizeitigkeit des Verfahrens und die Tatsache, dass patienteneigenes Bandscheibengewebe möglicherweise schon degenerativ verändert ist. Als Alternative wird einerseits am Bandscheibenersatz mit Stammzellen, andererseits an der Stimulierung endogener Zellen geforscht. „Stammzellen haben nicht nur das Potenzial, zu bandscheibenähnlichen Zellen zu differenzieren. Man vermutet, dass sie auch Wachstumsfaktoren und antiinflammatorische Zytokine produzieren und damit das Milieu so verändern, dass der Matrixaufbau gefördert wird“, berichtet Neidlinger- Wilke.<br /> In verschiedenen Tiermodellen konnten mit Stammzellen schon vielversprechende Ergebnisse erzielt werden: Es gibt Hinweise auf eine Verzögerung der Degeneration. Auch bezüglich Bandscheibenhöhe und MR-Signalintensität wurden Verbesserungen beobachtet. Das große Aber: Die Bandscheibendegeneration in vielen Tiermodellen ist nicht „natürlich“ entstanden, sondern traumatisch induziert. „Eine solche induzierte Degeneration ist mit der altersbedingten Bandscheibendegeneration beim Menschen nicht vergleichbar“, sagt Neidlinger-Wilke. Ob die Ergebnisse daher auf die Situation beim menschlichen Patienten übertragbar sind, sollen klinische Studien zeigen. Die ersten diesbezüglich vorliegenden Resultate sind noch widersprüchlich; auch sind die Fallzahlen gering. Größere multizentrische Studien sind aber im Laufen.<br /> Viele Fragen sind noch offen: Wie beeinflussen degenerativ- inflammatorische Bedingungen die Stammzelldifferenzierung? Welches Ursprungsgewebe eignet sich am besten? Können Stammzellen aus der Bandscheibenumgebung rekrutiert werden? Müssen die Zellen injiziert werden und gibt es parakrine Effekte? Mit Grundlagenstudien wird versucht, diese Schlüsselfragen zu beantworten. Neidlinger-Wilke berichtet bisherige Erkenntnisse aus ihrer eigenen In-vitro-Forschungsarbeit mit Stammzellen aus Knochenmark und Fettgewebe. So konnte sie feststellen, dass die chondrogene Differenzierung beider Zelltypen durch das proinflammatorische Milieu reduziert wird. Hinsichtlich der Genexpression von Entzündungsmarkern fand sie erhebliche marker- und spenderabhängige Unterschiede: Manche Stammzellen reagierten sogar mit einer erhöhten Entzündungsantwort. Unter den gewählten Versuchsbedingungen war auch die erhoffte positive Wirkung auf den Matrixaufbau nicht zu beobachten: „Die Matrixbildung konnte durch mesenchymale Stammzellen in vitro nicht verbessert werden“, so Neidlinger-Wilke. Ein erfreuliches Ergebnis: Stammzellen produzieren Faktoren, welche die Zellmigration fördern, sodass sie möglicherweise Zellen aus der Umgebung „rekrutieren“ können. Die Hoffnungen ruhen darauf, dass die Zelltherapie eine immunmodulierende Wirkung hat und damit Entzündung und Schmerz reduzieren kann. Dies zu untersuchen ist Gegenstand der aktuellen Forschung auf diesem Gebiet.</p> <h2>Posttraumatische Kyphose</h2> <p>Inadäquate Frakturbehandlung bzw. -heilung, chirurgisch-technische Fehler, perioperative Infektionen oder sekundär degenerative Veränderungen können zu Kyphosen führen. Eine allgemein akzeptierte Klassifikation solcher posttraumatischer Kyphosen gibt es noch nicht. Üblicherweise wird der segmentale Kyphosewinkel bestimmt und dokumentiert. „Er wird am besten zwischen der Grundplatte des Wirbels kranial der Läsion und der Deckplatte des Wirbels kaudal der Läsion gemessen“, erklärt Spine-Präsident Doz. Dr. Mag. Christian Bach. Ab welchem Winkel eine Kyphose klinisch relevant wird, darüber besteht in der Literatur keine Einigkeit. Manche Autoren ziehen die Grenze bei 5°, andere bei 20°. Ein statistisch signifikantes Risiko für chronisch anhaltende Schmerzen besteht jedenfalls bei einem segmentalen Kyphosewinkel von mehr als 30°. Relevanter als der Winkel ist aber laut Bach die Rigidität: „Ob die Kyphose flexibel ist oder knöchern verankert, ist für das weitere Vorgehen von entscheidender Bedeutung.“<br /> Die Indikation zur OP sieht Bach bei chronisch anhaltender Schmerzsymptomatik, progressiven Kyphosen, sagittaler Balancestörung, Kyphosen über 30° und neurologischen Ausfällen. Einfache flexible Kyphosen werden mit ventraler Verlängerung und dorsaler Verkürzung versorgt. Bei höhergradigen, rigideren Kyphosen reicht die ventrale Korrektur über die Bandscheiben oft nicht aus. Hier müssen eventuell Wirbelkörper, ganz oder teilweise, entfernt werden, um mehr Flexibilität zu schaffen. Bei hochgradigen und knöchern fixierten Kyphosen kommen Osteotomie- Techniken wie SPO (Smith-Peterson- Osteotomie), PSO (Pedikelsubstraktionsosteotomie) oder VCR („vertebral column resection“) zum Einsatz. Bach betont die Wichtigkeit des intraoperativen Neuromonitorings: SEP und MEP sollten bei allen Deformitätenkorrekturen Standard sein, aber besonders bei Kyphoseoperationen; denn statistisch gesehen treten neurologische Komplikationen bei Kyphoseaufrichtungen mit bis zu 7 % noch viel häufiger auf als etwa bei Skoliosekorrekturen (0,1 % ).</p> <h2>Grenzen sind fließend</h2> <p>Über die Grenzen der Deformitätenchirurgie an der Wirbelsäule sprach Dr. Richard Eyb vom Donauspital SMZ Ost, Wien. Von der Ätiologie her stellen bestimmte Erkrankungen, wie das Beals-, das Marfan- oder das Ehlers-Danlos-Syndrom, Kontraindikationen dar. Die Grenzen der verschiedenen Osteotomietechniken liegen beim Grad der möglichen Korrektur: Mit SPO sind lediglich Korrekturen bis zu 5° pro Segment möglich. Mit PSO können Fehlstellungen bis zu 30° (im Lumbalbereich), mit VCR bis zu 60° korrigiert werden. Jedoch steigt das Risiko für Komplikationen, je mehr osteotomiert wird. Andererseits sind in Einzelfällen auch schon Korrekturen von noch viel höhergradigeren Deformitäten gelungen, wie Eyb berichtet.<br /> Auch die Patienten selbst können der Wirbelsäulenchirurgie Grenzen setzen. So sind ein höheres Lebensalter, ein zu hoher oder zu niedriger BMI, Anämie, Diabetes, Osteoporose und Arthritis mit einem erhöhten Komplikationsrisiko assoziiert. „Übergewicht ist sogar bei Jugendlichen ein Risikofaktor“, sagt Eyb. In einer Analyse von 207 Adoleszenten kam es im Rahmen einer Skoliosekorrektur mit Pedikelschrauben bei 12 % der Übergewichtigen zu Infektionen versus 3 % bei den Normalgewichtigen (Katyal C et al: Spine Deform 2015; 3: 166).<br /> Last, but not least weist Eyb auf die Grenzen im persönlichen Bereich hin: Nicht nur die Risikofaktoreneinschätzung, sondern auch eine ehrliche Selbsteinschätzung soll Teil der Therapieplanung sein. „Insgesamt sind die Grenzen der Wirbelsäulenchirurgie nicht scharf zu ziehen“, meint Eyb zusammenfassend, „und sie treten meist oft dort auf, wo wir sie nicht erwarten.“</p></p>
<p class="article-quelle">Quelle: 18. Symposium der Österreichischen Gesellschaft für
Wirbelsäulenchirurgie, Wien, 28. Jänner 2017
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